Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 29.08.1995, Az.: 5 U 51/95
Verletzung eines Rechtsanwaltsvertrages; Unzureichende Aufklärung über die zu erwartende mögliche Versicherungssumme aus einer Unfallversicherung; Vertragliche Festlegung von Invaliditätswerten für den Verlust von Gliedern und Organen; Berechnung der Entschädigung einer unfallbedingten Invalidität; Fehlerhafter Abschluss eines Vergleiches
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 29.08.1995
- Aktenzeichen
- 5 U 51/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 29086
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1995:0829.5U51.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 AUB
- § 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB
Amtlicher Leitsatz
Verletzung des Rechtsanwaltsvertrages bei unzureichender Aufklärung über die zu erwartende mögliche Versicherungssumme aus einer Unfallversicherung.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von dem beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz mit der Behauptung, der Beklagte habe sie falsch beraten und ohne ihr Wissen einen für sie ungünstigen Vergleich abgeschlossen.
Der am 01.05.1991 verstorbene Ehemann der Klägerin hatte den Beklagten beauftragt, Ansprüche aus zwei Unfallversicherungsverträgen gegen die S.-Unfallversicherung a.G. (im Folgenden S. genannt) und die V. Sachversicherung a.G (im Folgenden V. genannt) geltend zu machen. Er war auf einer Treppe im Hause seines Schwagers am 11.05.1985 gestürzt und verlangte von beiden Versicherungen für die nach seiner Ansicht eingetretenen Unfallfolgen Versicherungsleistungen.
Mit der S. bestand ein Unfallversicherungsvertrag, der neben Krankenhaustagegeld, Krankentagegeld und Genesungsgeld eine Versicherungssumme vom 373.000,-- DM bei Invalidität umfasste. Ferner war eine progressive Invaliditätstaxe bis zum Höchstbetrag von 1.230.900,-- DM vereinbart.
...
Der Vertrag mit der V. umfasste neben Tagegeld bei Invalidität die Versicherungssumme von 200.000,-- DM. ...
Nach dem Tod des Ehemannes der Klägerin schloss der Beklagte am 09.09.1991 im Namen der Klägerin, die ihren Ehemann allein beerbt hat, in beiden Rechtsstreiten einen Vergleich. Nach diesen Vergleichen hatte die S. 135.000,-- DM nebst Zinsen und die V. 44.000,-- DM nebst Zinsen an die Klägerin zu zahlen. ...
Die Klägerin hat zunächst einen Teilbetrag des ihr entstandenen Schadens in Höhe von 61.000,-- DM nebst Zinsen geltend gemacht, dann die Klageforderung auf 861.820,-- DM nebst Zinsen erhöht und schließlich Zahlung von 1.251.900,-- DM nebst Zinsen verlangt.
...
Das Landgericht hat nach Beweiserhebung mit dem am 20.02.1995 verkündeten Urteil der Klage stattgeben, weil der Beklagte bei den Vergleichsabschlüssen vom 09.09.1991 durch Schlechtberatung seine anwaltsvertraglichen Pflichten verletzt habe. Er habe die Klägerin nicht ausreichend über die Möglichkeiten der Inanspruchnahme der Versicherer belehrt.
...
Entscheidungsgründe
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
Der Beklagte haftet der Klägerin auf Grund des zwischen den Parteien bestehenden Anwaltsvertrags aus Beratungsverschulden auf Schadensersatz, und zwar unabhängig davon, ob die Klägerin am 02.09.1991 in einem Telefongespräch dem beabsichtigten Vergleichsabschluss zugestimmt hat.
Das Landgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Beklagte die Klägerin über die sich nach den Urteilen des Oberlandesgerichts vom 08.11.1989 ergebende maßgebliche Sach- und Rechtslage unzureichend aufgeklärt hat.
Das Oberlandesgericht hat beide Klagen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und ferner darauf hingewiesen, dass dem Kläger Gelegenheit gegeben sei, weiter vorzutragen, in welchem Umfang die Funktionen seiner Glieder beeinträchtigt sei, da ggfs. teilweise der Invaliditätsgrad nach der Gliedertaxe (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 AUB) festgelegt sei. Auf Grund der Urteile des Oberlandesgerichts stand fest, dass ein Unfall vorlag, durch den der Ehemann durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erlitten hatte (§ 2 Abs. 1 AUB), und die Versicherer gemäß § 1 AUB Versicherungsschutz gegen die Folgen des Unfalls entsprechend den versicherten Leistungen zu gewähren hatten. Die Invaliditätsentschädigung, die der Ehemann der Klägerin verlangen konnte, war danach gemäß § 8 Abs. 2 AUB zu berechnen, wobei hinsichtlich der S. besonders zu berücksichtigen war, dass insoweit eine progressive Invaliditätsstaffel vereinbart war, bei der abhängig von der Höhe der Invalidität die Gesamtleistung in Prozent der Versicherungssumme progressiv stieg.
Bemessungsgrundlage für die Invalidität des Ehemannes der Klägerin war danach zunächst gemäß § 8 Abs. 2 Ziffer 1 AUB der Grad der dauernden Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit. Diese Beeinträchtigungen - allein auf neurologischem Gebiet - hatte der von der S. beauftragte Sachverständige in seinem Gutachten vom 20.02.1986 mit 60 % angenommen. Da auf Grund der dem Beklagten vorliegenden Gutachten des Prof. Dr. B. (20.02.1986) und Prof. Dr. R. (22.03.1987) feststand und dem Beklagten unstreitig auch auf Grund jedenfalls einer persönlichen Begegnung mit dem Ehemann der Klägerin bekannt war, dass auf Grund des Unfalls jedenfalls die Gebrauchsfähigkeit beider Beine beeinträchtigt war, musste er zur Berechnung der Höhe der Entschädigung die Klägerin auf die Rechtsfolgen der Regelung in § 8 Abs. 2 Ziffer 2 AUB hinweisen.
Nach § 8 Abs. 2 Ziffer 2 sind für den Verlust der dort genannten Glieder und Organe feste Invaliditätswerte vertraglich festgelegt (so genannte Gliedertaxe), ohne dass es darauf ankommt, ob durch den Verlust die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist. Gemäß Ziffer 3 des § 8 Abs. 2 bemisst sich bei Gebrauchsunfähigkeit der in S. 2 aufgeführten Glieder und Organe bei vollständiger Gebrauchsunfähigkeit nach dem für den Verlust geltenden Satz, bei teilweiser Gebrauchsunfähigkeit wird der entsprechende Teil des Satzes nach Ziffer 2 angenommen.
Gemäß § 8 Abs. 2 Ziffer 4 werden bei Gebrauchsunfähigkeit von mehreren Körperteilen, die sich nach Ziffer 2 und 3 ergebenden Prozentsätze zusammengerechnet, jedoch wird eine höhere Invalidität im Rahmen dieser Berechnung als 100 % nicht angenommen.
Dem Hinweis des Oberlandesgerichts in den Grundurteilen konnte der Beklagte entnehmen, dass seine Invaliditätsberechnung möglicherweise nicht richtig war. Das lag allein schon daran, dass die Vorgutachter die Invaliditätsgrade erkennbar nicht nach § 8 Abs. 2 Ziffer 2 AUB, sondern nach § 8 Abs. 2 Ziffer 1 AUB bemessen und in einer Gesamtbetrachtung nur auf die dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit abgestellt hatten. Aus den Gutachten ergab sich aber, dass infolge des Unfalls die Beine des Ehemannes der Klägerin jedenfalls teilweise gelähmt waren, sodass für die Beeinträchtigung der Beine nach § 8 Abs. 2 Ziffer 2 b i.V.m. § 8 Abs. 2 Ziffer 3 abzurechnen war.
Danach kam es für die Berechnung der Invaliditätsentschädigung gegenüber beiden Versicherern darauf an, inwieweit die Gebrauchsfähigkeit der Beine bedingt durch den Unfall beeinträchtigt war.
Da die vollständige Gebrauchsunfähigkeit beider Beine bereits einen Satz von 140 % gemäß § 8 Abs. 2 Ziffer 2 i.V.m. § 8 Abs. 2 Ziffer 4 AUB ergab (mit der Höchstbeschränkung von 100 %), mussten sich für ihn nachfolgende Invaliditätswerte ergeben: Bei 50 % Gebrauchsunfähigkeit···············70 %, bei 60 % Gebrauchsunfähigkeit···············84 %, bei 70 % Gebrauchsunfähigkeit···············98 %, bei 80 % Gebrauchsunfähigkeit··············118 % (beschränkt auf ··················································100 %).
Hinzu kam, dass hinsichtlich des Versicherungsvertrages mit der S. eine Progressionsstaffel vereinbart war, die letztlich bei 100 % Invalidität eine Erhöhung der Versicherungssumme auf 330 % vorsah, sodass schon geringfügige Prozentänderungen hinsichtlich der Invalidität zu erheblich höheren Leistungen führen konnten.
Um die Erfolgsaussichten der Klage zuverlässig der Höhe nach beurteilen und damit die Klägerin richtig beraten zu können, musste der Beklagte der Klägerin diese Rechtsfolge verständlich darlegen und darauf drängen, dass durch Anfrage bei einem Sachverständigen oder durch Erstattung eines neuen Gutachtens zumindest vorab geklärt wurde, in welchem Umfang Neurologen oder Orthopäden die Gebrauchsfähigkeit der Beine nach dem vorliegenden Gutachten als beeinträchtigt ansahen. Dazu bestand besondere Veranlassung, weil der Ehemann der Klägerin nach dem den Beklagten vorliegenden Gutachten auf die Hilfe eines Rollstuhls angewiesen war und nach den vorliegenden Gutachten seine Beine nur in beschränktem Maße gebrauchen konnte. Jedenfalls hätte er sich von der Klägerin schildern lassen müssen, welche tatsächlichen Behinderungen hinsichtlich der Beine bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin vorgelegen hatten. Da der Ehemann der Klägerin bereits von zwei Sachverständigen untersucht worden war, lag es auch nahe, dass diese entsprechende Auskünfte erteilen konnten. Ohne diese Vorprüfung war eine sachliche Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsstreite nicht möglich.
Dies alles ergab sich bereits aus der Berücksichtigung der Schädigung der Beine. Wie das Gutachten Prof. Dr. R. vom 06.02.1989 ergibt, ist der Ehemann der Klägerin durch den Unfall noch in weiterem Umfang geschädigt worden. Die durch den Unfall bedingte Tetraparese hat dazu geführt, dass die Kontrolle über Harn, Blase und Darm nicht mehr Gewähr leistet war und er zuhause Windelhosen trug. Insoweit bestand eine weitere, nach § 8 Abs. 2 Ziffer 1 AUB zu bemessende Invalidität, die jedenfalls zur Erhöhung der unfallbedingten Invalidität führen musste. Auch insoweit musste er der Klägerin die Einholung eines Sachverständigengutachtens anraten.
Er musste jedenfalls erkennen, dass hier zu Gunsten der Klägerin eine erhebliche Reserve bei der Berechnung der unfallbedingten Invalidität zur Verfügung stand.
Der Beklagte hat aber nicht angeraten, eine gutachterliche Stellungnahme einzuholen, wie sie die Klägerin zur Vorbereitung dieses Verfahrens sofort von Prof. Dr. R. erhalten hat. Er hat sich vielmehr an den Rechtsanwalt zweiter Instanz gewandt und von diesem ein rechtliches Gutachten erbeten. Aber auch aus diesem Gutachten (Seite 3) musste er erkennen, dass eine wesentlich höhere Invaliditätsentschädigung als von ihm bisher angenommen in Betracht kam. Angesichts der schwierigen Rechtssituation durfte er sich nicht damit begnügen, das Schreiben des Anwalts zweiter Instanz an die Klägerin weiterzuleiten. Er hatte vielmehr darauf hinzuweisen, unter welchen Voraussetzungen eine Erhöhung in Betracht kam und welche Maßnahmen zu ergreifen waren. Dies umso mehr, als die Klägerin mit ihrem Einschreiben vom 30.08.1991 zu erkennen gegeben hatte, dass sie bereit war, (trotz unrichtiger Belehrung) den Rechtsstreit auch weiter zu führen, wenn die Versicherer nicht bestimmte Mindestsummen in dem Vergleich zahlten.
Der Beklagte hätte sich ferner mit dem Mitwirkungseinwand von Vorschäden gemäß § 10 Abs. 1 AUB befassen müssen, nämlich damit, ob die Unfallfolgen unabhängig vom Unfall selbst durch die Vorschädigung des Ehemannes der Klägerin mitbedingt waren. Gemäß § 10 Abs. 1 AUB kommt eine Kürzung der Invaliditätssumme nur in Betracht, wenn der Anteil der Krankheiten oder Gebrechen an den Unfallfolgen mindestens 25 % betrug. Insoweit hatte schon Rechtsanwalt Einfeld in seinem an den Beklagten gerichteten Schreiben darauf hingewiesen, dass der Schiefhals für die Unfallfolgen nicht mitursächlich gewesen sei und nicht zu den Unfallfolgen mit beigetragen habe. In Betracht kam danach nur der konstitutionell eng angelegte Rückenmarkskanal, eine unfallunabhängige degenerative Wirbelsäulenveränderung. Nach dem weiteren Gutachten von Prof. Dr. R. vom 06.02.1989 sprach einiges gegen eine prozesshafte Erkrankung, die bei den Unfallfolgen mitgewirkt haben könnte.
Prof. Dr. B. hatte den Anteil der degenerativen Veränderung an den Unfallfolgen mit 10 % und den Anteil des Sturzes auf 90 % geschätzt. Nach dem Ergebnis der Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. R. vor dem Landgericht kam nach dessen Ausführungen eine Verteilung von 50 zu 50 in Betracht. Der Beklagte musste davon ausgehen, dass die Vorschäden allenfalls zu 10 bis 50 % zu den Unfallfolgen beigetragen hatten, wobei eine Berücksichtigung gemäß § 10 Abs. 1 AUB nur in Betracht kam, wenn die Beklagte bewies, dass die Vorschäden die Unfallfolgen zu mehr als 25 % bedingt hatten.
Dies alles musste der Beklagte der Klägerin verständlich auseinander setzen. Er hätte ihr anraten müssen, ggfs. ein Gutachten einzuholen, bevor er die Vergleichsverhandlungen mit dem erkennbar geringen Betrag weiter führte. Das die Klägerin dies dem Schreiben des Rechtsanwalts E., dass an den Beklagten als Juristen gerichtet war, entnehmen konnte, ergibt sich für den Senat nicht.
Schließlich musste sich der Beklagte noch mit der möglichen Einschränkung der Leistungspflichten nach § 10 Abs. 4 AUB auseinander setzen und die Klägerin entsprechend beraten.
Dazu gehörte zunächst, dass er sich über die Vorinvalidität des Ehemannes der Klägerin informierte, also die Akten des Versorgungsamtes beizog oder einsah, um die Risiken, dass die Vorinvalidität zu einer Herabsetzung der entsprechenden Invalidität führte, beurteilen zu können. Dabei hatte er insbesondere zu prüfen, ob sich aus dieser Akte ergab, dass die durch den Unfall bedingte teilweise Gebrauchsunfähigkeit der Beine schon vor dem Unfall teilweise vorgelegen hatte. Nur wenn das der Fall war - und das war durch einfaches Befragen und Akteneinsicht zu klären - kam eine Einschränkung der Leistungspflicht des Versicherers in Betracht.
Das alles hat der Beklagte nicht getan.
Er durfte sich den vorgenannten Prüfungen nicht entziehen und insbesondere nicht durch die behauptete ausdrückliche Empfehlung des Gerichts zum Vergleichsabschluss unterlassen, die Klägerin entsprechend zu beraten (vgl. OLG Stuttgart VersR 84, 450, 451; Vollkommer, Anwaltshaftungsrecht, Rz. 175). Zwar sind Prognosen über den Ausgang eines Rechtsstreits selten eindeutig und es muss deshalb dem Anwalt bei sorgfältiger Interessenabwägung ein gewisser Spielraum bleiben, der ihn bei einzelnen, sich nachträglich für den Mandanten als ungünstig erweisenden Regelungen des Vergleichs vor Regressansprüchen schützt (BGH VersR 1968, 450, 451).
Vorliegend fehlt es aber schon an einer zutreffenden rechtlichen Beurteilung hinsichtlich der Anwendung der Gliedertaxe, die Voraussetzung für eine sorgfältige Interessenabwägung im Sinne der Klägerin gewesen wäre. Er ist seiner Beratungspflicht nicht nachgekommen. Dass das Gutachten des Rechtsanwalts E. rechnerisch unrichtig war, führt nicht zu seiner Entlastung. Gerade dieses Gutachten musste ihm vor Augen führen, dass es in erster Linie darauf ankam festzustellen, von welcher Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Beine auszugehen war. Dazu hätte er sich mindestens von der Klägerin die Beeinträchtigung im Einzelnen nochmals schildern lassen müssen und ggfs. einen Neurologen oder Orthopäden befragen müssen. Mit der Übersendung des an ihn als Juristen gerichteten Gutachten kam er jedenfalls seiner Beratungspflicht gegenüber der Klägerin nicht dar. Das Landgericht hat insoweit zutreffend festgestellt, dass dieses Gutachten nicht geeignet war, von einem juristischen Laien wie der Klägerin hinreichend verstanden zu werden, auch bei Berücksichtigung einer bei ihr anzunehmenden kaufmännischen Erfahrung. Es hätte demgemäß einer eingehenden Umsetzung und Verdeutlichung gegenüber der Klägerin durch den Beklagten bedurft.
Wie das Landgericht ist auch der Senat davon überzeugt, dass bei pflichtgemäßer Beratung durch den Beklagten ein Vergleich, wie ihn der Beklagte schließlich abgeschlossen hat, nicht zu Stande gekommen wäre. Die Klägerin hätte vielmehr bei richtiger Beratung den Prozess in Höhe der ihr zustehenden Ansprüche gegen die Versicherung fortgeführt. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die ausführlichen Gründe des landgerichtlichen Urteils auf Seite 9 und 10 oben.
Damit ergibt sich bei ausschließlicher Betrachtung aus der Situation, in der sich der Beklagte vor Vergleichsabschluss im August und Anfang September 1991 befand, dass er die Klägerin falsch beraten hat und ihr keinesfalls zum Vergleichsabschluss ohne Berücksichtigung der oben genannten Faktoren raten durfte.
Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts zur unfallbedingten Invalidität des Ehemannes der Klägerin hat der Beklagte in der Berufungsinstanz ebenso wenig in Abrede genommen, wie die Höhe der zu zahlenden Entschädigung. Dieser Entschädigungsanspruch ist der Klägerin durch den Vergleichsabschluss weit gehend entgangen.
Dafür, dass die Klägerin diesen Anspruch nicht oder nicht in dieser Höhe geltend gemacht hätte, ergibt sich aus dem Vorbringen des Beklagten nicht.
II.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Beklagten vom 04.08.1995 gibt keine Veranlassung, die ordnungsgemäß geschlossene Verhandlung wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO). Das gilt sowohl für das Vorbringen des Beklagten, infolge der Ausschlusswirkung des § 12 Abs. 3 VVG sei der Anspruch der Klägerin begrenzt gewesen als auch für seine Behauptung, er habe den Ehemann der Klägerin mit Schreiben vom 09.06.1986 richtig beraten.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist das Gericht zur Wiedereröffnung einer bereits geschlossenen Verhandlung nur verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen ergibt, dass die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte (BGHZ 53, 245 [262] = NJW 1970, 946 = LM Allgemeines ZPO Nr. 5 a m.w.Nachw.;BGH, LM § 823 [Dc] BGB Nr. 94 = VersR 1974, 1127 [unter II 1]; BGH, NJW 1986, 1967 [BGH 17.02.1970 - III ZR 139/67][OVG Niedersachsen 04.10.1984 - 6 A 11/83] = LM § 894 BGB Nr. 10 = WM 1986, 678 [unter II 2]. Darüber hinaus wird eine Pflicht zur Wiedereröffnung angenommen, wenn durch Versäumnisse oder Ungeschicklichkeiten des Gerichts oder durch andere Umstände im Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eine vollständige und sachgerechte Erklärung der Parteien unterblieb (Stein-Jonas, ZPO, 20 Aufl., § 156 Rdnr. 4; Baumbach