Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 31.05.2010, Az.: 2 B 2111/10

Generelle Gefährdung yezidischer Kurden wegen illegaler Ausreise und langen Auslandsaufenthalts als Abschiebungshindernis i.R.d. Durchführung eines weiteren Asylverfahrens

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
31.05.2010
Aktenzeichen
2 B 2111/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 17532
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2010:0531.2B2111.10.0A

Amtlicher Leitsatz

Eine generelle Gefährdung yezidischer Kurden allein wegen illegaler Ausreise und langen Auslandsaufenthalts ist weiterhin zu verneinen.

Gründe

1

I

Der Antragsteller zu 1) war mit der am C. verstorbenen Antragstellerin zu 2) nach yezidischem Ritus verheiratet. Die Antragstellerin zu 2) besaß die türkische Staatsangehörigkeit, der Antragsteller zu 1) stammt aus Syrien und war dort im Ausländerregister der Provinz Hassake registriert. Die ihm ausgestellte "rote Karte" ist ausweislich des Gutachtens des Deutschen Orientinstituts vom 06.02.2006 echt.

2

Die Antragsteller reisten mit ihren Söhnen D. und E. im Jahre 1999 nach eigenen Angaben auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Asylantrag blieb vor dem Bundesamt und im Urteil der 11. Kammer des beschließenden Gerichts vom 16.04.2002 -11 A 6497/99- erfolglos. Mit Bescheid vom 21.02.2003, der nach Rücknahme der gegen ihn erhobenen Klage bestandskräftig wurde, lehnte das Bundesamt die Anträge auf Durchführung weiterer Asylverfahren ab. Im Urteil der 11. Kammer des beschließenden Gerichts vom 16.09.2003 -11 A 933/03- wurde das Bundesamt verpflichtet, unter entsprechender Änderung der Abschiebungsandrohung des im ersten Asylverfahren ergangenen Bescheides die Bezeichnung Syriens als Zielstaat der Abschiebung aufzuheben. Dieser Verpflichtung ist das Bundesamt unter dem 13.11.2003 nachgekommen. Maßgeblich für diese Entscheidung war nach dem Gerichtsurteil die Undurchführbarkeit der Zielstaatsbezeichnung wegen der bei den Antragstellern nicht gegebenen syrischen Staatsangehörigkeit.

3

Nach Inkrafttreten des deutsch-syrischen Rücknahmeübereinkommens legte die Region Hannover als für die Antragsteller zuständige Ausländerbehörde der ZAAB den Fall der Antragsteller zum Zwecke der Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen vor. Diese ersuchte die syrischen Behörden um die Rücknahme der Familie. Für den Fall, dass eine Rücknahmemöglichkeit sich eröffnen sollte, bat die Region Hannover das Bundesamt um Prüfung, ob eine erneute Abschiebungsandrohung nach Syrien erlassen wird.

4

Das Bundesamt leitete daraufhin von Amts wegen ein Wiederaufnahmeverfahren zur erneuten sachlichen Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG ein und gab den Antragstellern Gelegenheit, die gegen den Erlass der Abschiebungsandrohung sprechenden Gründe geltend zu machen. Diese stellten daraufhin mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 09.12.2009 erneut den Antrag, sie als Asylberechtigte anzuerkennen und das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 sowie des § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG festzustellen. Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 23.04.2010 den Antrag auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ebenso ab wie den Antrag auf Abänderung der nach altem Recht ergangenen Feststellung zu § 53 AuslG, forderte die Antragsteller zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihnen für den Fall des Nichteinhaltens der Ausreisefrist von einer Woche die Abschiebung nach Syrien an. Zur Begründung heißt es in dem Bescheid im Wesentlichen, weder die vom Auswärtigen Amt recherchierten drei Fälle von Rückkehrern nach Syrien, die dokumentiert worden seien noch die Lage der Kurden oder Yeziden begründe eine Änderung der Sachlage.

5

Die Antragsteller haben am 03.05.2010 Klage erhoben - 2 A 2109/10 - und zugleich um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung tragen sie vor, in der Vergangenheit sei es nachweislich wiederholt bei Abschiebungen nach Syrien zu Festnahmen, Misshandlungen und Folterungen gekommen und beantragen,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Abschiebungsandrohung anzuordnen.

6

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen

7

und bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung des Bundesamtes.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Vorgänge des Bundesamtes, der beigezogenen Ausländerakten der Region Hannover und der beigezogenen Gerichtsakten im vorangegangenen Asylverfahren 11 A 933/03 Bezug genommen.

9

II

Da die Antragstellerin zu 2) während des gerichtlichen Verfahrens verstorben ist, in dem sie ein höchstpersönliches Recht geltend gemacht hat, ist im Bezug auf ihre Person der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Das Verfahren war deshalb insoweit einzustellen.

10

Das statthafte Aussetzungsbegehren des Antragstellers zu 1) muss nach Maßgabe des § 36 Abs. 4 AsylVfG erfolglos bleiben.

11

Lehnt das Bundesamt wie hier die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und die Änderung der zu § 53 AuslG (jetzt§ 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) getroffenen Feststellungen ab, fordert es einen Folgeantragsteller gleichzeitig auf, die Bundesrepublik Deutschland nach Ablauf einer Woche seit Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen und droht es außerdem dessen Abschiebung für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise hin, darf das Verwaltungsgericht durch den Einzelrichter (§ 76 Abs.4 Satz 1 AsylVfG) einstweiligen Rechtsschutz nur dann nicht gewähren, wenn es keine ernsthaften Zweifel daran hat, dass die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG nicht vorliegen. Diese gesetzliche Regelung kann ihre Rechtfertigung in der Erwägung finden, dass der Asylfolgeantragsteller bereits ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen hat, sodass sein verfassungsrechtlich gewährleistetes vorläufiges Bleiberecht in Abwägung mit den Belangen des Staates auch dann zurücktreten muss, wenn die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und eine erneute Prüfung nicht gegeben sind (BVerfG, DVBL 1999, 1204). Ernstliche Zweifel im Sinne von § 36 Abs. 4 S. 1 AsylVfG liegen vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht stand hält (BVerfG E 94, 166, 194). In Anwendung dieser Maßstäbe bestehen unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller zu 1) mit dem Folgeantrag vom 09.12.2009 geltend gemachten und das Gericht bindenden Wiederaufgreifensgründe keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Bundesamtes vom 23.04.2010.

12

Das Bundesamt hat zu Recht die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens zugunsten des Antragstellers und die Feststellung von Abschiebungshindernissen abgelehnt, ihn zur Ausreise binnen Wochenfrist aufgefordert und die Abschiebung nach Syrien angedroht. Diese Entscheidung hat auch noch im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Beschlussfassung bestand. Die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 S. 1 AsylVfG, wonach ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, wenn die Voraussetzung des § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG vorliegen, sind hier nicht gegeben, und auch die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gem. §§ 51 Abs. 5, 48 oder 49 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen liegen nicht vor. Insbesondere hat sich die Sachlage zugunsten des Antragstellers nicht geändert, dies gilt auch hinsichtlich der Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG.

13

Bezüglich der Gewährung politischen Asyls liegt dem Urteil der 11. Kammer des beschließenden Gerichts vom 16.04.2002 zugrunde, dass der Antragsteller zu 1) auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, was seinen eigenen Angaben entspricht. Eine Änderung der Sachlage ist insoweit nicht dargetan.

14

Hinsichtlich der kurdischen Volkszugehörigkeit und der yezidischen Religionszugehörigkeit des Antragstellers war das Bundesamt nicht gehalten, im Ermessenswege das auf § 60 Abs. 1 AufenthG zielende Begehren wieder aufzugreifen. Weder das Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie noch die Stellungnahme des yezidischen Forums Oldenburg vom 22.06.2009 zur Situation der Yeziden in Syrien unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung ist geeignet, eine andere - positive - Sachentscheidung für yezidische Kurden aus Syrien herbeizuführen. Wie die Kammer bereits mehrfach entschieden hat, schreibt nämlich die yezidische Religion keine religiösen Riten vor den Augen der moslemischen Öffentlichkeit vor, sondern verbietet im Gegenteil ein solches religiöses Verhalten. Ohne Hinzutreten weiterer Besonderheiten verneint deshalb die Kammer in ständiger Rechtsprechung die Wahrscheinlichkeit eines schwerwiegenden religiösen Konflikts im Falle der Rückkehr glaubensgebundener Yeziden nach Syrien. Solche Besonderheiten kann die Kammer weder aus dem Vortrag des Antragstellers noch aus dem Inhalt aller beigezogenen Akten ersehen. Da sie sich insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OVG Lüneburg weis (Beschl. v. 07.06.2007 - 2 LA 416/07 -; Urt. v. 24.03.2009 - 2 LB 643/07 - [...]) und dieses Ergebnis auch ansonsten in der obergerichtlichen Rechtsprechung vertreten wird, (vgl. z, B. OVG Saarland, Beschl. v. 26.03.2007 - 3 A 30/07 -; Hessischer VGH, Beschl. v. 06.08.2009 - 3 A 2842/05.A -) ist dieses Ergebnis auch nicht ernstlich zweifelhaft.

15

Ernstlich zweifelhaft ist auch nicht die Rechtmäßigkeit der Entscheidung, soweit sie eine Abänderung der ursprünglich zu § 53 AuslG getroffenen Feststellungen ablehnt. Auch die Abschiebungsandrohung mit dem Zielstaat Syrien nebst Fristsetzung erweist sich als rechtmäßig. Allerdings wäre nach§ 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit bestünde. Nach der aktuellen Auskunftslage verneint die Kammer diese Frage, sie sieht auch insoweit keine Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Antragstellers. Allerdings hat das Bundesamt aufgrund eines Gutachtens des Europäischen Zentrums für kurdische Studien vom 25.10.2009, wonach es in letzter Zeit zu vermehrten Festnahmen und Inhaftierungen bei der Rückführung nach Syrien gekommen ist, beim Auswärtigen Amt angefragt, ob hierüber nähere Informationen vorliegen und welche Umstände bei einer Rückführungen nach Syrien zu einer Gefährdung führen können. Das Auswärtige Amt hat daraufhin zunächst unter dem 28.12.2009 einen Ad-hoc Ergänzungsbericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Syrien erstellt und diesen dann durch den neuen Ad-hoc Ergänzungsbericht vom 07.04.2010 ersetzt. Zu den neueren Erkenntnissen zur Behandlung von Rückkehrern führt das Auswärtige Amt dort aus, dass im vergangenen Jahr 2009 38 Personen mit syrischer Staatsangehörigkeit von Deutschland nach Syrien im Rahmen des Rückübernahmeabkommens zurückgeführt wurden. In drei Fällen sind dabei Inhaftierungen unmittelbar bzw. kurz nach der Rückführung bekannt geworden. In einem Fall konnte bestätigt werden, dass eine Inhaftierung über die übliche Befragung durch syrische Behörden nach der Ankunft hinausgegangen ist. Dabei handelt es sich um den am 01.09.2009 nach Syrien zurückgeführten K., der anlässlich einer ihm aufgegebenen Vorsprache bei einer Geheimdienststelle seines Heimatortes am 13.09.2009 für sieben Tage inhaftiert und der Staatsanwaltschaft Damaskus überstellt wurde. In einem strafgerichtlichen Verfahren wurde er in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von 4 Monaten sowie zu einer geringen Geldstrafe wegen Verstoßes gegen Art. 287 des syrischen Strafgesetzbuches verurteilt. Anklage und Urteil stützten sich nach Angaben des Betroffenen und seines Anwaltes auf den Vorwurf, in Deutschland an einer Demonstration gegen das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen teilgenommen zu haben. Die beiden anderen Fälle, von denen das Auswärtige Amt berichtet, führten zu einer in Gewahrsamnahme bei der Einreise für die Dauer von drei bzw. von 15 Tagen. Die Betroffenen sind zu den Ausreisegründen, den Grund des Aufenthaltes in Deutschland, zu ihren fehlenden Personaldokumenten und insbesondere nach der Art der Ausreise aus Syrien befragt worden.

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Auf dieser Grundlage sieht die Kammer für den Antragsteller zu 1) eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit nicht. Die ausgewerteten Akten geben keinerlei Anhaltspunkte für eine wie auch immer geartete exilpolitische Tätigkeit des Antragstellers. Aller Voraussicht nach kann in Syrien nur der Vorwurf der illegalen Ausreise erhoben werden. Insoweit hat sich aber eine Änderung der Sachlage nicht ergeben. Auch die Lageberichte des Auswärtigen Amtes für die zurückliegenden Jahre gingen davon aus, dass rückgeführte Personen bei ihrer Einreise über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt sowie in manchen Fällen auch später noch einmal zum Verhör einbestellt werden. Bestanden mangels Vorlage von aktuellen Personalpapieren Zweifel an der Identität des Einreisenden, war schon immer eine mehrtätige Inhaftierung möglich. Deren Dauer gibt der letzte aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 09.07.2009 (S. 24) mit selten länger als zwei Wochen an. Auf dieser Tatsachengrundlage hat die Kammer - auch insoweit in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung - stets die Auffassung vertreten, das allein die illegale Ausreise aus Syrien, die Asylantragstellung in Deutschland und ein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet im Rückkehrfall nicht zu der Gefahr führt, von Organen des syrischen Staates Leib, Leben oder Freiheit beeinträchtigenden Beschränkungen von erheblichen Gewicht ausgesetzt zu werden. An dieser Einschätzung hat sich durch den jüngsten Ad-hoc Ergänzungsbericht vom 07.04.2010 nichts geändert.

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Geändert hat sich allerdings hat sich die Sachlage zu Ungunsten des Antragstellers insoweit, dass auf der Grundlage des deutsch-syrischen Rückführungsabkommens vom 25.07.2008 (BGBl. II S. 811) seit Anfang des Jahres 2009 auch staatenlose Personen zurückgeführt werden können, wenn diese einen Aufenthaltstitel in Syrien haben (Art. 2 Abs. 1 des Abkommens). Ein solcher Aufenthaltstitel für staatenlose Personen (vgl. auch Art. 5 Abs. 2 b des Protokolls zur Durchführung des Abkommens) ist die Registrierung in den syrischen Ausländerregistern, in denen auch der Antragsteller eingetragen ist. Damit sind die Gründe entfallen, aus denen das Urteil vom 16.09.2003 im Verfahren 11 A 933/03 die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat, die Bezeichnung Syriens als des Zielstaates der Abschiebung im Bescheid des Bundesamtes vom 15.12.1999, der im ersten Asylverfahren des Antragstellers ergangen ist, aufzuheben. Folgerichtig erlässt deshalb der angegriffene Bescheid des Bundesamtes nach § 34 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 59 AufenthG eine erneute Abschiebungsandrohung hinsichtlich des Zielstaates Syrien und setzt die Dauer der einwöchigen Ausreisefrist gem. § 71 Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylVfG auf eine Woche fest.

18

Gerichtskosten werden für dieses Verfahren gem. § 83 b AsylVfG nicht erhoben. Die Kostenentscheidung im Übrigen folgt aus § 154 Abs. 1 und bzgl. der Antragstellerin zu 2) aus§ 161 Abs. 2 VwGO.