Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.05.2001, Az.: L 9 SB 265/97
1 Stunde; 2 Stunden; Grundpflege; hauswirtschaftliche Verrichtung; hauswirtschaftliche Versorgung; hauswirtschaftlicher Hilfebedarf; Hilfebedarf; Hilflosigkeit; Merkzeichen H; Mindestgrenze; Mindestumfang; Nachteilsausgleichs H; Pflegebedürftigkeit; Pflegestufe; Pflegestufe II; Pflegestufe III; Schwerbehindertenrecht; wirtschaftlicher Wert; zeitliche Grenze; zeitliche Mindestgrenze; zeitlicher Mindestumfang; zeitlicher Umfang
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 29.05.2001
- Aktenzeichen
- L 9 SB 265/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 40260
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BSG - 12.02.2003 - AZ: B 9 SB 1/02 R
Rechtsgrundlagen
- § 59 Abs 1 SchwbG
- § 4 Abs 4 SchwbG
- § 33b Abs 6 S 2 EStG
- § 33b Abs 6 S 3 EStG
- § 65 Abs 2 S 2 EStDV 1955
- § 35 Abs 1 BVG
- § 14 Abs 1 SGB 11
- § 14 Abs 4 Nr 4 SGB 11
- § 15 Abs 3 SGB 11
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Im Berufungsverfahren streiten die Beteiligten noch darüber, ob bei dem Berufungsbeklagten ab 1. Januar 1997 die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" (Merkzeichen "H") festzustellen sind.
Der 1945 geborene Berufungsbeklagte leidet an einer vererblichen, progressiv verlaufenden Muskeldystrophie; ihretwegen und wegen einer chronischen asthmoiden Bronchitis waren bei ihm mit Bescheid vom 12. März 1992 ein Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) von 90 sowie das Merkzeichen "G" festgestellt worden.
Mit Verschlimmerungsantrag vom 18. Juli 1995 begehrte der Berufungsbeklagte die weitere Erhöhung des GdB auf 100 sowie die Zuerkennung der Merkzeichen "B", "aG" und "H".
Das Versorgungsamt (VA) O wertete verschiedene ärztliche Unterlagen, u.a. den Arztbericht des Nordwest-Krankenhauses S (Prof. Dr. R) vom 14. Oktober 1992 und das Pflegegutachten des MDK Niedersachsen vom 18. Mai 1995 aus. Dem Antrag gab es mit Bescheid vom 5. Februar 1996 lediglich insoweit statt, als es dem Berufungsbeklagten das Merkzeichen "B" zuerkannte. Den weitergehenden Widerspruch, zu dessen Begründung der Berufungsbeklagte die bei ihm im Tagesverlauf erforderlichen Hilfeleistungen im einzelnen aufzählte, wies das Landesversorgungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 1996 zurück.
Am 30. Mai 1996 ist Klage erhoben worden. Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat das fachneurologische Gutachten des Kreiskrankenhauses A (Prof. Dr. B) vom 9. April 1997 erstatten lassen, der den beim Berufungsbeklagten vorliegenden GdB auf 100 geschätzt und die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "außergewöhnliche Gehbehinderung" für gegeben erachtet hat. Bezüglich des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" hat der Gutachter ausgeführt: Der Berufungsbeklagte sei für gewöhnliche und regelmäßig wiederkehrende Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf fremde Hilfe angewiesen. Dies betreffe Verrichtungen wie das An- und Auskleiden, die nicht allein durchführbare Körperpflege und die volle hauswirtschaftliche Versorgung. Die Dauer dieses Hilfebedarfs sei allerdings auf eine relativ kurze Zeit des Tages beschränkt, so daß die Zuerkennung des Merkzeichens "H" noch nicht gerechtfertigt erscheine.
Nachdem der Berufungskläger mit Teilanerkenntnissen vom 23. Juni 1997 und 5. August 1997 das Vorliegen eines GdB von 100 sowie des Merkzeichens "aG" anerkannt hat, haben die Beteiligten den Rechtsstreit bezüglich des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" fortgeführt.
Mit Urteil vom 26. September 1997 hat insoweit das SG Oldenburg den Berufungskläger verurteilt, dem Berufungsbeklagten ab 1. Januar 1997 das Merkzeichen "H" zuzuerkennen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, daß der Berufungsbeklagte nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B nicht in der Lage sei, das Duschen, Baden, Haarekämmen, Waschen, Föhnen, Rasieren und Zähneputzen ohne fremde Hilfe durchzuführen. Diese Feststellungen seien nachvollziehbar, da nachgewiesen sei, daß die Armabduktion und -hebung beim Berufungsbeklagten soweit vermindert sei, daß er mit den Armen die Kopfhöhe nicht mehr erreichen könne. Auch beim Aufstehen und Zubettgehen sei der Berufungsbeklagte auf eine Pflegeperson angewiesen. Auch im Bereich der Rumpfmuskulatur sei nämlich die Schwäche bei ihm so weit fortgeschritten, daß ein Aufrichten aus der Rückenlage und Heben des Oberkörpers aus der Bauchlage nicht mehr ohne Abstützung und fremde Hilfe möglich sei. Schließlich habe der Gutachter auch eine Unselbständigkeit des Berufungsbeklagten beim An- und Auskleiden objektivieren können. Es könne deshalb nicht zweifelhaft sein, daß der Berufungsbeklagte bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen in erheblichem Maße von einem Dritten unterstützt werden müsse.
Mit seiner am 12. September 1997 eingelegten Berufung macht der Berufungskläger hiergegen im wesentlichen geltend, daß die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" erst dann erfüllt seien, wenn der Hilfebedarf bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen in zeitlicher Hinsicht einen Gesamtumfang von 2 Stunden täglich erreiche. Dies ergebe sich namentlich aus der geänderten Fassung des § 65 Abs. 2 der Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV), nach der erst bei einer Einstufung in die Pflegestufe III der Pflegeversicherung eine Bindung bezüglich der Zuerkennung des Merkzeichens "H" eintrete.
Der Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. September 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Berufungsbeklagte beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Dieser tritt der Rechtsauffassung des Berufungsklägers entgegen.
Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung das sozialmedizinische Fachgutachten des Dr. F vom 18. November 1999 erstatten lassen. Dieser hat festgestellt, daß der Berufungsbeklagte beim Verlassen des Bettes, beim Baden und zusätzlichen Duschen, bei der Zahnpflege, beim Rasieren, beim An- und Auskleiden, beim Anlegen der Kniegelenksorthesen, bei der mundgerechten Zubereitung der Mahlzeiten, bei jeweils einem nächtlichen Gang zur Toilette täglich, beim Gehen innerhalb und außerhalb der Wohnung und bei der Kleider- und Schuhpflege fremder Hilfe bedürfe. Den hierbei auftretenden zeitlichen Hilfebedarf hat er mit 102,5 Minuten täglich veranschlagt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Schwerbehindertenakten des Berufungsklägers Bezug genommen, die beigezogen worden sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Berufung des Berufungsklägers ist nicht begründet. Das SG hat diesen mit seinem angefochtenen Urteil vom 26. September 1997 zu Recht verurteilt, beim Berufungsbeklagten ab 1. Januar 1997 die Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" festzustellen.
Hilflos i.S.v. §§ 59 Abs. 1 SchwbG, 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG ist eine Person, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Zu den Verrichtungen in diesem Sinne gehören das An- und Auskleiden, die Nahrungsaufnahme, die Körperpflege (Waschen, Kämmen, Rasieren), das Verrichten der Notdurft, die Mobilität (Aufstehen, Zubettgehen, Bewegung innerhalb und außerhalb der Wohnung) und ein Mindestmaß an persönlicher Kommunikation (BSG, Urt. v. 2. Juli 1997 -- 9 RVs 9/96 --). Weitergehende hauswirtschaftliche Verrichtungen wie die Reinigung der Wohnung oder die Pflege der Kleidung bleiben demgegenüber außer Betracht (BSG a.a.O.).
Im Falle des Berufungsbeklagten ist hiernach für den streitbefangenen, im Januar 1997 beginnenden Zeitraum Hilflosigkeit anzunehmen. Nach den Feststellungen des Gutachters Prof. Dr. B in dessen Gutachten vom 9. April 1997, denen eine ambulante Untersuchung im Januar 1997 zugrundeliegt, ist der Berufungsbeklagte seither aufgrund der bei ihm bestehenden progredienten Muskeldystrophie nicht mehr in der Lage, die Arme so weit zu abduzieren, daß Kopfhöhe erreicht wird. Im Bereich der Rumpfmuskulatur ist die Schwäche so weit fortgeschritten, daß ein Aufrichten aus der Rückenlage und Heben des Oberkörpers aus der Bauchlage nicht mehr ohne Abstützung und fremde Hilfe möglich ist. Der Gutachter hat hieraus -- auch für den Senat überzeugend -- abgeleitet, daß der Berufungsbeklagte bei allen Verrichtungen der persönlichen Hygiene (Duschen bzw. Baden, Haarekämmen und -waschen, Föhnen, Rasieren, Zähneputzen) fremder Hilfe bedarf. Zugleich lassen die Feststellungen des Gutachters, wie zuletzt auch von dem Sachverständigen Dr. F in seinem Gutachten vom 18. November 1999 festgestellt, den Schluß zu, daß der Berufungsbeklagte auch beim An- und Auskleiden auf fremde Hilfe angewiesen ist, soweit es den Oberkörper betrifft, da er nicht in der Lage ist, ein Kleidungsstück über den Kopf zu ziehen. Schließlich begründet die von Prof. Dr. B hervorgehobene Schwäche der Rumpfmuskulatur auch die von Dr. F ausdrücklich getroffene Feststellung, daß der Berufungsbeklagte sich nicht ohne fremde Hilfe aus dem Bett erheben kann und deshalb nicht nur beim morgendlichen Aufstehen der Hilfe bedarf, sondern auch dann, wenn er einmal pro Nacht die Toilette aufsuchen muß. Im Rahmen des maßgeblichen Hilfebedarfs zu berücksichtigen ist schließlich auch der Umstand, daß der Berufungsbeklagte nach den Feststellungen des Dr. F auf eine mundgerechte Zubereitung seiner Mahlzeiten angewiesen ist und jedenfalls für Gänge außerhalb der Wohnung ständiger Begleitung bedarf.
Als hilflos sieht der Senat den Berufungsbeklagten hiernach bereits deshalb an, weil sich seine Hilfebedürftigkeit auf alle maßgeblichen Bereiche der regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens erstreckt und hierbei die Anzahl der Verrichtungen, die der Berufungsbeklagte noch ohne fremde Hilfe ausüben kann, gegenüber der Anzahl derjenigen Verrichtungen, bei der er fremder Hilfe bedarf, weit in den Hintergrund tritt (vgl. BSG, a.a.O.). Bis auf kurze Wege innerhalb der Wohnung einschließlich des Gangs zur Toilette am Tage ist der Berufungsbeklagte nicht in der Lage, eine der maßgeblichen Verrichtungen vollständig allein durchzuführen.
Soweit der Berufungskläger gegen die Annahme von Hilflosigkeit einwendet, daß der Umfang notwendiger Hilfe das Maß von 2 Stunden täglich nicht erreiche, vermag sich der Senat diesen Bedenken nicht anzuschließen. Für eine derartige zeitliche Grenze bietet weder der Wortlaut des Gesetzes noch die ihn auslegende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) einen Anhalt. Allerdings hat das BSG wiederholt betont, daß der Hilfebedarf von meßbarem wirtschaftlichen Wert sein müsse. Hierfür hat es einen zeitlichen Umfang der Hilfe von 1 Stunde täglich veranschlagt. Dieser Mindestumfang der Hilfe ist jedoch kaum im Sinne einer starren zeitlichen Grenze zu verstehen (vgl. zuletzt Urt. v. 2. Juli 1997 -- 9 RVs 9/96 --, wo der Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" mit der Begründung verneint wird, daß der dortige Anspruchsteller lediglich bei einzelnen Verrichtungen auf Hilfe angewiesen sei und im übrigen der Hilfebedarf die zeitliche Mindestgrenze von 1 Stunde täglich auch deutlich unterschreite).
Soweit der Berufungskläger darauf verweist, daß namentlich die Neufassung von § 65 Abs. 2 Satz 2 EStDV seine Forderung nach einem mindestens zweistündigen Hilfebedarf stütze, vermag der Senat dieser Auffassung im Ergebnis nicht zu folgen. Nach der genannten Bestimmung kann ein Steuerpflichtiger den Nachweis seiner Hilflosigkeit nicht nur durch einen Schwerbehindertenausweis mit dem eingetragenen Merkzeichen "H" oder einen entsprechenden Bescheid der Versorgungsverwaltung, sondern auch durch Zuerkennung der Pflegestufe III nach dem SGB XI erbringen. Richtig ist danach allerdings, daß ein Hilfebedarf von mindestens 3, aber weniger als 5 Stunden täglich bei den durch § 14 Abs. 4 SGB XI näher bestimmten Verrichtungen diesen Nachweis der Hilflosigkeit noch nicht begründet, weil er lediglich zur Zuerkennung der Pflegestufe II führt (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGB XI). Aus diesem Umstand können indessen keine Rückschlüsse auf den zeitlichen Mindestumfang der nach § 35 Abs. 1 BVG oder § 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG erforderlichen Hilfe gezogen werden. Bei der Bestimmung des Hilfebedarfs sind insoweit lediglich die diejenigen Verrichtungen heranzuziehen, die der Sicherung der persönlichen Existenz dienen, während nach § 14 Abs. 1 SGB XI auf alle gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens abzustellen ist. Der Hilfebedarf nach dem SGB XI wird danach auch durch die hauswirtschaftliche Versorgung mitbestimmt (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI), während diese für die Ermittlung des Hilfebedarfs nach § 15 Abs. 1 BVG oder § 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG außer Betracht bleibt. Der Begriff des Hilfebedarfs in § 35 Abs. 1 BVG und § 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG entspricht damit im wesentlichen demjenigen der Grundpflege nach § 15 Abs. 3 SGB XI. Auch insoweit stellt allerdings diese Vorschrift für die Zuerkennung der Pflegestufen bestimmte zeitliche Mindestgrenzen auf: Während die Grundpflege für die Zuerkennung der Pflegestufe II durchschnittlich mindestens 2 Stunden täglich betragen muß, kommt die Zuerkennung der Pflegestufe III erst bei einem Grundpflege -- Bedarf von durchschnittlich 4 Stunden täglich in Betracht. Gerade dieser Umstand spricht indessen dagegen, § 65 Abs. 2 Satz 2 EStDV überhaupt für die Gewinnung bestimmter zeitlicher Mindestanforderungen an den Hilfebedarf nach § 35 Abs. 1 BVG und § 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG heranzuziehen; denn die in § 15 Abs. 3 SGB XI für die Grundpflege festgesetzten Mindestzeiten müßten dann dazu führen, für den Hilfebedarf einen zeitlichen Mindestumfang von wenigstens 4 Stunden täglich zu fordern. Die vom Berufungskläger vertretene Auffassung würde jedenfalls durch die von ihm geforderte Heranziehung der Regelungen in § 15 Abs. 3 SGB XI nicht gestützt, weil danach eine Hilfebedürftigkeit im Umfang von durchschnittlich zwei Stunden Grundpflege täglich die Zuerkennung der Pflegestufe III und mit ihr die Vermutung der Hilflosigkeit gerade nicht begründet.
Richtigerweise kann § 65 Abs. 2 Satz 2 EStDV vor diesem Hintergrund lediglich als eine Vorschrift verstanden werden, die den Nachweis der Hilflosigkeit in solchen Fällen erleichtert, in denen nach Zuerkennung der Pflegestufe III -- bei einem dann vorliegenden Umfang der Grundpflege von durchschnittlich 4 Stunden täglich -- kein Zweifel daran bestehen kann, daß der Pflegebedürftige zugleich bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung seiner persönlichen Existenz dauernd fremder Hilfe bedarf (§§ 35 Abs. 1 BVG, 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG). Der mit dieser Verfahrenserleichterung verbundene Schluß von der Erfüllung höherer auf die Erfüllung geringerer Anforderungen setzt keine bestimmte mathematische Korrelation zwischen den Anforderungen an die Zuerkennung der Pflegestufe III und denjenigen an die Annahme von Hilfebedürftigkeit i.S.v. §§ 35 Abs. 1 BVG und 33 b Abs. 6 Satz 2 EStG voraus. Er ist zur Überzeugung des Senats bei Vorliegen der Voraussetzungen der Pflegestufe III in tatsächlicher Hinsicht auch dann gerechtfertigt, wenn mit der jüngeren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts davon ausgegangen wird, daß das Vorliegen von Hilflosigkeit nicht in erster Linie durch die Erfüllung zeitlicher Mindestanforderungen an den Umfang der Hilfe, sondern wesentlich dadurch bestimmt ist, daß die Durchführung der maßgebenden Verrichtungen von der Angewiesenheit auf fremde Hilfe geprägt wird. Auch hierauf wird die Zuerkennung der Pflegestufe III in der Praxis sachlich zutreffend schließen lassen.
Schließlich ist auch nicht deshalb von einem zeitlichen Mindestumfang des Hilfebedarfs in Höhe von zwei Stunden auszugehen, weil die Sektion "Versorgungsmedizin" des ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) bei ihrer Tagung am 15. und 16. April 1997 unter dem Tagesordnungspunkt 2.3 festgestellt hat, daß von einem erheblichen Umfang der Hilfe i.S.v. § 33 b EStG bzw. 35 Abs. 1 BVG in der Regel erst dann ausgegangen werden könne, wenn sie täglich mindestens zwei Stunden erbracht werde, während es auf die Anzahl der Verrichtungen, bei denen sie benötigt werde, nicht ankomme (Sitzungsniederschrift zu TOP 2.3, 2. Absatz, bestätigend auch Sitzungsniederschrift der Tagung vom 3. und 4. November 1999, TOP 2.1.1, 2. Absatz). Während die vom Sachverständigenbeirat verantworteten Anhaltspunkte für die Begutachtung im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz -- AHP -- und die sie klarstellend ergänzenden Sitzungsbeschlüsse der Sektion Versorgungsmedizin nach allgemein anerkannter Auffassung von den Gerichten zu beachten sind, soweit sie den Stand der medizinischen Wissenschaft für eine gleichmäßige Anwendung des Schwerbehinderten- und Versorgungsrechts regelhaft konkretisieren und deshalb als vorgegebenes medizinisches Sachverständigenwissen aufgefaßt werden können, ist doch klarstellend daran festzuhalten, daß es dem Sachverständigenbeirat an der Befugnis zur Setzung von Rechtsnormen oder zu einer für die Rechtsprechung verbindlichen Interpretation von Bundesgesetzen mangelt. Eine solche Kompetenz hat im übrigen der Sachverständigenbeirat, wie sich aus der Niederschrift seiner Sitzung vom 3. und 4. November 1999 ergibt, auch gar nicht in Anspruch genommen. Vielmehr ist es danach sein ausschließliches Ziel gewesen, mit den bei der Sitzung am 15. und 16. April 1997 verabschiedeten Kriterien die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den rechtlichen Anforderungen an eine wesentliche Hilfebedürftigkeit zutreffend zu referieren. Schon deshalb ist aber die Beschlußfassung des Sachverständigenbeirates über den zeitlichen Mindestumfang der Hilfe eine für die Gerichte unverbindliche Meinungsäußerung.
Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 10. September 1999 (Az.: L 9 V 56/97) darauf hingewiesen, daß ihn die Rechtsauffassung der Sektion Versorgungsmedizin des Sachverständigenbeirats in der Sache nicht überzeugt. Eine ausschließlich am zeitlichen Umfang der Hilfe orientierte Betrachtungsweise ist nämlich zur Überzeugung des Senats mit dem Gesetzeswortlaut, der die nicht ohne fremde Hilfe durchführbaren Verrichtungen in den Mittelpunkt rückt, kaum vereinbar. Hinzu kommt, daß die Sektion Versorgungsmedizin des Sachverständigenbeirats bislang nicht hat erkennen lassen, von welchem zeitlichen Gesamtbedarf für die zu berücksichtigenden, häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages er für den Fall des Hilfebedarfes bei allen in Betracht zu ziehenden Verrichtungen zur Existenzsicherung ausgeht und nach welchen Kriterien hieraus der dann als wesentlich angesehene Bruchteil von zwei Stunden täglich zu bestimmen ist.
Der zeitliche Umfang des beim Berufungsbeklagten festzustellenden Hilfebedarfs gibt dem Senat hiernach keine Veranlassung, den Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Hilflosigkeit" zu verneinen. Soweit Dr. F in seinem Gutachten vom 18. November 1999 den Gesamtumfang der erforderlichen Hilfe unter Einschluß von 30 Minuten täglich für die Kleider- und Schuhpflege auf 102,5 Minuten pro Tag beziffert hat und der Berufungskläger geltend macht, daß neben diesem Betrag für die Kleiderpflege auch weitere 15 Minuten täglich für das zusätzliche Duschen (neben dem Baden) in Abzug gebracht werden müßten, ergibt sich selbst unter weiterem Abzug von 1,5 Minuten täglich für das gelegentliche Anlegen der Orthesen ein Hilfebedarf von 56 Minuten täglich. Diesen sind gem. § 33 b Abs. 6 Satz 3 aber noch diejenigen, im Gutachten des Dr. F nicht aufgeführten Zeiträume hinzuzurechnen, in denen zwar keine Hilfe geleistet wird, jedoch ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist. Der Senat hat insoweit zu berücksichtigen, daß der von Dr. F mit einem zeitlichen Aufwand von 5 Minuten täglich veranschlagte nächtliche Toilettengang eine über diesen Zeitraum hinausgehende Bereitschaft der Hilfsperson voraussetzt. Denn die Hilfsperson muß für den Berufungsbeklagten während der Nacht zu einem im Voraus nicht festzulegenden Zeitpunkt unmittelbar erreichbar und zur Hilfeleistung bereit sein. Die dauernde nächtliche Hilfebereitschaft der Ehefrau des Berufungsbeklagten ist nach der Schilderung gegenüber Dr. F auch wegen der etwa einmal wöchentlich auftretenden Asthmaanfälle erforderlich.
Darüber hinaus ist dem Gutachten des Dr. F zu entnehmen, daß der Berufungsbeklagte durchschnittlich zweimal wöchentlich stürzt, so daß auch aus diesem Grunde über die eigentliche Dauer der Hilfeleistung hinaus die Anwesenheit der Hilfsperson zur Gewährleistung einer hinreichenden und sicheren Fortbewegungsmöglichkeit des Berufungsbeklagten erforderlich erscheint. In diesem Zusammenhang kann dahingestellt bleiben, ob die für die Begleitung des Berufungsbeklagten bei seinen täglichen Spaziergängen erforderliche Zeit etwa deshalb doppelt in Ansatz zu bringen ist, weil der Berufungsbeklagte nach den Feststellungen des Dr. F wegen der hierbei eintretenden Stürze an sich die Begleitung durch zwei Hilfspersonen benötigte.
Der Senat hat keinen Zweifel, daß hiernach die in der Rechtsprechung des BSG zugrundegelegte zeitliche Mindestdauer der Hilfebedürftigkeit von 1 Stunde täglich erfüllt wird, ohne daß es über den von Dr. F ermittelten, korrigierten Bedarf von 56 Minuten täglich hinaus noch einer ins einzelne gehenden Quantifizierung bedarf.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Ein Grund, gem. § 160 Abs. 2 die Revision zuzulassen, besteht nicht.