Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.06.2007, Az.: 2 LA 416/07
Schutzbereich der asylrechtlichen und abschiebungsschutzrelevanten Religionsfreiheit; Begriff der "Verfolgungshandlung"; Grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.06.2007
- Aktenzeichen
- 2 LA 416/07
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 35234
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2007:0607.2LA416.07.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Osnabrück - 05.03.2007 - AZ: 5 A 14/07
Rechtsgrundlagen
- § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG
- Art. 10 Abs. 1 S. 1b Richtlinie 2004/83/EG
- Art. 103 Abs. 1 GG
Amtlicher Leitsatz
Auch unter Berücksichtigung von Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie kann nicht von einer mittelbaren Gruppenverfolgung von Yeziden aus Syrien ausgegangen werden.
Gründe
Der Antrag der minderjährigen, am 17. September 2006 in Deutschland geborenen Klägerin, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 5. März 2007 zuzulassen, mit dem es die Klage der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte und auf die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG und § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG abgewiesen hat, bleibt ohne Erfolg. Denn die von der Klägerin allein geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG (dazu 1.) und der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG i. V. m. § 138 Nr. 3 VwGO (dazu 2.) greifen nicht durch.
1.
Die Klägerin kann die Zulassung der Berufung nicht unter Hinweis auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verlangen.
Eine Rechtssache hat i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine tatsächliche oder rechtliche Frage von allgemeiner fallübergreifender Bedeutung aufwirft, die im Berufungsrechtszug entscheidungserheblich ist und im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Die von der Klägerin zur Prüfung gestellte Frage, ob nunmehr bei Zugrundelegung der Regelung des Art. 10 Abs. 1 Satz 1 b der Richtlinie 2004/83/EG vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) von einer Verfolgung der Yeziden in ihren Hauptsiedlungsgebieten in Syrien auszugehen sei, erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Diese Frage kann bereits auf der Grundlage der nach der Qualifikationsrichtlinie geltenden Rechtslage und der bisherigen Rechtsprechung beantwortet werden, ohne dass es der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. Im vorliegenden Fall führt die Berücksichtigung der Qualifikationsrichtlinie zu keinem anderen Ergebnis als die bisherige Rechtslage.
Im Ansatz ist der Klägerin zwar zuzugeben, dass der Schutzbereich der asyl- und abschiebungsschutzrelevanten Religionsfreiheit durch Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie, in der Regel von dem privaten auf den öffentlichen Bereich erweitert wird. Nach dieser Vorschrift umfasst der Begriff der Religion u. a. auch die Teilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder der Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind. Der so umschriebene Schutzbereich ist damit auf religiöse Riten gerade auch im öffentlichen Bereich erweitert worden, die der Glaubensüberzeugung der betreffenden Religion entsprechen. Aber dieser letztere Umstand begrenzt zum einen den Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Bei der Auslegung des Art. 10 Abs. 1 Satz 1b der Qualifikationsrichtlinie ist zum anderen ihr Art. 9 Abs. 1 a in den Blick zu nehmen. Hiernach ist Verfolgungshandlung nur eine "schwerwiegende Verletzung" von Menschenrechten. Mithin setzt im Rahmen der Religionsfreiheit eine Verletzung der Qualifikationsrichtlinie voraus, dass ein schwerwiegender religiöser Konflikt entsteht (so auch OVG Saarlouis, Beschl. v. 26.3.2007 - 3 A 30/07 -, juris).
Nach diesen Grundsätzen wirft die von der Klägerin aufgeworfene Frage keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf auf, der eines Berufungsverfahrens bedarf. Denn bei der gebotenen generellen Betrachtungsweise ist die Glaubensüberzeugung der Yeziden zu beachten, wonach ihre religiösen Rituale nicht vor den Augen Ungläubiger praktiziert werden dürfen (OVG Saarlouis, Beschl. v. 26.3.2007 - 3 A 30/07 -, a. a. O. m. w. N.). Mithin handelt es sich bei der yezidischen Religion von ihrem Wesen her um eine Art "Geheimreligion" (vgl. hierzu Nds. OVG, Urt. v. 25.2.1993 - 11 OVG A 14/83 -. S. 18 UA m. w. N.; Ilhan Kizilhan, Die Yeziden, Frankfurt 1997, S. 119). So sollen Yeziden bei Sonnenaufgang und -untergang an einem Platz beten, an dem sich keine Moslems, Christen und Juden befinden, und sie sollen zuhause fasten (Kizilhan, a. a. O., S. 48). Damit einher geht der Umstand, dass der yezidischen Religion das Bekehren Andersgläubiger und das damit einhergehende öffentliche Missionieren für ihre Religion fremd ist, da die Zugehörigkeit zu ihrer Religionsgemeinschaft allein von Geburt an begründet werden kann, eine Konversion zum yezidischen Glauben mithin nicht möglich ist. Ein schwerwiegender Konflikt im beschriebenen Sinn ist damit von vornherein auszuschließen. Für ihre pauschal aufgestellte Behauptung, dass die Yeziden in einer gesellschaftlichen Umgebung ohne Verfolgungsdruck ihren Glauben auch öffentlich bemerkbar leben würden, hat die Klägerin keine nachvollziehbaren Gründe dargelegt.
Die weitere von der Klägerin als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, "inwieweit die Yeziden durch die moslemische Mehrheitsbevölkerung daran gehindert werden, ihre Religionszugehörigkeit öffentlich zu leben und darin eine religiöse Verfolgung zu sehen ist", stellt sich daher in dem formulierten Sinn nicht.
2.
Der von der Klägerin gerügte Verfahrensmangel in Form der Verletzung des rechtlichen Gehörs i. S. d. §§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG, 138 Nr. 3 VwGO ist nicht gegeben.
Die Klägerin wendet ein, das Verwaltungsgericht habe ihren Vortrag zur Frage der Auslegung des Begriffs der mittelbaren Gruppenverfolgung unter Berücksichtigung von Art. 10 Abs. 1 b der Qualifikationsrichtlinie und damit in wesentlichem Umfang nicht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen eingestellt. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, Ausführungen der Prozessbevollmächtigten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu stellen, nicht, ihnen in der Sache zu folgen. Diesem Erfordernis genügt das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts im Ergebnis. Das Verwaltungsgericht hat am Ende des Tatbestandes wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge verwiesen. In den Entscheidungsgründen hat es zudem "im Übrigen" auf die zutreffenden Ausführungen des angegriffenen Bescheides des Bundesamtes vom 17. Januar 2007 Bezug genommen und sich diese damit zueigen gemacht (vgl. § 77 Abs. 2 AsylVfG). In den Gründen des Bescheides vom 17. Januar 2007 (S. 5 und 6) hat das Bundesamt Ausführungen dazu gemacht, dass und warum die Qualifikationsrichtlinie aus seiner Sicht zu keinem für die Klägerin günstigen Ergebnis führt. Hinzu kommt, dass sich die Antragsbegründung im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten vom 5. Januar 2007 an das Bundesamt und die Klagebegründung in deren Schriftsatz vom 25. Januar 2007 nahezu wortgleich decken. Danach bestand für das Verwaltungsgericht kein Anlass, in den Entscheidungsgründen des Urteils über die Bezugnahme auf die aus seiner Sicht zutreffenden Ausführungen in den Gründen des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes hinaus nochmals ausdrücklich zu der Qualifikationsrichtlinie Stellung zu nehmen.
Das Ergebnis des auch im vorliegenden Fall nach einzelfallbezogener Würdigung ersichtlich zur Kenntnis genommenen Vorbringens kann mit der Gehörsrüge hingegen nicht angegriffen werden (vgl. hierzu Berlit, in: GK-AsylVfG, Stand: Oktober 2006, § 78 Rdnr. 261).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).