Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.10.2013, Az.: 1 LB 162/13
Betätigung des Vertrauens eines Bauherrn in Form einer über lange Zeit unveränderten Betriebsführung hinsichtlich Einwendungen eines Nachbarn gegen eine bestimmte Gebäudenutzung; Erteilung einer Baugenehmigung zur nachträglichen Legalisierung mehrerer Schweineställe i.R.d. Verwirkung von Nachbarrechten
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 08.10.2013
- Aktenzeichen
- 1 LB 162/13
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 46795
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2013:1008.1LB162.13.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 07.07.2008 - AZ: 4 A 3503/05
Rechtsgrundlagen
- § 242 BGB
- § 594 BGB
Fundstellen
- BauR 2014, 316
- FStNds 2014, 212-217
- IBR 2013, 773
- NordÖR 2014, 97-98
Amtlicher Leitsatz
Der Bauherr kann sein Vertrauen, ein Nachbar werde nach langer Untätigkeit keine Einwendungen gegen eine bestimmte Gebäudenutzung mehr erheben, auch in Form einer über lange Zeit unveränderten Betriebsführung betätigen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur nachträglichen Legalisierung mehrerer Schweineställe, weil er sich unzumutbaren Geruchsimmissionen ausgesetzt sieht; die Beteiligten streiten insofern insbesondere über die Frage der Verwirkung etwaiger Nachbarrechte.
Der Kläger ist Eigentümer der im Ortsteil G. der Gemeinde H. gelegenen Wohngrundstücke Zum Dorfteich 8 und 10 (vormals G. 32 und 30). Der Ortsteil ist insgesamt stark landwirtschaftlich geprägt. Rund 20 aktive Landwirte halten etwa 10.000 Schweine in der Ortslage.
Auf dem Grundstück Am Dorfteich 10 steht ein im Jahr 1973 errichtetes und im Jahr 1999 erweitertes Zweifamilienhaus. Eine Wohnung nutzt der Kläger mit seiner Familie, während die zweite Wohnung zur Vermietung bestimmt ist. Das Einfamilienhaus auf dem Grundstück Zum Dorfteich 8 wird ebenfalls vermietet. Für dieses Grundstück wurde noch im Jahr 1986 eine Baugenehmigung (Nr. 319/86 vom 9. Oktober 1986) zur Errichtung eines Unterstandes auf Festmistbasis zur vorübergehenden Unterstellung von Rindvieh sowie im Jahr 1995 (Nr. 1892/90 vom 2. März 1995) zur Errichtung einer bereits errichteten Wagenremise erteilt.
Südlich angrenzend liegen die Grundstücke I. End 1 und 3 der Beigeladenen, der Schwägerin des Klägers. Die Grundstücke sind mit einer landwirtschaftlichen Hofstelle - bestehend aus einem Wohngebäude, einer Werkstatt und verschiedenen zur Zeit verpachteten Stallgebäuden - bebaut. Dort werden gegenwärtig rund 750 Mastschweine gehalten.
Sämtliche Areale mit Ausnahme des Grundstücks Zum Dorfteich 10 standen bis Anfang der 80er-Jahre als einheitliches Flurstück im Eigentum des Vaters des Klägers und gehörten zu dessen landwirtschaftlichem Betrieb. Bis etwa 1980 wohnte auch der Kläger auf dem Hofgrundstück. Nach dem Tod des Vaters wurde das Grundstück geteilt. Das abgeteilte Grundstück Zum Dorfteich 8 ging auf den Kläger über; die Hofstelle erbte der mittlerweile ebenfalls verstorbene Bruder des Klägers, der mit der Beigeladenen verheiratet war. Der Kläger zog in das Wohnhaus Am Dorfteich 10.
Die Bauhistorie auf dem Hofgrundstück der Beigeladenen, das offenbar bereits vor dem zweiten Weltkrieg als solches genutzt wurde, gestaltet sich nach Aktenlage wie folgt:
Mit Bauschein Nr. 3544 vom 2. Juni 1947 genehmigte der Beklagte den Wiederaufbau eines Rinderstalles. Dabei handelt es sich um den südwestlichen Teil des heutigen Stallgebäudes (Gebäudeteil 5a). Die Genehmigung blieb hinter dem Bauantrag zurück; errichtet wurde gleichwohl das gesamte beantragte Gebäude einschließlich des heutigen südöstlichen Teils des Stallgebäudes (Gebäudeteil 5b).
Mit Bauschein Nr. 8988 vom 6. Oktober 1952 erhielt der Rechtsvorgänger der Beigeladenen die Genehmigung zur Errichtung eines Schweinestalles. Der heute nicht mehr vorhandene Stall schloss nördlich an den Rinderstall an.
Mit Bauschein Nr. 8988/2 vom 26. März 1954 folgte die Genehmigung zum Anbau eines Jungviehstalles an den vorhandenen Rinderstall sowie eine Dungstätte. Bei dem Gebäude handelt es sich um einen Teil des heutigen Gebäudeteils 4.
Mit Bauschein Nr. 1903/71 A vom 19. März 1974 genehmigte der Beklagte die Errichtung eines Schweinestalles. Dabei handelt es sich um den nördlichen Teil des heutigen Stallgebäudes (Gebäudeteil 6). Nach den Angaben im Bauantrag sollten 220 Schweine bei einem bereits vorhandenen Bestand von 70 Schweinen gehalten werden. Dieser Gebäudeteil liegt dem Wohnhaus des Klägers Am Dorfteich 10 am nächsten.
Zu einem unbekannten späteren Zeitpunkt wurde die noch vorhandene Freifläche zwischen den Gebäudeteilen 4 und 6 ebenfalls mit Buchten zur Schweinehaltung bebaut. Eine Baugenehmigung dafür wurde nicht erteilt.
In der Folgezeit wurde die Rinderhaltung auf dem Hofgrundstück zugunsten einer Ausweitung der Schweinehaltung aufgegeben. Im Jahr 1985 wurden ausweislich des Güllekatasters bereits 430 Schweine zur Vor- und Endmast gehalten; am 18. September 1990 650 Schweine, davon 250 Schweine zur Vormast und 400 zur Endmast. Die Untere Wasserbehörde des Beklagten veranlasste daraufhin eine bauaufsichtliche Überprüfung, die am 16. Mai 1991 stattfand. Dabei stellte der Beklagte fest, dass die genehmigten Rinderställe nunmehr der Schweinevormast dienten und um einen der Schweinehaltung dienenden Anbau auf der ehemaligen Freifläche zwischen den Gebäudeteilen 4 und 6 erweitert sowie mit Güllekanälen ausgestattet worden waren. Die Beigeladene beantragte unter dem 15. Juli 1992 die nachträgliche Erteilung einer entsprechenden Baugenehmigung.
Während des von der Beigeladenen nur zögerlich betriebenen Genehmigungsverfahrens wandte sich der Kläger erstmals mit Schreiben vom 9. Oktober 2000 an den Beklagten und bat um Überprüfung der Schweineställe der Beigeladenen im Hinblick auf die von den Ställen ausgehenden Immissionen auf sein Wohngrundstück. Die Lüfter seien zu kurz und veraltet. Er habe die Beigeladene jahrelang erfolglos um Abhilfe gebeten.
Das Amt für Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung des Beklagten ermittelte daraufhin die vorhandenen Tierplatzzahlen und stellte unter dem 19. Oktober 2000 eine Anzahl von insgesamt 747 Schweinemastplätzen fest. Auf dieser Grundlage, die mit der schließlich erteilten Genehmigung nicht vollständig übereinstimmt, veranlasste der Beklagte die Einholung eines Geruchsgutachtens der Landwirtschaftskammer Weser-Ems. Das Gutachten vom 1. März 2001 kommt zu dem Ergebnis, dass zwar der erforderliche Abstand zu der benachbarten Wohnbebauung nach der VDI-Richtlinie 3471 auch unter Berücksichtigung bestimmter emissionsmindernder Maßnahmen nicht eingehalten werde, sich die Situation für die Nachbarn aber gleichwohl verbessere.
Der Beklagte erteilte der Beigeladenen daraufhin unter dem 11. April 2001 die Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Rinderstalles zu einem Schweinevormaststall mit 176 Schweinevormastplätzen für Tiere mit einem Gewicht von mehr als 50 kg und 87 Schweinemastplätzen für Tiere mit einem Gewicht von mehr als 110 kg sowie für den nachträglichen Einbau von Güllekanälen in die vorhandenen Stallgebäude. Die genehmigte Nutzungsänderung betrifft die Gebäudeteile 4 und 5a sowie den bislang ungenehmigten Gebäudeteil 5b. Beigefügt waren der Genehmigung verschiedene als Bedingungen bezeichnete Vorgaben zur Durchführung emissionsmindernder Maßnahmen, die sich auch auf diejenigen Teile des Stallgebäudes bezogen, die ansonsten nicht Gegenstand der Genehmigung waren.
Der Kläger erhob unter dem 14. Mai 2001 Widerspruch, mit dem er sich gegen die von dem Vorhaben ausgehenden Immissionen auf sein Grundstück wandte. Seine Kinder litten bereits unter Atemwegserkrankungen. Er wies darauf hin, dass er jahrelang vergeblich versucht habe, mit der Beigeladenen bzw. den Nutzern der Ställe eine Einigung in Bezug auf die Lüfter zu erzielen. Im Widerspruchsverfahren bat der Beklagte daraufhin die Landwirtschaftskammer Weser-Ems um eine Immissionsprognose auf der Grundlage der Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL). Die Landwirtschaftskammer kam in ihrer Stellungnahme vom 15. November 2004 zu dem Ergebnis, dass die Emissionen der Stallanlagen auf dem Grundstück der Klägerin im Ist-Zustand zu Geruchsstundenhäufigkeiten von 29,11 bis 36,45 % der Jahresstunden und im Plan-Zustand unter Berücksichtigung der emissionsmindernden Maßnahmen von 20,59 bis 34,91 % der Jahresstunden führten. Die von den weiteren landwirtschaftlichen Betrieben im Ortsteil ausgehende Vorbelastung blieb dabei unberücksichtigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2005 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, die Immissionsprognosen hätten gezeigt, dass sich die Immissionssituation für den Kläger aufgrund der angeordneten emissionsmindernden Maßnahmen verbessere. Nachweise, dass die Geruchsimmissionen ein gesundheitsschädliches Ausmaß annähmen, lägen nicht vor.
Der Kläger hat am 23. August 2005 Klage erhoben. Die Nachtragsgenehmigung betreffe eine alte Scheune, die ursprünglich nicht zur Tierhaltung bestimmt gewesen sei. Auch nach dem Jahr 1981 - so wohl im Jahr 1998 - hätten weitere Baumaßnahmen stattgefunden. Die Immissionen hätten immer stärker zugenommen. Der Abstand zwischen dem Wohnhaus des Klägers und dem nächstgelegenen Stall betrage bloß 10 m. Das zulässige Höchstmaß an Immissionen werde bei weitem übertroffen; zudem seien die Berechnungen des Beklagten insbesondere im Hinblick auf die Tierplatzzahlen nicht nachvollziehbar. Die Beigeladene habe die angeordneten emissionsmindernden Maßnahmen nicht umgesetzt. Eine Verbesserung der Immissionssituation könne er, der Kläger, nicht wahrnehmen. Zudem gehe von dem Vorhaben der Beigeladenen eine unzumutbare Lärmbelästigung aus, die in Verbindung mit den Geruchsbelästigungen bereits zu Erkrankungen geführt habe. Die Wohnungen seien kaum zu vermieten.
Der Kläger hat beantragt,
die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 14. Juni 2005 aufzuheben.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die angefochtenen Bescheide verteidigt und ergänzend ausgeführt, in den von der Genehmigung betroffenen Gebäuden sei stets Tierhaltung betrieben worden. Vor dem Inkrafttreten der Niedersächsischen Bauordnung im Jahr 1974 vorgenommene Nutzungsänderungen seien zudem nicht genehmigungspflichtig gewesen. Die Tierplatzzahlen seien auf der Grundlage der vorhandenen Genehmigungen ermittelt worden. Soweit das Gutachten der Landwirtschaftskammer von den eigenen Zahlen abweiche, seien die Zahlen der Landwirtschaftskammer maßgeblich. Die in der Genehmigung geforderte Änderung der Lüftung sei mittlerweile hergestellt.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt, aber geltend gemacht, die Stallgebäude, auf die sich die Baugenehmigung beziehe, seien bereits 1981 fertig gestellt gewesen und für die Schweinehaltung genutzt worden. Anschließend seien die Gebäude nicht mehr verändert worden. Bereits vorgerichtlich hat sie bestritten, dass sich der Kläger wegen der Geruchsbelästigung an sie oder ihren verstorbenen Ehemann gewandt habe.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. Juli 2008 abgewiesen. Der Kläger habe seine Abwehrrechte gegen Immissionen aus der Schweinehaltung der Beigeladenen verwirkt; sie lebten auch durch die nachträgliche Legalisierung der vormals baurechtswidrigen Nutzung nicht wieder auf. Von Bedeutung sei, dass der Kläger selbst von dem Hofgrundstück stamme und bis etwa 1980 im Lager der Hofeigentümer gestanden habe. Ihm sei deshalb von klein auf und auch bei Erteilung der Baugenehmigung für sein Wohnhaus bewusst gewesen, dass für sein Grundstück dauerhaft mit einer vergleichsweise hohen und sich - wegen der sich anbahnenden Intensivierung der Landwirtschaft - voraussichtlich noch erhöhenden Belastung durch Tiermast zu rechnen sei. Dabei habe sich der Bau seines Wohnhauses parallel zum Bau des heute am stärksten emittierenden Gebäudeteils Nr. 6 vollzogen. Dies habe der damalige Rechtsinhaber des Hofgrundstücks nur so verstehen können, dass der Kläger auch die mit der genehmigungsgemäßen Nutzung verbundenen Immissionen hinnehmen werde. Das Gleiche gelte für die übrigen Gebäudeteile, die spätestens 1981 in der heutigen Form fertiggestellt gewesen seien. Zu einem späteren Zeitpunkt habe der Kläger zudem noch das Grundstück Am Dorfteich 8 erworben, was ebenfalls als Anzeichen dafür habe verstanden werden können, dass er die Immissionsbelastung durch die Schweinehaltung akzeptiere. Der Kläger habe die Immissionsbelastung schließlich unwidersprochen über etwa 20 Jahre hingenommen. Bis zum Eingang des Schreibens vom 9. Oktober 2000 seien keine Proteste vermerkt; entsprechende Proteste bestreite die Beigeladene. In nachbarrechtlicher Hinsicht stehe der angefochtenen Baugenehmigung auch nicht eine besondere Intensität der Geruchsbelastungen für die Grundstücke des Klägers entgegen. Der Kläger habe nicht substantiiert vorgetragen, dass die Geruchsimmissionen gesundheitliche Auswirkungen hätten.
Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 15. Juli 2009 - 1 LA 184/08 - die Berufung wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen.
Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor, es treffe nicht zu, dass vor etwa 30 Jahren eine Schweinemastanlage gebaut worden sei, deren Umfang ihm bekannt gewesen sei. Vielmehr habe sich die Immissionsbelastung über Jahrzehnte immer mehr erhöht, weil die Zahl der Schweinemastplätze stetig gestiegen und von Vormast auf Endmast umgestellt worden sei. Dies leite er aus der Erhöhung der Anzahl der Lüfter ab. Welche konkreten Baumaßnahmen über die Jahre durchgeführt worden seien, habe er nicht zu jedem Zeitpunkt feststellen können. Das betreffe insbesondere das Innenleben des Gebäudekomplexes. Erst in den 90er-Jahren habe sich die Situation zugespitzt. Er habe zunächst versucht, die Situation einvernehmlich zu regeln. Eine Verwirkung seiner Rechte sei deshalb nicht anzunehmen. Schon nach den unzureichenden Gutachten, die der Beklagte eingeholt habe, sei klar, dass die Geruchsstundenhäufigkeit die Grenze zur gesundheitsschädlichen Geruchsbelästigung überschreite.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 7. Juli 2008 zu ändern und nach dem erstinstanzlich gestellten Klageantrag zu erkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er bezieht sich im Wesentlichen auf seinen bisherigen Vortrag.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie trägt vor, der Kläger habe die Bauaktivitäten auf ihrem Grundstück stets mitbekommen, ohne Einwände zu erheben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 17. November 2011 gewesen sind. Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne (weitere) mündliche Verhandlung erklärt.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne (weitere) mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
Der Kläger kann die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. April 2001 nicht mehr angreifen. Etwaige Abwehrrechte hat er - wie bereits das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - dadurch verwirkt, dass er eine der Baugenehmigung entsprechende Nutzung der Ställe über viele Jahre widerspruchslos hingenommen hat.
Der Rechtsgedanke der Verwirkung ist als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch im öffentlichen Recht anwendbar. Für die Annahme der Verwirkung genügt aber - anders als für den Eintritt der Verjährung - nicht der bloße Zeitablauf. Vielmehr setzt sie zusätzlich ein bestimmtes Verhalten des Berechtigten voraus, das geeignet ist, bei dem anderen Teil die Vorstellung zu begründen, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht werden. Außerdem ist eine Verletzung oder Gefährdung berechtigter Interessen des anderen Teils zu fordern, etwa weil dieser sich auf die vom Berechtigten erweckte Erwartung, das Recht werde nicht mehr geltend gemacht, einrichten durfte und eingerichtet hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.8.1996 - BVerwG 2 C 23.95 -, [...] Rn. 24 = BVerwGE 102, 33 = NJW 1997, 1321; Beschl. v. 29.10.2008 - BVerwG 2 B 22.08 -, [...] Rn. 4).
Ausgehend von diesen Grundsätzen kommt eine Verwirkung materieller Nachbarrechte nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Senats als auch des Bundesverwaltungsgerichts unter den folgenden Voraussetzungen in Betracht: Der Nachbar muss sich gegenüber Baumaßnahmen des Bauherrn eine bestimmte Zeit untätig verhalten und darf seine Interessen nicht durch unmissverständliche Erklärungen gegenüber dem Bauherrn, möglicherweise auch gegenüber der Bauaufsichtsbehörde gewahrt haben. Dieses Verhalten, das auch vor Erteilung einer ein ungenehmigtes Vorhaben legalisierenden Baugenehmigung liegen und damit zum Verlust des erst später entstehenden Anfechtungsrechts führen kann, muss beim Bauherrn das schützenswerte Vertrauen hervorgerufen haben, der Nachbar werde auch in Zukunft keine Einwendungen gegen diese Nutzung geltend machen. Dieses Vertrauen muss der Bauherr schließlich betätigt haben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.3.1988 - BVerwG 4 B 50.88 -, [...] Rn. 2 = NVwZ 1988, 730; Urt. v. 16.5.1991 - BVerwG 4 C 4.89 -, [...] Rn. 18, 25, 28 = NVwZ 1991, 1182 [BVerwG 16.05.1991 - 4 C 4.89]; OVG LÜneburg, Urt. v. 14.11.1997 - 6 L 1309/96 -, [...] Rn. 2 = AgrarR 1999, 103; Beschl. v. 5.7.2011 - 1 LA 207/08 -, [...] Rn. 17 = NVwZ-RR 2011, 807).
Nach diesen Maßgaben hat der Kläger etwaige materielle Abwehrrechte gegen die Schweinehaltung auf dem Hofgrundstück der Beigeladenen in dem nunmehr genehmigten Umfang verwirkt.
Der Kläger ist über einen langen Zeitraum von mindestens zehn Jahren gegenüber der nunmehr angegriffenen Schweinehaltung untätig geblieben. Ausweislich der Feststellungen, die der Beklagte bei der am 16. Mai 1991 durchgeführten Hofbesichtigung getroffen hat, waren zu diesem Zeitpunkt die Stallanlagen einschließlich ihrer Nutzung in dem nunmehr genehmigten Zustand bereits vorhanden. Dem in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Auszug aus der Güllekartei vom 18. September 1990 ist weiter zu entnehmen, dass bereits im Jahr 1990 650 Schweine zur Vor- und Endmast gehalten wurden. Diese Tierzahl setzt voraus, dass schon zum damaligen Zeitpunkt alle heute genutzten Gebäudeteile der Schweinehaltung dienten. Dies entspricht den weiteren Angaben in der Güllekartei, nach der eine Rinderhaltung nicht mehr stattfand.
Ohne Belang wäre es, wenn die Beigeladene - wie der Kläger behauptet - nach dem Jahr 1990 die Lüftung der Stallanlagen verändert haben sollte. Eine substanzielle Änderung der Betriebsführung bzw. Nutzung, die zu einem Wiederaufleben von Abwehrrechten führen könnte, wäre damit auch nach dem Vorbringen des Klägers nicht verbunden. Hinsichtlich der Lüftung schreibt die Genehmigung den Bestand zudem nicht fest, sondern enthält im Gegenteil umfangreiche Nebenbestimmungen, die zur Verbesserung der Immissionssituation beitragen.
Ist demnach davon auszugehen, dass die nunmehr in Streit stehende Nutzung und damit auch die gegenwärtige Geruchsbelastung bereits im Oktober 1990 in der heutigen Form bestand, hat sich der Kläger dagegen nicht zeitnah zur Wehr gesetzt. Vielmehr hat er sich erstmals zehn Jahre später, nämlich mit Schreiben vom 9. Oktober 2000 an die Bauaufsichtsbehörde gewandt und über die Geruchsbelästigungen geklagt. Seine weitere Behauptung, er habe zuvor das Gespräch mit der Beigeladenen und ihrer Familie gesucht, mag zwar lebensnah erscheinen. Ausreichend wären solche Gespräche aber nur, wenn sie sehr deutlich vorher, nämlich spätestens in der ersten Hälfte der 90er-Jahre erfolgt wären. Das trägt der Kläger nicht substantiiert vor.
Seine in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aufgestellte Behauptung, er habe die Sachlage "in den 1990er-Jahren" mit der Familie der Beigeladenen erörtert, lässt nicht ansatzweise erkennen, dass der Protest in der ersten Hälfte der 90er-Jahre vorgebracht worden sein könnte. Gegen einen derart frühen Protest sprechen überdies weitere Indizien: In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erstens ausgeführt, da der Beklagte seit 1992 "an der Sache dran" gewesen sei, habe er nicht protestieren müssen. Darin liegt der Sache nach ein Eingeständnis, nicht frühzeitig Einwände gegenüber der Beigeladenen erhoben zu haben. Aus dem Vorstehenden wird zweitens deutlich, dass dem Kläger das laufende Verfahren bei dem Beklagten bekannt war. Gerade deshalb ist es aber nicht plausibel, dass er zwar bereits in den 90er-Jahren Einwände gegenüber der Beigeladenen bzw. ihrer Familie erhoben haben will, sich gleichwohl aber - auch angesichts der als massiv und gänzlich unzumutbar beschriebenen Geruchsbelastung - erst im Jahr 2000 gegenüber dem Beklagten erklärt hat. Sein Verhalten lässt vielmehr auf einen späteren Sinneswandel schließen. Bestätigt wird dieser Eindruck drittens dadurch, dass dem Kläger noch im Jahr 1999 eine Baugenehmigung für eine erhebliche Erweiterung seines Wohnhauses Am Dorfteich 10 erteilt worden ist. Eine solche Erweiterung, die die Wohnfläche des Hauses um knapp die Hälfte erhöht hat und die mit Herstellungskosten von deutlich über 300.000,- DM einherging, wäre kaum nachzuvollziehen, wenn ihm die Wohnsituation bereits damals - wie im Jahr 2000 gegenüber dem Landkreis geltend gemacht - unerträglich erschienen wäre.
Ist mithin davon auszugehen, dass die nunmehr in Streit stehende Nutzung mindestens seit dem Jahr 1990 besteht, der Kläger aber nicht spätestens in der ersten Hälfte der 90er-Jahre Einwände erhoben hat, kann dahinstehen, ob nicht - wie das Verwaltungsgericht letztlich unwiderlegt angenommen hat - die streitgegenständliche Nutzung darüber hinaus bereits seit dem Jahr 1981 besteht. Eine langjährige Untätigkeit liegt jedenfalls vor.
Zu der langjährigen Untätigkeit des Klägers treten besondere Umstände hinzu, welche die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Die Beigeladene durfte aufgrund der Untätigkeit, die ihr gerade angesichts der engen familiären Bande zwischen den Beteiligten und der Tatsache, dass der Kläger selbst dem Hofgrundstück entstammt, nur als Einverständnis erscheinen konnte, darauf vertrauen, dass dieser dauerhaft keine Einwände gegen die Stallgebäude mit der in Streit stehenden Nutzung erheben werde. Dieses Vertrauen hat die Beigeladene in hinreichender Weise durch entsprechende wirtschaftliche Dispositionen betätigt. Diese Dispositionen bestehen zwar nicht - wie dies üblicherweise der Fall ist - in einer im Vertrauen erfolgten (weiteren) Bautätigkeit. Die baulichen Maßnahmen sind vielmehr - wie ausgeführt - dem Entstehen eines schutzwürdigen Vertrauens vorausgegangen. Baumaßnahmen stellen indes nicht die einzig mögliche schutzwürdige Disposition des Bauherrn dar. Grundsätzlich schutzwürdig ist vielmehr jedes im Vertrauen an den Tag gelegte Verhalten, dessen spätere Änderung zu erheblichen Belastungen führt. Diese Voraussetzungen liegen vor. Ein schutzwürdiges Verhalten liegt hier darin, dass die Beigeladene und ihre Familie die Schweinehaltung seit Jahrzehnten zu einem Teil ihrer Existenzgrundlage entwickelt haben. Diese stellt mindestens seit den 70er-Jahren ein wesentliches Betätigungsfeld des landwirtschaftlichen Betriebs dar. Auch in einer derartigen Ausrichtung des Betriebs, die mit einer Vielzahl von Entscheidungen - darunter auch dem Verzicht auf eine Aussiedlung - und Investitionen einher gegangen ist, sowie in seiner zivilrechtlich gemäß §§ 594, 594a BGB nicht ohne Weiteres aufzuhebenden Verpachtung in jüngerer Zeit liegen Dispositionen, die angesichts der Dauer der Untätigkeit des Klägers ebenso schutzwürdig sind wie die Durchführung einer Baumaßnahme. Beschränkungen der Betriebsführung, die der Kläger anstrebt, hätten demgegenüber wirtschaftliche Einbußen - möglicherweise bis hin zu einer Existenzgefährdung - zur Folge. Darauf musste sich die Beigeladene nicht mehr einstellen.