Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.01.2002, Az.: L 3 KA 74/01
arthroskopische Carpaltunnelspaltung; arthroskopische Operation; Facharzt; Facharzt für Plastische Chirurgie; fachfremde Leistung; Fachfremdheit; Niedersachsen; Plastische Chirurgie; Vertragsarzt; vertragsärztliche Leistung; Weiterbildungsrecht
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 10.01.2002
- Aktenzeichen
- L 3 KA 74/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43914
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 29.08.2001 - AZ: S 5 KA 1046/99
Rechtsgrundlagen
- § 87 Abs 1 SGB 5
- § 87 Abs 2 SGB 5
- Nr 2447 EBM-Ä
- Ziff 2447 EBM-Ä
- § 6 Abs 1 Nr 35 ÄWeitBiO ND
- § 6 Abs 1 Ziff 35 ÄWeitBiO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Abrechenbarkeit von Leistungen nach Ziffer 2447 EBM durch einen Facharzt für Plastische Chirurgie.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Berufungsverfahren.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine sachlich-rechnerische Berichtigung seiner Honorarabrechnungen für das Quartal I/1999.
Der Kläger führt die Bezeichnung eines Facharztes für Plastische Chirurgie. Als solcher ist er zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im ersten Quartal 1999 rechnete er insgesamt 17 mal die Gebührenziffer (Geb.-Ziff.) 2447 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) ab. Diese mit 4900 Punkten bewertete Gebührenziffer erfasst resezierende arthroskopische Operationen und/oder arthroskopische Kapsel-Band-Spaltungen und/oder arthroskopisch-instrumentelle Entfernungen freier Gelenkkörper und/oder (sub-)tubale Synovektomien. In den 17 im Quartal I/1999 mit der Geb.-Ziff. 2447 abgerechneten Fällen hatte der Kläger jeweils eine arthroskopische Carpaltunnelspaltung des Handgelenks vorgenommen.
Mit dem Honorarbescheid für das Quartal I/1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1999 setzte die Beklagte im Quartal I/1999 in den abgerechneten 17 Fällen die Geb.-Ziff. 2447 jeweils mit der Begründung ab, dass es sich entsprechend einer von ihr eingeholten Stellungnahme des Ausschusses ärztliche Weiterbildung der Ärztekammer Niedersachsen um eine fachfremde Leistung handele.
Zur Begründung seiner am 04. November 1999 erhobenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, dass der angefochtene Bescheid nur unzureichend begründet gewesen sei und überdies die Beklagte zu Unrecht die der Sache nach gegebene Fachgebietskonformität verneint habe. Der Begriff der Plastischen Chirurgie entstamme der griechischen Sprache, in der mit dem Begriff "Plastike techne" die Bildnerkunst bezeichnet werde. Eine bildende Gestaltung des menschlichen Körpers durch den Arzt erfasse zwangsläufig auch das Handorgan. Darüber hinaus sei dem Kläger bereits 1996 die Berechtigung zur Durchführung arthroskopischer Leistungen im Bereich der Handchirurgie zuerkannt worden. Zudem habe die Beklagte nicht hinreichend berücksichtigt, dass er auf Grund seiner Weiterbildung auch zur Führung der Facharztbezeichnungen für Chirurgie und für Unfallchirurgie berechtigt sei, wenngleich er von dieser Berechtigung keinen Gebrauch mache.
Mit Urteil vom 29. August 2001, dem Kläger zugestellt am 11. September 2001, hat das Sozialgericht Hannover nach Einholung einer Auskunft der Ärztekammer Niedersachsen vom 03. Januar 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Die Plastische Chirurgie sei seit dem 01. Oktober 1997 ein eigenständiges Gebiet der Weiterbildung. Sie umfasse ausweislich der in Abschnitt IV Nr. 35 der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen vom 01. Oktober 1997 aufgeführten Gebietsdefinition die Wiederherstellung und Verbesserung der Körperform und sichtbar gestörter Körperfunktionen durch funktionswiederherstellende oder verbessernde plastisch-operative Eingriffe. Wesentlich für das Gebiet der plastischen Chirurgie als spezielles Gebiet der Chirurgie sei demnach die operative bildnerische Gestaltung des Körpers bzw. eine entsprechende Reparation von Körperfunktionen. Arthroskopische Eingriffe im Sinne der Ziffer 2447 EBM seien demgegenüber keine solchen (re-)konstruktiven Maßnahmen. Solchen Eingriffen fehle das gestalterische Element, es handele sich vielmehr um Maßnahmen zur Beseitigung von chirurgisch-orthopädischen Erkrankungen.
Mit der am 28. September 2001 eingelegten Berufung vertritt der Kläger weiterhin die Auffassung, dass die Vornahme von Carpaltunnelspaltungen zum Fachgebiet der Plastischen Chirurgie zähle. Zum Gebiet der Plastischen Chirurgie zähle neben der rekonstruktiven Chirurgie, der ästhetischen Chirurgie und der Verbrennungschirurgie die Handchirurgie als vierte Säule.
Die Weiterbildungsrichtlinien würden exemplarisch auch handchirurgische Operationen, insbesondere bei Haut-Weichteiltumoren und angeborenen Missbildungen aufführen. Auch die Schwellung und Verdickung eines Bandes, das eine Carpaltunnelspaltung erforderlich mache, sei als Tumor zu qualifizieren. Die Behandlung sei daher den dem Fachgebiet der Plastischen Chirurgie zugeordneten Eingriffen am Stütz- und Bewegungssystem zuzurechnen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 29. August 2001 und den Honorarbescheid der Beklagten für das Quartal I/1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. Oktober 1999, soweit Leistungen nach Gebührenziffer 2447 EBM abgesetzt worden sind, aufzuheben und
2. die Beklagte zu verpflichten, die von ihm im Quartal I/1999 abgerechneten Leistungen nach Geb.-Ziffer 2447 EBM nachzuvergüten.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Über die vorliegende Berufung entscheidet der Senat nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich erachtet.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Beklagte hat in der Honorarabrechnung für das Quartal I/1999 in der Fassung des -- ausreichend begründeten -- Widerspruchsbescheides vom 26.10.1999 die nach Geb.-Ziff. 2447 EBM abgerechneten Leistungen zutreffend abgesetzt, da es sich dabei um für den Kläger fachfremde und damit nicht berechnungsfähige Leistungen gehandelt hat.
Nach § 22 der auf der Grundlage von § 34 Abs. 2 des Kammergesetzes für die Heilberufe (HKG) erlassenen Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen vom 01. Oktober 1997 darf ein Arzt, der eine Facharztbezeichnung führt, grundsätzlich nur in diesem Gebiet tätig werden. Da die Weiterbildungsordnung auf das Führen einer Facharztbezeichnung abstellt, kommt es nicht darauf an, ob der Facharzt zur Führung weiterer Facharztbezeichnungen berechtigt wäre, solange er von dieser Berechtigung -- wie im vorliegenden Fall -- keinen Gebrauch macht.
Damit wird der Tätigkeitsbereich eines Gebietsarztes durch die auf landesrechtlicher Grundlage beruhende Gebietsbezeichnung in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise bestimmt und begrenzt (vgl. BSG, Urteil vom 29. September 1999 -- B 6 KA 38/98 R -- Breithaupt 2000, 711 = SozR 3-2500 § 95 SGB V Nr. 21, S. 84 ff.). Die Bindung eines Arztes an die Grenzen seines Fachgebietes trifft ihn auch in seiner Eigenschaft als Vertragsarzt. Dies folgt nach ständiger Rechtsprechung aus einer Zusammenschau der Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung (vgl. ebenfalls BSG, a.a.O.). Bei der Bindung an das Fachgebiet und der damit verbundenen Beurteilung der Fachfremdheit einer Leistung ist allerdings jeweils zu beachten, dass Vertragsärzte -- gleich auf welcher Regelungsebene -- aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz) nicht von der Honorierung solcher vertragsärztlichen Leistungen ausgeschlossen werden dürfen, die in den Kernbereich ihres Fachgebietes fallen bzw. die für ihr Gebiet wesentlich und prägend sind (vgl. wiederum BSG, a.a.O.).
Die Reichweite des in § 6 Abs. 1 Ziff. 35 der Weiterbildungsordnung anerkannten Fachgebietes der Plastischen Chirurgie wird im vierten Abschnitt "Gebiete, Fachkunden, zusätzliche Weiterbildungen in dem Gebiet und Schwerpunkte" der Weiterbildungsordnung unter Ziff. 35 normativ bestimmt; auf Selbsteinschätzungen privatrechtlich organisierter Berufsverbände kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Nach der Legaldefinition in Ziff. 35 des Abschnittes IV der Weiterbildungsordnung umfasst die Weiterbildungschirurgie die Wiederherstellung und Verbesserung der Körperform und sichtbar gestörten Körperfunktionen durch funktionswiederherstellende oder verbessernde plastisch-operative Eingriffe. Diese Definition stellt entscheidend auf das gestalterische Moment ab, das sich speziell auf die äußere Körpergestalt beziehen muss. Die Weiterbildungsordnung weist gerade nicht alle funktionswiederherstellenden und/oder verbessernden Eingriffe dem Fachgebiet der Plastischen Chirurgie zu, sondern nur solche, die die Körperform und/oder "sichtbar" gestörte Körperfunktionen wieder herstellen oder verbessern. Der gestalterische Eingriff in äußerlich sichtbare Körperformen und/oder Körperfunktionen macht das wesentliche Element des speziellen Fachgebietes der plastischen Chirurgie aus und ermöglicht die gebotene Abgrenzung zu sonstigen allgemeinchirurgischen Eingriffen.
Arthroskopischen Carpaltunnelspaltungen fehlt aber gerade eine gestalterische Einwirkung auf äußerlich sichtbare Körperfunktionen und/oder -formen. Der Eingriff soll gerade so durchgeführt werden, dass äußerlich erkennbare Veränderungen möglichst unterbleiben. Gerade die arthroskopische Operationsmethode soll äußerlich sichtbare Operationsfolgen weitestmöglich vermeiden.
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass ihm im Januar 1996 die Genehmigung zur Erbringung ambulanter arthroskopischer Operationen des Handgelenkes erteilt worden ist. Zum damaligen Zeitpunkt war der Kläger noch als Facharzt für Chirurgie zugelassen. Zu den im Rahmen des Fachgebietes der Chirurgie zu behandelnden chirurgischen Erkrankungen, Verletzungen und Fehlbildungen im Sinne der Ziffer 7 des Abschnittes IV der Weiterbildungsordnung zählen namentlich auch Carpaltunnelerkrankungen. Erst nach Erteilung dieser Genehmigung, und zwar erst seit Dezember 1997, ist der Kläger zur Führung der Facharztbezeichnung für Plastische Chirurgie berechtigt, nachdem die Plastische Chirurgie erst mit Wirkung zum 01. Oktober 1997 als eigenständiges Gebiet der Weiterbildung anerkannt worden ist. Der vom Kläger selbst veranlasste Wechsel der Fachgebietsbezeichnung führte unter Berücksichtigung der bereits erläuterten Bindung der Ärzte an die Grenzen ihres Fachgebietes selbstverständlich dazu, dass der Kläger von zuvor erteilten Genehmigungen nur noch insoweit Gebrauch machen durfte, wie ihr Gegenstand auch von den Grenzen des neu gewählten Facharztgebietes der Plastischen Chirurgie umfasst wurde. Dies traf auf arthroskopische Handoperationen gerade nicht zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG); Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.