Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 10.12.2008, Az.: L 12 AL 221/04
Erfüllung der Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) unter Einbeziehung einer Zivildienstzeit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 10.12.2008
- Aktenzeichen
- L 12 AL 221/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 55163
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 13.04.2004 - AZ: S 41 AL 71/03
Rechtsgrundlage
- § 123 S. 1 SGB III
In dem Rechtsstreit
B.
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
C.
gegen
Bundesagentur für Arbeit, D.,
Beklagte und Berufungsklägerin,
hat der 12. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 10. Dezember 2008 in Bremen durch den Richter E. als Berichterstatter sowie die ehrenamtlichen Richter F. und G.
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. April 2004 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob unter Einbeziehung einer Zivildienstzeit die Anwartschaftszeit für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) erfüllt ist.
Der am 13. Mai 1981 geborene Kläger, der im Mai 2001 das Abitur ablegte, übte - neben weiteren kurzfristigen bzw. geringfügigen Tätigkeiten - beitragspflichtige Beschäftigungen in den Zeiträumen vom 1. - 30. April 2000, 1. Juli - 31. August 2000 und 1. - 31. Juli 2001 aus; bei den Tätigkeiten im Jahre 2000 handelte es sich um gewerbliche Arbeit bei der Firma H. mit 20 Stunden pro Woche, im Jahre 2001 war der Kläger als Lageraushilfe bei einer Spedition tätig. Nach einer Bescheinigung des Bundesamts für den Zivildienst vom 22. Mai 2002 leistete der Kläger in der Zeit vom 3. September 2001 - 30. Juni 2002 Zivildienst. Zum Wintersemester 2002/03 immatrikulierte sich der Kläger an der Universität I..
Am 3. Juli 2002 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos. Seinen Antrag auf Alg lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. September 2002 mit der Begründung ab, die Anwartschaftszeit als eine der Voraussetzungen für den Bezug von Alg sei nicht erfüllt. Der Wehrdienst (gemeint: Zivildienst) sei nicht versicherungspflichtig gewesen, da der Kläger nicht unmittelbar vor Dienstantritt arbeitslos gemeldet gewesen sei oder in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden habe. Innerhalb der Rahmenfrist von drei Jahren habe er nicht mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden. Bei der Arbeit für die Firma J. habe es sich ab 1. August 2001 um eine versicherungsfreie Beschäftigung gehandelt.
Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe vor seinem Zivildienst drei Monate lang eine versicherungspflichtige Arbeit ausgeübt, hieraus ergebe sich ein Anspruch auf Alg.
Den Widerspruch wies die Beklagte, nachdem sie dem Kläger eine Kopie der letzten Arbeitsbescheinigung übersandt hatte, mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2003 zurück. Zur Begründung gab sie an, der Kläger sei nicht unmittelbar vor Beginn des Zivildienstes als Arbeitnehmer versicherungspflichtig tätig gewesen und habe auch keine Entgeltersatzleistung (z. B. Alg) bezogen. Ein unmittelbarer Anschluss des Zivildienstes an das letzte versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis sei nicht mehr gegeben, da zwischen den betreffenden Zeiträumen mehr als ein Monat liege.
Der Kläger hat am 19. Februar 2003 Klage beim Sozialgericht (SG) Oldenburg erhoben. Er hat vorgetragen, der zeitliche Rahmen von einem Monat sei nur dadurch überschritten worden, dass der Zivildienst nicht am Samstag, den 1. September 2001, sondern erst am Montag, den 3. September 2001 begonnen habe. An dieser Zufälligkeit könne der Begriff der Unmittelbarkeit nicht scheitern.
Die Beklagte hat zur Erwiderung u. a. ausgeführt, der Zivildienst des Klägers sei nicht beitragspflichtig gewesen, da der Kläger innerhalb der letzten vier Monate vor Dienstantritt eine allgemeinbildende Schule besucht und dort eine Ausbildung beendet habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 13. April 2004 hat das SG der Klage stattgegeben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alg ab 4. Juli 2002 zu zahlen.
Gegen diesen ihr am 21. April 2004 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 13. Mai 2004 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, der Begriff "unmittelbar vor Dienstantritt" sei zwar entsprechend dem Schutzgedanken der Bestimmung weit auszulegen. Unmittelbarkeit liege aber nicht mehr vor, wenn zwischen dem Ende der versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem Dienstantritt ein Zeitraum von mehr als einem Monat liege. Im Übrigen sei der Zivildienst als solcher auch nicht versicherungspflichtig gewesen.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. April 2004 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt zur Erwiderung ergänzend vor, die Zivildienstzeit sei bereits ab dem 1. September 2001 zu rechnen. Die Dienstzeit habe zehn Monate betragen. Er dürfe nicht schlechter gestellt werden dadurch, dass der Zivildienst tatsächlich erst am 3. September 2001 begonnen habe.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten - Kunden-Nr. K. - beigezogen. Der Inhalt dieser Akte und der Prozessakte - Az. L 12 AL 221/04, S 41 AL 71/03 - ist zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig und auch begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Kläger erfüllt für den streitigen Zeitraum vom 3. Juli - 30. September 2002 nicht die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Alg. Zutreffend ist die Beklagte davon ausgegangen, dass der Kläger die Anwartschaftszeit nicht erfüllt hatte.
Nach § 123 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) (in der ab 01.01.2002 geltenden Fassung) hat die Anwartschaftszeit erfüllt, wer in der Rahmenfrist 1. mindestens zwölf Monate, 2. als Wehrdienstleistender oder Zivildienstleistender (§ 25 Abs. 2 Satz 2, § 26 Abs. 1 Nr. 2 und 3 und Abs. 4) mindestens sechs Monate oder 3. als Saisonarbeitnehmer mindestens sechs Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Die Rahmenfrist beträgt nach § 124 SGB III drei Jahre. Der Kläger erfüllt keine der gesetzlichen Voraussetzungen der Anwartschaftszeit.
Er war unstreitig nicht Saisonarbeitnehmer. Es ist zwischen den Beteiligten weiter nicht streitig, dass der Kläger vor seiner Arbeitslosmeldung lediglich für vier Monate versicherungspflichtig gearbeitet hatte, nämlich in den Monaten April, Juli und August 2000 sowie Juli 2001. Er hat aber auch nicht als Zivildienstleistender mindestens sechs Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden.
Nach § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB III sind Personen, die aufgrund gesetzlicher Pflicht länger als drei Tage Wehrdienst oder Zivildienst leisten und während dieser Zeit nicht als Beschäftigte versicherungspflichtig sind, versicherungspflichtig, wenn sie a) unmittelbar vor Dienstantritt versicherungspflichtig waren oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen haben, oder b) eine Beschäftigung gesucht haben.
Ob der Kläger im Sinne des Abs. 1 Nr. 2b vor seinem Zivildienst eine Beschäftigung gesucht hat, kann dahinstehen. Denn Versicherungspflicht nach dieser Regelung tritt nach § 26 Abs. 4 SGB III nicht ein, wenn der Dienstleistende in den letzten vier Monaten vor Beginn des Dienstes eine Ausbildung an einer allgemeinbildenden Schule beendet hat. Letzteres war bei dem Kläger, der im Mai 2001 sein Abitur abgelegt hat, der Fall.
Der Kläger war aber auch nicht unmittelbar vor Antritt seines Zivildienstes versicherungspflichtig, so dass der Zivildienst auch nicht nach der Vorschrift des § 26 Abs. 1 Nr. 2a versicherungspflichtig war. Nach der Rechtsprechung (BSG vom 6.4.2006, SozR 4-4300 § 26 Nr. 4 unter Hinweis auf BSG SozR 3-6050 Art. 71 Nr. 11; LSG Sachsen vom 23.1.2003 - L 3 AL 169/02, zitiert nach juris; LSG Nordrhein-Westfalen vom 13.2.1986, Die Beiträge 1986, 188) und der Literatur (Brand in Niesel SGB III 3. Aufl. § 26 Rnr. 13; Fuchs in Gagel § 26 Rnr. 21; Ulk in Wissing § 25 SGB III Rnr. 15; Wagner in GK-SGB III § 26 Rnr. 16; Rolfs in Spellbrink/Eicher Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts § 29 Rnr. 77) kann von einer Beschäftigung "unmittelbar vor Dienstantritt" nur dann ausgegangen werden, wenn zwischen der letzten Beschäftigung und dem Dienstantritt kein Zeitraum von mehr als vier Wochen bzw. höchstens einem Monat liegt. Gleich lautend hat auch der Gesetzgeber des Dritten Gesetzes für Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 23.12.2003, BGBl. I 2848) bei der Neufassung des § 28a SGB III den Begriff unmittelbar im Sinne von "nicht mehr als einem Monat" interpretiert. Hinzuweisen ist auch auf die Vorschrift des § 7 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV), wonach eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt als fortbestehend gilt, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Im Hinblick auf diese bereits weite Auslegung des Begriffs der Unmittelbarkeit kann es nicht im Einzelfall darauf ankommen, ob der Dienstantritt eines Zivildienst- oder Wehrdienstleistenden aus zufälligen und nicht in seiner Person liegenden Gründen erst nach mehr als einem Monat stattgefunden hat. Vielmehr ist der Fristablauf nach objektiven Gegebenheiten zu bestimmen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Revision ist auf der Grundlage der Vorschrift des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen worden.