Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 28.06.2012, Az.: L 4 SF 115/12 (KR)
Örtliche Zuständigkeit im sozialgerichtlichen Verfahren bzgl. der Ansprüche aus Krankenhausvergütung durch Abschluss von Landesverträgen
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 28.06.2012
- Aktenzeichen
- L 4 SF 115/12 (KR)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 34745
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2012:0628.L4SF115.12KR.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - AZ: S 11 KR 403/12
Rechtsgrundlagen
- § 57 Abs. 1 SGG
- § 57a Abs. 3 SGG
- § 57a Abs. 4 SGG
- § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG
Redaktioneller Leitsatz
1. In Verfahren um Krankenhausvergütung, in denen nicht ausschließlich der Abschluss, die Wirksamkeit oder die Auslegung von Landesverträgen als solche Streitgegenstand ist, richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Sozialgerichts nicht nach § 57a Abs. 3 SGG, sondern nach § 57 Abs. 1 SGG.
2. Der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen gibt seine gegenteilige Rechtsauffassung aus Anlass des Beschlusses des BSG vom 5.1.2012 (B 12 SF 4/11 S - obiter dictum) auf. [Amtlich veröffentlichte Entscheidung]
Tenor:
Zum zuständigen Gericht wird das Sozialgericht Hannover bestimmt.
Gründe
I. Das Verfahren betrifft die Bestimmung des zuständigen erstinstanzlichen Gerichts nach § 58 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Beteiligten, eine gesetzliche Krankenkasse und ein Krankenhaus (bzw. dessen Träger), streiten um die Vergütung von Krankenhausleistungen.
Der ursprünglich am Sozialgericht (SG) Hildesheim anhängige Rechtsstreit wurde durch Beschluss vom 23. April 2012 an das SG Hannover verwiesen. Das SG Hannover hält sich ebenfalls nicht für zuständig und hat den Rechtsstreit gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG mit Beschluss vom 5. Juni 2012 dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen vorgelegt.
II. Die Anrufung des LSG Niedersachsen-Bremen zur Bestimmung des für den Rechtsstreit örtlich zuständigen SG ist nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG zulässig.
Örtlich zuständig für das Hauptsacheverfahren ist das SG Hannover.
In § 57a Abs. 3 SGG heißt es:
In Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Landesebene betreffen, ist - soweit das Landesrecht nichts Abweichendes bestimmt - das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat.
In § 57a Abs. 4 SGG heißt es:
In Angelegenheiten, die Entscheidungen oder Verträge auf Bundesebene betreffen, ist das Sozialgericht zuständig, in dessen Bezirk die KBV oder die KZBV ihren Sitz hat.
Nach der bisherigen Rechtsauffassung des Senats wäre regelhaft das SG Hannover zuständig gewesen. Der Senat hält an seiner bisherigen (weiten) Auslegung des § 57a SGG (vgl. u.a.: Beschluss vom 11. Dezember 2008 - L 4 B 79/08 KR -, veröffentlicht in juris) jedoch nicht mehr fest. Er schließt sich aus Gründen der Rechtseinheit, der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens der (engen) Auslegung des Bundessozialgerichts (BSG) in dessen Beschluss vom 5. Januar 2012 - B 12 SF 4/11 S (obiter dictum) - an. Darin hat das BSG ausgeführt, § 57a Abs. 4 SGG sei dahingehend auszulegen, dass eine zentrale örtliche Zuständigkeit desjenigen SG, in dessen Bezirk die Landesregierung ihren Sitz hat bzw. - für die Bundesebene - des SG Berlin, ausschließlich für solche Angelegenheiten bestehe, die Entscheidungen bzw. Verträge als solche bzw. deren Auslegung unmittelbar betreffen. Entsprechendes gilt auch für die Landesverträge nach § 57a Abs. 3 SGG (ebenso die Rspr. der Landessozialgerichte in - soweit ersichtlich - allen anderen Bundesländern, siehe etwa: LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 28. Juli 2011 - L 1 SV 1905/11 -; LSG Sachsen, Beschluss vom 13. Oktober 2008 - L 1 B 614/08 KR-ER -; Zitierung jeweils nach juris; siehe zuletzt auch die zusammenfassende Darstellung von Bockholdt, Die Sonderzuständigkeit nach § 57 a Abs. 3 und 4 SGG - zugleich Besprechung von BSG, Beschluss vom 4.1.2012 - B 12 SF 4/11 S, in SGb 06/12, S. 317).
Auch der 1. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen hat seine bisherige anderslautende Auffassung aufgegeben und sich dem BSG angeschlossen.
Im vorliegenden Fall sind die Landes- bzw. Bundesverträge bzw. deren Auslegung selbst nicht unmittelbar im Streit. Sie haben für den geltend gemachten Anspruch lediglich mittelbar Bedeutung. Daher ist die Zuständigkeit des SG Hannover nicht gegeben. Der Rechtsstreit ist deshalb grundsätzlich zu Unrecht an das SG Hannover verwiesen worden.
Gleichwohl ist wegen der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses das SG Hannover als das zuständige Gericht zu bestimmen.
Auch im Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG ist grundsätzlich die Bindungswirkung des zuerst ergangenen Verweisungsbeschlusses zu beachten, § 98 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) in entsprechender Anwendung. Die Bindungswirkung sichert den Anspruch der Rechtsuchenden auf effektiven Rechtsschutz und soll insbesondere Kettenverweisungen verhindern. Nach diesem Grundsatz ist daher in aller Regel dasjenige Gericht als das örtlich zuständige Gericht zu bestimmen, an welches zuerst verwiesen wurde. Eine davon abweichende Zuständigkeitsbestimmung darf nur im Ausnahmefall erfolgen, und zwar dann, wenn die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Nr. 1 SGG vorliegen oder wenn sich der Verweisungsbeschluss als grob verfahrensfehlerhaft darstellt. Diese Ausnahmefälle liegen hier nicht vor.
Die Bindungswirkung kann zudem dann durchbrochen werden, wenn der Verweisungsbeschluss auf einem willkürlichen Verhalten beruht. Dabei ist Willkür anzunehmen, wenn die Entscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt mehr vertretbar ist, so dass sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht und deshalb auch Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verletzt (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Januar 2012 - B 12 SF 4/11 S -, Rn. 6 -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 5. Januar 2009 - L 1 B 73/08 KR -). Nach diesen Maßstäben ist der Verweisungsbeschluss an das SG Hannover nicht willkürlich. Denn die dem Verweisungsbeschluss zugrunde liegenden rechtlichen Erwägungen konnten sich - jedenfalls zum Zeitpunkt des Verweisungsbeschlusses - noch auf diejenige Auffassung stützen, die bisher von den für das gesetzliche Krankenversicherungsrecht zuständigen beiden Senaten des LSG Niedersachsen-Bremen vertreten wurde.
Der Bindungswirkung steht auch nicht der Grundsatz der "perpetuatio fori" entgegen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn sich nach Rechtshängigkeit des Verfahrens die gesetzliche Zuständigkeitsregelung geändert hätte (vgl. etwa: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 6. Januar 2009 - L 1 B 53/08 KR -). Eine solche gesetzliche Änderung der Zuständigkeitsregelung hat während der Anhängigkeit des vorliegenden Rechtsstreits jedoch nicht stattgefunden. Die letzte Änderung des hier maßgeblichen § 57a Abs. 3 SGG trat bereits zum 1. April 2008 durch das Sozialgerichts-Arbeitsgerichtsgesetz-Änderungsgesetz in Kraft. Der vorliegende Rechtsstreit wurde später rechtshängig. Auch eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 57a Abs. 3 SGG, sofern man eine solche überhaupt für ausreichend erachten würde, ist nicht eingetreten. Vielmehr hat das BSG in dem oben zitierten Beschluss gerade an seiner bereits früher geäußerten Auffassung festgehalten.
Eine Kostenentscheidung ist für das Verfahren nach § 58 SGG nicht zu treffen, da es sich um einen Zwischenstreit handelt (siehe etwa: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 11. Dezember 2008 - L 4 B 79/08 KR - sowie vom 5. Januar 2009 - L 1 B 73/08 KR -, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Diese Entscheidung ist nach § 177 SGG unanfechtbar.