Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 06.01.2009, Az.: L 1 B 53/08 KR

Bestimmung des zuständigen Gerichts; Bestimmung des zuständigen Gerichts; Bindungswirkung; Gesetzesänderung; Krankenhausvergütung; perpetuatio fori; SGGArbGGÄndG; Vertragsangelegenheit; Verweisung; Verweisungsbeschluss; zuständiges Gericht; örtliche Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
06.01.2009
Aktenzeichen
L 1 B 53/08 KR
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 50496
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 28.08.2008 - AZ: S 2 KR 408/08

Tenor:

Es wird bestimmt, dass das Sozialgericht Oldenburg das zuständige Gericht ist.

Gründe

I.

1

Das vorliegende Verfahren betrifft die Bestimmung des zuständigen erstinstanzlichen Gerichts nach § 58 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

2

Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus. Sie verlangt mit ihrer am 14. Juli 2006 beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhobenen Klage von der beklagten Krankenkasse die Zahlung von weiteren 823,80 EUR nebst Zinsen für die vom 7. Mai bis 14. Mai 2003 erfolgte stationäre Behandlung der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherten F.. In der Sache ist streitbefangen, ob die Abrechnung auf der Grundlage der Fallpauschale DRG F 71 A oder DRG F 71 B vorzunehmen ist.

3

Das SG Oldenburg hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 2. Juli 2008 an das SG Hannover verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass durch das Gesetz zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) - SGGArbGGÄndG - u.a. § 57a SGG geändert worden sei. Nach der Neufassung des § 57a Abs. 3 SGG falle das vorliegende Klageverfahren in die örtliche Zuständigkeit des SG Hannover. Da es sich bei der Änderung des § 57a Abs. 3 SGG ausweislich der Gesetzesbegründung jedoch nur um eine redaktionelle Klarstellung und nicht um eine inhaltliche Änderung handele, sei das SG Hannover nicht erst seit dem 1. April 2008, sondern bereits von Anfang an für das Verfahren zuständig gewesen.

4

Das SG Hannover hat sich mit Beschluss vom 28. August 2008 ebenfalls für örtlich unzuständig erklärt und das Landessozialgericht zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts angerufen.

II.

5

Für das Hauptsacheverfahren (S 6 KR 151/06 [SG Oldenburg] / S 2 KR 408/08 [SG Hannover]) ist das Sozialgericht Oldenburg örtlich zuständig. Damit schließt sich der erkennende Senat der Rechtsauffassung des 4. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen an (Beschluss vom 11. Dezember 2008 - L 4 B 54/08 KR).

6

Nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG ist das gemeinsame nächsthöhere Gericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, wenn sich in einem Rechtsstreit verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, rechtskräftig für unzuständig erklärt haben (sog. negativer Kompetenzkonflikt).

7

Auch im Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG ist die Bindungswirkung des zuerst ergangenen Verweisungsbeschlusses zu beachten (§ 98 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 S. 3 Gerichtsverfassungsgesetz - GVG). Diese Bindungswirkung sichert den Anspruch der Rechtssuchenden auf effektiven Rechtsschutz und verhindert sog. „Kettenverweisungen“. Dementsprechend ist in aller Regel dasjenige Gericht als das zuständige Gericht zu bestimmen, an welches zuerst verwiesen wurde (hier: SG Hannover). Eine hiervon abweichende Zuständigkeitsbestimmung darf nur dann erfolgen, wenn sich der Verweisungsbeschluss als willkürlich bzw. grob verfahrensfehlerhaft darstellt oder wenn die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Nr. 1 SGG vorliegen (vgl. im Einzelnen: BSG, Beschluss vom 13. Oktober 1981 - 1 S 12/81; Beschluss vom 25. Oktober 2004 - B 7 SF 20/04 S; HK-SGG/Groß, 3. Auflage 2008, § 58 Rn 9; Meyer-Ladewig/Keller/Leither, SGG, 9. Auflage 2008, § 58 Rn 2f und § 98 Rn 9; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Auflage 2008, II Rn 99; Danckwerts in: Hennig, SGG, § 58 Rn 6; Peters/Sautter/Wolff, SGG, § 57 Rn 7). Die Bindungswirkung des zuerst ergangenen Verweisungsbeschlusses entfällt nach allgemeiner Meinung auch dann, wenn dieser gegen den Grundsatz der sog. perpetuatio fori verstößt (BSG, Beschluss vom 8. Mai 2007 - B 12 SF 3/07 S, SozR 4-1500 § 57 Nr. 2; Meyer-Ladewig/Keller/Leither, a.a.O., § 98 Rn 9a).

8

Der Verweisungsbeschluss des SG Oldenburg vom 2. Juli 2008 verstößt gegen den Grundsatz der perpetuatio fori und entfaltet daher keine Bindungswirkung. Örtlich zuständig ist das SG Oldenburg, da dieses Gericht schon vor dem 1. April 2008 für das Klageverfahren zuständig war und auch nach Inkrafttreten des SGGArbGGÄndG für das zu diesem Zeitpunkt an diesem Gericht bereits anhängig gewesene Verfahren ("Altfall") zuständig geblieben ist.

9

Entgegen der Auffassung des SG Oldenburg war das SG Hannover nicht von Anfang an für das Hauptsacheverfahren örtlich zuständig. Denn die Sonderzuständigkeit nach § 57a Abs. 1 S 1 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung war auf Angelegenheiten des Vertragsarztrechts beschränkt. Sie erstreckte sich gerade nicht auf die vorliegende Fallkonstellation eines Streits um eine Krankenhausvergütung (vgl. im Einzelnen: BSG, Beschluss vom 27. Mai 2004 - B 7 SF 6/04 S, SozR 4-1500 § 57a Nr. 2). Die örtliche Zuständigkeit folgte deshalb aus § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG (ebenso: 4. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. Dezember 2008 - L 4 B 54/08 KR).

10

Diese Auslegung des § 57a Abs. 1 S. 1 SGG a.F. war zwar bis zum Ergehen der Entscheidung des BSG vom 27. Mai 2004 streitig (vgl. zur Gegenauffassung: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 18. September 2000 und vom 6. November 2002 - L 4 B 205/00 und L 4 B 297/02). Allerdings sind die Instanzgerichte in der Folgezeit der Rechtsauffassung des BSG gefolgt. Auch der 4. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen hat seine gegenteilige Rechtsauffassung im Interesse des Rechtsfriedens und der Einheitlichkeit der Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben (Beschluss vom 10. Januar 2005 - L 4 B 31/04 KR; vgl. auch: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. Dezember 2008 - L 4 B 54/08 KR). Offensichtlich auf der Grundlage dieser allgemeinen Rechtsauffassung hat dann auch das SG Oldenburg seine Zuständigkeit für das vorliegende Hauptsacheverfahren zunächst bejaht und den Rechtsstreit über einen Zeitraum von fast zwei Jahre selbst bearbeitet. Erst die Gesetzesänderung zum 1. April 2008 hat das SG Oldenburg zum Anlass genommen, den Rechtsstreit an das SG Hannover zu verweisen.

11

Nach dem Grundsatz der perpetuatio fori bleibt jedoch ein einmal zuständig gewesenes Gericht auch dann für ein bereits anhängiges Verfahren weiterhin zuständig, wenn die maßgebliche Zuständigkeitsregelung geändert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2001, NJW 2001, 1351 [BGH 14.02.2001 - VIII ZR 277/99]; BFH, Beschluss vom 20. Dezember 2004 - VI S 7/03, BFHE 209, 1; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 94 Rn 9a; HK-SGG/Binder § 94 Rn 10). Dieser Grundsatz gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSG, Beschluss vom 8. Mai 2007 - B 12 SF 3/07 S, SozR 4-1500 § 57 Nr. 2; Beschluss vom 9. Mai 1984 - 4 RJ 44/83, SozR 1500 § 141 Nr 13). Da das SGGArbGGÄndG auch keine vom Grundsatz der perpetuatio fori abweichende Übergangsvorschrift für sog. "Altfälle" enthält, verbleibt es trotz der zum 1. April 2008 eingetretenen Gesetzesänderung bei der Zuständigkeit des SG Oldenburg (ebenso: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. Dezember 2008 - L 4 B 54/08 KR).

12

Eine von Anfang an bestehende Zuständigkeit des SG Hannover ergibt sich - entgegen der Auffassung des SG Oldenburg - auch nicht aus der Gesetzesbegründung zu § 57a SGG n.F.. Zwar soll es sich bei der Neufassung des § 57a SGG nur um eine "redaktionelle Überarbeitung" handeln (vgl. BT-Drucksache 16/7716 - zu Nr. 12). Tatsächlich ist die bis zum 31. März 2008 geltende Rechtslage jedoch durch die Einfügung des § 57a Abs. 3 SGG geändert worden: Bis zum Inkrafttreten des SGGArbGGÄndG galt die Sonderzuständigkeit nach § 57a SGG nur für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts (s.o., S. 3). Seit dem 1. April 2008 erfasst sie dagegen auch Vertragsangelegenheiten aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (BT-Drucksache 16/7716 - zu Nr. 12; vgl. zum Anwendungsbereich des § 57a SGG n.F.: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 11. Dezember 2008 - L 4 B 79/08 KR - und vom 5. Januar 2009 - L 1 B 73/08 KR -). An der Tatsache, dass durch die Einfügung des § 57a Abs. 3 SGG eine neue und inhaltlich abweichende Rechtslage geschaffen worden ist, kann auch eine nur von einer "redaktionellen Klarstellung" sprechende Gesetzesbegründung nichts ändern. Schließlich war dem Gesetzgeber bekannt, dass aufgrund des Beschlusses des BSG vom 27. Mai 2004 (B 7 SF 6/04 S, SozR 4-1500 § 57a Nr. 2) die Regelung § 57a SGG a.F. - zumindest seit Mai 2004 - allgemein nur auf Angelegenheiten des Vertragsarztrechtes angewendet wurde (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 16/7716 - zu Nr. 12). Selbst wenn der Gesetzgeber - wie vom SG Oldenburg im Beschluss vom 2. Juli 2008 ausgeführt - die Gesetzesänderung zum 1. April 2008 nur "aufgrund einer vom Gesetzgeber nicht gewollten Auslegung des § 57a SGG a.F. durch das BSG" vorgenommen haben sollte, verbleibt es dabei, dass die Neufassung des § 57a SGG zu einer Änderung der bisherigen Rechtslage geführt hat.

13

Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen, da es sich bei der Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 58 SGG lediglich um einen sog. Zwischenstreit, nicht jedoch um einen eigenen Rechtszug handelt. Das Gerichtskostengesetz (GKG) enthält für das Verfahren nach § 58 SGG dementsprechend auch keinen gesonderten Gebührentatbestand (vgl. Teil 7 der Anlage 1 zum GKG). Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten stellt das Verfahren nach § 58 SGG ebenfalls lediglich einen Teil des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahren dar, der nicht gesondert zu vergüten ist (vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz).

14

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).