Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.01.2002, Az.: L 6 U 429/99
Zahlung unfallbedingter Entschädigungsleistungen; Wertende Ermittlung des inneren sachlichen Zusammenhanges zwischen unfallverursachendem Verhaltren und der versicherten Tätigkeit; Schutz der Unfallversicherung auf Grund eines Arbeitsunfalles in Form eines Wegeunfalles; Anhand objektiver Umstände des Einzelfalles festzustellende Handlungstendenz des Versicherten; Unfall auf einem Weg von der Ferienwohnung als dem sog. "dritten Ort"; Abgrenzung zum eigenwirtschaftlichen Besuch am "dritten Ort"
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 17.01.2002
- Aktenzeichen
- L 6 U 429/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43947
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2002:0117.L6U429.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 14.09.1999 - AZ: S 11 U 25/98
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs.1 SGB VII
- § 8 Abs.2 Nr.1 SGB VII
- § 8 Abs.2 Nr.4 SGB VII
Fundstellen
- Breith. 2002, 614-619
- SchuR 2003, 20 (Kurzinformation)
Prozessführer
XXX
Prozessgegner
Bayerischer Gemeindeunfall- Versicherungsverband, Ungererstraße 71, 80805 München
hat der 6. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2002
durch
den Vizepräsidenten des Landessozialgerichts Dr. Wilde,
die Richterin am Landessozialgericht Janz,
die Richterin am Landesozialgericht Klein sowie
die ehrenamtlichen Richter Kastens und Dr. Nolte
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 14. September 1999 und der Bescheid des Beklagten vom 12. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1998 aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Entschädigungsleistungen dem Grunde nach zu erbringen.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger bei einem Verkehrsunfall unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand.
Der im März 1976 geborene Kläger erlitt am 2. Januar 1997 gegen 10.20 Uhr auf der B 20 ca. 150 m vor der Ortschaft C. einen Verkehrsunfall, als er in einer leichten Rechtskurve aus ungeklärter Ursache in den Gegenverkehr geriet. Er zog sich bei dem Unfall u.a. ein Schädelhirntrauma III. Grades zu, im Anschluss entwickelte sich ein apallisches Syndrom und ein hirnorganisches Psychosyndrom. Er ist seitdem nicht vernehmungsfähig.
Der Kläger war seit 1. Oktober 1996 Krankenpflegeschüler des Krankenhauses D.. Die praktische Ausbildung sollte sich in 3 Krankenhäusern - in E. - vollziehen. Die Krankenpflegeschule befand sich in F., wo der Kläger im Schülerwohnheim ein Zimmer hatte. Am Unfallmorgen befand er sich auf der direkten Fahrt zur Spätschicht - Dienstbeginn war ca. 13.00 Uhr - in der urologischen Abteilung des Krankenhauses Pfarrkirchen. Der Kläger hatte die Fahrt um ca. 8.40 Uhr von G. angetreten, wo er sich seit dem 28. Dezember 1996 mit seinen Eltern, seinen drei Geschwistern und deren 2 Ehepartnern in einer Ferienwohnung aufhielt. In der urologischen Abteilung war der Kläger vom 2. Januar bis 6. Januar 1997 für den Spätdienst und vom 7. - 9. Januar 1997 für den Frühdienst eingeteilt (Auskunft der D. Kreiskrankenhäuser vom 13. Februar 1997).
Vom 21. Dezember 1996 an hatte der Kläger bereits Urlaub gehabt, den er ab dem 22. Dezember 1996 in der elterlichen Wohnung in H. verbrachte, wo er über ein eigenes Zimmer verfügte. Seine dortige Meldung mit zweitem Wohnsitz ist aus Kostengründen (Einsparung von Abfallgebühren) unterblieben.
Der Kläger hatte bereits nach seinem Schulabbruch Anfang 1995 vom 1. April 1995 bis 30. April 1996 seinen Zivildienst in I. abgeleistet, weil seine zwei Schwestern in Süddeutschland und Oberösterreich in der Nähe wohnten. Anschließend hielt er sich bis zum Beginn seiner Ausbildung überwiegend im Elternhaus auf. Sobald er während seiner Ausbildung einige Tage dienstfrei hatte, fuhr er etwa alle 4 Wochen einmal zu seinen Eltern (Aktenvermerk vom 29. Januar 1997). Im Übrigen hatte er drei Freundeskreise - in H., F. und I. - und war Trompeter in einer Dixieland Jazzgruppe im Landkreis J., weshalb er auch seine Ausbildung zum Krankenpfleger dort aufnahm (Angaben der Eltern vom 31. Januar 1997; Schriftsatz des Vaters vom 10. Februar 1997). Mit Bescheid vom 12. August 1997 lehnte der Beklagte die Entschädigung des Unfalls als Arbeitsunfall ab. Der innere ursächliche Zusammenhang des Weges mit der Ausbildungstätigkeit des Klägers sei hier zu verneinen, weil es sich um eine Rückfahrt vom gemeinsamen Urlaubsort der Familie und damit von einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit gehandelt habe. Der Kläger habe seinen Weg weder von seinem Zimmer im Wohnheim noch von der elterlichen Wohnung angetreten. Bei dieser Sachlage sei nicht zu prüfen, ob es sich bei der elterlichen Wohnung überhaupt um eine Familienwohnung i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) VII handele.
Im Widerspruchsverfahren berief sich der Kläger auf § 8 Abs. 2 Nr. 4 und Nr. 1 SGB VII. Die Familie habe bisher die Weihnachts- und Neujahrszeit stets in der elterlichen Wohnung verbracht, die Rückfahrt von hier zum Krankenhaus habe unter Versicherungsschutz gestanden. Nur weil er am 2. Januar 1997 seinen Dienst habe antreten müssen und auch weitere Familienmitglieder Termine in Süddeutschland bzw. Österreich gehabt hätten, habe man die Familienwohnung nach Neukirchen "verlegt". Ihm dürfe kein Nachteil daraus entstehen, dass man die Familienwohnung dichter an seinen Arbeitsplatz gelegt habe. Zudem habe er die gleiche Wegstrecke auch bei der Fahrt von H. nach F. bzw. K. aus zurücklegen können. Es sei die Rechtssprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sog. dritten Ort heranzuziehen (BSG Urteile vom 27. August 1987, SozR 2200 § 550 Nr 76 und 30. März 1988, SozR 2200 § 550 Nr. 78; Urteil vom 18. Oktober 1994, SozR 2200 § 550 Nr. 10). Entscheidend sei, dass er von der Ferienwohnung direkt die Arbeitsstätte im Krankenhaus und nicht erst noch sein Zimmer im Schülerwohnheim habe aufsuchen wollen. Dass die Wegstrecke von der Ferienwohnung zum Krankenhaus länger als die vom Schülerwohnheim aus gewesen sei (140 km gegenüber 14 km), sei dabei unbeachtlich. Diesen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Januar 1998 zurück. Als Familienwohnung sei nur der Ort anzusehen, der für eine nicht unerhebliche Zeit der Mittelpunkt der Lebensgestaltung sei. Bei der Frage, ob es sich um einen versicherten Weg von einem "dritten Ort" gehandelt hat, spiele auch die Entfernung eine Rolle. Da die Wegstrecke hier das 10fache des üblichen Weges ausmache, läge eine erhebliche Risikoerhöhung aus rein privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten vor. Die vom Kläger genannten Urteile beträfen andere Sachverhalte. Zudem bestünden aufgrund der zeitlichen Situation erhebliche Zweifel, dass der Kläger direkt seine Arbeitsstelle habe anfahren wollen. Die Wegstrecke von der Unfallstelle bis zum Arbeitsort habe noch ca. 30 km betragen, ohne Unfall hätte der Kläger daher gegen 11.00 Uhr am Krankenhaus eintreffen können. Dienstbeginn sei aber erst um 13.00 Uhr gewesen. Auch angesichts seines umfangreichen Reisegepäcks spräche einiges dafür, dass der Kläger zuvor noch sein auf derselben Wegstrecke liegendes und ohne Umwege erreichbares Zimmer in F. hätte aufsuchen wollen.
Hiergegen hat der Kläger am 17. Februar 1998 Klage erhoben. Er hat vorgetragen, sein Vater habe den genauen Zeitpunkt der Abfahrt bestimmt und keine konkrete Vorstellung über die genaue Entfernung gehabt. Am 29. Dezember 1996 habe er auf der Fahrt nach Erding zu einem Weihnachtsoratorium bereits Station in F. gemacht, um sein Auto zu holen. Auch sei für ihn der Aufenthalt in der Ferienwohnung im Kreise seiner Familie viel förderlicher für die versicherte Tätigkeit gewesen als ein Aufenthalt im Wohnheimzimmer. Eine Entfernung von 140 km zur Arbeitsstelle sei angemessen, zudem hätte die versicherte Familienheimfahrt von H. aus ca 600 km betragen. Auch die Zweifel zum zeitlichen Ablauf seien unbegründet. Er habe in der Kantine des Krankenhauses etwas essen wollen und sich zudem mit den Gegebenheiten in der neuen Abteilung vertraut machen müssen. Seine Reisetasche und ein paar Stiefel hätten bis nach Ende der Dienstschicht im Wagen bleiben können. Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat mit Urteil vom 14. September 1999 die Klage abgewiesen. Auch wenn zu Gunsten des Klägers unterstellt werde, er habe direkt nach K. fahren wollen, sei der Versicherungsschutz zu verneinen. Sein mehrtägiger Aufenthalt am Ferienort, dem sog. dritten Ort sei in zeitlicher Hinsicht so erheblich, dass der vorangegangene Weg von H. nach L. eine selbstständige Bedeutung erlangt habe. Wege vom "dritten Ort" zur versicherten Tätigkeit stünden nicht generell unter Versicherungsschutz, erforderlich sei ein innerer Zusammenhang, der hier zu verneinen sei. Der von L. nach K. zurückgelegte Weg unterscheide sich bereits von der Entfernung her zu erheblich von dem üblichen Weg von F. aus, dass er nicht mehr von dem Vorhaben geprägt gewesen sei, sich zur Arbeit zu begeben. Entscheidend sei auch, dass ein Weg von 140 km über die Bundesstraße bei Schnee- und Eisglätte ungewöhnlich lang und risikobehaftet sei. Zudem sei nach der Rechtsprechung des BSG Versicherungsschutz auf der Heimfahrt vom Urlaub zu verneinen.
Gegen dieses ihm am 8. Oktober 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. November 1999 Berufung eingelegt. Er hat vorgetragen, dass das Vorhandensein eines Wohnheimzimmers die Zurücklegung häufigerer Fahrten mit längeren Wegstrecken von einem "dritten" Ort rechtfertige. Zudem habe er durch den Fahrtantritt vom Ferienort das Wegerisiko verringert, dass bei Fahrtantritt von der elterlichen Wohnung in H. wesentlich größer gewesen sei. Seine Eltern hätten ihm als dem jüngsten Familienmitglied, der als erster seinen Dienst habe antreten müssen, die sonst anfallende Fahrstrecke von H. aus verkürzen wollen. Sein Ausbilder habe auf seine Interessen Rücksicht genommen und ihn erst ab dem 2. Januar 1997 für den Dienst eingeteilt. Am 22. Dezember 1997 sei er mit der Bahn von F. nach H. gefahren.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 14. September 1999 und den Bescheid des Beklagten vom 12. August 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Januar 1998 aufzuheben,
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, aus Anlass des Unfalls vom 2. Januar 1997 Entschädigungsleistungen zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 14. September 1999 zurückzuweisen.
Der Beklagte macht geltend, dass Versicherungsschutz vom "dritten Ort" nur dann bejaht werden könne, wenn der Aufenthalt am "dritten Ort" wesentlich durch die Bedingungen der versicherten Tätigkeit geprägt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten des Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist auch begründet.
Der Kläger stand im Zeitpunkt des Unfalls vom 2. Januar 1997 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 8 Abs 2 Nr. 1 SGB VII und hat deshalb Anspruch auf Entschädigung.
Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Zu der versicherten Tätigkeit zählt auch das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, einerseits der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist, und dass diese Tätigkeit andererseits den Unfall herbeigeführt hat. Es muss eine sachliche Verbindung, ein sog. innerer bzw. sachlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit bestehen, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Dieser innere Zusammenhang ist wertend zu ermitteln, wobei zu prüfen ist, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenzen liegt, bis zu denen der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht (BSG, Urteil vom 2. Mai 2001, B 2 U 33/00 R, m.w.Nw.).
Dabei ist der Versicherungsschutz nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII nicht auf die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte beschränkt. Entscheidend ist nur, dass die Arbeitsstätte Ziel oder Ausgangspunkt des Weges ist, der andere Grenzpunkt des Weges ist gesetzlich nicht festgelegt. Damit ist allerdings nicht schlechthin jeder Weg, der zur Arbeitsstätte hinführt oder von ihr aus begonnen wird, unter Versicherungsschutz gestellt. Erforderlich ist, dass der Weg mit der Tätigkeit in dem Unternehmen rechtlich zusammenhängt, d.h. dass ein innerer Zusammenhang zwischen dem Weg und der Tätigkeit in dem Unternehmen besteht. Der Weg, den der Versicherte zurücklegt, muss wesentlich dazu dienen, den Ort der Tätigkeit zu erreichen. Maßgebend ist dabei die Handlungstendenz des Versicherten, die durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt wird. Fehlt es an einem solchen inneren Zusammenhang, scheidet ein Versicherungsschutz selbst dann aus, wenn sich der Unfall auf derselben Strecke ereignet, die der Versicherte auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit gewöhnlich benutzt (BSG Urteil vom 3. Mai 2000, a.a.O., m.w.Nw.).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stand der Kläger nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII unter Versicherungsschutz, da er sich auf einem mit seiner versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Weg vom sog. dritten Ort nach dem Ort seiner Tätigkeit befand und der Aufenthalt in L. unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalles im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit zu sehen ist.
Dabei befand sich der Kläger nach der Überzeugung des Senats auf dem unmittelbaren Weg von der Ferienwohnung zur urologischen Abteilung im Krankenhaus K.. Der Beklagte hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass es unter Berücksichtigung der zeitlichen Umstände möglich gewesen wäre, dass der Kläger vor Arbeitsbeginn noch sein auf derselben Wegstrecke gelegenes Zimmer im Schülerwohnheim in F. aufsuchte, was zum Ausschluss des Versicherungsschutzes auf der Wegstrecke bis zum Wohnheim geführt hätte.
Der Vater des Klägers hat aber glaubhaft versichert, dass zwischen ihm und dem Kläger abgesprochen war, dass dieser am Morgen des 2. Januar 1997 direkt die urologische Abteilung in K. und keineswegs zuvor noch sein Wohnheimzimmer aufsuchen sollte. Der Senat hält diese Angaben aufgrund des vom Vater des Klägers auch im Termin zur mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks und aufgrund der Tatsache, dass dieser während des ganzen Verfahrens übereinstimmende Angaben gemacht hat, für glaubhaft und überzeugend. Zudem sind diese Angaben auch vor dem Hintergrund, dass der Zeitaufwand für die Zurücklegung der Wegstrecke an einem Werktag unter Berücksichtigung der winterlichen Verkehrsbedingungen weder dem Kläger noch seiner Familie bekannt war, der Kläger vor Dienstantritt noch in der Kantine sein Mittag-Essen einnehmen und sich nach den Feiertagen auf der Abteilung auch noch umsehen und orientieren wollte, plausibel und nachvollziehbar. Es wäre zwar theoretisch möglich, dass der Kläger auf der Fahrt den Entschluss fasste, die mit seinem Vater getroffene Absprache nicht mehr einzuhalten. Es gibt aber keinen konkreten ersichtlichen Anhaltspunkt für einen derartigen Sinneswandel beim Kläger, so dass diese theoretische Möglichkeit die Überzeugung des Senats nicht infragestellt.
Weiterhin ist die Ferienwohnung in L. aufgrund des im Unfallzeitpunkt bereits dreitägigen Aufenthaltes des Klägers dort für den Ausgangspunkt des Weges zur Arbeitsstätte als sog. dritter Ort anzusehen.
Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei der Ferienwohnung in L. nicht um die Familienwohnung i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII. Insbesondere hatte die Familie die Familienwohnung nicht für die Dauer des einwöchigen Aufenthalts in den Bayerischen Wald verlegt. Ständige Familienwohnung i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII ist nach der Rechtsprechung eine Wohnung, die für nicht unerhebliche Zeit den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten bildet. Hierbei kommt es auf die tatsächliche Gestaltung der Lebensverhältnisse des Versicherten zur Unfallzeit an. Maßgebliche Gesichtspunkte für die Beurteilung sind bei ledigen Arbeitnehmern wie dem Kläger u.a., wo der Schwerpunkt der sozialen Kontakte liegt, die Häufigkeit der Besuche bei den Eltern und der Ort der persönlichen Habe (BSG, Urteil vom 31. Mai 1996 - 2 RU 28/95 - in SozR 3-2200 § 550 Nr. 13 m.w.Nw., Urteil vom 6. Dezember 1989, - 2 RU 23/89, Urteil vom 28. Juli 1983, - 2 RU 19/83; Urteil vom 4. November 1981, - 2 RU 33/80). Vorliegend bestehen Zweifel, ob die elterliche Wohnung des Klägers in H. als ständige Familienwohnung i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 4 SGB VII zu werten ist. Unerheblich ist insoweit, dass der Kläger nicht mehr bei seinen Eltern gemeldet war. Gegen das Vorliegen der ständigen Familienwohnung spricht aber, dass der Kläger sein eigenes Zimmer im Elternhaus nur ca. einmal monatlich aufsuchte, Freundeskreise nicht nur dort, sondern vor allem auch im Umkreis von F. und I. hatte und sich im Unfallzeitpunkt – abgesehen von einer 5monatigen Unterbrechung – bereits über ein Jahr in der süddeutschen Region aufhielt. Letztendlich braucht diese Frage aber nicht abschließend beurteilt zu werden.
Denn selbst wenn es sich bei dem Elternhaus des Klägers in H. um seine ständige Familienwohnung gehandelt haben sollte, ist diese während des einwöchigen Aufenthalts in Bayern nicht dorthin verlegt worden. Zwar ist die Verlegung einer ständigen Familienwohnung an einen anderen Ort möglich, diese muss aber für eine nicht unerhebliche Zeit und nicht nur für einen lediglich vorübergehenden Zeitraum, insbesondere besuchs- oder urlaubsweise, erfolgen (BSG, Urteil vom 31. Mai 1996, a.a.O.). Vorliegend handelt es sich aber um einen vorübergehenden Aufenthalt von nur einer Woche Dauer, so dass von einer Verlegung der Familienwohnung nicht gesprochen werden kann.
Insoweit kann sich der Kläger auch nicht auf die Entscheidung des BSG vom 18. Oktober 1994 (2 RU 31/93, SozR 3-2200 § 550 RVO Nr. 10) stützen. Bei dem dort zu beurteilenden Sachverhalt hatte sich die Klägerin aufgrund angespannter familiärer Lebensverhältnisse über einen längeren Zeitraum hinweg regelmäßig auch bei Freundinnen und in Jugendherbergen aufgehalten. Allein aufgrund der Tatsache, dass die Klägerin ihren Arbeitsweg über einen längeren Zeitraum von zwar häufig wechselnden, aber letztendlich gleichen Ausgangspunkten angetreten hatte, war von einer erweiterten Familienwohnung ausgegangen worden. Derartige besondere Umstände liegen im Falle eines lediglich einwöchigen Aufenthaltes am Urlaubsort aber nicht vor.
Ist nicht der übliche häusliche Bereich, sondern ein "dritter Ort" der Ausgangspunkt des Weges zum Ort der Tätigkeit, ist für den inneren Zusammenhang entscheidend, ob dieser Weg von dem Vorhaben des Versicherten rechtlich wesentlich geprägt ist, sich zur Arbeit zu begeben (vgl. BSG, Urteil vom 2. Mai 2001, a.a.O., m.w.Nw.), oder aber davon, einen eigenwirtschaftlichen Besuch am "dritten Ort" abzuschließen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, ist dabei entscheidend, dass der nicht von der Wohnung angetretene Weg nach dem Sinn und Zweck des § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII grundsätzlich unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblichen Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit stehen muss. Die Angemessenheit des Weges ist dabei nach der Verkehrsanschauung zu beurteilen (BSG, Urteil vom 2. Mai 2001, a.a.O., m.w.Nw.).
Dabei wurde nach der früheren Rechtsprechung des BSG stärker auf die unterschiedlichen Entfernungen zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte sowie zwischen dem dritten Ort und der Arbeitsstätte an sich abgestellt. Demgegenüber berücksichtigt die neuere Rechtsprechung des BSG zwar weiterhin diese Entfernungen, misst ihnen aber nicht die allein entscheidende Bedeutung bei, sondern verlangt vielmehr, dass alle Umstände des jeweiligen Einzelfalles stärker berücksichtigt werden. Von Interesse ist insbesondere, ob am "dritten Ort" Verrichtungen des täglichen Lebens erledigt wurden, die keinen Bezug zur versicherten Tätigkeit haben, oder ob es sich um Verrichtungen handelte, die zumindest mittelbar auch dem Betrieb zu Gute kommen sollen. Als solche werden zB Arztbesuche angesehen, weil sie der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dienen (BSG Urteil 27. Juli 1989, - 2 RU 10/89 -). Derartige betriebsbezogene Umstände beeinflussen zwar nicht die Beurteilung der Angemessenheit des Weges vom "dritten Ort", können ihn jedoch im Wege einer Betriebsdienlichkeit prägen (BSG Urteil vom 2. Mai 2001, a.a.O. m.w.Nw.). Infolgedessen kann ein Weg nach einer rein eigenwirtschaftlichen Verrichtung am "dritten Ort" noch unter Versicherungsschutz stehen, wenn die Länge des Weges in einem angemessenen Verhältnis zu dem üblicherweise zur Arbeitsstätte zurückgelegten Weg steht. Steht der Aufenthalt am "dritten Ort" dagegen im Zusammenhang mit betriebsbezogenen Motiven, kann Versicherungsschutz auch dann bejaht werden, wenn der Weg unverhältnismäßig länger ist als der übliche Weg zur Arbeitsstätte (BSG Urteil vom 2. Mai 2001, a.a.O.).
Angesichts der zahlreichen besonderen Umstände des vorliegenden Falles ist der Aufenthalt des Klägers in L. von betriebsdienlichen Motiven geprägt. Die Entfernung zwischen diesem Ort und der Ausbildungsstätte ist vor diesem Hintergrund auch nicht als unangemessen lang anzusehen.
Zwar ist ein Aufenthalt am "dritten Ort" ausschließlich zu Urlaubszwecken grundsätzlich rein eigenwirtschaftlich geprägt und hat auch keine nur mittelbare Beziehung zur versicherten Tätigkeit (so auch BSG Urteil vom 2. Mai 2001, a.a.O., vom 20. April 1978, - 2 RU 1/77; vom 30. Juli 1977, - 2 RU 229/78 -), worauf der Beklagte wie auch das SG zutreffend hingewiesen haben.
Vorliegend kommt der Aufenthalt in der Ferienwohnung jedoch der betrieblichen Ausbildung und damit dem Arbeitgeber zu Gute. Denn die Anwesenheit im Familienverband fördert angesichts der hier bestehenden ausgeprägten engen Familienbeziehungen noch dazu in Zeiten, die zu den besonderen Familienfesten zählen – wie hier Weihnachten und Sylvester – die emotionale Stabilität des noch jugendlichen, am Beginn seiner Berufsausbildung stehenden und weit von der elterlichen Wohnung entfernt wohnenden Klägers. Insofern dient der Aufenthalt im Familienverband der Erhaltung oder Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit des jungen Klägers. Er ist vergleichbar sowohl mit den Fällen notwendiger Arztbesuche wie auch mit dem Fall eines auf auswärtiger Montage befindlichen Versicherten, der auf dem Rückweg von einem Bekanntenbesuch verunglückt (BSG, Urteil vom 25. Juni 1992, - 2 RU 33/91 -).
Der Kläger war im Unfallzeitpunkt 20 Jahre alt und befand sich gerade erst 3 Monate in seiner Ausbildung zum Krankenpflegeschüler im Krankenhaus J.. Er hatte am Ort seiner Ausbildungsstätte lediglich ein Wohnheimzimmer, die elterliche Wohnung lag über 600 km, die Wohnungen der ebenfalls in Süddeutschland lebenden Geschwister, zu denen ebenfalls ein enger Kontakt bestand, jeweils ca. 100 km entfernt. In der Familie des Klägers bestand zwischen Eltern und Kindern wie auch zwischen den Geschwistern untereinander ein enger Zusammenhalt. So hat der Kläger sowohl seinen Zivildienstes in M. abgeleistet, wie auch seine Ausbildung in dieser Region aufgenommen, weil zwei seiner Schwestern dort in der Nähe lebten. Zudem hatte die Familie die Absicht, sowohl das Weihnachtsfest wie auch den Jahreswechsel gemeinsam mit den insgesamt 9 Erwachsenen zusammen zu verbringen. Da zwei der Kinder vor Neujahr berufliche Termine im Raum M. hatten und vor allem der Kläger unmittelbar nach Neujahr die Arbeit in N. wieder aufnehmen musste, wollte die Familie dem Kläger den von H. aus längeren Anfahrtsweg nach N. ersparen, was sie veranlasste, eine Ferienwohnung in der Region in Neukirchen anzumieten. Die Alternative für den Kläger wäre ein - in der Situation nicht erstrebenswerter - Aufenthalt im Wohnheimzimmer an besonderen Festtagen gewesen, noch dazu während des ersten Jahreswechsel, den der Kläger in seiner Berufsausbildung verlebte. Auch die Tatsache, dass das Krankenhaus den Dienstbeginn des Klägers auf den 2. Januar 1997, 13.00 Uhr gelegt hat, belegt, dass der Arbeitgeber den Belangen des von der Arbeitsstätte weit entfernt beheimateten Klägers Rechnung tragen wollte. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger am Ort seiner Ausbildungsstätte nur ein Wohnheimzimmer hatte, ist seine Situation vergleichbar mit dem auf Montage arbeitenden Versicherten, dessen besondere Situation dem Urteil des BSG vom 25. Juni 1992 (- 2 RU 33/91 -) zu Grunde liegt.
Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Entfernung von 140 km zwischen der Ferienwohnung und der Ausbildungsstätte im Vergleich zum sonst üblichen Weg zwischen Wohnheimzimmer und Arbeitsplatz als nicht unangemessen lang. Entgegen der Auffassung des Klägers ist bei diesem Vergleich der Wegstrecken nicht auf den Weg von der elterlichen Wohnung zur Ausbildungsstätte abzustellen, da es sich hierbei nicht um den üblichen Weg von der Arbeit handelt (BSG, Urteil vom 31. Mai 1996, a.a.O.). Es gibt aber nach ständiger Rechtsprechung des BSG keine starre Kilometergrenze, innerhalb derer eine Wegstrecke als noch angemessen oder aber schon unangemessen lang zu beurteilen ist (BSG, Urteil vom 27. Juli 1989, - 2 RU 10/89 -). Vielmehr sind die Entfernungen - wie bereits ausgeführt - jeweils unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles auf ihre Angemessenheit zu beurteilen. Auch wenn vorliegend der Weg von der Ferienwohnung bis zum Arbeitsplatz um das 10fache länger ist und auch einen entsprechend größeren Zeitaufwand erfordert als der sonst übliche Weg des Klägers, erweist sich die Entfernung von 140 km im Vergleich zu den Strecken, die Auszubildende, deren Elternhaus weit entfernt vom Ausbildungsort liegt, sonst üblicherweise fahren, als nicht unverhältnismäßig lang. Deshalb sind auch Wege, die um das 30fache länger sind als der übliche Weg, vom BSG noch als angemessen beurteilt worden (BSG, Urteil vom 27. Juli 1989, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.