Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 05.08.2010, Az.: 11 K 141/09

Lohnsteuerabzug für die unentgeltliche Überlassung eines Firmenwagens bei tatsächlich geringerer Nutzung des überlassenen PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte; Vornahme einer Einzelbewertung der Fahrten mit 0,002% des Listenpreises i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) je Entfernungskilometer aufgrund der tatsächlich geringeren Nutzung; Widerspruch der auf der Einnahmenseite vorgenommenen Typisierung mit der für die Ausgabenseite geltenden Pauschalierung; Erfordernis einer folgerichtigen Umsetzung bei der Ermittlung des Zuschlags nach § 8 Abs. 2 S. 3 EStG

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
05.08.2010
Aktenzeichen
11 K 141/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 36395
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2010:0805.11K141.09.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 31.01.2011 - AZ: VI B 130/10

Haftung für Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge Januar 2006 bis April 2008

In teleologischer Reduktion des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG ist jedenfalls in den Fällen, in denen die typisierende Annahme aufgrund der tatsächlich geringeren Nutzung des überlassenen PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu Lasten des Arbeitnehmers geht, eine Einzelbewertung der Fahrten mit 0,002 % des Listenpreises i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG je Entfernungskilometer vorzunehmen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids, mit dem der Beklagte die Klägerin als Arbeitgeberin nach § 42d EStG in Anspruch genommen hat.

2

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung einen Großhandel. Sie beschäftigte in den Streitjahren 2006 bis 2008 27 Arbeitnehmer. Ihren Außendienstmitarbeitern W und R stellte die Klägerin PKW zur Verfügung und erlaubte den Arbeitnehmern, diese PKW auch für private Zwecke zu nutzen.

3

W und R nutzten die PKW in den Streitjahren für private Zwecke sowie für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

4

So fuhr W ab Juni im Streitjahr 2006 an 35 Tagen, im Streitjahr 2007 an 55 Tagen und bis April des Streitjahrs 2008 an 17 Tagen von seiner Wohnung zu seiner Arbeitsstätte bei der Klägerin in A. Der Listenpreis des von ihm genutzten PKW betrug 29.800 EUR, die einfache Entfernung zwischen seiner Wohnung und Arbeitsstätte 50 km.

5

R fuhr im Streitjahr 2007 an 126 Tagen und bis April des Streitjahrs 2008 an 57 Arbeitstagen von seiner Wohnung zu seiner Arbeitsstätte bei der Klägerin in A. Der Listenpreis des von ihm genutzten PKW betrug 33.300 EUR, die einfache Entfernung zwischen seiner Wohnung und Arbeitsstätte 35 km.

6

Die Klägerin zog aus der PKW-Gestellung insoweit lohnsteuerliche Konsequenzen, als sie für die mögliche Privatnutzung der PKW jeweils 1% des Listenpreises pro Monat als Arbeitslohn versteuerte, also für W 29.800 EUR x 1%= 298 EUR und für R 33.300 EUR x 1% = 333 EUR.

7

Für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte versteuerte die Klägerin für W 41,32 EUR monatlich und für R 69,93 EUR monatlich.

8

Im Einzelnen versteuerte die Klägerin mithin geldwerte Vorteile für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wie folgt:

Jahr2006
(Juni-Dezember)
20072008
(Januar bis April)
Arbeitnehmer R699,30 EUR
(März-Dezember)
279,72 EUR
Arbeitnehmer W289,24 EUR495,84 EUR165,28 EUR
9

Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung erging der Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge vom 2. Juli 2008. Damit nahm der Beklagte die Klägerin nach § 42d EStG als Arbeitgeberin in Anspruch. Dem Prüfer folgend war der Beklagte der Auffassung, die Klägerin habe die geldwerten Vorteile aus der PKW-Überlassung an R und W unzutreffend lohnversteuert. So habe sie zwar zutreffend für die Möglichkeit der Privatnutzung der PKW jeweils 1% des Listenpreises pro Monat lohnversteuert. Die geldwerten Vorteile wegen Nutzung der PKW für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte habe die Klägerin aber mit zu geringen Werten versteuert. So seien hierfür bei W 29.800 EUR x 0,03% x 50 km = 447,00 EUR monatlich und für R 33.300 EUR x 0,03% x 35 km = 349,65 EUR monatlich anzusetzen.

10

Zur Begründung der Inanspruchnahme der Klägerin anstelle der Arbeitnehmer gab der Beklagte an, die Klägerin habe sich mit ihrer Inanspruchnahme einverstanden erklärt.

11

Die Klägerin legte Einspruch ein und meinte, die vom Beklagten für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte angesetzten Beträge seien zu hoch. Nach dem BFH-Urteil vom 4. April 2008 VI R 85/04 (BStBl II 2008, 887) sei der geldwerte Vorteil aus einer PKW-Gestellung nicht, wie der Beklagte meinte, stets mit 0,03% des Listenpreises/Monat pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anzusetzen. Bei Außendienstmitarbeitern, wie im Streitfall R und W, die an weniger als 15 Tagen pro Monat ihre regelmäßige Arbeitsstätte aufsuchten, sei vielmehr der geldwerte Vorteil nach der tatsächlichen Nutzung der Fahrzeuge für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mit 0,002% des Listenpreises pro Entfernungskilometer anzusetzen. Die geldwerten Vorteile seien danach wie folgt zu ermitteln:

Jahr2006
(Juni - Dezember)
20072008
(Januar - April)
Arbeitnehmer R
(vom Bekl angesetzt)
2.412,59 EUR 3.496,50 EUR
(März bis Dezember)
1.034,96 EUR 1.398,60 EUR
Arbeitnehmer W
(vom Bekl angesetzt)
813,54 EUR
3.129,00 EUR
1.394,64 EUR 5.364,00 EUR500,64 EUR
1.788,00 EUR
12

Der Beklagte wies den Einspruch der Klägerin durch Einspruchsbescheid vom 5. März 2009 als unbegründet zurück. Er hielt an seiner Auffassung fest, für die Fahrten der Arbeitnehmer W und R seien zusätzlich zur Anwendung der 1%-Regel weitere 0,03% des Listenpreises/Monat für jeden Kilometer der Entfernung zwischen der Wohnung und der regelmäßigen Arbeitsstätte der Arbeitnehmer anzusetzen. Das von der Klägerin zitierte BFH-Urteil wende die Finanzverwaltung nicht an (Nichtanwendungserlass des Bundesministers der Finanzen vom 23. Oktober 2008 IV C 5-S 2334/08/10010 (BStBl I 2008, 961).

13

Hiergegen richtet sich die Klage. Die Klägerin ist weiterhin der Auffassung, die Grundsätze des von ihr zitierten BFH-Urteils seien auf den Streitfall anwendbar. Hinsichtlich der Höhe der nach ihrer Meinung anzusetzenden geldwerten Vorteile verweist die Klägerin auf das Einspruchsverfahren.

14

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung des Haftungsbescheids vom 2. Juli 2008 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 5. März 2009 die Haftungsbeträge herabzusetzen und zwar die Aufhebung der Lohnsteuerabzugsbeträge für die Arbeitnehmer W und R in Höhe von 3.957,32 EUR an Lohnsteuer und in Höhe von 214,53 EUR an Solidaritätszuschlag.

15

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Er hält an seiner Auffassung fest.

Entscheidungsgründe

17

1.

Der erkennende Senat legt die Klage und den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag dahin aus, dass die auf die geldwerten Vorteile anfallende Kirchensteuer nicht Gegenstand des Verfahrens ist, da in Kirchensteuerangelegenheiten der Finanzrechtsweg in Niedersachsen nicht eröffnet ist (§ 10 Abs. 2 Kirchensteuerrahmengesetz).

18

2.

Die Klage ist teilweise begründet.

19

Der Beklagte ist dem Grunde nach zu Recht davon ausgegangen, dass die unentgeltliche Überlassung der Firmenwagen durch die Klägerin an die Arbeitnehmer R und W Arbeitslohn darstellt und damit dem Lohnsteuerabzug unterliegt.

20

Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG alle geldwerten Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Auch die unentgeltliche Überlassung eines Dienstwagens durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für dessen Privatnutzung führt zu einer Bereicherung des Arbeitnehmers und damit zum Lohnzufluss (z.B. BFH-Urteile vom 6. November 2001 VI R 62/96, BStBl II 2002, 370; vom 7. November 2006 VI R 95/04, BStBl II 2007, 269).

21

Entgegen der Annahme des Beklagten ist der geldwerte Vorteil im Streitfall jedoch nicht nach § 8 Abs. 2 Satz 2 EStG mit pauschal 0,03% des Listenpreises für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu bewerten.

22

Dem in § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG als Zuschlag vorgesehenen Ansatz von 0,03% des Listenpreises i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG für jeden Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte liegt die typisierende Annahme zugrunde, dass der Wagen monatlich an 15 Tagen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte genutzt wird (BT-Drucks 13/1686, S. 8).

23

Die wortgetreue Anwendung von § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG führt indes dazu, dass der Zuschlag für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte unabhängig von der Anzahl der tatsächlich mit dem Dienstwagen durchgeführten Fahrten zu ermitteln ist. Die auf der Einnahmenseite vorgenommene Typisierung steht damit im Widerspruch zur Grundannahme der für die Ausgabenseite geltenden Pauschalierung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F., die eine fahrtbezogene Ermittlung des Werbungskostenabzugs vorsieht (Wacker, NWB Fach 3, S. 10119, 10126) und die durch den Zuschlag korrigiert werden soll (s ausführlich hierzu BFH-Urteile vom 4. April 2008 VI R 85/04, BStBl II 2008, 887 und VI R 69/05, BStBl II 890).

24

Seinem Zweck als Korrekturposten zum pauschalen Werbungskostenabzug wird § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG jedoch nur dann gerecht, wenn die dem Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. zugrundeliegende Typisierung auch bei der Ermittlung des Zuschlags nach § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG folgerichtig umgesetzt wird.

25

Der BFH hat deshalb mit Urteil vom 4. April 2008 VI R 85/04 (BStBl II 2008, 887) entschieden, dass in teleologischer Reduktion des § 8 Abs. 2 Satz 3 EStG jedenfalls in den Fällen, in denen die typisierende Annahme aufgrund der tatsächlich geringeren Nutzung des überlassenen PKW für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu Lasten des Arbeitnehmers geht, eine Einzelbewertung der Fahrten mit 0,002% des Listenpreises i.S. des § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG je Entfernungskilometer vorzunehmen ist.

26

Der erkennende Senat schließt sich der genannten Rechtsprechung des BFH an. Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall führen die unstreitig in einem erheblich geringeren Umfang als 15 Tage pro Monat durchgeführten Fahrten der Arbeitnehmer R und W zum Sitz der Klägerin zu folgender Ermittlung der geldwerten Vorteile:

Arbeitnehmer R
Jahr2007
(März bis Dezember)
2008
(Januar bis April)
Ansatz geldwerter Vorteil Klägerin699,30 EUR279,72 EUR
Ansatz geldwerter Vorteil lt. Urteil2.910,60 EUR1.316,70 EUR
Differenz (nachzuversteuern)2.211,30 EUR1.036,98 EUR
Erhöhung lt. LSt-AP2.797,20 EUR1.118,88 EUR
Herabsetzung Urteil585,90 EUR81,90 EUR
Arbeitnehmer W
Jahr2006
(Juni-Dezember)
20072008
(Januar bis April)
Ansatz Klägerin289,24 EUR495,84 EUR165,28 EUR
AnSatz 1t. Urteil1.043,00 EUR1.639,00 EUR506,60 EUR
Differenz753,76 EUR1.143,16 EUR341,32 EUR
Erhöhung lt. LSt-AP2.839,76 EUR4.868,16 EUR1.622,72 EUR
Herabsetzung Urteil2.086,00 EUR3.725,00 EUR1.281,40 EUR
27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin beantragt die Aufhebung der Haftungsbeträge in voller Höhe, soweit sie die geldwerten Vorteile aus PKW-Nutzung der Arbeitnehmer betraf, also 13.246,72 EUR. Da die bisher angesetzten geldwerten Vorteile aber nur um 7.760,20 EUR (585,90 EUR + 81,90 EUR + 2.086 EUR + 3.725 EUR + 1.281,40 EUR = 7.760,20 EUR) herabzusetzen sind, waren der Klägerin anteilig Kosten aufzuerlegen.

28

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.