Landgericht Aurich
Urt. v. 11.01.2019, Az.: 4 S 134/18

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
11.01.2019
Aktenzeichen
4 S 134/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69594
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 04.09.2018 - AZ: 5 C 525/17

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Norden vom 04. September 2018 (Az.: 5 C 525/17) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz wird auf 1.196,43 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren.

Die Eltern der Beklagten schlossen vor dem Notar N. K. am 28. Dezember 2007 ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zum alleinigen und ausschließlichen Erben einsetzten. Der überlebende Ehegatte war in keiner Weise beschränkt oder beschwert. Für den Fall, dass der Letztlebende keine Verfügung treffen sollte, setzten die Eltern der Beklagten ihre Töchter – die Beklagte und ihre beiden Schwestern – zu gleichen Teilen als Erben ein. Am 20. Dezember 2009 verstarb der Vater der Beklagten. Der Wert des Nachlasses betrug 60.000 €. Das Testament wurde am 28. Januar 2010 vom Amtsgericht V. eröffnet und mit Schreiben vom 16. Februar 2010 an die Beklagte gesendet. Die Mutter der Beklagten setzte mit notariellem Testament vom 31. Januar 2012 als testamentarische Erbinnen die Schwestern der Beklagten ein. Die Mutter der Beklagten verstarb am 15. April 2013. Noch im April 2013 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen. Die Schwestern zahlten nach der Mutter einen Pflichtteil von 21.150 € an die Beklagte. Die Zahlung eines Pflichtteils nach dem Vater lehnten die Schwestern der Beklagten ab. Mit Schriftsatz vom 19. November 2013 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass die Geltendmachung eines Anspruchs nach dem Vater sehr risikobehaftet sei, da möglicherweise inzwischen Verjährung eingetreten sei. Es müsse dem Gericht Möglichkeiten gegeben werden, die Überzeugung zu gelangen, dass im Hause der Familie der Beklagten immer Klarheit darüber bestanden habe, dass die Kinder Erben des Längstlebenden der Eltern werden sollten. Die Klägerin riet der Beklagten eine gerichtliche Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nach ihrem Vater unter Berücksichtigung der Beweislast und der Schwierigkeit des Nachweises der Kenntnisse der Schwestern ab. Die Beklagte beendete das Mandat mit der Klägerin am 14. Januar 2014.

Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, dass der Beklagten der Inhalt der letztwilligen Verfügung des Vaters schon vor Eröffnung des Testaments bekannt gewesen sei. Daher habe die Verjährungsfrist am 31.12.2009 begonnen und am 31. Dezember 2012 geendet.

Erstinstanzlich hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Rechtsanwaltsgebühren für die Beratung bezüglich des Pflichtteils i. H. v. 2.349,54 € zu verurteilen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich die Höhe der Vergütung der Klägerin – insbesondere bezüglich der angesetzten Einigungsgebühr – bemängelt. Darüber hinaus hat sie die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch wegen Falschberatung erklärt. Sie ist der Auffassung, dass der Lauf der Verjährung hinsichtlich des Pflichtteils nach dem Vater erst am 31. Dezember 2010 begonnen habe, da sie erst mit Schreiben vom 16. Februar 2010 vom Amtsgericht V. Kenntnis von der beeinträchtigten Verfügung erlangt habe. Der Entwurf des Testaments sei ihr zwar mal gezeigt worden, sie habe aber vor der Testamentseröffnung nicht gewusst, ob dieser Entwurf anschließend beurkundet worden sei. Dies habe zur Folge, dass die Verjährung erst am 31. Dezember 2013 geendet habe.

Mit am 04. September 2018 verkündeten Urteil hat das Amtsgericht der Klage insoweit stattgegeben, als es die Beklagte zur Zahlung von 1.196,43 € verurteilt hat. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Gebührenforderung nur in dieser Höhe bestehe, da eine Einigungsgebühr nicht abgerechnet werden könne. Diese Forderung sei durch Aufrechnung nicht erloschen, da keine Pflichtverletzung aus dem Anwaltsvertrag vorliege. Die Klägerin habe darauf hingewiesen, dass eine gerichtliche Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs sehr risikobehaftet sei. Dieses bedeutete nicht, dass die Klägerin vertreten habe, dass die Ansprüche verjährt seien. Das Prozessrisiko habe darin gelegen, ob das angerufene Gericht eine Verjährung zum 31. Dezember 2012 oder 31. Dezember 2013 annehmen würde. Dieses sei richtigerweise als Risiko einzuschätzen. Es hänge von der rechtlichen Würdigung des Gerichts ab, ob eine Kenntnis erst ab Eröffnung des Testaments oder vom Zeitpunkt der Kenntnis des Inhalts der letztwilligen Verfügung anzunehmen sei. Im letzteren Fall sei noch eine Beweisaufnahme durchzuführen.

Im Übrigen nimmt die Kammer gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Das Amtsgericht habe verkannt, dass die Verjährung unzweideutig erst am 31. Dezember 2010 begonnen habe. Die Frage der Verjährung habe die Klägerin verkannt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts Norden vom 04. September 2018 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Bei Mandatserteilung im Frühjahr 2013 seien die Pflichtteilsansprüche der Beklagten bereits verjährt gewesen. Das gemeinschaftliche Testament mit denen sich die Eltern der Kläger wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt haben, sei bereits zum Zeitpunkt des Todes des Vaters der Beklagten bekannt gewesen. Es sei Bestandteil vieler Gespräche im Hause der Eltern der Beklagten gewesen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Der – nunmehr in der Berufungsinstanz der Höhe nach - unstreitige Honoraranspruch aus dem Anwaltsvertrag i. H. v. 1.196,43 € ist infolge der Aufrechnung der Beklagten mit dem Schadensersatzanspruch wegen anwaltlicher Falschberatung erloschen.

Die Beklagte hat gegen die Klägerin wegen anwaltlicher Falschberatung Anspruch auf Ersatz des entgangenen Pflichtteils aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. mit dem Anwaltsvertrag. Die Klägerin hat ihre Pflichten aus den Mandatsverhältnissen schuldhaft verletzt, so dass der Beklagten ein Schaden entstanden ist.

Der Rechtsanwalt ist grundsätzlich verpflichtet, die Interessen seiner Mandanten im Rahmen des Mandats umfassend und in jeder Richtung wahrzunehmen. Er hat sich nach den Zielsetzungen seiner Mandanten zu erkundigen und sich bei der anschließenden rechtlichen Würdigung prinzipiell an dem Gebot des sichersten Weges zu orientieren und deshalb denjenigen Weg vorzuschlagen, der die größte Sicherheit der Zielerreichung verspricht, um vermeidbare Nachteile zu vermeiden (BGH NJW 2013, 2965 [BGH 13.06.2013 - IX ZR 155/11]; BGH NJW 2012, 2435 [BGH 10.05.2012 - IX ZR 125/10]; BGH NJW 2009, 1589 [BGH 15.01.2009 - IX ZR 166/07]; BGH NJW 2007, 2486 [BGH 01.03.2007 - IX ZR 261/03]).

Die aufgrund eines Anwaltsvertrags durch den Rechtsanwalt geschuldete Beratungspflicht dient dazu, eine sachgerechte eigenverantwortliche Entscheidung des Mandanten über Art, Inhalt und Umfang der Verfolgung seiner Rechte in derjenigen Angelegenheit zu ermöglichen, in der er den Anwalt mit der Wahrnehmung seiner Belange betraut hat. Der Mandant – und nicht sein anwaltlicher Vertreter – soll aufgrund der Beratung entscheiden und entscheiden können, ob er ein Recht geltend machen, ob und mit welchem Inhalt er rechtsgeschäftliche Erklärungen abgeben oder Verträge eingehen will.

Gemessen an diesen Grundsätzen hätte die Klägerin die Beklagte darauf hinweisen müssen, dass der Pflichtteilsanspruch nach ihrem am 20. Dezember 2009 verstorbenen Vater im Jahr 2013 noch nicht verjährt war und eine Klage gegen ihre Schwestern Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.

Der Anspruch auf den Pflichtteil verjährt nach drei Jahren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste, siehe §§ 195, 199 BGB.

§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt zunächst ab auf die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände. Dabei kommt es an auf die Kenntnis jener Tatsachen, aus denen der Anspruch herzuleiten ist. Auf die zutreffende rechtliche Würdigung, dass aus diesen Tatsachen ein Anspruch folgt, kommt es grundsätzlich nicht an (Peters/Jacoby, in Staudinger: BGB, 2014 § 199 Rn. 62 m.w.N.). Maßgeblich ist die Kenntnis von der den Pflichtteilsberechtigten beeinträchtigenden Verfügung von Todes wegen (BGHZ 103, 333, 336).

Die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung fehlt, solange der Abkömmling bei Zugewinngemeinschaftsehe nicht weiß, ob der überlebende Ehegatte die Erbschaft oder ein Vermächtnis angenommen hat (Rösler in: Groll, Praxis-Handbuch Erbrechtsberatung, VI. Der Pflichtteil, Rn. 432). Anders als die Klägerin im Schriftsatz 07.01.2019 offenbar meint, kommt es nicht auf den Erbteil der Beklagten und der Kenntnis ihrer eigenen Erbschaft an. Oftmals ist es nämlich wesentlich günstiger das gesetzliche oder das gewillkürte Erbrecht auszuschlagen und dafür den Zugewinnausgleich und den kleinen Pflichtteil zu verlangen. Für die Erbausschlagung gilt eine Frist von 6 Wochen (§ 1944 BGB). Der Vater der Klägerin verstarb am 20. Dezember 2009. Gem. § 1944 Abs. 1 S. 1 BGB beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erbe von dem Anfall und der Berufung Kenntnis erlangt. Wenn jedoch der Erbe durch Verfügung von Todes berufen wird, beginnt die Frist nicht vor Bekanntgabe der Verfügung von Todes wegen durch das Nachlassgericht (§ 1944 Abs. 2 S. 2 BGB). Das gilt auch, wenn der Erbe vom Testament schon vorher Kenntnis erlangte (BGH, NJW 1991, 169 [BGH 26.09.1990 - IV ZR 131/89]). Die Übersendung des Testaments durch das Nachlassgericht erfolgte erst am 16. Februar 2010, sodass die Ausschlagungsfrist erst am 30. März 2010 endete. Damit konnte die Beklagte erst mit Ablauf dieses Tages beurteilen, ob ihr überhaupt ein Pflichtteilsanspruch zustand oder sie Erbin geworden ist. Somit hat sie erst im Jahr 2010 Kenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung erlangt, mit der Folge, dass die Verjährungsfrist am 31. Dezember 2010 begann und am 31. Dezember 2013 endete.

Darüber hinaus hat die Klägerin im Rahmen der Beurteilung der Frage der Verjährung – wenn man bereits die Kenntnis von der beeinträchtigenden Verfügung ausreichend lässt - die Beweislast falsch dargestellt. Die Beweislast hinsichtlich der Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Gläubigers trägt der Schuldner (Palandt/Weidenkaff, § 199 BGB Rn. 50). Somit hätte die Klägerin die Beklagte zur Einschätzung des Prozessrisikos darauf hinweisen müssen, dass deren Schwestern die Beweislast dafür tragen, dass die Klägerin von den beeinträchtigenden Verfügungen im Testament Kenntnis hatte. Dafür reicht es nicht aus, dass die Beklagte einmal einen Testamentsentwurf gesehen hatte. Bei ordnungsgemäßer Beratung durch die Klägerin hätte sich die Beklagte dafür entschieden, ihre Schwestern auf Zahlung eines Pflichtteils zu verklagen. Hierfür spricht ein Anscheinsbeweis. Im Rahmen von Verträgen mit rechtlichen Beratern wird im Wege des Anscheinsbeweises davon ausgegangen, dass der Mandant ordnungsgemäß gehandelt hätte, wenn im Hinblick auf die Interessenlage oder anderer objektive Umstände eine bestimmte Entschließung des zutreffend unterrichteten Mandanten mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre. Vorliegend wäre es mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen, dass sich die Beklagte für eine Klage gegen ihre Schwestern entschieden hätte.

Im Rahmen dieser Klage hätte die Beklagte einen Pflichtteil i. H. v. 5.000 € zugesprochen bekommen. Der Nachlass nach dem Vater betrug unstreitig mindestens 60.000 €. Der Pflichtteil betrug 1/12 des Nachlasses, da der gesetzliche Erbteil der Beklagten bei 2 Geschwistern und einem überlebenden Ehegatten 1/6 beträgt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind. Die Rechtssache hat weder eine grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.