Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 18.12.2008, Az.: L 11 AY 117/08 ER
48 Monate; 48-Monats-Frist; 48-Monats-Zeitraum; afghanischer Staatsangehöriger; Afghanistan; Analogleistung; Anerkennung; Anfechtung; Anordnung; Anordnungsanspruch; Anordnungsgrund; Antrag; Antragsgegner; Antragsteller; Asyl; Asylberechtigter; Asylbewerber; Asylbewerberleistung; Asylbewerberleistungsrecht; Asylverfahren; Aufhebung; aufschiebende Wirkung; Ausländer; ausländischer Staatsangehöriger; Befristung; Behörde; Berechtigter; Bewilligung; Dauerwirkung; Duldung; einstweilige Anordnung; einstweiliger Rechtsschutz; entsprechende Anwendung; faktische Vollziehbarkeit; faktische Vollziehung; Fehlen; Flüchtling; Frist; Gewährung; Glaubhaftmachung; Grundleistung; Klage; Leistungsberechtigter; Leistungsbewilligung; Leistungsgewährung; Rechtsanwendung; Rechtsbehelf; Rechtsschutz; Regelung; Reisepass; sofortige Vollziehbarkeit; sofortige Vollziehung; sozialgerichtliches Verfahren; sozialrechtliches Verwaltungsverfahren; Staatsangehöriger; Statthaftigkeit; Verwaltungsakt; Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; Verwaltungsverfahren; Vollziehbarkeit; Vollziehung; vorläufiger Rechtsschutz; Wegfall; Widerspruch; Zeitraum; Änderung; Änderung der Verhältnisse
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.12.2008
- Aktenzeichen
- L 11 AY 117/08 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 55003
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 25.09.2008 - AZ: S 16 AY 51/08 ER
Rechtsgrundlagen
- § 86a Abs 1 S 1 SGG
- § 86a Abs 2 Nr 3 SGG
- § 86b Abs 1 SGG
- § 2 Abs 1 AsylbLG
- § 3 AsylbLG
- § 48 Abs 1 S 1 SGB 10
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei einem Streit über die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs/einer Klage ist in entsprechender Anwendung des § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG festzustellen, ob aufschiebende Wirkung besteht.
2. Zur Regelung mit Dauerwirkung bei der Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG.
3. Bei der Aufhebung einer Leistungsgewährung nach dem AsylbLG in Form einer Regelung mit Dauerwirkung greift die Ausnahmeregelung des § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht.
Tenor:
Der Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 25. September 2008 wird aufgehoben:
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 28. August 2008 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. August 2008 wird festgestellt.
2. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller beider Instanzen zu tragen.
3. Den Antragstellern wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. aus M. bewilligt.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Gewährung von Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) nebst Krankenversicherungsschutz ab 1. September 2008.
Die Antragsteller sind afghanische Staatsangehörige. Die Antragsteller zu 1.) und 2.) sind die Eltern, die Antragsteller zu 3.) bis 6.) ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder. Sie reisten im September 2003 in die Bundesrepublik ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Das Asylverfahren verlief aus Sicht der Antragsteller negativ (ablehnender Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 24. Oktober 2003; VG N., klagabweisendes Urteil vom 25. Februar 2004 - O. -, Rechtskraft: 16. April 2004). In der Folgezeit erhielten die Antragsteller Duldungen. Für die Antragsteller liegen gültige Reisepässe vor, und zwar für den Antragsteller zu 1.) gültig bis 23. Mai 2012; und für die Antragstellerin zu 2.) nebst den 4 Kindern, den Antragstellern zu 3.) bis 6.), gültig bis 24. Mai 2012.
Vom 4. Dezember 2003 bis zum 30. November 2006 erhielten die Antragsteller Grundleistungen nach § 3 AsylbLG. Seit dem 1. Dezember 2006 erhielten sie Leistungen nach § 2 AsylbLG, und zwar aufgrund des Bescheides vom 5. Oktober 2006, in dem „ab dem 01.12.2006" Leistungen nach § 2 AsylbLG zugesprochen wurden (dieser Bescheid enthielt keinen Hinweis auf eine nur monatsbezogene Bewilligung). Durch Bescheid vom 22. Mai 2008 wurden sodann § 2-Leistungen „ab dem 01.06.2008" bewilligt (auch dieser Bescheid enthielt keinen Hinweis auf eine nur monatsbezogene Bewilligung).
Durch den hier streitigen Bescheid vom 12. August 2008 bewilligte der Antragsgegner für die Zeit vom 1. September 2008 bis 31. August 2009 wieder Grundleistungen nach § 3 AsylbLG; zugleich wurde geregelt, dass der „Bescheid vom 24.03.2006“ ab dem 01.09.2008 seine Gültigkeit verliere. Diese Regelung beruhte gemäß dem Anhörungsschreiben vom 24. Juli 2008 auf der Neuregelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG. Über den hiergegen eingelegten Widerspruch vom 28. August 2008 ist soweit ersichtlich noch nicht entschieden worden.
Am 29. August 2008 haben die Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Osnabrück beantragt, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen nach § 2 AsylbLG zu gewähren und ihnen für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Diese Anträge hat das SG Osnabrück durch Beschluss vom 25. September 2008 abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei der aufgehobenen Regelung nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gehandelt habe und deshalb der vorläufige Rechtsschutz in Form des Erlasses einer einstweiligen Anordnung statthaft sei. Der erforderliche Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht worden, weil nach der neuen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 17. Juni 2008 im Rahmen der Anwendung des § 2 Abs. 1 AsylbLG nur Zeiten berücksichtigungsfähig seien, in denen Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bezogen worden seien, die Antragsteller jedoch noch nicht 48 Monate lang derartige Leistungen bezogen hätten.
Hiergegen haben die Antragsteller am 9. Oktober 2008 Beschwerde eingereicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
II.
Die Beschwerden sind gemäß § 172 Abs 1 SGG zulässig. Ausschlussgründe gemäß § 172 Abs 3 SGG liegen nicht vor. Die Beschwerden sind auch begründet.
Das SG Osnabrück hat zu Unrecht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 28. August 2008 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 12. August 2008 war festzustellen. Die Antragsteller haben ihr Antragsbegehren im Rahmen des am 29. August 2008 gestellten Antrages auf einstweiligen Rechtschutzes zwar dahingehend formuliert, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ab dem 1. September 2008 bis zur Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. August 2008 Leistungen gemäß § 2 AsylbLG sowie weiterhin Krankenversicherungsschutz zu gewähren. Da aber Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 86a Abs 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung haben, weil durch den angefochtenen Bescheid eine Regelung mit Dauerwirkung aufgehoben worden ist, ist der Antrag der Antragsteller dahingehend auszulegen, dass sie die Feststellung der aufschiebenden Wirkung begehren. Rechtsgrundlage für dieses Antragsbegehren ist eine entsprechende Anwendung des § 86a Abs 1 Satz 1 SGG.
Entgegen der Ansicht des SG Osnabrück spricht weit Überwiegendes dafür, dass durch den hier mit Widerspruch vom 28. August 2008 angefochtenen Bescheid vom 12. August 2008 eine Regelung mit Dauerwirkung aufgehoben wurde. Die vorangegangenen Bescheide vom 5. Oktober 2006 und vom 22. Mai 2008, mit denen Leistungen nach § 2 AsylbLG „ab dem 01.12.2006" bzw. „ab dem 01.06.2008" bewilligt worden waren, enthielten nämlich keine zeitliche Begrenzung und auch keinen Hinweis auf eine grundsätzlich nur monatsbezogene Bewilligung; Letzteres lässt sich auch nicht allein daraus herleiten, dass diesen Bescheiden jeweils eine Berechnung für den nächsten Leistungsmonat beigefügt war. Damit enthält der angefochtene Bescheid vom 12. August 2008 inhaltlich eine Aufhebungsentscheidung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X für die Zukunft. Dieses wird auch dadurch deutlich, dass der Antragsgegner selbst auch folgende Regelung getroffen hat: „Der Bescheid vom 24.03.2006 verliert ab dem 01.09.2008 seine Gültigkeit". Dabei ist es unerheblich, dass es keinen „Bescheid vom 24.03.2006“ gibt, der den Leistungsbezug nach § 2 AsylbLG geregelt hat; vielmehr wurden erstmals durch den Bescheid vom 5. Oktober 2006 Leistungen nach § 2 AsylbLG zugesprochen. Bei dieser Entscheidungslage entwickelt der Widerspruch vom 28. August 2008 gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Diese entfällt auch nicht kraft Gesetzes, weil die insoweit in Betracht kommende Ausnahmeregelung des § 86 a Abs. 2 Nr. 3 SGG hier nicht greift, weil es sich bei der Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG nicht um eine Angelegenheit der Sozialversicherung handelt. Der Antragsgegner hat auch nicht die sofortige Vollziehung angeordnet.
Da damit der Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. August 2008 bereits aufschiebende Wirkung hat, bedürfte es eigentlich keines vorläufigen Rechtsschutzes. Da vorliegend aber der Antragsgegner die Weitergewährung von Leistungen in der bisherigen Höhe trotz des Widerspruchs verweigert, war ein einstweiliger Rechtsschutz mit dem Ziel der Feststellung der aufschiebenden Wirkung geboten. In Fällen, in denen die behördliche Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes trotz der bestehenden aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs erfolgt (faktische Vollziehung) oder eine solche faktische Vollziehung droht, ist vorläufiger Rechtsschutz nach § 86b Abs 1 SGG statthaft, vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, FamRZ 2003, 1334, LSG NRW, Beschluss vom 10. März 2005 - L 1 B 46/04 AL ER, veröffentlicht in juris, Thüringer LSG, Beschluss vom 4. Februar 2005, L 3 AL 484/04 ER, veröffentlicht in juris; Hessisches LSG, Beschluss vom 28. Dezember 2004 - L 6 AL 195/04 ER, veröffentlicht in juris; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Oktober 2004, L 12 AL 4018/04 ER-B, NZS 2005, 335 [LSG Baden-Württemberg 08.10.2004 - L 12 AL 4018/04], LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 8. Juni 2004, L 3 ER 29/04 AL, NZS 2005, 279ff; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Januar 2004, L 3 B 130/03 AL-ER, veröffentlicht in juris.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Zu Unrecht hat das SG Osnabrück die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren abgelehnt.
Nach § 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet eine Rechtsverfolgung dann, wenn ein Erfolg bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zwar nicht gewiss ist, aber doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH haben für das erstinstanzliche Verfahren im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses vorgelegen, da der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - wie oben ausgeführt - Erfolg hat. Die Rechtsverfolgung erschien auch nicht mutwillig und es lagen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für die Bewilligung von PKH vor.
Dieser Beschluss ist für die Beteiligten mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).