Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.10.1996, Az.: I 319/94

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
22.10.1996
Aktenzeichen
I 319/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 26867
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1996:1022.I319.94.0A

In dem Rechtsstreit

wegen Einheitsbewertung auf den 1. Januar 1992 und 1. Januar 1993

hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 22. Oktober 1996, an der mitgewirkt haben:

Vorsitzender Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

Richter am Finanzgericht .

ehrenamtliche Richterin . Friseurmeisterin

ehrenamtlicher Richter . Kreisverwaltungsrat

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Umstritten ist, ob für Wohnräume in einem Behindertenwohnheim ein Einheitswert festzusetzen ist.

2

Die Klägerin (Kl'in) ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie betreibt in O., das Wohnheim B. Nach § 3 der Satzung des Wohnheims B. verfolgt dieses ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke im Sinne der §§ 52 ff der Abgabenordnung (AO) durch die Aufnahme und Pflege seelisch Behinderter. Durch vorläufige Bescheinigung vom 10. August 1992 hat der Beklagte (Finanzamt, FR) anerkannt, daß das Wohnheim nach der eingereichten Satzung ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten mildtätigen Zwecken im Sinne der § 51 ff AO dient und zu den in § 5 Abs. 1 Nr. 9 Körperschaftsteuergesetz (KStG) bezeichneten Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen gehört.

3

Bei dem Wohnheim B. handelt es sich um ein Langzeitwohnheim für seelisch Behinderte. Grundsätzlich können die Patienten ohne zeitliche Begrenzung dort Leben, wenn es aus medizinischen Gründen erforderlich ist. Jedoch wird angestrebt, daß die Patienten als Folge der Therapiemaßnahmen nach einiger Zeit das Wohnheim verlassen und selbständig Leben können.

4

Das Gebäude ist wie folgt gestaltet:

5

Durch die Haustür gelangt man in einen Eingangsbereich., Von hier führen eine Reihe von Türen zu verschiedenen Gemeinschaftseinrichtungen, wie z. B. einem Gemeinschaftsraum, einem Freizeitbeschäftigungsraum usw. Rechts und Links des Eingangsbereiches führen zwei Türen zu jeweils einem Flur. An jedem Flur Liegen vier Zimmer, in denen vier Patienten wohnen. Am Ende der Flure sind zwei Duschen mit WC, ein Hauswirtschaftsraum und eine Wohnküche. Außerdem führt von dem Eingangsbereich eine Treppe in das obere Stockwerk. Dort mündet die Treppe in einen Flurbereich, der auf seiner rechten und Linken Seite zwei Türen besitzt, hinter denen sich die Wohnbereiche für acht weitere Patienten befinden. Insgesamt besitzt das Wohnheim 16 Patientenzimmer, die auf vier Bereiche -; jeweils zwei im Erdgeschoß und im Obergeschoß -; aufgeteilt sind. Die vier Wohnbereiche sind in ihrer Gestaltung, Größe und Anordnung identisch. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bauzeichnungen Bl. 47 und 48 Einheitswertakte sowie auf das Protokoll über den Beweis- und Erörterungstermin am 29.08.1996 (Bl.. 27-;30 FG-Akte) verwiesen.

6

Durch Einheitswertbescheid vom 2. Dezember 1991, geändert durch Änderungsbescheid vom 10. Februar 1993, bewertete das FR das Wohnheim B. auf den 01.01.1992 als Mietwohngrundstück und setzte den Einheitswert auf 196. 800 DM fest. Dabei ging es davon aus, daß das Wohnheim vier Wohnungen enthalte mit jeweils vier Patientenzimmern, einem Flur, zwei Duschen mit WC, einer Küche und einem Abstellraum. Die übrigen Flächen des Wohnheims berücksichtigte das FR bei der Ermittlung des Einheitswertes nicht.

7

Mit dem gegen den Einheitswertbescheid eingelegten Einspruch beantragte die Kl'in, den Bescheid aufzuheben, da er für die Besteuerung nicht von Bedeutung sei. Als einzige einheitswertabhängige Steuerart komme die Grundsteuer in Betracht. Da das Wohnheim eine gemeinnützige Einrichtung sei und keine Wohnungen, sondern nur Wohnräume enthalte, unterliege es nicht der Grundsteuerpflicht. Mit Schreiben vom 11. Februar 1993 beantragte die Kl'in ferner, die Festsetzung des Einheitswertes auf den Stichtag 1. Januar 1993 insgesamt aufzuheben. Das FR wies den Einspruch als unbegründet zurück und Lehnte den Antrag ab. Hiergegen richtet sich -; nach erfolglosem Vorverfahren -; die Klage.

8

Die Kl'in trägt vor:

9

Sie verfolge unmittelbar und ausschließlich gemeinnützige Zwecke und sei daher gem. § 3 Abs. 1 Ziff. 3 Grundsteuergesetz (GrStG) grundsätzlich von der Grundsteuer befreit. Nach § 5 Abs. 2 GrStG könnten Grundsteuern nur insoweit anfallen, als das Wohnheim Wohnungen enthalte. Es enthalte aber keine Wohnungen, sondern allenfalls Wohnräume. Das ergäbe sich sowohl aus der räumlichen Gestaltung der Wohnbereiche der Patienten als auch aus dem Unterbringungszweck. Denn die Patientenzimmer seien Krankenzimmern in einem Krankenhaus vergleichbar.

10

Die Kl'in beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

11

unter Rufhebung des Einheitswertbescheides auf den 01.01.1992 vom 10. Februar 1993 und des ablehnenden Bescheides vom 23.03.1993 sowie der beiden Einspruchsbescheide vom 27. Oktober 1994 das FR zu verpflichten, ab 1. Januar 1993 die Festsetzung eines Einheitswertes für das Wohnheim Plohefelde aufzuheben.

12

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

13

Es meint, daß Wohnheim enthalte vier Wohnungen, die jeweils für vier seelisch Behinderte vorgesehen seien. Diese Wohnungen seien nach der Sonderregelung des § 5 Abs. 2 GrStG grundsteuerpflichtig. Damit müsse auch ein Einheitswert festgesetzt werden.

14

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

15

Im übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die vorgelegten Steuerakten Bezug genommen.

Gründe

16

Die Klage ist nicht begründet.

17

Das streitige Grundstück ist nicht von der Grundsteuer befreit. Die Feststellung eines Einheitswertes kann nicht nach § 19 Abs. 4 Bewertungsgesetz (BewG) unterbleiben, weil der festgestellte Einheitswert für die Grundsteuer von Bedeutung ist.

18

Nach § 3 Nr. 3 a GrStG ist der Grundbesitz von der Grundsteuer befreit, der von einer inländischen Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse für gemeinnützige oder mildtätige Zwecke benutzt wird. Diese Voraussetzungen Liegen im Streitfall vor. Gem. § 5 Abs. 1 GrStG ist die Steuerbefreiung nach § 3 GrStG jedoch eingeschränkt für Grundbesitz, der zugleich Wohnzwecken dient; nach § 5 Abs. 2 GrStG ist die Steuerbefreiung ausgeschlossen für Wohnungen. Der Begriff der Wohnung in § 5 Abs. 2 GrStG ist mit dem Wohnungsbegriff des Bewertungsrechts identisch (vgl. BFH, Urteil vom 11. Februar 1987, II R 210/83, BStBl II 1987, 306). Dagegen ist der von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Steuervergünstigung nach dem II. Wohnungsbaugesetz geprägte Wohnungsbegriff für das Bewertungsrecht nicht brauchbar, weil er von den Förderungszielen des II. Wohnungsbaugesetzes ausgeht (vgl. Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuer, 17. Aufl. 1995, § 75 Anm. 34 m.w.N.).

19

Das Wohnheim B. enthält vier Wohnungen. Es handelt sich dabei um die Bereiche, die im Eingangsbereich bzw. im oberen Flur rechts und Links abgehen und am Beginn ihrer Flure Abschlußtüren besitzen; die hinter diesen Türen Liegenden Räume stellen jeweils eine Wohnung dar. Die Frage, was eine Wohnung ist, ist zwar weder im BewG noch im GrStG definiert. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH zum Bewertungsrecht, der sich der erkennende Senat anschließt, ist unter einer Wohnung die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen zu verstehen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, daß in ihnen die Führung eines selbständigen Haushalts auf Dauer möglich ist. Dazu ist u. a. wesentlich, daß die Räume eine baulich getrennte in sich abgeschlossene Einheit bilden, einen eigenen Zugang haben, eine bestimmte Mindestfläche aufweisen und die zum wohnen erforderlichen Nebenräume besitzen (grundlegend: Urteil des BFH vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BStBl. II 1985, 151). Die dort genannten Voraussetzungen gelten jedenfalls für Wohnungen, die, wie hier, nach dem 1. Januar 1973 errichtet worden sind und auf den 01.01.1974 oder einen späteren Stichtag bewertet werden.

20

Im Streitfall sind alle Voraussetzungen des Wohnungsbegriffs erfüllt. Die Wohnungen haben jeweils eine eigene Eingangstür. Von den dahinter Liegenden Fluren gehen Zimmer ab, die zum wohnen, Schlafen usw. geeignet sind. Die Wohnungen enthalten ferner die nötigen Nebenräume, wie z. B. Küche, Bad mit WC und Abstellraum.

21

Der Senat verkennt nicht, daß die Wohnungen nach ihrer tatsächlichen Gestaltung nicht darauf zugeschnitten sind, von z. B. einer Familie bewohnt oder vermietet zu werden. So sind z. B. die vier Wohnräume jeder Wohnung relativ klein und enthalten z. B. kein typisches Wohnzimmer. Ruch die beiden Duschen mit WC, die jede Wohnung enthält, sind in ihrer Ausstattung nicht auf die Bedürfnisse einer Familie zugeschnitten. Das ändert jedoch nichts daran, daß eine Familie, erst recht eine Einzelperson, in jeder Wohnung problemlos wohnen könnte.

22

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der tatsächlichen Nutzung. Zwar ist davon auszugehen, daß Räumlichkeiten, die nicht Wohnzwecken dienen, keine Wohnungen im Sinne von § 75 Abs. 5 BewG darstellen (BFH, Urteil vom 22. Februar 1985, III R 78/81, BStBl II 1985, 284). Deshalb sind z. B. freiberuflich oder gewerblich genutzte Räume auch dann nicht als Wohnung zu bewerten, wenn sie -; rein baulich gesehen -; alle Anforderungen des Wohnungsbegriffs erfüllen. Im Streitfall werden die streitigen Räumlichkeiten jedoch zu Wohnzwecken genutzt. Die Patienten wohnen in ihren Räumen. Das ergibt sich schon daraus, daß es sich nicht -; wie z. B. in einem Krankenhaus -; um bettlägerige Kranke handelt, sondern um Patienten, die trotz ihrer seelischen Behinderung eine gewisse Selbständigkeit besitzen und lernen sollen, ohne medizinische, psychologische und organisatorische Hilfe wieder selbständig zu Leben. Hierfür spricht auch die Bezeichnung des Gebäudes als "Wohnheim" bzw. "Langzeitwohnheim".

23

Da somit nach § 5 Abs. 2 GrStG eine Grundsteuerbefreiung nicht eintritt, war das FR verpflichtet, ab 01.01.1992 einen Einheitswert für das Wohnheim B. festzustellen. Unrichtigkeiten des festgestellten Einheitswertes sind weder erkennbar noch vorgetragen worden. Die Klage mußte somit abgewiesen werden.

24

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.