Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 30.08.1995, Az.: 2 U 107/95

Versicherungsort; Hausratversicherung; Einliegerwohnung; Hauseingangstür

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
30.08.1995
Aktenzeichen
2 U 107/95
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 16541
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1995:0830.2U107.95.0A

Fundstelle

  • VersR 1996, 1273-1274 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Bei räumlich nicht eindeutig getrennten, teilweise ineinander übergehenden Nutzungsbereichen ist Versicherungsort im Sinne der Hausratversicherung über die vom VN genutzte Einliegerwohnung sowie die zentrale Hauseingangstür und einen gemeinsam genutzten Flur hinaus jedenfalls nicht der allein von einem anderen Hausbewohner genutzte Wohnbereich.

Gründe

1

Gemäß § 10 Nr. 3 VHB 84 besteht ein Anspruch auf Versicherungsleistungen bei einem Einbruchdiebstahl nur dann, wenn der Einbruch innerhalb des Versicherungsortes erfolgt ist. Diese Anspruchsvoraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Versicherungsort ist gemäß § 10 Nr. 2 VHB 84 die im Versicherungsvertrag bezeichnete Wohnung des Versicherungsnehmers. Der Begriff der Wohnung wird in den Versicherungsbedingungen nicht erläutert. Er ist deshalb nach allgemeinem Sprachgebrauch zu bestimmen. Unter Wohnung versteht man einen eingegrenzten räumlichen Bereich, der einer oder mehreren Personen als Unterkunft und zur Führung des Haushalts zu dienen bestimmt ist; zur Wohnung sind hiernach nur solche Räumlichkeiten zu rechnen, die in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht dem ausschließlichen Nutzungsrecht des Versicherungsnehmers und mit ihm zusammenlebender Personen unterliegen (z.B. OLG Karlsruhe, r+s 1993, 110, Martin, Sachversicherungsrecht, 3. Aufl., G II Rn. 1 ff.).

2

Bei der Wohnung des Klägers handelt es sich um eine sogenannte Einliegerwohnung mit einer Größe von etwa 62 qm. Die vom Kläger bewohnten Räumlichkeiten befinden sich in der ersten Etage, d.h. im Dachgeschoß des Hauses M.-Straße 63. Die Räume sind nur über eine offene Treppe aus dem Erdgeschoß zu erreichen. Eine eigene, verschließbare Eingangstür ist nicht vorhanden. Die Treppe im Erdgeschoß befindet sich in einem Flur, von dem aus auch die dort gelegene Wohnung des Eigentümers zugänglich ist. Der Flur im Erdgeschoß läßt sich nur durch eine gemeinschaftlich vom Kläger und vom Hauseigentümer genutzte Hauseingangstür betreten. Danach befindet sich die Wohnung des Klägers im Dachgeschoß; denn nur die dortigen Räume unterliegen seinem ausschließlichen Nutzungsrecht. Allenfalls kann in einem derartigen Fall erwogen werden, neben den Räumen der sogenannten Einliegerwohnung selbst auch die zentrale Hauseingangstür und den Flur im Erdgeschoß als Bestandteil der Wohnung des Versicherungsnehmers anzusehen (Martin, G II Rn. 5 und 13; vgl. auch OLG Düsseldorf, VersR 1986, 561 zur Frage, ob der Flur hinter der Hauseingangstür zur Wohnung im Erdgeschoß gehört).

3

Selbst wenn man dies annehmen würde, läge hier lediglich ein Einbruch, d.h. ein gewaltsames Eindringen, in die Wohnung des Hauseigentümers und nicht die des Klägers vor; denn das Fenster, durch welches der oder die Täter ins Haus gelangt sind, befindet sich nicht im Flur der Erdgeschoßwohnung, sondern in einem anderen Raum im Erdgeschoß, nämlich in einem Zimmer des Hauseigentümers, von wo aus man erst in den gemeinschaftlich genutzten Flur gelangen kann.

4

Entgegen der Auffassung des Klägers ist hier auch nicht etwa über seine Wohnung im Dachgeschoß hinaus das gesamte Haus, einschließlich der Wohnung des Hauseigentümers, versichert. Dies läßt sich nicht aus dem Nachtrag Nr. 10 zum Versicherungsschein vom 28.12.1992 entnehmen. Zwar heißt es darin: "Versicherungsgrundstück: M.-Straße 63, O.". Dabei handelt es sich jedoch ersichtlich lediglich um die Anschrift des Klägers, denn in dem genannten Nachtrag heißt es vor der Angabe des Versicherungsgrundstücks: "Dynamische Hausratsversicherung zum Neuwert ... für eine ständig bewohnte Wohnung mit einer Wohnfläche von 62 qm". Damit wird zweifelsfrei auf die vom Kläger im Dachgeschoß bewohnte Wohnung Bezug genommen. Dies folgt schon aus der zutreffenden Angabe der Größe der Wohnung im Dachgeschoß. Unter diesen Umständen ergibt sich aus dem Versicherungsschein auch aus der Sicht des Klägers vernünftigerweise kein Anhaltspunkt für die Annahme, durch seine Hausratversicherung sei das gesamte Haus, einschließlich der Wohnung des Hauseigentümers, versichert.

5

Für die Auffassung des Klägers, auch die Räume des Hauseigentümers im Erdgeschoß zählten zu seiner Wohnung, läßt sich auch nichts aus dem von der Berufung genannten Zitat (Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., § 10 VHB 84 Anm. 2) entnehmen. Dort heißt es zwar: "Versicherungsort ist die Wohnung ... . Dabei kommt es nicht auf die dort angebene Grundfläche an, sondern auf das Grundstück (Nr. 2 S. 2).". Damit soll aber nicht etwa zum Ausdruck gebracht werden, daß sämtliche Wohnungen in einem Hause Versicherungsort sind. Vielmehr wird in der genannten Kommentierung (a.a.O., § 10 VHB 84 Anm. 1) ausdrücklich klargestellt, daß ein Versicherungsfall nicht vorliegt, wenn in eine fremde Wohnung eingebrochen wird, falls der Täter von dort aus ohne Einbruch in die versicherten Räume gelangt. Mit dem von der Berufung genannten Zitat ist lediglich gemeint, daß bei einem versicherten Hausgrundstück unabhängig von der Grundfläche auch Räume in Nebengebäuden auf demselben Grundstück mitversichert sind, wenn sie denn dem alleinigen Nutzungsrecht des Versicherungsnehmers unterliegen.

6

Zu Unrecht stützt sich das Landgericht für seine Auffassung, es liege ein Einbruchdiebstahl in die Wohnung des Klägers vor, auf eine Entscheidung des Landgerichts Köln (VersR 1984, 27). In dem genannten Urteil wird die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Frage, ob die Einbruchvoraussetzungen innerhalb des Versicherungsortes erfüllt sind, nicht behandelt. Vielmehr wird lediglich der Begriff der Wohnung erörtert.

7

Es liegt auch kein Diebstahl durch Einschleichen gemäß § 5 Nr. 1 c VHB 84 vor. Ein Einschleichen im Sinn der Versicherungsbedingungen erfordert, daß der betreffende Raum, in den sich der oder die Täter eingeschlichen haben, verschlossen gewesen ist. Versichert sind insoweit also nur die Fälle, in denen der Dieb den Verschluß unter einem Vorwand überwindet oder in denen das Gebäude nach Eintritt des Täters, aber noch vor Wegnahme der Sache, verschlossen wird (Martin, D VIII Rn. 19). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

8

Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf Entschädigung aus der gewohnheitsrechtlich anerkannten Vertrauenshaftung des Versicherers oder aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß wegen unterlassener Beratung durch den Versicherungsvertreter. Zwar kommt eine Haftung des Versicherers in einem Fall wie dem vorliegenden dann in Betracht, falls der Versicherer oder sein Agent die Wohnverhältnisse bei Antragstellung gekannt und nicht zu einer Sondervereinbarung geraten oder das Problem nicht wenigstens zur Sprache gebracht hat (Martin, G IV Rn. 13). Hier fehlt es jedoch bereits an der erforderlichen Kenntnis bei Antragstellung auf seiten der Beklagten. Die Auffassung des Klägers, die Beklagte hätte die Pflicht gehabt, vor Abschluß der Versicherung auch ohne besonderen Anlaß Feststellungen über die Örtlichkeiten zu treffen und den Kläger sodann auf den eingeschränkten Versicherungsschutz hinweisen oder eine Sondervereinbarung anbieten müssen, trifft nicht zu. Aus dem Rechtsgedanken von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB läßt sich eine Pflicht des Versicherers zur Überprüfung der Örtlichkeiten auf atypische Risiken nicht herleiten (BGH, VersR 1956, 789, 791; OLG Köln, r+s 1986, 44; Prölss/Martin, § 43 Anm. 7 A c). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn besondere Hinweise für den Versicherer oder seinen Agenten bestehen, die die Vermutung auf das Vorhandensein eines atypischen Risikos begründen. Daß hier für die Beklagte derartige Hinweise auf die Verhältnisse der Wohnung des Klägers bestanden haben, wird nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.