Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 11.12.2019, Az.: L 13 SB 14/19

Herabsetzung eines Grades der Behinderung; Tatrichterliche Feststellung; Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens; Auswirkung von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
11.12.2019
Aktenzeichen
L 13 SB 14/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 63852
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 17.12.2018 - AZ: S 30 SB 442/17

Redaktioneller Leitsatz

1. Ein GdB ist tatrichterlich festzustellen und hat insbesondere durch Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen.

2. Maßgeblich ist, wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich eine Herabsetzung ihres Grades der Behinderung (GdB) von 50 auf 30 aufgrund einer seitens des Beklagten angenommenen Besserung ihrer zwischenzeitlich operierten Augenerkrankung, die der Feststellung ihrer Schwerbehinderteneigenschaft zugrunde liegt. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob der Beklagte die Schwerbehinderteneigenschaft der Klägerin wirksam aufgehoben hat oder ob der angefochtene Bescheid deswegen keine Wirkung entfalten kann, weil in ihm der falsche Ausgangsbescheid aufgehoben wurde.

Bereits im Jahr 1983 stellte die 1955 geborene Klägerin aufgrund einer angeborenen starken Sehbehinderung, einer beidseitigen Netzhautdegeneration, erstmals den Antrag auf Feststellung einer Behinderung. Der GdB aufgrund ihres Augenleidens wurde zunächst mit 40 festgestellt. Aufgrund eines am 28. Dezember 2006 gestellten Neufeststellungsantrags befragte der Beklagte den Augenarzt Dr. J., der mitteilte, gemäß augenärztlichem Befund vom 8. Mai 2007 habe die Sehschärfe mit Korrektur auf dem rechten Auge 0,5 und auf dem linken Auge 0,05 betragen, dies bei deutlicher Einschränkung des Gesichtsfeldes. Daraufhin stellte der Beklagte nach Einholung einer Stellungnahme des Ärztlichen Dienstes - Dr. K. - mit Bescheid vom 6. September 2007 den GdB der Klägerin mit 50 fest.

Die Klägerin stellte zwischenzeitlich am 17. Mai 2011 einen Neufeststellungsantrag, den sie neben einer Verstärkung bestehender Wirbelsäulen- und Gelenkprobleme insbesondere mit einer Verschlimmerung ihres Augenleidens begründete. Am Tag der Antragstellung hatte sie ihren Augenarzt aufgesucht. Der seitens des Beklagten befragte Ärztliche Dienst - Dr. L. - teilte in seiner Stellungnahme mit, die Visusminderung bedinge einen GdB von 30. Aufgrund der Gesichtsfelder sei der GdB bereits günstig beurteilt. Daraufhin lehnte der Beklagte den Antrag auf Neufeststellung mit Bescheid vom 22. Juli 2011 ab.

Ohne dass dies zunächst zur Kenntnis des Beklagten gelangte, wurde am 6. September 2011 bei der Klägerin eine Katarakt-Operation am linken Auge durchgeführt, die eine Besserung ihres Sehvermögens zur Folge hatte.

Am 30. Dezember 2016 stellte die Klägerin den Folgeantrag, der Ausgangspunkt des hier anhängigen Rechtsstreits ist. Sie meinte, ihr Augenleiden habe sich erneut verstärkt. Dies führte sie im Einzelnen aus und legte zudem auch orthopädische Befundberichte vor. Dr. J. gab in einem Befundbericht vom 9. Januar 2017 die Sehschärfe auf dem rechten Auge mit 0,4 und auf dem linken Auge mit 0,63 an. Der Orthopäde Dr. M. berichtete unter dem 11. Januar 2017 über die Rückenbeschwerden der Klägerin, die in das rechte Bein ausstrahlten; der Finger-Boden-Abstand betrug im klinischen Befund 0 cm. Eine zudem bestehende Fuß- und Zehenfehlform bewertete der Ärztliche Dienst des Beklagten - Dr. K. - ebenso wie die Funktionsstörung und Fehlhaltung der Wirbelsäule jeweils mit einem Einzel-GdB von 10, während der Einzel-GdB hinsichtlich der Behinderung "Sehbehinderung beidseits, Kunstlinsenimplantation links" nunmehr lediglich noch 30 betrage. Daraufhin hörte der Beklagte die Klägerin zu einer beabsichtigten Absenkung des GdB an. Die Klägerin führte hierzu aus, sie leide an einer kontinuierlich fortschreitenden Makuladegeneration mit hauptsächlicher Problematik im hinteren Augenabschnitt. Aufgrund der absterbenden Sehzellen der Makula bestehe nur noch ein mühsames randständiges und unscharfes Sehen. Hinzu komme ein stark eingeschränktes Gesichtsfeld, wegen eines Schielauges sei beidäugiges Sehen nicht möglich, das Sehen anderer Personen und das Kontrastsehen seien massiv eingeschränkt. Eine Herabsetzung des GdB auf nur noch 30 sei nicht gerechtfertigt.

Der Beklagte holte einen erneuten Befundbericht des Dr. J. ein, der den Visus nunmehr gemäß Befund aus März 2017 mit rechts 0,25 und links 0,6 angab. Der Ärztliche Dienst - Dr. K. - blieb gemäß Stellungnahme vom 19. April 2017 bei seiner Auffassung und teilte mit, die genannten Werte seien nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VMG) mit einem GdB von 15 zu bewerten, im Einzel-GdB von 30 seien dabei bereits die Schielstellung sowie die Netzhaut- und Gesichtsfeldveränderungen mitberücksichtigt. Nach weiterer Anhörung der Klägerin erließ der Beklagte unter dem 6. Juni 2017 einen Bescheid über die Neufeststellung des Anspruchs nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX), in welchem im Tenor ausgeführt ist:

"1. Entscheidung:

Der Bescheid vom 21.07.2011 wird insoweit aufgehoben, als der Anspruch entsprechend der eingetretenen Änderung wie folgt neu festgestellt wird:

Ab 01.07.2017 beträgt der Grad der Behinderung (GdB) 30.

Die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises sowie die Feststellung von Merkzeichen wird abgelehnt, weil der GdB unter 50 liegt.

( )

Sie werden gebeten, den früheren Bescheid vom 06.09.2007 zur Aufnahme eines Vermerks einzusenden."

Zur Begründung wurde angegeben, nach einer Katarakt-Operation, die 2011 am linken Auge durchgeführt worden war, sei gemäß versorgungsärztlicher Überprüfung eine Besserung des Sehvermögens links durch die Befunde belegt. Das Widerspruchsverfahren, in dessen Rahmen u. a. ein weiterer augenärztlicher Bericht des Dr. J. vom 14. September 2017 eingeholt wurde, blieb anschließend erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2017 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Die Klägerin hat am 6. November 2017 Klage erhoben. Sie hat mitgeteilt, sie leide an einer kontinuierlich fortschreitenden Makuladegeneration, ihre Sehfähigkeit sei in ganz erheblichem Maße eingeschränkt, insbesondere bestehe eine massive Einschränkung des Gesichtsfeldes. Auch das Kontrastsehen sei massiv eingeschränkt. Insgesamt habe sich die Sehfähigkeit erheblich verschlechtert.

Gemäß einem gegenüber dem Versorgungsamt Osnabrück abgegebenen Befundbericht vom 4. April 2018 des Arztes für Neurologie und Psychiatrie N. hat sich zwischenzeitlich eine depressive Störung mit eigener Dynamik entwickelt, eine medikamentöse Behandlung mit Citalopram sei erforderlich geworden. Der Facharzt N. hat unter dem 15. August 2018 auf Nachfrage des Sozialgerichts (SG) Osnabrück angegeben, die Klägerin sei dort zu einem einmaligen Termin am 19. Februar 2018 gewesen. Mittlerweile habe er seine Praxis zum 1. Juli 2018 aufgegeben, die Klägerin werde sich einen neuen psychiatrischen Arzt gesucht haben.

Das SG Osnabrück hat Beweis erhoben durch Einholung eines augenärztlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. Dr. O., das dieser unter dem 30. Juni 2018 erstattet hat. Er hat mitgeteilt, nach einer Schieloperation 2001 sei nach den Angaben der Klägerin zusätzlich im Jahr 2011 der Graue Star am linken Auge operiert worden. Früher - so die Klägerin gemäß der Anamnese - sei ihr rechtes Auge besser gewesen, jetzt sei das linke besser, sie schiele aber immer noch. Ihr Sehvermögen sei derzeit stabil. Nach Untersuchung der Klägerin hat der Sachverständige ausgeführt, bei der Klägerin liege beidseits anlagebedingt eine hohe Kurzsichtigkeit, kombiniert mit Stabsichtigkeit und Altersweitsichtigkeit vor. Am linken Auge sei im Jahr 2011 eine Kataraktoperation durchgeführt und die eingetrübte Augenlinse durch eine Kunststofflinse ausgetauscht worden. Die Sehschärfe sei jetzt rechts auf 0,16 und links auf 0,63 gemindert. Es bestehe zudem eine Einschränkung des räumlichen Sehvermögens. Die Sehschärfe allein bedinge einen Einzel-GdB von 20, jeweils erhöht um einen Zehnergrad aufgrund der Gesichtsfeldausfälle und der Linsenlosigkeit des linken Auges korrigiert mit Intraokularlinse. Insgesamt ergebe sich daraus ein GdB von 40 hinsichtlich der Augenerkrankung. Gegenüber dem Bescheid vom 22. Juli 2011 sei eine Besserung eingetreten, da nach der Kataraktoperation am linken Auge die Sehschärfe dort erheblich (von 0,05 auf postoperativ bis 0,63) angestiegen sei.

Der Ärztliche Dienst des Beklagten - Dr. P. - hat unter dem 17. August 2018 zum Gutachten des Prof. Dr. Dr. O. Stellung genommen. Er hat ausgeführt, zum visusbedingten Einzel-GdB von 20 seien weitere Einzel-GdB von 10 aufgrund der Gesichtsfeldausfälle und der Linsenlosigkeit links einfach hinzuaddiert worden, was auch im Rahmen der Bildung des Einzel-GdB für das Auge nicht zulässig sei. Dementsprechend werde weiterhin ein Einzel-GdB von 30 empfohlen, der zugleich den Gesamt-GdB der Klägerin abbilde.

Mit Gerichtsbescheid vom 17. Dezember 2018 hat das SG Osnabrück die Klage abgewiesen und ist hierbei mit eingehender Begründung der Auffassung des Ärztlichen Dienstes des Beklagten gefolgt, aus den gutachtlichen Feststellungen ergebe sich insgesamt auf augenärztlichem Fachgebiet ein Einzel-GdB von 30. Dieser sei aufgrund von weiteren Behinderungen insbesondere auf orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet nicht weiter zu erhöhen. Nach den erhobenen Befunden sei im Vergleich zu den Befunden, die vor der Kataraktoperation bestanden hätten, eine wesentliche Besserung eingetreten.

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 20. Dezember 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16. Januar 2019 Berufung eingelegt.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 17. Dezember 2018 sowie den Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Aufklärungsschreiben vom 20. Februar 2019 hat der Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen, die Aufhebung im Ausgangsbescheid habe sich auf den Bescheid vom 21. bzw. 22. Juli 2011 und nicht auf den eigentlich die Schwerbehinderung feststellenden Bescheid vom 6. September 2007 bezogen. Demnach bleibe der Bescheid vom 6. September 2007 nach § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) wirksam, denn er sei nicht aufgehoben oder in anderer Weise erledigt worden. Dies entspreche einem Senatsurteil vom 26. September 2018 - L 13 SB 89/16. Der Beklagte hat hierzu unter dem 25. Februar 2019 u. a. ausgeführt, insbesondere aus der ersten und der zweiten Anhörung ergebe sich völlig eindeutig, was geregelt werden sollte. Dort sei auch kein bestimmter Bescheid genannt worden, sondern nur der zu regelnde medizinische Sachverhalt aufgeführt und die daraus folgende Verfahrensweise skizziert worden. Gleichzeitig mit der Herabsetzung sei auch über den Erhöhungsantrag vom 30. Dezember 2016 entschieden worden. Es sei durchaus üblich und zulässig, den letzten rechtsbeständigen Bescheid zu benennen, weil an diesen in zeitlicher Hinsicht angeknüpft werde. Dies gelte umso mehr, als dort der bis dato maßgebliche GdB ausdrücklich bestätigt worden sei.

Mit weiterem Schreiben des Berichterstatters des Senats vom 29. Mai 2019 ist den Beteiligten daraufhin mitgeteilt worden, der Senat werde an seiner vorgenannten Rechtsprechung möglicherweise nicht unmodifiziert festhalten und es komme ggf. eine Umdeutung des angefochtenen Bescheides nach § 43 SGB X in Betracht. Zugleich ist den Beteiligten weitere Gelegenheit zum medizinischen Sachvortrag gegeben worden.

Der Senat hat einen weiteren Bericht des Augenarztes Dr. J. vom 16. Juli 2019 eingeholt, der mitgeteilt hat, die Katarakt-Operation am linken Auge vom 6. September 2011 habe zu einer Besserung des Sehvermögens geführt. Jedoch bestünden nach wie vor Einschränkungen des Gesichtsfeldes und des zentralen Sehens. Hierzu hat er weitere Unterlagen beigefügt, die Sehschärfe mit Korrektur (Landolt-Ringe) hat er bezogen auf den 12. September 2017 rechts mit 0,25 und links mit 0,5 angegeben, bei besseren Befunden im Dezember 2016 und im März 2017. Demgegenüber hätten die Werte präoperativ im Mai 2011 eine Sehschärfe von rechts 0,4 und links 0,1 ergeben.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die dem Gericht vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG), aber nicht begründet. Der Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 17. Dezember 2018 sowie der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 6. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Der angefochtene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Von einer solchen ist im Schwerbehindertenrecht bei einer Änderung im Gesundheitszustand des behinderten Menschen auszugehen, wenn aus dieser die Erhöhung oder Herabsetzung des Gesamt-GdB um wenigstens 10 folgt, während das Hinzutreten weiterer Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 10 regelmäßig ohne Auswirkung auf den Gesamt-GdB bleibt (vgl. Bundessozialgericht &61531;BSG&61533;, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 26 m. w. N.).

Der Umstand, dass die im Ausgangsbescheid vom Beklagten erklärte Aufhebung den Bescheid vom 21. Juli 2011 und nicht den eigentlich die Schwerbehinderung feststellenden Bescheid vom 6. September 2007 benannt hat, führt entgegen der zunächst durch den Berichterstatter mitgeteilten Ersteinschätzung nicht zu einem Erfolg der Berufung.

Zwar führt die Anwendung des Bestimmtheitsgebots des § 33 SGB X zunächst zu dem Zwischenergebnis, dass der Beklagte mit seinem Bescheid vom 6. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 den Bescheid vom 21. bzw. 22. Juli 2011 und nicht den Bescheid vom 6. September 2007 aufgehoben hat (Senat, Urteil vom 26. September 2018 - L 13 SB 89/16 - juris Rn. 25 m. w. N.; Böttiger, Anmerkung zum Urteil des 10. Senats des erkennenden Gerichts vom 28. März 2019 - L 10 SB 111/17 - jurisPR-SozR 12/2019, Anm. 5 vom 21. Juni 2019, m. w. N.; vgl. in etwas anderer Konstellation auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. August 2019 - L 11 SB 156/18 - juris Rn. 35). In Anbetracht des klaren Wortlauts des Bescheides vom 6. Juni 2017 ist auch eine Auslegung in der Weise nicht möglich, es sei aufgrund der ergänzend geäußerten Bitte, den früheren Bescheid vom 6. September 2007 zur Aufnahme eines Vermerks einzusenden, auch dieser Bescheid aufgehoben worden. Aus dieser unterbliebenen Aufhebung folgt als Zwischenergebnis, dass nach dem durch Auslegung gewonnenen Regelungsinhalt des Bescheides vom 6. Juni 2017 die rechtliche Wirkung des Bescheides vom 6. September 2007, namentlich die dort ausgesprochene Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft, nicht entfallen ist, sondern vielmehr dieser Bescheid mit der darin getroffenen Regelung (Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft) wirksam geblieben ist. Denn ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, so lange er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

Nach § 43 Abs. 1 SGB X kann jedoch ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Dies gilt nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB X allerdings nicht, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. In dem zu einem ähnlichen Fall ergangenen Urteil vom 26. September 2018 (L 13 SB 89/16 - juris Rn. 27) hat der Senat zur Zulässigkeit einer Umdeutung nach § 43 Abs. 2 S. 1 SGB X insoweit vertreten, eine Umdeutung könne nicht erfolgen, weil der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche. Erkennbare Absicht sei dort gewesen, den Bescheid vom 7. Januar 2014 (statt des Bescheides vom 6. Mai 1997) aufzuheben. Diese Überlegung, soweit sie in dem jenem Urteil zugrunde liegenden Sachverhalt zutreffend gewesen sein sollte, lässt sich auf den vorliegenden Fall nicht übertragen. Denn erkennbare Absicht war hier nicht die Aufhebung eines spezifischen Regelungsgehalts des Bescheides vom 21. bzw. 22. Juli 2011 oder vorrangig überhaupt des Bescheides vom 21. bzw. 22. Juli 2011, sondern die Herabsetzung des GdB von 50 auf 30 aufgrund der Besserung der Augenerkrankung, wie dies in den Anhörungsschreiben vom 31. Januar 2017 und vom 25. April 2017 auch deutlich zum Ausdruck gekommen ist. In jenen Schreiben war der Bescheid vom 21. bzw. 22. Juli 2011 nicht einmal erwähnt worden. Die für die Anwendung des § 43 Abs. 2 S. 1 SGB X maßgebliche Absicht des Beklagten war somit gerichtet auf eine inhaltliche Entscheidung - hier: Absenkung des GdB von 50 auf 30 - und nicht auf die Aufhebung eines datumsmäßig bestimmten Bescheides, die lediglich das Mittel zur Erreichung dieses Ziels war (in diesem Sinne auch Steinwedel, Anmerkung zum Senatsurteil vom 26. September 2018 - L 13 SB 89/16 - jurisPR-SozR 6/2019 Anm. 2 vom 28. März 2019).

Das Ziel der so verstandenen erkennbaren Absicht des Beklagten lässt sich durch Umdeutung des Bescheides des Beklagten vom 6. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 in eine (Teil-)Aufhebung des Bescheides vom 6. September 2007 anstatt des Bescheides vom 21. bzw. 22. Juli 2011 unter Beibehaltung des sonstigen Regelungsinhalts des angefochtenen Bescheides erreichen. Die insoweit eintretenden Rechtsfolgen sind für die Klägerin auch nicht ungünstiger als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes, wenn von der Tatsache abgesehen wird, dass der zunächst erlassene, fehlerhafte, nicht begünstigende Verwaltungsakt inhaltlich ins Leere geht, was für die Klägerin aufgrund des für sie nachteiligen Regelungsgehalts des fehlerhaften Bescheids natürlich günstig ist; eine Korrektur derartiger Fehler ist jedoch das gesetzliche Ziel der Möglichkeit einer Umdeutung nach § 43 SGB X und nicht Gegenstand des Günstigkeitsvergleichs.

Die Umdeutung, die im Verwaltungsverfahren nicht erfolgt ist, kann durch den Senat vorgenommen werden. Die Frage, ob auch Gerichten die Befugnis zur Umdeutung zusteht, wird unterschiedlich beurteilt. Dies hängt wesentlich von der Beantwortung der Frage ab, ob die Umdeutung ihrerseits einen Verwaltungsakt darstellt und aus diesem Grund ausschließlich Behörden vorbehalten ist. In der Literatur wird z. T. vertreten, dass die Umdeutung alle Merkmale eines Verwaltungsaktes beinhalte (Leopold in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 43 SGB X, Rn. 135 ff.). Herrschend wird jedoch davon ausgegangen, dass auch Gerichte zur Vornahme einer Umdeutung befugt sind und § 43 SGB X dem nicht entgegensteht (Leopold, a. a. O., Rn. 138). Die Kompetenz zur Umdeutung im Sinne des materiellen Gehalts des § 43 SGB X kommt auch den Gerichten zu, denn gegen die Sichtweise, bei der Umdeutung handele es sich um einen Verwaltungsakt, spricht der auf Erhaltung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes, nicht auf Neuschaffung eines Verwaltungsaktes gerichtete Sinn und Zweck der Vorschrift (Leopold, a. a. O., Rn. 140). Der in § 43 Abs. 4 SGB X stehende Verweis auf eine nur "entsprechende" Anwendung des § 24 SGB X deutet ebenfalls darauf hin, dass es sich bei der Umdeutung eines Verwaltungsaktes ihrerseits nicht selbst um einen Verwaltungsakt handelt (Leopold, a. a. O., Rn. 141 ff.); die seitens des Senats erforderliche Anhörung zur beabsichtigten Umdeutung (§ 62 SGG) ist im Schreiben des Berichterstatters des Senats vom 29. Mai 2019 vorgenommen worden.

Die erforderlichen formellen Voraussetzungen für den Erlass des somit nach § 43 SGB X im Sinne einer Aufhebung des Bescheides vom 6. September 2007 umzudeutenden Ausgangsbescheides vom 6. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2017 sind erfüllt, insbesondere ist dem Bescheid eine ordnungsgemäße Anhörung gemäß § 24 Abs. 1 SGB X vorausgegangen.

Auch die materiellen Voraussetzungen der Rechtsgrundlage des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X lagen im entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids als letzter maßgeblicher Verwaltungsentscheidung vor. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine solche wesentliche Änderung der Verhältnisse liegt hier vor, da sich der Gesamt-GdB seit Erlass des Bescheids vom 6. September 2007 um wenigstens 10 verringert hat.

Nach dem zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen § 152 SGB IX, der die hier noch anwendbaren, zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides noch in Kraft befindlichen bisherigen Regelungen des § 69 SGB IX (Fassung bis zum 31. Dezember 2017) im Wesentlichen unverändert übernommen hat, stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag eines behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (Abs. 1 S. 1). Als GdB werden dabei nach § 152 Abs. 1 S. 5 SGB IX n. F. die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Grundlage der Bewertung waren dabei bis zum 31. Dezember 2008 die aus den Erfahrungen der Versorgungsverwaltung und den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft gewonnenen Tabellenwerte der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP). Dieses Bewertungssystem ist zum 1. Januar 2009 ohne wesentliche inhaltliche Änderungen abgelöst worden durch die aufgrund des § 30 Abs. 17 (bzw. Abs. 16) BVG erlassene und zwischenzeitlich mehrfach geänderte Rechtsverordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV -) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I 2412). Die darin niedergelegten Maßstäbe waren nach § 69 Abs. 1 S. 5 SGB IX (in der bis zum 14. Januar 2015 gültigen Fassung) auf die Feststellung des GdB entsprechend anzuwenden. Seit dem 15. Januar 2015 existiert im Schwerbehindertenrecht eine eigenständige Rechtsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung, in der die Grundsätze für die medizinische Bewertung des GdB und auch für die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen aufgestellt werden (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 15. Januar 2015 gültigen Fassung bzw. § 153 Abs. 2 SGB IX in der seit dem 1. Januar 2018 gültigen Fassung). Hierzu sieht der zeitgleich in Kraft getretene § 159 Abs. 7 SGB IX (nunmehr § 241 Abs. 5 SGB IX n. F.) als Übergangsregelung vor, dass bis zum Erlass einer solchen Verordnung die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten.

Als Anlage zu § 2 VersMedV sind "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG) erlassen worden, in denen u.a. die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) i. S. des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden sind. Diese sind auch für die Feststellung des GdB maßgebend (vgl. Teil A Nr. 2 a VMG). Die AHP und die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen VMG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts &61531;BSG&61533;, vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 SB 2/13 R - juris Rn. 10 m. w. N.) und ihre Bindungswirkung für Behörden und Gerichte im Feststellungsverfahren nach § 69 SGB IX (seit dem 1. Januar 2018: § 152 SGB IX) hat der Gesetzgeber in § 159 Abs. 7 SGB IX (jetzt: § 241 Abs. 5 SGB IX) ausdrücklich geregelt.

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB gemäß § 69 Abs. 3 S. 1 SGB IX (jetzt: § 152 Abs. 3 S. 1 SGB IX) nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen (s. § 2 Abs. 1 SGB IX) und die damit einhergehenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. Dabei ist im Falle einer Anfechtungsklage - wie hier - auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, mithin des Widerspruchsbescheides, abzustellen, so dass spätere Entwicklungen, insbesondere erst im Laufe des Klageverfahrens neu hinzugetretene Gesundheitsstörungen oder eine Verschlimmerung bestehender Gesundheitsstörungen, nicht berücksichtigt werden können. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist - in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB (vgl. Teil A Nr. 3 c VMG) - in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinander stehen. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in den VMG feste Grade angegeben sind (Teil A Nr. 3 b VMG). Hierbei führen zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung und auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Teil A Nr. 3 d ee VMG; vgl. zum Vorstehenden auch BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 3/12 R - juris Rn. 29).

Die Bemessung des GdB ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe (vgl. BSG a.a.O. Rn. 30). Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen. Maßgeblich für die darauf aufbauende GdB-Feststellung ist aber nach § 2 Abs. 1, § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX (seit dem 1. Januar 2018: § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX), wie sich nicht nur vorübergehende Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auswirken. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (BSG, Beschluss vom 20. April 2015 - B 9 SB 98/14 B - juris Rn. 6 m.w.N.).

Unter Beachtung dieser Grundsätze sind der Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 17. Dezember 2018 und die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden. Der Gesundheitszustand der Klägerin rechtfertigte an dem in Anfechtungsfällen der vorliegenden Art maßgeblichen Tag der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, der vom 23. Oktober 2017 datiert, lediglich noch die Feststellung eines GdB von 30. Der Senat folgt der ausführlichen und überzeugenden Begründung des Gerichtsbescheides des SG Osnabrück vom 17. Dezember 2018 (dort insb. Seiten 6 - 7), der er sich nach eigener Sachprüfung anschließt und die er daher nicht wiederholt (§ 153 Abs. 2 SGG). Das SG Osnabrück hat die nach der 2011 durchgeführten Kataraktoperation verbliebenen Funktionsstörungen der Klägerin im Einzelnen sehr überzeugend gewichtet und ist hierbei im Ergebnis den Ausführungen im Sachverständigengutachten des Prof. Dr. Dr. O. vom 30. Juni 2018 - mit Ausnahme der auch den Senat nicht überzeugenden Bemessung des Einzel-GdB in Bezug auf die Sehminderung (Teil B Nr. 4.3 VMG) mit 40 - und der Einschätzung des Ärztlichen Dienstes des Beklagten - Dr. P. vom 17. August 2018 - gefolgt, der mit Recht beanstandet hat, der Vorschlag im Gutachten des Dr. Dr. O. beruhe auf einer unzulässigen Addition des korrigierten visusbedingten Einzel-GdB von 20 mit weiteren Einzel-GdB von 10 aufgrund der Gesichtsfeldausfälle und der linksseitigen Linsenlosigkeit.

Der vom Senat ergänzend eingeholte Befundbericht des Dr. J. vom 16. Juli 2019 rechtfertigt keine andere Entscheidung, sondern bestätigt vielmehr die eingetretene Besserung aufgrund der Operation vom 6. September 2011, wobei der Visus links nach den neueren Messwerten zwar auf 0,5 gesunken ist, damit aber nach wie vor deutlich über 0,4 liegt (vgl. Teil B Nr. 4.2 VMG).

Weitere Beschwerden der Klägerin rechtfertigen in Anwendung von Teil A Nr. 3 d) ee) VMG keine weitere Erhöhung des GdB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Hierbei hat der Senat das Erfordernis einer Umdeutung zur Aufrechterhaltung des Regelungsgehalts des angefochtenen Verwaltungsakts berücksichtigt.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 und Abs. 2 SGG liegen nicht vor.