Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 17.06.2005, Az.: 5 B 437/05

Auflage; Auftaktkundgebung; Einschätzungsspielraum; Ermessen; Gegendemonstration; geringfügige Veränderung; Kundgebung; NPD; Ortsveränderung; räumliche Trennung; Versammlung; Versammlungsfreiheit; Versammlungszweck; vorläufiger Rechtsschutz

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
17.06.2005
Aktenzeichen
5 B 437/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 50691
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine geringfügige Veränderung desStandortes der Auftaktkundgebung einer Gegendemonstration ist keine Verletzung des Versammlungsrechts aus Art. 8 GG und des Versammlungsgesetzes

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe

1

I. Der Antragsteller wendet sich gegen versammlungsrechtliche Auflagen bezogen auf einen geplanten Aufzug als Gegendemonstration gegen den für den 18. Juni 2005 vorgesehenen Aufzug der NPD.

2

Der Antragsteller meldete mit Schreiben vom 2. Mai 2005, modifiziert durch Schreiben vom 31. Mai 2005, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel nebst Aufzug unter dem Motto „Kein Naziaufmarsch in Braunschweig und auch nicht anderswo“ am Sonnabend, den 18. Juni 2005, ab ca. 10.00 Uhr im Innenstadtbereich von Braunschweig an. Die Auftaktkundgebung soll nach der Anmeldung (Stand: Schreiben vom 31. Mai 2005) am Rand des J.-F.-K.-Platzes in südlicher Richtung auf der W. Straße stattfinden. Der Aufzug sollte über A.., L.platz, B.wall, K.wall zum E.platz führen, wo noch eine Abschlusskundgebung stattfinden soll.

3

Bezüglich dieser geplanten Gegendemonstrationen fand schon am 18. April 2005 ein Koordinierungsgespräch statt. Beim weiteren Koordinierungsgespräch am 24. Mai 2005 wurde den Veranstaltern der geplanten Gegendemonstrationen der Inhalt der der NPD zugesandten Auflagen-Verfügung vom 23. Mai 2005 mitgeteilt. Eine Einigung darüber, wo die Gegendemonstrationen oder eine gemeinsame Gegendemonstration stattfinden soll, kam nicht zustande. Es wurde jedoch eine Gegendemonstration auf der W. Straße im Bereich, der an den J.-F.-K.-Platz angrenzt, angesprochen. Die Vertreter der Polizei sahen in einer Kundgebung auf der W. Straße in Höhe W.berg, O.brücke, O.straße kein Problem. Beim letzten Koordinierungsgespräch am 1. Juni 2005 wurde u.a. eine nördliche Begrenzung der Auftaktkundgebung auf der gedachten Linie zwischen A.wall und der Straße „Am W.berg“ erörtert.

4

Durch Verfügung der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2005 wurden dem Antragsteller zur Durchführung des angemeldeten Aufzuges insgesamt 11 Auflagen erteilt und die sofortige Vollziehung dieser Verfügung angeordnet. In der streitigen Auflage 4 verfügt die Antragsgegnerin, dass der zur Durchführung der Auftaktkundgebung zu nutzende Bereich nördlich begrenzt wird durch die O.brücke W. Straße im Bereich von A.wall und der Straße „Am W.berg“. Bezüglich des Laufweges des Aufzuges wird unter 7.) verfügt, dass der Demonstrationszug folgenden Weg zu nehmen habe: Vom Ort der Auftaktkundgebung über A.wall, die südliche Fahrbahn des L.platz, K.-A.-Straße zum E.platz.

5

Gegen diese Verfügung hat der Antragsteller am 17. Juni 2005 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gestellt. Er wendet sich gegen die Auflage 4 und verfolgt das Ziel, dass der für die Auftaktkundgebung zu nutzende Bereich erst begrenzt wird durch die nördliche Straßenseite der Straßen A.wall und „Am W.berg“. Die Auflage 4 entspreche nicht den Absprachen in den Koordinierungsgesprächen. Bei einer Absperrung des A.walls könne nicht mit einer Nähe zur gleichzeitig stattfindenden NPD-Demo argumentiert werden, da diese auf der völlig entgegengesetzten Seite des J.-F.-K.-Platzes stattfinde. Der für die Auftaktkundgebung gesperrte A.wall werde als Zu- und Abgangsstraße gerade für Busse aus dem Umland und die Straße „Am W.berg“ für die Aufstellung der mobilen Bühne benötigt.

6

Der Antragsteller beantragt,

7

die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage gegen die Auflage Nr. 4 der Verfügung der Antragsgegnerin vom 9. Juni 2005 wiederherzustellen.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

9

den Antrag abzulehnen.

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Sie stellt klar, dass die in Auflage 4 verfügte Grenze an der nördlichen Kante der O.brücke verlaufe und die Versammlung somit auch den Platz auf der Brücke in Anspruch nehmen könne. Beim Koordinationsgespräch am 1. Juni 2005 habe Einigkeit bestanden, dass die nördliche Begrenzung der Kundgebung auf einer gedachten Linie zwischen A.wall und der Straße „Am W.berg“ liegen soll. Offen sei jedoch geblieben, wo genau die Grenze zu ziehen sei. Nach Abstimmung mit der Polizei sei die Auflage 4 formuliert worden. Die Polizei benötige den Raum des Kennedyplatzes, um eine räumliche Trennung zwischen NPD-Veranstaltung und Gegenveranstaltung zu gewährleisten. Die Polizei habe ausdrücklich zugesagt, den Zugang zur Gegenveranstaltung mit Bussen über den A.wall zu sichern. Die Auflagen Nr. 4, 7 und 8 stünden nicht in Widerspruch zueinander. Sobald sich der Marsch Richtung Europlatz auch schon vor 14.00 Uhr in Bewegung setze, werde die Polizei die Begrenzung öffnen, um den Aufzug zu ermöglichen. Auflage Nr. 4 sei nicht so zu verstehen, dass auch der Aufzug auf dem A.wall untersagt wäre. Es liege somit nur eine geringfügige räumliche Verlegung der Auftaktkundgebung um maximal ca. 50 m nach Süden vor.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen. Diese Unterlagen sind ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Entscheidung gewesen.

12

II. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig, aber begründet.

13

Bei der gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmenden Interessenabwägung überwiegt das von der Antragsgegnerin mit einer im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 3 VwGO zureichenden Begründung dargelegte öffentliche Interesse am Sofortvollzug der hier streitigen Auflage gegenüber dem Interesse des Antragstellers daran, dass seine Auftaktkundgebung nach Norden hin nur begrenzt wird durch die nördliche Straßenseite der Straßen A.wall und „Am W.berg“. Diese Auflage ist zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes  – wegen der durch Zeitablauf drohenden Hauptsacheerledigung – bereits im vorliegenden Eilverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO möglichst umfassend auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Nach Auffassung der Kammer ist die räumliche Begrenzung der Auftaktkundgebung durch die angefochtene Auflage durch das Versammlungsrecht gedeckt.

14

Es kann offen bleiben, ob die Auflage 4 den Vereinbarungen im letzten Koordinierungsgespräch nicht entspricht, ob die Auflage die dortigen Vereinbarungen nur umsetzt oder ob hier eine nachträgliche räumliche Verlegung der Auftaktkundgebung vorliegt. Denn selbst wenn Letzteres der Fall sein sollte, handelt es beim Verlagern des Kundgebungsortes um maximal 50 m nach Süden nur um eine derart geringfügige Veränderung, dass eine Verletzung des durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsrechtes des Antragstellers oder eine Verletzung des Versammlungsgesetzes nicht ersichtlich ist. Durch die geringfügige räumliche Verschiebung der Auftaktkundgebung wird der Kernbereich des Versammlungsrechts nicht berührt. Auch wird dadurch die Wirksamkeit der Gegendemonstration in keiner Weise beeinträchtigt. Es gibt auch keinen Anspruch des Antragstellers, die mobile Veranstaltungsbühne wie gewünscht auf der Straße „Am W.berg“ aufzustellen. In dem zugebilligten Bereich für die Auftaktkundgebung gibt es vielfältige und ausreichende Möglichkeiten, die Bühne zu positionieren. Aus versammlungsrechtlichen Grundsätzen ist es jedoch geboten zwischen der NPD-Veranstaltung und der von dem Antragsteller beabsichtigten Gegenveranstaltung eine hinreichende räumliche Trennung zu gewährleisten. In diesem Rahmen ist der Polizei und der Antragsgegnerin als zuständiger Versammlungsbehörde ein gewisser Einschätzungsspielraum einzuräumen, der ersichtlich nicht überschritten wurde.

15

Wie schon bei genauer Interpretation der Vorgaben durch die Auflage 4 und der sonstigen Auflagen erkennbar und nunmehr durch die Antragserwiderung der Antragsgegnerin ausdrücklich klargestellt, wird durch die Verfügung vom 9. Juni 2005 die Durchführung der Gegenveranstaltung des Antragstellers bis auf die geringfügige räumliche Verlagerung des Ortes der Auftaktkundgebung in keiner Weise tangiert. So ist der Zugang (auch mit Bussen) zu dieser Gegenveranstaltung gesichert und auch der Durchführung des geplanten Aufzuges stehen keine Hindernisse entgegen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 3, 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer geht vorliegen von einem Streitwert in Höhe der Hälfte des so genannten Auffangwertes von 5.000,00 € aus, weil die angefochtene Auflage nur eine geringfügige räumliche Verlagerung der Auftaktkundgebung betrifft. In Verfahren gegen versammlungsrechtliche Auflagen ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes wegen der weitgehenden Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung kein im Vergleich zum Hauptsacheverfahren reduzierter Streitwert anzunehmen.