Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.02.2008, Az.: 2 W 49/08

Erstattungsfähigkeit einer vollen Verfahrensgebühr bei Erwiderung auf die Stellungnahme des Berufungsklägers zum Hinweisbeschluss des Gerichts vor Zugang der abschließenden Entscheidung des Gerichts; Bestehen des prozessualen Erstattungsanspruches in den Grenzen einer sparsamen und nicht einer optimalen Prozessführung aus prozessökonomischen Gründen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.02.2008
Aktenzeichen
2 W 49/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 11655
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2008:0226.2W49.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 28.01.2008 - AZ: 9 O 20/07

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 2008, 420-421

Amtlicher Leitsatz

Nach der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO kann der Berufungsbeklagte, dem keine Berufungserwiderungsfrist gesetzt worden war, die Erstattung einer vollen Verfahrensgebühr gemäß VV Nr. 3200 verlangen, wenn er auf die Stellungnahme des Berufungsklägers zu dem Hinweisbeschluss des Gerichts erwidert hat, bevor ihm die abschließende Entscheidung des Gerichts zugegangen ist.

In der Beschwerdesache
...
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht R.,
den Richter am Oberlandesgericht Dr. L. und
den Richter am Amtsgericht Dr. L.
am 26. Februar 2008
beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 6. Februar 2008, bei dem Landgericht Hannover eingegangen am 7. Februar 2008, gegen den am 5. Februar 2008 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 28. Januar 2008 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Der Beschwerdewert beträgt 206 EUR.

Gründe

1

Die gemäß den §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 569 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

2

Der Rechtspfleger des Landgerichts Hannover hat im Rahmen der Kostenfestsetzung auf Beklagtenseite im Ergebnis zu Recht eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV-RVG in Höhe von 1,6 in Ansatz gebracht. Die Beklagte kann von der Klägerin nicht lediglich Erstattung einer 1,1 Gebühr nach Nr. 3201 VV-RVG verlangen.

3

Zwar ist das Rechtsmittel nicht schon deshalb unbegründet, weil eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV-RVG in Höhe von 1,6 entsteht, sobald ein Sachantrag gestellt worden ist, also erst recht im vorliegenden Fall, in dem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2007 seinen bereits vor Zustellung der Berufungsbegründung angekündigten Antrag auf Zurückweisung der Berufung in einem weiteren Schriftsatz begründet hat.

4

Die Frage, ob eine Gebühr entstanden ist und daher eine Vergütungspflicht des Auftraggebers (im Innenverhältnis) besteht, ist allerdings von der Frage zu unterscheiden, ob diese Gebühr zu den von dem Gegner zu erstattenden Kosten gem. § 91 ZPO gehört und zu Lasten des Gegners festgesetzt werden kann.

5

Erstattungsfähig sind gemäß § 91 Abs. 1 ZPO nur diejenigen Kosten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung notwendig waren. Ob eine Maßnahme notwendig war, richtet sich zunächst grundsätzlich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Die Partei darf also ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen (vgl. BGH FamRZ 2004, 866f., zitiert nach [...] Rdz. 27). Dieses Recht der Partei gilt indes nicht schrankenlos. Die Partei ist verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie bei einem Obsiegen vom Gegner erstattet haben will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl. BGH NJW 2007, 2257. BVerfG NJW 1990, 3072, 3073 [BVerfG 30.01.1990 - 2 BvR 1085/89]. Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rz. 12). § 91 ZPO bringt insoweit das Gebot einer sparsamen bzw. ökonomischen Prozessführung zum Ausdruck, welches als Ausprägung des die gesamte Privatrechtsordnung und das Prozessrecht beherrschenden Prinzips von Treu und Glauben wie auch der Schadensminderungspflicht i. S. von § 254 BGB verstanden wird (vgl. MüKo-Giebel, ZPO, 3. Auflage, § 91 Rdz. 38). Der prozessuale Erstattungsanspruch besteht daher nur in den Grenzen einer sparsamen, nicht aber der einer optimalen Prozessführung (vgl. OLG Jena OLGNL 2006, 207, 208 MüKo-Giebel, a. a. O.).

6

Dies zu Grunde gelegt ist unter Berücksichtigung aller (konkreten) Umstände des Einzelfalls (vgl. OLG München NJWRR 1998, 1692, 1693) die Erstattungsfähigkeit einer 1,6 Verfahrensgebühr für die Durchführung der Berufung zu bejahen (im Gegensatz zu der abweichenden Fallkonstellation, die dem zur Veröffentlichung vorgesehen Beschluss des Senats vom 18. Februar 2008 - 2 W 41/08 - zu Grunde lag).

7

Zwar bestand weder zum Zeitpunkt des Einganges des im Schriftsatz der Klägerin vom 29. Oktober 2007 enthaltenen Zurückweisungsantrags am 30. Oktober 2007 noch zum Zeitpunkt des Einganges des Schriftsatzes vom 5. Dezember 2007, mit dem die Klägerin ihren Zurückweisungsantrag begründet hat, mit Rücksicht auf das Gebot einer sparsamen kostenschonenden Prozessführung keine Veranlassung, entsprechende anwaltliche Maßnahmen zu ergreifen.

8

Etwas anderes galt aber für die Zeit nach Zugang der Stellungnahme der Berufungsklägerin vom 17. Dezember 2007.

9

a)

Soweit es den Antrag zur Zurückweisung des Antrags im Schriftsatz vom 29. Oktober 2007 betrifft, war dieser nicht notwendig i. S. von § 91 ZPO, weil er zu einem Zeitpunkt erfolgte, als die Berufungsbegründung der Beklagtenseite noch gar nicht vorlag. Zu diesem Zeitpunkt bestand keine Veranlassung, mit der Verteidigungsanzeige zugleich den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung anzukündigen, weil eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Inhalt und Umfang des Berufungsangriffs mangels Begründung noch gar nicht möglich war und schon deshalb eine verfahrensfördernde Wirkung nicht in Betracht kam (vgl. BGH AGS 2007, 537, 538).

10

b)

Auch die mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2007 abgegebene Stellungnahme zur Berufungsbegründung begründet keinen Anspruch auf Erstattung einer 1,6fachen Verfahrensgebühr. Allein der Umstand, dass zu diesem Zeitpunkt die Berufungsbegründung vorlag und deshalb eine inhaltliche Auseinandersetzung möglich war, besagt noch nichts darüber, ob die konkrete Maßnahme (Stellungnahmeschriftsatz) den Maximen einer sparsamen Prozessführung entsprach. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nämlich darin, dass das Gericht nach Eingang der Berufungsbegründung am 14. November 2007 mit Verfügung vom 3. Dezember 2007 sogleich beiden Parteien einen vier Seiten umfassenden Hinweisbeschluss übersandt hat, in dem die Rechtslage ausführlich dargelegt und zugleich darauf hingewiesen worden ist, dass der 14. Zivilsenat die Berufung durch Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurück zu weisen beabsichtige. In diesem Beschluss ist ausdrücklich nur der Beklagten und Berufungsklägerin eine Frist zur Stellungnahme von drei Wochen ab Zustellung des Beschlusses gesetzt und abschließend darauf hingewiesen worden, dass bei einer Zurücknahme der Berufung eine deutliche Ermäßigung der Gerichtskosten einträte (Bl. 111, 114). Darüber hinaus hatte die Vorsitzende der Berufungsbeklagten, die zugleich mit dem Hinweisbeschluss die Berufungsbegründung erhalten hatte, auch keine Frist zur Berufungserwiderung gemäß § 521 ZPO gesetzt. Im Gegenteil hatte der 14. Zivilsenat in seinem Hinweisbeschluss vom 27. November 2007 unter Ziff. 3 angekündigt, nach Ablauf der der Beklagten gesetzten Frist zu entscheiden, ob die Berufung endgültig nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen wird und zugleich der Klägerin ausdrücklich anheim gestellt, die Entscheidung des Senats abzuwarten. In Anbetracht dessen hätte die Berufungsbeklagte zunächst abwarten können und auch müssen, wie sich die Beklagte zu diesem Hinweisbeschlusses des Senats verhält. Die Abgabe einer eigenen Stellungnahme durch die Klägerin im Schriftsatz vom 5. Dezember 2007 , mithin vor Eingang der Stellungnahme des Berufungsführers wäre nur dann "notwendig" gewesen, wenn die Klägerin als Rechtsmittelgegnerin die Abgabe einer Stellungnahme deshalb für erforderlich halten durfte, weil sie die Situation (zu diesem Zeitpunkt) als risikobehaftet empfinden durfte (vgl. BGH Beschluss vom 6. Dezember 2007, Az.: IX ZB 223/06). Ein solche Risikosituation ist jedoch zu verneinen. Die Klägerin hätte ohne Gefährdung ihrer eigenen Interessen den Eingang der Stellungnahme der Berufungsführerin abwarten können. Eine andere Betrachtung würde auch dem mit der Regelung des § 522 ZPO verfolgten Zweck, der sich auch in der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens wiederfindet, zuwiderlaufen. § 522 ZPO dient dem Zweck, die unnötige Bindung richterlicher Arbeitskraft zu verhindern und im Interesse der in erster Instanz obsiegenden Partei rasch eine Rechtskraft der erstinstanzlichen Entscheidung zu erzielen (vgl. Hannich/Meyer/Seitz, Engers, ZPO-Reform, Einführung - Texte Materialien, S. 330. Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 26. Auflage, § 522 Rdz. 29). Um aber die notwendige Transparenz zu gewährleisten und die Parteien vor einer Überraschungsentscheidung zu schützen sieht § 522 Abs. 2 ZPO eine Hinweispflicht des Gerichts vor, die dem Betroffenen auch die Möglichkeit eröffnet, die Kosten des Berufungsverfahrens durch eine Berufungsrücknahme möglichst gering zu halten (vgl. Hannich/Meyer/Seitz, Engers, ZPO-Reform, Einführung Texte Materialien, S. 332). Wenn aber § 522 Abs. 2 ZPO gerade auch dem (berechtigten) Kosteninteresse des Berufungsführers gerecht werden will, wäre mit dieser Intention nicht zu vereinbaren, eine Erstattungspflicht des Berufungsführers auch für solche Kosten anzunehmen, die an sich bei Einhaltung der Verfahrensweise nach § 522 Abs. 2 ZPO, z. B. durch eine Berufungsrücknahme, hätten vermieden werden können. Es entspricht daher dem Gebot einer sparsamen Prozessführung, dass der Rechtsmittelgegner zumindest die Stellungnahme des Berufungsklägers abwartet, ob die Berufung trotz des Hinweises weiter durchgeführt werden soll (vgl. Senat - 2 W 41/08 - Beschluss vom 18. Februar 2008 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

11

c)

Eine risikobehaftete Situation ist jedoch für die Berufungsbeklagte mit dem Zugang der Stellungnahme der Berufungsklägerin im Schriftsatz vom 17. Dezember 2007 zu dem Hinweisbeschluss des Senats vom 27. November 2007 eingetreten. In diesem an die Berufungsbeklagte am 18. Dezember 2007 abgesandten Schriftsatz hat die Berufungsklägerin die Ankündigung des 14. Zivilsenats, nach § 522 Abs. 2 ZPO entscheiden zu wollen, als evident falsch kritisiert und ihre Auffassung in einem umfangreichen fünfseitigen Schriftsatz begründet. Bei dieser Sachlage musste die Berufungsbeklagte bei verständiger Würdigung ihrer berechtigten Interessen nicht mehr abwarten, ob der 14. Zivilsenat gleichwohl die Berufung durch Beschluss zurückweist, sondern durfte auch unter Berücksichtigung der Grundsätze einer sparsamen Prozessführung versuchen, durch eine eigene Stellungnahme den Senat in seiner Absicht zu bestärken und den Argumenten der Berufungsklägerin entgegentreten (vgl. auch BGH MDR 2004, 115: zu dem berechtigten Interesse des Berufungsbeklagten auf die Entscheidung des Senats nach § 522 Abs. 2 ZPO einzuwirken). Dies hat die Berufungsbeklagte mit ihrem Schriftsatz vom 2. Januar 2008 getan, der bei dem Oberlandesgericht am 3. Januar 2008 eingegangen ist. Zwar hatte der 14. Zivilsenat die Berufung bereits zuvor durch Beschluss vom 21. Dezember 2007 zurückgewiesen. Ausfertigung und Abschriften dieser Entscheidung sind an die Parteien jedoch erst auf Grund der Verfügung vom 3. Januar 2008 am 4. Januar 2008 abgesandt worden, so dass der Prozessbevollmächtigte der Berufungsbeklagten im Zeitpunkt der Einreichung seines Schriftsatzes vom 2. Januar 2008 noch keine Kenntnis von dem Abschluss des Berufungsverfahrens hatte.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

13

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 2 und 3 ZPO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung. Die Entscheidung des Senats steht mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang. Die vorliegende Fallgestaltung unterscheidet sich auch grundlegend von der Sachverhaltskonstellation in dem Beschluss des Senats vom 18. Februar 2008. Dort war nach der gleichzeitigen Zustellung der Berufungsbegründung und eines Hinweisbeschlusses nach § 522 Abs. 2 ZPO - ohne Bestimmung einer Berufungserwiderungsfrist - von dem Berufungsbeklagten nach der Stellungnahme der Berufungsklägerin und vor dem Zugang des Beschlusses über die Zurückweisung der Berufung keine Tätigkeit mehr entfaltet worden.