Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 11.12.2008, Az.: L 4 B 79/08 KR
Bestimmung des zuständigen Gerichts i.R. eines Rechtsstreits über das Bestehen eines Vergütungsanspruchs eines zugelassenen Krankenhauses gegen eine gesetzliche Krankenkasse
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 11.12.2008
- Aktenzeichen
- L 4 B 79/08 KR
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 32692
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2008:1211.L4B79.08KR.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - AZ: S 16 KR 131/08
Rechtsgrundlagen
- § 57a Abs. 3 SGG
- § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG
- Art. 1 Nr. 12 SGGArbGGÄndG
- § 112 Abs. 1 SGB V
Tenor:
Es wird bestimmt, dass das Sozialgericht Hannover das zuständige Gericht ist.
Gründe
I.
Der Beschluss betrifft die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Klägerin betreibt ein Klinikum. Sie begehrt von der Beklagten die Vergütung für Behandlungen einer Versicherten der Beklagten.
Mit Schriftsatz vom 25. April 2008 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Lüneburg erhoben. Das SG Lüneburg hat sich mit Beschluss vom 25. Juni 2008 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das SG Hannover verwiesen. Dieses hält sich ebenfalls für örtlich unzuständig und hat das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts angerufen (Beschluss des SG Hannover vom 28. August 2008).
II.
Die Anrufung des LSG Niedersachsen-Bremen zur Bestimmung des für den Rechtsstreit örtlich zuständigen SG ist nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG zulässig.
Die Verweisung des Rechtsstreits vom SG Lüneburg an das SG Hannover ist zutreffend.
Örtlich zuständig ist das SG Hannover. Das folgt aus § 57a Abs. 3 SGG i.d.F. des Art. 1 Nr. 12 Gesetz zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008, BGBl. I S. 444 (SGGArbGGÄndG) - SGG nF -. § 57a Abs. 3 SGG nF lautet: "In Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betreffen, ist - soweit das Landesrecht nichts Abweichendes bestimmt - das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat." Diese Vorschrift ist am 1. April 2008 in Kraft getreten (Art. 5 SGGArbGGÄndG).
Die Voraussetzungen des § 57a SGG nF liegen vor.
Die Klage ist am 28. April 2008 - und damit nach Inkrafttreten des § 57a SGG nF - beim SG Lüneburg anhängig geworden.
Die Klage betrifft einen Vertrag auf Landesebene.
Streitgegenstand der Klage ist eine Vergütungsforderung der Klägerin gegen die Beklagte aus Anlass der Krankenhausbehandlung einer Versicherten der Beklagten. Anspruchsgrundlage für diesen Vergütungsanspruch ist der gemäß § 112 SGB V abgeschlossene Vertrag zwischen der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft und dem AOK-Landesverband Niedersachsen, dem Landesverband der Betriebskrankenkassen Niedersachsen, dem IKK-Landesverband Niedersachsen, der Bundesknappschaft -Verwaltungsstelle Hannover-, der Hannoverschen landwirtschaftlichen Krankenkasse, dem Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V. -Landesvertretung Niedersachsen- und dem Verband der Arbeiter-Ersatzkassen e.V. -Landesvertretung Niedersachsen- vom 1. November 1992 (Nds. Sicherstellungsvertrag) i.V.m. §§ 108 ff SGB V.
Nach § 112 Abs. 1 SGB V schließen die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen gemeinsam mit der Landeskrankenhausgesellschaft oder mit den Vereinigungen der Krankenhausträger im Land gemeinsam Verträge - sog. Sicherstellungsverträge -, um sicherzustellen, dass Art und Umfang der Krankenhausbehandlung den Anforderungen des SGB V entsprechen. Ziel dieser Verträge ist es, das einzelne nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhaus in die Versorgung der Versicherten einzubinden. Zwar setzen die §§ 108 ff. SGB V eine grundsätzliche Vergütungspflicht der Krankenkassen als selbstverständlich voraus, wenn ein gesetzlich Versicherter in einem zugelassenen Krankenhaus behandelt wird und die Anspruchsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen (vgl. BSG, Urteil vom 17. Mai 2000 - B 3 KR 33/99 R - in BSG SozR 3-2500 § 112 Nr. 1). Welche Bedingungen jedoch bei der Aufnahme und Entlassung der Versicherten, bei der Kostenübernahme, der Entgeltabrechnung sowie der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung erfüllt sein müssen, damit ein konkreter Vergütungsanspruch im Einzelfall entsteht, regelt der Sicherstellungsvertrag nach § 112 Abs. 2 Satz 1 SGB V. An diesen Sicherstellungsvertrag ist jede einzelne Krankenkasse und jedes einzelne zugelassene Krankenhaus bei der Behandlung eines gesetzlich krankenversicherten Patienten unmittelbar gebunden, wie § 112 Abs. 2 Satz 2 SGB V ausdrücklich bestimmt. Denn nach § 112 Abs. 1 SGB V ist der Sicherstellungsvertrag für die Krankenkassen und die zugelassenen Krankenhäuser im Land unmittelbar verbindlich.
Der Nds. Sicherstellungsvertrag ist ein Vertrag i.S.d. § 112 SGB V. Er ist ausdrücklich zu den Bereichen des § 112 Abs. 2 Ziffern 1, 2, 4 und 5 SGB V abgeschlossen worden. Er regelt die Pflichten, die von Krankenhaus und Krankenkasse bei der Krankenhausbehandlung eines gesetzlich versicherten Patienten zu beachten sind und von deren Einhaltung der Vergütungsanspruch abhängen kann. Demgemäß heißt es in § 3 Abs. 1 Nds. Sicherstellungsvertrag ausdrücklich: "Die zur Durchführung von Krankenhausbehandlung gem. Versorgungsvertrag zugelassenen Krankenhäuser sind unter Berücksichtigung ihrer Aufgabenstellung sowie nach Maßgabe dieses Vertrages berechtigt und verpflichtet, die Anspruchsberechtigten der Krankenkassen zu behandeln." Im Folgenden werden dann die Bedingungen im Einzelnen geregelt, die erfüllt sein müssen, damit im konkreten Behandlungsfall ein Vergütungsanspruch entstehen kann. Hierzu gehören z.B. die Bedingungen bei der Krankenhausaufnahme eines Versicherten, die Einzelheiten der Kostenübernahme (§ 4 Nds. Sicherstellungsvertrag) und der Zahlung einschließlich des Zinsanspruches (§ 13 Nds. Sicherstellungsvertrag).
Das SG Hannover stellt nicht in Abrede, dass § 57a Abs. 3 SGG nF grundsätzlich auch Streitigkeiten erfasst, in denen ein Landesvertrag zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen betroffen ist. Dem stimmt der Senat zu. Zu Recht hat das SG ausgeführt, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 57a SGG zum 1. April 2008 klargestellt hat, dass die örtliche Zuständigkeit auf Landesebene nach § 57a Abs. 3 SGG nicht nur Vertragsarztangelegenheiten erfasst, sondern sämtliche Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betreffen. Das folgt aus dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut und der Gesetzessystematik. § 57a SGG nF regelt die örtliche Zuständigkeit für Verfahren in Sachen Krankenversicherung nun in vier Absätzen. Lediglich die Absätze 1 und 2 betreffen nach dem ausdrücklichen Wortlaut "Vertragsarztangelegenheiten". Absatz 3 bezieht sich auf "Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betreffen" und Absatz 4 auf entsprechende Angelegenheiten auf Bundesebene. Damit wird deutlich, dass die Beschränkung auf Vertragsarztangelegenheiten nur für die Absätze 1 und 2 nicht aber für Absatz 3 gilt.
Der Senat vermag sich aber nicht der Ansicht des SG Hannover anzuschließen, dass sich § 57a Abs. 3 SGG nF nur auf Angelegenheiten bezieht, die z.B. den Abschluss oder die Kündigung von Verträgen auf Landesebene betreffen. Vielmehr erfasst § 57a Abs. 3 SGG nF auch Vergütungsstreitigkeiten zwischen Krankenhaus und Krankenkasse. Auch sie sind im Sinne des § 57a Abs. 2 SGG nF "Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betreffen".
Der Wortlaut des § 57a Abs. 3 SGG nF ist offen und lässt nicht den Schluss zu, dass Krankenhausvergütungsverfahren nicht erfasst sein sollen.
Für die Auffassung des Senats sprechen aber der Sinn und Zweck der Vorschrift sowie die Entstehungsgeschichte des § 57a SGG nF.
§ 57a SGG wurde wiederholt geändert. Zunächst ist die Vorschrift mit Wirkung vom 1. Januar 1989 neu gefasst worden. Sie wurde durch Art. 2 Nrn. 1, 2 und 3 GKV-Finanzstärkungsgesetz vom 24. März 1998 (BGBl. I S. 5269) geändert und galt in dieser Fassung bis 1. Januar 2002. Schon zu dieser Fassung hat der Senat in einem Fall, der eine Vergütungsforderung eines Krankenhauses gegen eine gesetzliche Krankenkasse betraf , mit Beschluss vom 18. September 2000 (L 4 B 205/00 KR in E-LSG B-200) entschieden, dass das SG Hannover in Angelegenheiten zuständig ist, die den Vergütungsanspruch eines zugelassenen Krankenhauses gegen eine gesetzliche Krankenkasse betreffen.
Mit Wirkung ab 2. Januar 2002 ist § 57a SGG erneut geändert worden. Die Änderungen erfolgten durch Art. 1 Nr. 25 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des SGG vom 17. August 2001 (BGBl. I S. 2147) und durch Art. 33 Nr. 2 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1467). Der Senat hat zu dieser neuen Fassung mit Beschluss vom 6. November 2002 (L 4 B 297/02 KR in NdsRpfl. 2003, 163 f.) entschieden, dass sie die Zuständigkeit des SG Hannover für Angelegenheiten, die einen Krankenhausvergütungsanspruch betreffen, unberührt lässt.
Zu der Entscheidung vom 6. November 2002 hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 27. Mai 2004 (B 7 SF 6/04 S in SozR 4-1500 § 57a Nr. 2 SGG) Stellung genommen. Nach Auffassung des BSG erfasst § 57a Abs. 1 Satz 1 SGG in der Fassung ab 2. Januar 2002 - entgegen der Auffassung des erkennenden Senats - nur Angelegenheiten des Vertragsarztrechts.
Der Gesetzgeber hat sich daraufhin veranlasst gesehen, § 57a SGG erneut zu ändern. Das hat er durch Art. 1 Nr. 12 SGGArbGGÄndG mit Wirkung vom 1. April 2008 getan. Zur Begründung hat er in den Gesetzesmaterialien (BR-Drucks. 820/07 S. 20) ausdrücklich betont, dass die Änderung des § 57a Abs. 3 SGG lediglich eine redaktionelle Überarbeitung sei. Sie sei notwendig geworden, weil in Rechtsprechung und Literatur Uneinigkeit über die Auslegung der Vorschrift bestehe. Die Auslegung des BSG werde in der Literatur kritisiert. In diesem Zusammenhang zitiert der Gesetzgeber ausdrücklich und zustimmend den Beschluss des erkennenden Senats vom 6. November 2002 (L 4 B 297/02 KR).
Mit diesem Zitat belegen die Gesetzesmaterialien klar und eindeutig, dass zu den Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betreffen, gerade auch Vergütungsstreitigkeiten zwischen Krankenhaus und gesetzlicher Krankenkasse gehören. Eine andere Auslegung steht weder mit den wiederholten Änderungen des § 57a SGG noch mit der Bezugnahme auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 6. November 2002 in Einklang, der - wie die Entscheidung des Senats vom 18. September 2000 - die Zahlung von Krankenhausbehandlungskosten betraf.
Die weiteren Ausführungen in den Gesetzesmaterialien (a.a.O.) bestätigen die Ansicht des erkennenden Senats. Die spezielle örtliche Zuweisung in § 57a SGG erfolge - so die Gesetzesbegründung - aus Gründen der Verwaltungsökonomie, der Einheitlichkeit der Rechtsprechung, der Bündelung von Fachkompetenz und der Entwicklung einer einheitlichen Rechtsprechung. Sie diene zugleich der Rechtssicherheit, der Verkürzung der Verfahrensdauer und der schnellen Klärung wesentlicher Rechtsfragen. Die Absicht des Gesetzgebers, durch die Konzentration eines Rechtsgebietes bei einem SG eine einheitliche Rechtsprechung, Rechtssicherheit, schnellen Rechtsfrieden und ökonomisches Arbeiten zu erreichen, macht deutlich, dass die Anwendung des § 57a Abs. 3 SGG nF auch die Angelegenheiten der Krankenhausvergütung erfasst. Das schon deshalb, weil die Zahl der bei erstinstanzlich anhängigen Rechtsstreitigkeiten, die lediglich den Abschluss oder die Kündigung von Landesverträgen betreffen, verschwindend gering ist. Nahezu alle Verfahren aus dem Bereich der Krankenhausbehandlung sind Vergütungsstreitigkeiten.
Für die vorliegende Klage ist somit gemäß § 57a Abs. 3 SGG nF das SG Hannover zuständig, weil in dessen Bezirk die niedersächsische Landesregierung ihren Sitz hat.
Kosten sind im Verfahren vor dem LSG nicht zu erstatten (§ 197a SGG i.V.m. § 4 Abs. 2 Gerichtskostengesetz analog).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).