Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.12.1998, Az.: IX 606/97
Aufwendungen für den Bezug des „Handelsblatt„ als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen; Einkommensteuer 1995
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 09.12.1998
- Aktenzeichen
- IX 606/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 33020
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:1209.IX606.97.0A
Rechtsgrundlagen
- EStG § 9 Abs. 1 S. 1
- EStG § 12 Nr. 1 S. 2
- EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1
Fundstelle
- DStRE 1999, 331-332
Amtlicher Leitsatz
Aufwendungen für den Bezug des „Handelsblatt„ sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abziehbar, wenn der Steuerpflichtige es ausschließlich bzw. nahezu ausschließlich zum Zwecke der Bildung von Wertpapiervermögen und daraus erzielter Einnahmen aus Kapitalvermögen hält.
In dem Rechtsstreit
wegen Einkommensteuer 1995
hat der IX. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 9. Dezember 1998, an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht Dr. …
Richter am Finanzgericht …
Richter am Finanzgericht Dr. …
ehrenamtlicher Richter Prokurist …
ehrenamtlicher Richter Personalratsvorsitzender …
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Steuer wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom. Oktober 1997 und Änderung des Bescheids vom …. Juli 1997 auf 7. 640 DM festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird Vollstreckungsnachlaß … gewährt.
Tatbestand:
Im Rahmen der (Zusammen-)Veranlagung zur Einkommensteuer für 1995 ist streitig, ob Aufwendungen für den Bezug der Zeitschrift „Handelsblatt„ als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG–) bei den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) oder als Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 6 EStG (Steuerberatungskosten) abziehbar sind.
Der Kläger, ein Beamter i.R., und seine im 1998 verstorbene Ehefrau, deren Alleinerbe er geworden ist, erzielten im Streitjahr u. a. Einkünfte aus Kapitalvermögen (Aktien usw.) von insgesamt ca. 22. 000 DM. Sie hatten bei dem Beklagten (Finanzamt – FA –) vergeblich beantragt, die Aufwendungen für den Bezug des „Handelsblatt„ in Höhe von 309 DM zum Werbungskosten- bzw. Sonderausgabenabzug zuzulassen.
Den Einspruch wies das FA zurück. Dem Werbungskostenabzug stehe das Aufteilungs- und Abzugs verbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG entgegen. Der Sonderausgabenabzug scheitere daran, daß es sich bei dem „Handelsblatt„ nicht um Steuerfachliteratur, sondern um allgemeininteressierende Wirtschaftsliteratur handele.
Der Kläger begründet seine Klage wie folgt: Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in den Urteilen vom 12. November 1982 VI R 193/79 (Der Betrieb 1983 S. 372) und vom 7. Juli 1989 IV R 128/88 (Bundessteuerblatt – BStBl – 1990 II, 19) festgestellt, daß sich aus dem objektiven Charakter des „Handelsblatt„– anders als bei typischen Tageszeitungen – nicht die Vermutung ableiten lasse, es sei auch aus Gründen der Lebensführung angeschafft worden. Dabei spiele es keine Rolle, ob der jeweilige Leser an allen Teilbereichen der Zeitschrift Interesse habe. Die Bezugs kosten seien deshalb sowohl dem Einkünfteerzielungsbereich (Kapitalvermögen) als auch den Sonderausgaben/Steuerberatungskosten als Informationsquelle für allgemeine Steuerrechtsfragen zuzuordnen. Das Aufteilungs- und Abzugsverbot komme nicht zur Anwendung.
Der Kläger beantragt,
die Steuer unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom …. Oktober 1997 und Änderung des Bescheids vom …. Juli 1997 so weit herabzusetzen, als sie sich bei Abzug weiterer Werbungs- bzw. Steuerberatungskosten von 309 DM mindert.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hält an seiner im Einspruchsbescheid dargelegten Rechtsauffassung fest.
Der Senat hat den Kläger eingehend zu der Art und Weise seiner Nutzung des „Handelsblatt„ angehört. Wegen der Einzelheiten seiner Ausführungen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Die Aufwendungen für den Bezug des „Handelsblatt„ sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen abziehbar.
Nach den Ausführungen des BFH in den Urteilen vom 12 – November 1982 VI R 193/79 und vom 19. Januar 1996 VI R 64/95 (BFH/NV), denen der erkennende Senat im wesentlichen folgt, sind die Aufwendungen für den Bezug des „Handelsblatt„– anders als bei typischen Tageszeitungen – nicht ohne weiteres unter Hinweis auf das Aufteilungs- und Abzugs verbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG vom Werbungskostenabzug ausgeschlossen. Das „Handelsblatt„ unterscheidet sich von einer typischen Tageszeitung nämlich schon dadurch, daß es einmal nur börsentäglich, also nur an den reinen Arbeitstagen erscheint. Vor allem ist es aber auch inhaltlich mit den typischen Tageszeitungen nicht vergleichbar, weil es im Gegensatz zu diesen keinen Lokal teil sowie regelmäßig keinen besonderen Sportteil und kein Feuilleton enthält. Der ganz überwiegende Inhalt befaßt sich vielmehr nach wie vor mit Börsen- und Wirtschaftsfragen, was bei den „normalen„ Tageszeitungen lediglich einen (mehr oder weniger großen) Teilbereich ausnimmt. Aus dem objektiven Charakter des „Handelsblatt„ läßt sich deshalb – anders als bei allgemeinbildenden und -informierenden Büchern, Zeitschriften und Tageszeitungen – nicht ohne weiteres die Vermutung ableiten, es sei (auch) aus Gründen der Lebenshaltung angeschafft worden.
Für den erkennenden Senat ist ausschlaggebend – und hier liegt möglicherweise ein Wertungsunterschied zu der wohl weniger strengen Rechtsauffassung des BFH –, in welcher Weise der jeweilige Steuerpflichtige das „Handelsblatt„ konkret nutzt, d. h. welcher tatsächliche Bezug zu der Erzielung seiner Einkünfte besteht.
Der Kläger hat dazu in der mündlichen Verhandlung ausführlich und für den Senat glaubhaft dargelegt, daß er das – seit 1973 laufend bezogene –„Handelsblatt„ insbesondere zur Anlage- und Dividendenstrategie ausgewertet hat. Der Kläger hält inzwischen ein nicht unbeträchtliches Aktienpaket von insbesondere aus dem DAX-Bereich stammenden Wertpapieren, aus dem er im Streitjahr Dividenden von ca. 18. 000 DM erzielt und erklärt hat. Er hat das „Handelsblatt„, das er börsentäglich ca. zwei Stunden lang ausführlich studiert und zum Teil in Form von graphischen Darstellungen auswertet, seit 1973 archiviert. Auf diese Weise war es ihm möglich, die Finanz- und Wirtschaftssituation aller ihn interessierenden Unternehmen langfristig zu verfolgen und danach aufgrund eigener Erfahrungen und Kenntnisse sowie auch auf im „Handelsblatt„ enthaltene Empfehlungen und Hinweise hin Wertpapiere zu erwerben und zum Teil mit bis zu 100 v.H. Gewinn wieder zu veräußern und die o.a. Kapitaleinkünfte zu erzielen.
Da der Kläger neben dem „Handelsblatt„ zwei regionale Zeitungen zu seiner alltäglichen allgemeinen Information bezogen hat, sind die Voraussetzungen für den Werbungskostenabzug erfüllt. Der Kläger hat das „Handelsblatt„ ausschließlich bzw. nahezu ausschließlich zum Zwecke der Bildung von Wertpapiervermögen und daraus erzielter Einnahmen aus Kapitalvermögen gehalten. Die Klage mußte deshalb Erfolg haben. Ob die Aufwendungen für den Bezug des „Handelsblatt„ ggf. auch als Sonderausgaben/Steuerberatungskosten abziehbar sein könnten, kann offenbleiben. Der Senat neigt hier allerdings zu der Auffassung, daß dazu nur „reine„ Steuer-Fachzeitschriften rechnen, zu denen das „Handelsblatt„ nicht gehört.
Die Steuer war unter Abzug weiterer Werbungskosten aus Kapitalvermögen von 309 DM nach einem zu versteuernden Einkommen von 47. 611 DM um 76 DM von 7. 716 DM auf 7. 640 DM herabzusetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO); die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708, 711 der Zivilprozeßordnung.