Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.09.2013, Az.: 6 U 41/13

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.09.2013
Aktenzeichen
6 U 41/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64313
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 13.02.2013 - AZ: 7 O 148/12
nachfolgend
BGH - 18.12.2014 - AZ: VII ZR 258/13

Rechnet der Auftragnehmer im Wesentlichen Leistungen ab, die nicht Gegenstand seiner für den Ursprungsvertrag angebotenen und kalkulierten Leistungen waren, setzt die Vergütung dieser zusätzlichen Leistungen keine Nachtragskalkulation des Auftragnehmers für diese Leistungen voraus. Vielmehr ist der Anspruch zu schätzen (§ 287 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO).

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 13. Februar 2013 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Verden aufgehoben. Der Klaganspruch wird dem Grunde nach für begründet erklärt. Wegen des Streits über den Betrag des Anspruchs wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 2.583.275,23 € festgesetzt.

Gründe

A.

Die Klägerin begehrt Bauwerklohn.

Die Beklagte hatte von der DB ProjektBau GmbH den Auftrag zum Neubau des Kreuzungsbauwerks Rburg an der Bahnstrecke Berlin - Frankfurt/Oder. Aufgrund Angebots der Klägerin auf der Grundlage der Ausschreibung vom 24. Mai 2004 und Verhandlung vom 28. Mai 2004 sowie Auftragsbestätigung seitens der Beklagten vom 23. Juni 2004 schlossen die Arge Kabeltiefbau Rburg, deren Rechtsnachfolgerin die Klägerin ist, und die Beklagte den Vertrag über Kabeltiefbauarbeiten für das Kreuzungsbauwerk. In der Besprechung in Berlin am 19. Mai 2006 vereinbarten die Parteien, die Klägerin solle ihre Mehrkosten wegen Zusatzleistungen getrennt nach zeitabhängigen, sog. „baubetriebsbedingten“ und zeitunabhängigen Mehrkosten geltend machen. Die Klägerin machte der Beklagten zwischen dem 4. April und 20. Juni 2008 Nachtragsangebote zu baubetriebsbedingtem Mehraufwand in Höhe von insgesamt 2.583.275,23 € anhand einer Schätzung Prof. Dr.-Ing. I in dessen Gutachten aus März 2008. Mit Schreiben vom 12. März 2012 wies die Beklagte die Berechnung des Mehraufwands zurück.

Die Klägerin hat Zahlung von 2.583.275,23 € nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. März 2012 verlangt. Sie hat vorgetragen, sie habe den ihr ursprünglich erteilten Auftrag nicht ausgeführt, sondern alle für die Baumaßnahme Rburg erforderlichen Kabeltiefbauarbeiten geleistet. - Die Beklagte hat Abweisung der Klage erstrebt. Sie hat gemeint, die Klägerin erhebe Ansprüche wegen Bauzeitverlängerung, die es nicht gegeben habe; diese seien der Höhe nach nicht dargetan, weil die Klägerin Soll- und Ist-Arbeitsstunden nicht konkret gegenüberstelle, sondern den Mehraufwand schlicht

schätze.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, „das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Abrechnung (dürfe) nicht durch gerichtliche Schätzung umgangen werden.“

Gegen dieses Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe der Senat sich zur näheren Sachdarstellung bezieht, wendet die Klägerin sich mit der Berufung, mit welcher sie ihr Ziel in vollem Umfang weiterverfolgt und hilfsweise Zurückverweisung der Sache an das Landgericht beantragt. - Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, die Klägerin habe die Kosten der Ausführung geänderter und zusätzlicher Leistungen allesamt vergütet erhalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens verweist der Senat auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen.

B.

Die Berufung ist insoweit begründet, als der Klaganspruch dem Grunde nach für begründet zu erklären und die Sache wegen des Streits über den Betrag des Anspruchs an das Landgericht zurückzuverweisen war (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Fall 2 ZPO).

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte dem Grunde nach Anspruch auf Werklohn wegen ihres Mehraufwandes gegenüber den im Vertrage vom 23. Juni 2004 vereinbarten Werkleistungen, der über die zeitunabhängige Mehrleistung gegenüber dem Ursprungsvertrag wegen anderer als der vereinbarten oder zusätzlicher Leistungen hinausgeht, nämlich wegen des Einsatzes von mehr Arbeitern als kalkuliert, längeren Einsatzes der schon anfangs vorgesehenen Arbeitskräfte als geplant, Ausfallzeiten, Nachtarbeit, Gerätemehreinsatzes, längerer Gerätevorhaltung, zusätzlicher Bauleitung und -aufsicht sowie gesteigerter Baustellengemeinkosten (sog. „baubetrieblicher Mehraufwand“: Seite 7 Gutachtens Prof. Dr.-Ing. I aus März 2008; Anlage K 17 Bl. 144 des Anlagenbandes zur Klagschrift) aus besonderer Vereinbarung zwischen den Parteien (§ 241 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 1 Halbs. 1 Fall 1 BGB).

1. Die Parteien haben diese Vereinbarung in der Besprechung in Berlin am 19. Mai 2006 getroffen. Dieses hat die Klägerin (Seiten 12 f. der Klagschrift) dargelegt und die Beklagte zugestanden (§ 288 Abs. 1 ZPO). Sie hat (Seite 13 des Schriftsatzes vom 16. November 2012 - Bl. 159 d. A.) vorgetragen, „die Bauvertragsparteien (mitsamt dem Bauherren) [seien] … übereingekommen, dass die Klägerin die Sachnachträge … in Außerachtlassung von baubetrieblichen Kosten stellen und … die … baubetrieblichen Ansprüche … mit gesonderten Nachträgen geltend machen solle“, und (Seiten 10 f. der Berufungserwiderung - Bl. 350 f. d. A.), „die Vereinbarung einer getrennten Abrechnung von ,technischem‘ und ,baubetrieblichem‘ Mehraufwand … (sei) zu keiner Zeit streitig (gewesen).“ Diese Abrede erschöpfte sich, anders als die Beklagte meint, nicht in einem bestimmten Abrechnungsmodus für Ansprüche nach der VOB/B, welche die Klägerin für den baubetrieblichen Mehraufwand im Verhältnis zum Hauptauftraggeber nicht prüfbar hatte darlegen können. Die Vereinbarung diente gerade dazu, einen Weg zu finden, der Klägerin zu beiden Ansprüchen, sowohl denjenigen für den zeitunabhängigen als auch denjenigen für den zeitabhängigen Mehraufwand zu verhelfen. Sie durfte die Aufforderung seitens der Beklagten zu getrennter Abrechnung bei verständiger objektiver Würdigung aus ihrer - der Klägerin - Sicht (§ 133 BGB) so verstehen, dass die Beklagte sich ihr gegenüber verpflichten wollte, ihr den zeitabhängigen Mehraufwand zu vergüten. Nachdem sie - die Klägerin - mit ihrer Abrechnung nach Gesamtaufwand ohne Trennung nach zeitabhängigem und zeitunabhängigem Aufwand gescheitert war, ergab es aus ihrer - der Klägerin - Sicht keinen Sinn, dass die Beklagte sie aufforderte, ihr gegenüber zeitabhängigen und zeitunabhängigen Mehraufwand getrennt abzurechnen, wenn sie nicht vorhatte, zeitabhängigen Mehraufwand zu vergüten.

2. Die Klägerin macht den vorbezeichneten Anspruch geltend, nicht, wie die Beklagte zu meinen scheint, einen solchen auf Schadensersatz und Entschädigung wegen Verzögerung des Bauablaufs infolge Behinderung ihrer Arbeit (§ 6 Nr. 6 VOB/B).

a) Wie die Beklagte zutreffend hervorhebt, hat der Bauablauf sich nicht verzögert. Das Verhandlungsprotokoll vom 28. Mai 2004, das Vertragsinhalt geworden ist (Anlage K 1 Bl. 1 des Anlagenbandes), sieht zu Nr. 3 (Anlage K 2 wie vor, Bl. 3 des Anlagenbandes) vor, „die Arbeiten (seien) bis Dez. 2008 fertig zu stellen“, und deren Abnahme hat (Seite 3 der Klagschrift; Seite 9 der Klagerwiderung - Bl. 45 d. A.) am 4. Dezember 2008 stattgefunden.

b) Aus dem Gutachten Prof. Dr.-Ing. I, das die Klägerin zur Begründung ihres Anspruchs heranzieht, geht hervor, dass sie geltend macht, sie habe ein ganz anderes Werk erbracht als von ihr aufgrund der Ausschreibung (Anlage K 3 Anlagenband Bl. 15 - 104) angeboten und ursprünglich vereinbart. Auf Seite 4 des Gutachtens heißt es, „der tatsächliche Bauablauf ha(b)e sich … deutlich geändert“, und auf Seite 7 der Klagschrift, „nicht der ursprünglich erteilte Auftrag (sei) zur Durchführung gelangt, sondern … eine Beauftragung … aller notwendigen Kabeltiefbauarbeiten für die Baumaßnahme Rburg.“ In Einklang damit hat die Klägerin (Anlage K 26 Anlagenheft II) eine Übersicht vorgelegt, welche die entsprechend dem Angebot ausgeführten Leistungen mit 109.536,80 € gegenüber der insoweit maßgeblichen Angebotssumme von 190.248,65 € ausweist, ferner Nachtragsleistungen für 839.110,93 € allein im Bauzustand 1 bei insgesamt vier Bauzuständen.

3. Die Tatsache, dass die Abrechnung der baubetrieblichen Mehrkosten seitens der Klägerin nicht den Vorgaben des § 2 Nr. 5 Satz 1, Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 VOB/B 2002 entspricht, rechtfertigt, anders als das Landgericht (Seite 12 oben des angefochtenen Urteils - Bl. 269 d. A.) angenommen hat, nicht die Abweisung der Klage. Das Vorgehen der Klägerin, ihrer Forderung eine Schätzung der Mehrkosten zugrunde zu legen (Seite 13 des Gutachtens Prof. Dr.-Ing. I; Anlagenband Bl. 150), lässt ihr Vorbringen zur Forderung insgesamt (nach Grund und Höhe) nicht, da unvollständig (§ 138 Abs. 1 Fall 1 ZPO), als substanzlos erscheinen. Da sie im Wesentlichen Leistungen erbracht hat, die nicht Gegenstand ihrer für den Ursprungsvertrag angebotenen und kalkulierten Leistungen waren, setzt die Vergütung dieser zusätzlichen Leistungen keine Nachtragskalkulation seitens der Klägerin für diese Leistungen voraus (BGH Urt. v. 13. Mai 2004, VII ZR 424/02, zit. n. juris: Rn. 10). Vielmehr ist der Anspruch der Klägerin zu schätzen (§ 287 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO). Eine solche Schätzung ist auch dann vorzunehmen, wenn die Berechnung des Anspruchs auf einer Schätzung beruht, die eine ausreichende Grundlage für eine abschließende Schätzung bietet (BGH Urt. v. 8. Dez. 2005, VII ZR 50/04, zit. n. juris: Rn. 21).

4. Trotz des Vorbringens der Beklagten (Seite 8 der Berufungserwiderung - Bl. 348 d. A.), die Klägerin habe geänderte und zusätzliche Leistungen allesamt bereits vergütet erhalten, ist die Prognose gestattet, dass auf den geltend gemachten Anspruch ein wenn auch noch so geringer Betrag entfällt. Dafür spricht, dass die X Baubetreuungs GmbH im Auftrag der Beklagten zu dem Ergebnis gekommen ist, allein beim Bauzustand 1 seien baubetriebliche Mehrkosten der Klägerin in Höhe von 1.138.534,13 € angefallen (Stellungnahme der GmbH zum 2. Nachtrag „Baubetriebliche Mehrkosten“ Anlagenband Bl. 328 - 335). Der Einwand der Beklagten in der Verhandlung vor dem Senat, die Stellungnahme orientiere sich ausschließlich an den untauglichen Ausgangsdaten Prof. Dr.-Ing. I, greift nicht durch. Zum einen hat die X Baubetreuungs GmbH das Gutachten Prof. Dr.-Ing. I nicht als unprüfbar zurückgewiesen, sondern eine Schätzung vorgenommen; zum anderen heißt es in dem Anschreiben der GmbH an die Beklagte vom 19. Oktober 2007 zu jener Stellungnahme, die Bearbeiter seien „von den tatsächlichen angefallenen Leistungswerten ausgegangen, da die Arbeiten bereits abgeschlossen (seien)“ (Anschreiben Bl. 328 f. Anlagenband).

II.

Der Streit über den Betrag des Anspruchs ist nicht zur Entscheidung reif, die Zurückverweisung seitens der Klägerin beantragt (Seite 1 der Sitzungsniederschrift vom 27. August 2013 - Bl. 438 d. A.). Der Klägerin wird Gelegenheit zu geben sein vorzutragen, was sie außer der in diesem Rechtsstreit erhobenen Forderung der Beklagten gegenüber abgerechnet und von ihr bezahlt erhalten hat, und dazu die Nachtragsangebote und -rechnungen vorzulegen, um feststellen zu können, ob diese Angebote und Rechnungen bereits baubetriebliche Mehrkosten enthalten, die dementsprechend bezahlt sind, oder nicht. Anschließend wird ein vom Gericht zu ernennender Sachverständiger anhand der Nachtragsangebote der Klägerin zu den baubetrieblichen Mehrkosten, deren Begutachtung zum Bauzustand 1 durch die X Baubetreuungs GmbH und der Übersicht der Klägerin zu den im Bauzustand 1 zusätzlich erbrachten Leistungen unter Würdigung der Ausführungen Prof. Dr.-Ing. I aus bautechnischer und -wirtschaftlicher Sicht einzuschätzen haben, wie hoch die angemessene Forderung der Klägerin für ihre baubetriebliche Mehrleistung ist.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit war zu treffen (§ 708 Nr. 10 Satz 1 ZPO), auch wenn das Urteil des Senats keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, in Hinblick auf § 775 Nr. 1 ZPO, falls die Beklagte aufgrund der Kostengrundentscheidung in dem angefochtenen Urteil die Vollstreckung begonnen haben sollte. - Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen dafür (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht vorliegen.