Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.08.2010, Az.: 3 K 124/09
Erlass von Ansprüchen aus einem Steuerschuldverhältnis bei Unbilligkeit der Einziehung nach Lage des einzelnen Falls; Erlass der auf die Einkünfte aus dem Kommanditanteil entfallenden Steuer i.R.d. Restschuldbefreiung; Sachliche Unbilligkeit der Einziehung von Steuerschulden bei bestandskräftiger falscher Steuerfestsetzung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 18.08.2010
- Aktenzeichen
- 3 K 124/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 24256
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2010:0818.3K124.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 47 AO
- § 227 AO
- § 38 InsO
- § 286 InsO
- § 301 InsO
Fundstellen
- EFG 2010, 2066-2069
- ZInsO 2010, 2332-2336
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines Klageverfahrens. In der Hauptsache begehrt er den Erlass der Einkommensteuer 2005.
Der Kläger übernahm im Jahr 2000 als selbständiger Handwerksmeister einen Betrieb in K. Zur Finanzierung des Betriebs nahm er u. a. ein Darlehen bei der V.bank auf, zu dessen Sicherung er seinen Kommanditanteil an der K. GmbH & Co. KG verpfändete. Aufgrund dieses Pfandrechts standen der V.bank sowohl die aus diesem Kommanditanteil zufließenden Einnahmen aus Gewerbebetrieb als auch der Anspruch auf Rückzahlung des Kapitals des Kommanditanteils zu.
Ende März 2001 stellte der Kläger einen Insolvenzantrag bei dem zuständigen Amtsgericht. Dort wurde einen Monat später über das Vermögen des Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet. Ende Mai 2001 zeigte der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit an.
Auf seinen Antrag kündigte das Amtsgericht dem Kläger durch Beschluss aus dem November 2003 die Restschuldbefreiung an. Ende März 2004 wurde das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt. Die Wohlverhaltensperiode endet im April 2011.
Im Streitjahr 2005 erzielte der Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit, deren pfändbaren Anteil er an den Treuhänder abführte. Für seinen Kommanditanteil wurde ein Gewinnanteil in Höhe von etwa 28.000 EUR festgestellt. Auf Grundlage dieser Einkünfte setzte der Beklagte für das Jahr 2005 die Einkommensteuer und einen Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 5.250 EUR fest und forderte den Kläger - unter Berücksichtigung der Lohnsteuer - zur Zahlung eines Betrages von insgesamt etwa 5.500 EUR auf.
Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid fristgerecht Einspruch mit dem Ziel ein, ihm die auf die Einkünfte aus dem Kommanditanteil entfallende Steuer zu erlassen. Der Beklagte verwies ihn im ablehnenden Einspruchsbescheid auf die Möglichkeit des Erlasses im Rahmen des Erhebungsverfahrens. Eine Klage hiergegen wurde von dem Kläger nicht erhoben.
Der Beklagte behandelte das Schreiben des Klägers gleichzeitig als Erlassantrag und lehnte diesen Antrag ab. Nach erfolglosem Vorverfahren gegen die Ablehnung hat der Kläger hat Klage erhoben, mit der er den Erlass der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlages für das Jahr 2005 in Höhe von insgesamt 5.500 EUR, hilfsweise die Neubescheidung des Erlassantrages unter Beachtung der Auffassung des Gerichts beantragt.
Er ist der Auffassung, die Ablehnung des Erlasses der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlages für 2005 sei ermessenfehlerhaft erfolgt.
Der Beklagte habe das Vorliegen einer sachlichen Unbilligkeit nur mit dem Vorliegen des gesetzlichen Besteuerungstatbestandes begründet. Die Vorschriften dienten aber gerade dazu, bei Unbilligkeiten aufgrund ungewollter Überhänge des gesetzlichen Tatbestandes abzuhelfen.
Die Zurechnung der Einkünfte aus dem Kommanditanteil sei zwar einkommensteuerrechtlich zutreffend erfolgt, führe jedoch zu einer Einkommensteuerschuld, der keine gesteigerte steuerliche Leistungsfähigkeit gegenüberstehe. Der Kläger sei durch diese Einkünfte zu keinem Zeitpunkt bereichert gewesen, weil diese in vollem Umfang der Volksbank zur Tilgung von Verbindlichkeiten zugeflossen seien.
Wäre der Kommanditanteil nicht an die V.bank verpfändet worden, wäre er Teil der Insolvenzmasse geworden. Die daraus erzielten Einnahmen hätten gegenüber dem Insolvenzverwalter festgesetzt und aus der Insolvenzmasse beglichen werden müssen. Die Steuerschuld sei somit nicht durch insolvenzfreies Vermögen begründet, weil die Beteiligung letztlich nur dazu diene, Verbindlichkeiten zu tilgen, die anderenfalls im Rahmen des Insolvenzverfahrens befriedigt worden oder im Rahmen der Restschuldbefreiung weggefallen wären. Auch die Verbindlichkeit gegenüber der V.bank wäre in diesem Fall - auch hinsichtlich des nicht durch den Kommanditanteil gedeckten Teils - als Insolvenzforderung anzumelden gewesen und von der Restschuldbefreiung umfasst worden.
Der Sachverhalt tatsächlich nicht zufließender Einnahmen aus solchem mittelbar insolvenzverhafteten Vermögen werde durch die Vorschriften des Insolvenz- und des Steuerrechts nicht ausreichend berücksichtigt. Insbesondere werde der gesetzgeberische Zweck der Restschuldbefreiung, nämlich nach Ablauf einer gewissen Wohlverhaltensphase einen finanziellen bzw. wirtschaftlichen Neuanfang zu gewähren, nicht erreicht.
Dies sei von dem Beklagten im Rahmen seiner Ermessensausübung nicht berücksichtigt worden.
Der Kläger beantragt,
ihm zur Durchführung seines Klageverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwaltes zu bewilligen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Er führt aus, die Voraussetzungen für einen Erlass seien nicht gegeben. Ihm könne kein Ermessensfehlgebrauch vorgeworfen werden.
Der Kläger stelle zur Begründung seines Erlassbegehrens einen "mittelbaren" Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren her, der nicht vorhanden sei. Der streitige Steueranspruch berühre gerade nicht das Insolvenzverfahren, weil er außerhalb des Verfahrens begründet worden sei und nicht auf einer Masseverbindlichkeit beruhe.
Es sei irrelevant, welche Konsequenzen sich ergeben hätten, wenn der Gesellschaftsanteil nicht insolvenzfrei gewesen wäre, da die Besteuerung nur an den tatsächlich realisierten Sachverhalt anknüpfe, der auch bei der Frage einer Billigkeitsentscheidung nicht außer Acht gelassen werden dürfe. Durch einen Erlass würde der Kläger besser gestellt als ein Steuerpflichtiger, der - ohne Durchführung eines Insolvenzverfahrens - aus Überschuldungsgründen seine Erwerbstätigkeit aufgebe und die laufenden Einkünfte sowie Vermögenswerte zur Tilgung seiner Schulden verwende. Auch in diesem Fall trügen die ihm steuerlich zuzurechnenden Einkünfte im Fall einer Verpfändung nicht zur Steigerung seiner Leistungsfähigkeit bei und unterlägen dennoch der Besteuerung.
Auch sei eine planwidrige Gesetzeslücke nicht zu erkennen. Der Gesetzgeber habe mit der Restschuldbefreiung in § 301 der Insolvenzordnung (im Folgenden: InsO ) eine abschließende Regelung zur Schuldenregulierung getroffen. Eine weitergehende Entlastung durch das Instrument des Erlasses würde - auch unter dem Blickwinkel des Neuanfangs - den Wertungen des Gesetzgebers widersprechen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (im Folgenden: FGO ) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (im Folgenden: ZPO ) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung verspricht hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für seinen Eintritt eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Für die Gewährung der Prozesskostenhilfe kommt es wesentlich darauf an, ob bei summarischer Prüfung und Würdigung der wichtigsten Tatumstände der vom Antragsteller begehrte Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat, eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten ist insoweit jedoch nicht erlaubt (BFH-Beschluss vom 23. Januar 1991 II S 15/90, BStBl II 1991, 366 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Der Antragsteller kann keinen Erlass der betroffenen Steuerschulden verlangen.
Nach § 227 der Abgabenordnung (im Folgenden: AO ) können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.
Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die in der Regel nach § 102 FGO von dem Gericht grundsätzlich nur dahingehend überprüft werden darf, ob die Finanzbehörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder ob sie von dem Ermessen nicht in einer dem Zweck der jeweiligen Ermessensermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Im Streitfall bedarf es allerdings einer Überprüfung der Ausübung des Ermessens durch den Beklagten nicht, weil die für den Erlass vorausgesetzte Unbilligkeit der Steuereinziehung nicht erfüllt ist.
1.
Eine persönliche Unbilligkeit ist nicht gegeben.
Persönliche Unbilligkeit ist zu bejahen, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Oktober 1988 X B 54/88, BFH/NV 1989, 285; BFH-Urteile vom 29. April 1981 IV R 23/78, BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726, 727; vom 2. Juli 1986 I R 5/83, BFH/NV 1987, 684). Das setzt voraus, dass sich die Billigkeitsmaßnahme auf die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen konkret auswirken kann. Ein (vollständiger oder teilweiser) Erlass scheitert dann, wenn der Steuerpflichtige unabhängig von einer solchen Billigkeitsmaßnahme in wirtschaftlichen Verhältnissen lebt, die (wegen des Pfändungsschutzes, den er genießt) eine Durchsetzung der in Frage stehenden Steueransprüche ausschließen, ein Erlass hieran nichts ändern könnte und aus diesem Grunde nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Steuerpflichtigen verbunden wäre (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1989, 285; BFH-Urteile vom 22. April 1975 VII R 54/72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727). Auf den Vorteil, der für den Steuerpflichtigen gleichwohl in dem Erlöschen der Steuerschulden (§ 47 AO) gesehen werden könnte, kommt es nicht entscheidend an, denn § 227 AO betrifft nach Wortlaut, Gesetzeszusammenhang und systematischer Stellung im Erhebungsverfahren nur die in der Einziehung liegenden Unbilligkeiten (vgl. BFH-Urteil vom 24. Oktober 1998 X B 54/88, BFH/NV 1989, 285).
Werden diese Grundsätze auf den Streitfall übertragen, sind keine persönlichen Billigkeitsgründe gegeben. Der Antragsteller selbst macht geltend, den pfändbaren Betrag seiner Einkünfte an den Treuhänder abzuführen. Eine Beitreibung der in Rede stehenden Steuerschulden ist demnach ausgeschlossen. Das bedeutet, dass ein Erlass für den Antragsteller keinen wirtschaftlichen Vorteil mit sich brächte. Im Übrigen liegen Anhaltspunkte dafür, dass die ungemilderte Erhebung der Steuer zu einer systemwidrigen Überbesteuerung führt, nicht vor.
2.
Auch eine sachliche Unbilligkeit liegt nicht vor.
a.
Eine sachliche Unbilligkeit liegt nicht schon allein deshalb vor, weil die bestandskräftige Steuerfestsetzung falsch ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist eine sachliche Unbilligkeit noch nicht einmal dann gegeben, wenn die bestandskräftige Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist. Es ist vielmehr außerdem erforderlich, dass es dem Steuerpflichtigen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren (vgl. BFH-Urteile vom 30. April 1981 VI R 169/78, BFHE 133, 255 BStBl II 1981, 611 ; vom 28.Oktober 1965 III 225/62 U, BFHE 84, 155, BStBl III 1966, 56). Dies ist im Streitfall nicht gegeben, so dass der Antragsteller mit seinem Einwänden gegen die Festsetzung der Einkommensteuer aufgrund der Einkünfte aus seinem verpfändeten Kommanditanteil in diesem Verfahren nicht durchdringen kann.
b.
Unbilligkeit aus sachlichen Gründen kann aber gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestandes einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, stehen jedoch dem Erlass entgegen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 19. März 2009, BFHE 225, 215, [BFH 19.03.2009 - V R 48/07] BStBl II 2010, 92; vom 16. August 2001 V R 72/00, BFH/NV 2002, 545).
c.
Nach Auffassung des Senats wird die aufgrund von Einkünften aus dem abgesonderten Vermögen entstehende Einkommensteuer als Insolvenzforderung von der Restschuldbefreiung erfasst. Im Streitfall widerspricht die Erhebung der festgesetzten Steuer - zumindest bis zum Eintritt der Wirkungen der Restschuldbefreiung - deshalb nicht den Wertungen der Insolvenzordnung und steht bis zu diesem Zeitpunkt nicht der gesetzgeberischen Zielsetzung entgegen, die den Bestimmungen über die Restschuldbefreiung nach §§ 286 ff. InsO zugrunde liegt.
Die Restschuldbefreiung wirkt nach §§ 286, 301 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger. Insolvenzgläubiger ist nach § 38 InsO derjenige, der einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner hat. Keine Insolvenzgläubiger - und dementsprechend nicht von der Restschuldbefreiung betroffen - sind Gläubiger einer Forderung, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen ( Stephan in Münchener Kommentar, Insolvenzordnung, 2. Auflage 2008, § 301 InsO Rz. 12; Lang in Braun, Insolvenzordnung. Kommentar, 4. Auflage 2010, § 286 InsO Rz. 8). Keine Insolvenzgläubiger sind demnach auch die Massegläubiger im Sinne des § 53 InsO (vgl. Hefermehl in Münchener Kommentar, Insolvenzordnung, 2. Auflage 2008, § 53 InsO Rz. 18).
Gläubiger, die - wie im Streitfall die V.bank - an einem Gegenstand der Insolvenzmasse ein rechtsgeschäftliches Pfandrecht, ein durch Pfändung erlangtes Pfandrecht oder ein gesetzliches Pfandrecht haben, sind gemäß § 50 Abs. 1 InsO nach Maßgabe der §§ 166 bis 173 InsO für Hauptforderung, Zinsen und Kosten zur abgesonderten Befriedigung aus dem Pfandgegenstand berechtigt. Der verpfändete Gegenstand gehört damit zwar zur Insolvenzmasse, ist der Gläubigergesamtheit aber bis zur Höhe des Absonderungsrechts des Pfandgläubigers entzogen (vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Auflage 2005, S. 128). Die Rechte aus einem Recht, das zur abgesonderten Befriedigung berechtigt, werden durch die Restschuldbefreiung jedoch nicht berührt (§ 301 Abs. 2 Satz 1 InsO), d.h. die bestellten Sicherheiten bleiben trotz der Durchführung der Restschuldbefreiung bestehen ( Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Auflage 2005, S. 283).
Es ist streitig, ob die Einkommensteuerschulden aufgrund von aus abgesondertem Vermögen erzielten Einkünfte als Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO zu qualifizieren sind, also ob sie bereits zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet waren, und damit der Restschuldbefreiung unterfallen:
(1)
Aus der Insolvenzordnung ergibt sich für solche Einkommensteuerforderungen keine ausdrückliche Regelung. § 171 Abs. 2 InsO enthält lediglich eine Regelung für die Umsatzsteuer, nicht für die Einkommensteuer.
(2)
Nach den in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen ist eine Einkommensteuerschuld - auch wenn sie auf Einkünften beruht, die aus abgesondertem Vermögen erzielt wurden - nur dann als Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO einzuordnen, wenn sämtliche Besteuerungsmerkmale vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits verwirklicht waren (BFH v. 29.3.1984 - IV R 271/83, BStBl. II 1984, 602; v. 11.11.1993 - XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477). Bei Veräußerungsgewinnen kommt es dabei nicht auf die Entstehung der stillen Reserven, sondern auf den Veräußerungsakt an (BFH v. 29.3.1984 - IV R 271/83, BStBl. II 1984, 602; v. 11.11.1993 - XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477), bei Gewinnanteilen auf die Feststellung des Gewinnanteils in der Bilanz der Gesellschaft (Niedersächsisches FG v. 28.10.2008 - 13 K 457/07, EFG 2009, 486). Wurden die Besteuerungsmerkmale erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht, stellen die Steuerschulden nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Masseverbindlichkeiten dar, allerdings nur soweit die zugrunde liegenden Erlöse der Masse zugeflossen sind. Im Übrigen sollen die Steuerschulden zum insolvenzfreien Vermögen gehören.
Dieser Einordnung folgt auch ein Teil der Literatur ( Beermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung. Kommentar, § 251 AO Rz. 435; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung. Kommentar, § 251 AO Rz. 72 [Stand: Oktober 2006]).
Folgt man dieser Rechtsprechung, so wären Steuerschulden, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund von Einkünften aus abgesondertem Vermögen realisiert werden, keine Insolvenzforderungen, sondern allenfalls Masseverbindlichkeiten. Sie wären damit nicht von der Restschuldbefreiung erfasst.
(3)
Eine Gegenauffassung in der Literatur ordnet die Einkünfte, die aus einem abgesonderten Vermögen erzielt werden, der durch das abgesonderte Vermögen gesicherten Forderung zu und qualifiziert sie dementsprechend als Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO ( Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Auflage 2005, S. 130; ders. in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Auflage 2006, § 42 Rz. 176; Kling/Schüppen/Ruh in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 2. Auflage 2008, Insolvenzsteuerecht, Rz. 61; Dißars in Schwarz, Abgabenordnung. Kommentar, § 251 AO Rz. 83 [Stand: August 2007]).
(4)
Der Senat neigt aus folgenden Gründen dazu, der in der Literatur vertretenen Gegenauffassung zu folgen, mit der Konsequenz, dass die Einkommensteuerschulden infolge der abgesonderten Befriedigung von der Restschuldbefreiung erfasst werden:
(a)
Die Gegenauffassung entspricht der insolvenzrechtlichen Zuordnung des Vermögensgegenstandes zu der durch das Absonderungsrecht gesicherten Forderung. Der belastete Vermögensgegenstand ist zwar Teil der Insolvenzmasse, steht für Masse- oder Insolvenzgläubiger aber nicht mehr als Haftungsmasse zur Verfügung, sondern ist aus der Gesamtheit der Massegegenstände "abgesondert" und dient der vorzugsweisen Befriedigung der gesicherten Forderung und der mit dieser im Zusammenhang stehenden Kosten und Zinsen ( Bäuerle in Braun, Insolvenzordnung. Kommentar, 4. Auflage 2010, § 50 InsO Rz. 2). Sowohl der Vermögensgegenstand als auch seine Verwertung beziehen sich somit sachlich auf diese Insolvenzforderung ( Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 6. Auflage 2005, S. 130). Durch die Befriedigung des Absonderungsberechtigten entfällt die Insolvenzforderung (zumindest teilweise) und wird teilweise durch die an diesen Vorgang anknüpfende Einkommensteuerforderung als Insolvenzforderung ersetzt ( Frotscher in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 3. Auflage 2006, § 42 Rz. 176).
(b)
Die Zuordnung der Steuerschulden zu den Insolvenzforderungen entspricht auch der Situation von Zinsen und Säumniszuschlägen auf Insolvenzforderungen. Diese gelten nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO ebenfalls als Insolvenzforderungen, allerdings nur soweit sie bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstehen. Zinsen, die nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens während der Treuhandphase entstehen sind Neuverbindlichkeiten und damit grundsätzlich nicht von der Restschuldbefreiung erfasst. In der insolvenzrechtlichen Literatur wird diese Folge ebenfalls als systemwidrig kritisiert, da sie die Zielsetzung der Restschuldbefreiung in Frage stellt. Es ist daher allgemeine Ansicht, dass § 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO in diesem Fall entsprechend anzuwenden ist ( Stephan in Münchener Kommentar, Insolvenzordnung, 2. Auflage 2008, § 301 InsO Rz. 13; Ahrens in Wimmer, Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 1999, § 301 InsO Rz. 6; Andres in Andres/Leithaus, Insolvenzordnung. Kommentar, 1. Auflage 2006, § 301 InsO Rz. 3; Vallender in Uhlenbruck u.a., Insolvenzordnung, § 301 Rz. 8 mit zahlreichen weiteren Nennungen).
(c)
Würde die Einkommensteuer als Folge der aus dem abgesonderten Vermögen erzielten Einkünfte nicht als Insolvenzforderung eingeordnet, führte jede abgesonderte Befriedigung zu einer Aushebelung der Restschuldbefreiung. Mit den aufgrund der abgesonderten Befriedigung entstehenden Einkommensteuern sammelten sich während der bis zur Restschuldbefreiung laufenden Wohlverhaltensphase neue Verbindlichkeiten in einem erheblichen Umfang an, ohne dass der Schuldner in der Lage wäre, diese aus den zugrund liegenden Einkünften zu begleichen. Der Zweck der Restschuldbefreiung, den Schuldner zu entschulden, um ihm einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen (vgl. Stephan in Münchener Kommentar, Insolvenzordnung, 2. Auflage 2008, § 301 InsO Rz. 13), würde dadurch völlig in Frage gestellt.
d.
Selbst wenn man aber - aufgrund der oben unter 2. b. (2) dargestellten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - zu dem Ergebnis kommt, wonach die Einkommensteuer, die aufgrund von aus dem abgesonderten Vermögen erzielten Einkünfte entsteht, nicht als Insolvenzforderung einzuordnen ist und damit nicht von der Restschuldbefreiung erfasst wird, läge vor Gewährung der Restschuldbefreiung eine sachliche Unbilligkeit auch nicht vor. Über die Gewährung der Restschuldbefreiung wird nach § 300 InsO erst nach Abschluss der Wohlverhaltensphase durch das Gericht entschieden. Bis zu diesem Zeitpunkt tritt dementsprechend auch die Wirkung der Restschuldbefreiung auf die Insolvenzforderungen nach § 301 Abs. 1 InsO noch nicht ein, d.h. die Insolvenzforderungen bleiben unberührt. Erst wenn alle Voraussetzungen für die Restschuldbefreiung erfüllt sind, käme es durch das Bestehenbleiben der Einkommensteuerschulden zu einem Widerspruch des Steuerrechts mit dem Insolvenzrecht. Erst in diesem Zeitpunkt läge eine sachliche Unbilligkeit vor, die ggf. einen Erlass der Einkommensteuerschulden rechtfertigte.
3.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.