Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.03.1989, Az.: 11 A 126/88
Asylbewerber; Asylantrag; Flüchtling; Ausländer; Rücknahme; Widerruf; Aufhebung; Anerkennungsbescheid; Asylanerkennung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.03.1989
- Aktenzeichen
- 11 A 126/88
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1989, 12794
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1989:0317.11A126.88.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 30.05.1988 - AZ: 5 VG A 164/87
- nachfolgend
- BVerwG - 21.03.1990 - AZ: BVerwG 9 B 276.89
Tenor:
Die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 5. Kammer Oldenburg - vom 30. Mai 1988 wird zurückgewiesen.
Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 28. Juli 1979 als Asylbewerber in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nachdem sein mit der Furcht vor politischer Verfolgung wegen Mitgliedschaft in der Kurdisch-Demokratischen Partei (KDP) begründeter Asylantrag vom 3. August 1979 erfolglos geblieben war, stellte der Kläger unter dem 12. August 1983 einen Asylfolgeantrag. Zur Antragsbegründung wiederholte er sein Vorbringen aus dem vorangegangenen Asylverfahren und machte geltend, die kurdische Minderheit werde in der Türkei allgemein verfolgt. Bei seiner persönlichen Anhörung im Rahmen der Vorprüfung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge gab der Kläger am 30. November 1983 ergänzend an, er werde in der Türkei außerdem wegen des falschen Vorwurfs der Körperverletzung und des Raubes gesucht. Außerdem könne er wegen seiner früheren Tätigkeit als Waffenschmuggler an der türkisch-syrisch-irakischen Grenze nicht in die Türkei zurückkehren. In der Bundesrepublik Deutschland habe er an etwa 200 Demonstrationen sowie an Kulturabenden teilgenommen. Diesen Folgeantrag lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 17. Dezember 1984 als offensichtlich unbegründet ab. Daraufhin erhob der Kläger am 25. März 1985 bei dem Verwaltungsgericht Oldenburg im Verfahren 5 VG A 125/85 Klage. Zur Klagebegründung trug er vor, er sei Mitglied der in der Türkei verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) und habe in der Bundesrepublik Deutschland an Veranstaltungen und Demonstrationen gegen die türkische Regierung teilgenommen und Flugblätter verteilt. Mit Urteil vom 17. Oktober 1986 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17. Dezember 1984 auf; zugleich verpflichtete es die Beklagte, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Verwaltungsgericht aus, der Kläger müsse damit rechnen, wegen seiner politischen Betätigung in der Bundesrepublik Deutschland nach seiner Rückkehr in die Türkei politisch verfolgt zu werden.
Noch bevor das Urteil vom 17. Oktober 1986 den Beteiligten zugestellt wurde, erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger mit Bescheid vom 19. Dezember 1986 als Asylberechtigten an, weil es irrtümlich davon ausging, das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg sei rechtskräftig geworden.
Gegen das ihm am 13. Januar 1987 zugestellte Urteil vom 17. Oktober 1988 hat der Beteiligte am 26. Januar 1987 im Verfahren 11 OVG A 19/87 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.
Unter Hinweis auf diese Berufung nahm das Bundesamt daraufhin mit Bescheid vom 5. Februar 1987 seinen Bescheid vom 19. Dezember 1986 zurück. Zur Begründung der Rücknahme wurde ausgeführt, der Bescheid vom 19. Dezember 1986 sei aufgrund eines redaktionellen Versehens ergangen und daher zurückzunehmen.
Gegen den Rücknahmebescheid hat der Kläger am 25. Februar 1987 bei dem Verwaltungsgericht Oldenburg im Verfahren 5 VG A 164/87 Klage erhoben. Er hat geltend gemacht, die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 und 2 AsylVfG für einen Widerruf oder eine Rücknahme der Anerkennungsentscheidung vom 19. Dezember 1986 seien nicht erfüllt. Ob die Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfGüber die Rücknahme und den Widerruf von Verwaltungsakten neben den Vorschriften des Asylverfahrensgesetzes anwendbar seien, sei zweifelhaft. Jedenfalls handele es sich bei dem Anerkennungsbescheid vom 19. Dezember 1986 um einen rechtmäßigen Verwaltungsakt, weil dieser aufgrund des eine Anerkennungsverpflichtung aussprechenden Urteils des Verwaltungsgerichts vom 17. Oktober 1986 ergangen sei. Die Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 VwVfGüber den Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakts seien jedoch nicht gegeben. Im übrigen stellten die Rücknahme und der Widerruf begünstigender Verwaltungsakte nach den §§ 48, 49 VwVfG Ermessensentscheidungen dar. Eine Ermessensentscheidung habe die Beklagte jedoch nicht getroffen; vielmehr sei die Beklagte nach der eindeutigen Begründung des Rücknahmebescheides von einer gebundenen Entscheidung ausgegangen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 5. Februar 1987 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beteiligte hat sich im ersten Rechtszug nicht geäußert.
Das Verwaltungsgericht hat der Anfechtungsklage durch Urteil vom 30. Mai 1988 aus folgenden Gründen stattgegeben: Der Rücknahmebescheid vom 5. Februar 1987 sei bereits deshalb rechtswidrig, weil der Kläger vor Ergehen dieser Entscheidung nicht angehört worden sei. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Anhörung seien nicht erfüllt; dieser Verfahrensfehler sei nach Klageerhebung nicht mehr heilbar. Außerdem lägen die Voraussetzungen des Widerrufs bzw. der Rücknahme asylrechtlicher Bescheide nach § 16 AsylVfG nicht vor. Die Voraussetzungen der ergänzend heranzuziehenden Verwaltungsverfahrensbestimmungen der §§ 48 und 49 VwVfG seien ebenfalls nicht gegeben. Der Anerkennungsbescheid des Bundesamtes vom 19. Dezember 1986 sei rechtmäßig, weil der Kläger nach Auffassung der Kammer als Asylberechtigter anerkannt werden müsse, so daß sich die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 5. Februar 1987 nach § 49 VwVfG beurteile. Einem Widerruf der Anerkennungsentscheidung stehe jedoch entgegen, daß weder im Sinne von § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG nachträglich Tatsachen eingetreten seien, nach denen die Beklagte berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, noch ein Widerruf im Sinne von § 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG erforderlich sei, um schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu verhüten oder zu beseitigen. Schließlich komme auch keine Rücknahme des Anerkennungsbescheides nach § 50 VwVfG in Betracht, weil diese Regelung nach Sinn und Zweck der Bestimmung nur auf die Fälle angewendet werden könne, in denen ein Verwaltungsakt von einem Dritten angefochten worden sei.
Gegen das ihm am 28. Juni 1988 zugestellte Urteil hat der Beteiligte am 19. Juli 1988 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Er trägt vor, es sei bereits fraglich, ob die Aufhebung eines noch anfechtbaren Verwaltungsakts, der ein rechtskräftiges Verpflichtungsurteil eines Verwaltungsgerichts vollziehe, nicht eine Verfügung sui generis darstelle, die weder nach § 16 AsylVfG noch nach den §§ 48 ff. VwVfG zu beurteilen sei. Wenn es dem Bundesamt unbenommen sei, während eines laufenden Berufungsverfahrens gegen ein Urteil zugunsten des Asylbewerbers diesen als Asylberechtigten anzuerkennen, frage sich, ob es dem Bundesamt nicht ebenso unbenommen sei, einen solchen Anerkennungsbescheid jedenfalls vor Eintritt seiner Unanfechtbarkeit wieder aufzuheben, um zum Beispiel einer prozeßunökonomischen Anfechtungsklage durch einen der übrigen Beteiligten zuvorzukommen. Denn es sei insbesondere nicht ersichtlich, inwiefern der Kläger durch die Aufhebung dieses Bescheides in seinen Rechten verletzt sein solle. Er erleide hierdurch keine Rechtseinbuße im Hinblick auf das ihm eventuell zustehende Asylrecht. Denn als verfahrensabhängiges Grundrecht könne das Asylrecht grundsätzlich nicht vor Erwirkung eines bestandskräftigen staatlichen Anerkennungsaktes geltend gemacht werden, der seinerseits der Anfechtung durch den Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten unterliege. Das Asylrecht stehe somit unter dem Vorbehalt der Einhaltung des vorgesehenen Verwaltungsverfahrens und nachfolgender gerichtlicher Verfahren. Demnach könne darin, daß eine letztlich vielleicht zuzuerkennende Asylberechtigung zeitlich aufgeschoben werden, keine Rechtsverletzung gesehen werden. Darüber hinaus seien Verfahrensfehler, die den Verwaltungsakt nicht nichtig im Sinne von § 44 VwVfG machten, gemäß § 46 VwVfG nicht geeignet, die Aufhebung des Verwaltungsakts zu rechtfertigen, sofern keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. In der Sache sei jedoch die Rücknahme des Anerkennungsbescheides berechtigt gewesen. Neben § 16 AsylVfG könnten auch die §§ 48 ff. VwVfG Grundlage der Aufhebung einer Asylanerkennung sein. Das Bundesamt habe den Bescheid vom 19. Dezember 1986 gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG aufheben können, weil die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter rechtswidrig gewesen sei. Der Folgeantrag des Klägers vom 12. August 1983 sei mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG unbeachtlich im Sinne von § 14 Abs. 1 AsylVfG und im übrigen auch unbegründet, denn die nachträglich vorgebrachten Aktivitäten des Klägers für die PKK stellten selbstgeschaffene Nachfluchtgründe dar, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht für eine Asylanerkennung ausreichten.
Der Beteiligte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 30. Mai 1988 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf die vorliegenden Verwaltungsvorgänge des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und auf den Inhalt der Gerichtsakten 5 VG A 125/85 VG Oldenburg sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens, welche insgesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.
II.
Die Berufung des Beteiligten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30. Mai 1988 ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 5. Februar 1987 zu Recht aufgehoben, weil dieser rechtswidrig ist und den Kläger in eigenen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Für die Berufungsentscheidung kann es im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob dieser Bescheid bereits deshalb aufgehoben werden kann, weil der Kläger vor der Rücknahme der Anerkennungsentscheidung vom 19. Dezember 1987 entgegen § 12 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 16 Abs. 3 Satz 1 AsylVfG oder entgegen § 28 Abs. 1 VwVfG durch das Bundesamt nicht angehört worden ist oder ob ein solcher Verfahrensfehler im Asylverfahren nach § 46 VwVfG unbeachtlich sein kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14. 5. 1982 - 9 B 179.82 -, DVBl 1983, S. 33), wenn die Rücknahme oder der Widerruf auf die Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG gestützt werden soll. Jedenfalls ist das Verwaltungsgericht im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Anerkennungsentscheidung vom 19. Dezember 1987 nach § 16 Abs. 2 AsylVfG oder bei entsprechender Umdeutung des Bescheides in einen Widerruf nach § 16 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht vorliegen und daß es im übrigen für die Rücknahme oder den Widerruf der Asylentscheidung an einer Rechtsgrundlage fehlt.
Gemäß § 16 Abs. 2 AsylVfG ist die Anerkennung zurückzunehmen, wenn sie aufgrund unrichtiger Angaben oder infolge Verschweigens wesentlicher Tatsachen erteilt worden ist und der Ausländer auch aus anderen Gründen nicht anerkannt werden könnte. In Übereinstimmung mit den Beteiligten und den Ausführungen des Verwaltungsgerichts ist danach ein Rücknahmegrund nicht gegeben, wenn die Asylanerkennung wie vorliegend auf der irrtümlichen Annahme falscher Tatsachen beruht und dieser Irrtum des Bundesamtes nicht von dem Ausländer zu vertreten ist. Der Widerruf einer Anerkennung ist nach § 16 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nur dann auszusprechen, wenn entweder die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1), weil diese nachträglich entfallen sind, oder wenn der Ausländer auf die Anerkennung verzichtet (§ 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2). Unzweifelhaft lagen auch diese Widerrufsgründe bezüglich der irrtümlichen Asylanerkennung vom 19. Dezember 1987 nicht vor.
Neben den durch § 16 Abs. 3 AsylVfG ergänzten speziellen Widerrufs- und Rücknahmevorschriften des Asylverfahrensgesetzes ist aber ein Rückgriff auf die allgemeinen Bestimmungen über die Rücknahme und den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte (§§ 48, 49 VwVfG) nicht zulässig. Eine Auslegung der Regelungen des § 16 Abs. 1 und 2 AsylVfG ergibt, daß sich das Asylverfahrensgesetz in diesen Vorschriften nicht nur auf eine teilweise Abänderung der allgemeinen Bestimmungen der §§ 48 und 49 VwVfG beschränkt, sondern für den Bereich des Anerkennungsverfahrens vor dem Bundesamt abschließende Regelungen trifft und daher die Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ausschließt (GK-AsylVfG, § 16 RdNr. 9; Marx, Asylrecht, 4. Aufl., Bd. 1 Nr. 116; a.A. Stelkens/Bonk/Leonhardt, VwVfG, 2. Aufl., § 48 RdNr. 2). Hierfür sind im wesentlichen die folgenden Verschiedenheiten der zu vergleichenden Widerrufs- und Rücknahmevorschriften im Asylverfahrensgesetz einerseits und im Verwaltungsverfahrensgesetz andererseits von maßgeblicher Bedeutung:
Nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 und 2 AsylVfG ergehen der Widerruf und die Rücknahme von Asylanerkennungen nach diesen Bestimmungen als gebundene Entscheidungen, die stets getroffen werden müssen, wenn die gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen hierfür vorliegen, ohne daß dem Leiter des Bundesamtes oder dem von ihm beauftragten Bediensteten insoweit ein Entschließungsermessen eingeräumt wäre. Nach den §§ 48 und 49 VwVfG entfalten die Rücknahme und der Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes dagegen als Ermessensentscheidungen auch im Hinblick auf ihre gerichtliche Kontrolle (§ 114 VwGO) einen grundsätzlich anderen Rechtscharakter. Ein weiterer für die Annahme abschließender Regelungen bedeutsamer Unterschied zu den Rücknahme- und Widerrufsbestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes besteht darin, daß die letzten in Übereinstimmung mit der vor Inkrafttreten dieses Gesetzes entwickelten Rechtsprechung zur Rücknahme fehlerhafter begünstigender Verwaltungsakte (vgl. BVerwG, Urt. v. 20. 9. 1960 - II C 145.158 -, BVerwGE 11, 136, 137 f. [BVerwG 29.09.1960 - II C 145/58]; Urt. v. 18. 3. 1976 - III C 8.75 -, BVerwGE 50, 265, 269) [BVerwG 18.03.1976 - III C 8/75] den Zweck verfolgen, im Einzelfall einen gerechten Ausgleich zwischen den widerstreitenden, aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleiteten Grundsätzen der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung einerseits und der Rechtssicherheit auf Seiten des Betroffenen, also des Vertrauensschutzes andererseits, herzustellen. Aus diesem Grund sind die §§ 48 und 49 VwVfG, soweit es um die Aufhebung begünstigender Verwaltungsakte geht, entscheidend von der Berücksichtigung des Vertrauensschutzes im Einzelfall geprägt (vgl. §§ 48 Abs.2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1, 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2, Abs. 5 Satz 1 VwVfG). Demgegenüber finden Vertrauensschutzgesichtspunkte in den Regelungen des § 16 Abs. 1 AsylVfGüber den Widerruf von Asylanerkennungen keinen Anklang. § 16 Abs. 2 AsylVfG setzt anders als § 48 Abs. 2 und 3 VwVfG bei der Rücknahme des Verwaltungsaktes keine Abwägung des Vertrauensschutzes mit dem Rücknahmeinteresse im Einzelfall voraus, sondern enthält selbst die Vertrauensschutzregelung, indem er die Rücknahmebefugnis des Bundesamtes auf den Tatbestand unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Ausländers beschränkt und nur unter dem Vorbehalt einer unveränderten Sach- und Rechtslage einräumt (vgl. Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., § 16 AsylVfG RdNr. 6). Diese für die Annahme abschließender Regelungen im Asylverfahrensgesetz maßgeblichen Unterschiede, nämlich der Ausschluß eines Ermessensspielraums und die grundsätzlich andere Behandlung des Vertrauensschutzes des Betroffenen, liegen in der Besonderheit des Asylrechts begründet und gelten deshalb allgemein für die abschließenden Sachentscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Anerkennungsverfahren.
Zwar sah § 37 Abs. 1 Satz 1 AuslG in der bis zum Inkrafttreten des AsylVfG geltenden Fassung abweichend von der nunmehr anzuwendenden Bestimmung des § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG noch vor, daß die Anerkennung als Asylberechtigter widerrufen werden konnte, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung nicht mehr vorlagen. Bereits seinerzeit war es jedoch schon streitig, ob und in welchem Rahmen dem Bundesamt bei einem Widerruf der Asylanerkennung das im Wortlaut des § 37 Abs. 1 Satz 1 AuslG a.F. eingeräumte Ermessen zustand (Marx, aaO; Kanein, aaO, § 16 AsylVfG RdNr. 2; jeweils m.w.Nachw.). Dabei vertrat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, daß entgegen dem Wortlaut des § 37 Abs. 1 Satz 1 AuslG a.F. auch in den Fällen des Widerrufs einer Asylanerkennung kein Ermessensspielraum bestünde, weil ein solches Ermessen mit der auf das Asylrecht beschränkten Kompetenz des Bundesamtes, der Art seiner Entscheidungen als Rechtsentscheidungen und unter Umständen mit dem Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren sei (Urt. v. 7. 6. 1979 - 88 VII 77 -, DÖV 1980, 51). Auch das Bundesverwaltungsgericht hat bereits vor Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben, daß das Bundesamt seine Entscheidung über den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht durch Ermessensgebrauch trifft, sondern in Anwendung zwingenden Rechts, und daß ihm dafür auch kein Beurteilungsspielraum eingeräumt sei (Beschl. v. 14. 5. 1982, aaO, S. 34).
Diese Überlegungen gelten auch für die Entscheidungen des Bundesamts nach Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes. Könnte das Bundesamt hinsichtlich der Rücknahme oder des Widerrufs von Anerkennungsbescheiden nach Maßgabe der §§ 48 und 49 VwVfG ein Ermessen ausüben, so hätte es im Rahmen dieser Ermessensentscheidungen möglicherweise auch Tatsachen in den persönlichen Verhältnissen des Ausländers zu berücksichtigen, die einen Vertrauensschutz in die Anerkennungsentscheidung des Bundesamts begründen könnten. Diese Gesichtspunkte, insbesondere die Prüfung der Frage, ob dem Ausländer bei einer Rücknahme der Asylanerkennung eine unfreiwillige Rückkehr droht oder ob ihm etwa nach § 14 AuslG der Aufenthalt zu ermöglichen ist, bleiben jedoch bei der Anerkennungsentscheidung des Bundesamts außer Betracht. Der durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleistete individuelle Rechtsanspruch ist nicht von den persönlichen Verhältnissen des Ausländers abhängig, sondern allein davon, ob dieser aus politischen Gründen wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung im Fall einer Rückkehr in sein Heimatland Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib oder Leben oder Beschränkungen seiner Freiheit ausgesetzt wäre (BVerwG, Urt. v. 13. 1. 1987 - 9 C 53.86 -, BVerwGE 75, 304, 305 f.) [BVerwG 13.01.1987 - 9 C 53/86]. Eine Entscheidung des Bundesamts über eine Asylanerkennung oder über deren Widerruf oder Rücknahme hängt deshalb allein davon ab, ob die Voraussetzungen einer politischen Verfolgung gegeben sind und ob deshalb der Ausländer das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in Anspruch nehmen kann. Auch nach Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes besteht deshalb nur insoweit eine Entscheidungsfreiheit des Bundesamts, als nach Wegfall der Anerkennungsvoraussetzungen oder Feststellung der Rücknahmevoraussetzungen ein von ihm zu bestimmender Zeitraum bleibt, bevor es den Widerruf oder die Rücknahme ausspricht (BayVGH, aaO, S. 52 zu § 37 Abs. 1 Satz 1 AuslG a.F.). Gerade im Hinblick auf diese Überlegungen hat der Gesetzgeber in § 16 AsylVfG eine Pflicht des Bundesamts zum Widerruf oder zur Rücknahme der Asylanerkennung normiert (BT-Drucks. 9/875, S. 18 zu § 11; BT-Drucks. 9/1630, S. 20 zu § 14). Darüber hinaus sollten für das Asylverfahrensrecht die Widerrufs- und Rücknahmevorschriften den Regelungen in Nr. 5 und 6 des Art. 1 Buchst. C des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention) angeglichen werden (BT-Drucks. 9/875, S. 18 zu § 11). Dieser Absicht des Gesetzgebers würde es ebenfalls widersprechen, wenn zur Erweiterung der Rücknahme- und Widerrufsmöglichkeiten ergänzend auf die Vorschriften der §§ 48 und 49 VwVfG zurückgegriffen werden könnte.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß mit dem Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes die Bestimmung des § 48 VwVfG auch nicht mehr zugunsten des Ausländers bezüglich bestandskräftiger Asylablehnungen Anwendung findet. Auch diesem ist es nicht mehr freigestellt, auf seinen Antrag eine Ermessensentscheidung der Behörde nach § 48 VwVfGüber die Rücknahme einer unanfechtbaren Entscheidung über seinen Asylantrag herbeizuführen (BVerwG, Urt. v. 15. 12. 1987 - 9 C 285.86 -, BVerwGE 78, 332, 339) [BVerwG 15.12.1987 - 9 C 285/86]. Vielmehr sollen auch hierauf abzielende Anträge im Interesse der Vereinheitlichung und Beschleunigung des Verfahrens "ungeachtet ihrer Bezeichnung" als Folgeanträge im Sinne von § 14 Abs. 1 AsylVfG angesehen und behandelt werden (BT-Drs. 9/875, S. 17 zu § 9). § 14 Abs. 1 AsylVfG eröffnet jedoch nur dann einen Anspruch auf eine erneute Sachentscheidung, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. § 51 Abs. 5 VwVfG, wonach die Vorschriften der §§ 48 Abs. 1 Satz 1 und 49 Abs. 1 VwVfG bei der Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens unberührt bleiben, wird dagegen in § 14 AsylVfG nicht genannt. Soweit im Rahmen der Prüfung des Folgeantrages nicht bereits wegen vorangegangener rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidungen eine neue Sachprüfung durch das Bundesamt ausgeschlossen ist, folgt hieraus, daß im Rahmen des § 14 AsylVfG kein Anspruch auf Ausübung eines Ermessens zur inhaltlichen Überprüfung einer bestandskräftigen Asylablehnung besteht (BVerwG, Urt. v. 15. 12. 1987, aaO).
Ist jedoch die Anwendung der Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 VwVfG ausgeschlossen, so ist auch ein Rückgriff auf die außerhalb des VwVfG (vgl. § 2 VwVfG) geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze über die Rücknahme und den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte nicht möglich. Denn auch die Anwendung dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze steht unter dem Vorbehalt, daß die Rücknahme- und Widerrufsvoraussetzungen nicht abschließend in spezialgesetzlichen Regelungen normiert sind (Wolff/Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl., § 53 IV Buchst. d, V Buchst. d).
Schließlich gibt es entgegen den vom Beteiligten angeführten Erwägungen keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz dahingehend, daß aus Anlaß eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ergangene begünstigende Verwaltungsakte frei zurückgenommen oder widerrufen werden könnten. Das Verwaltungsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, daß § 50 VwVfG die freie Rücknahme bzw. den Widerruf im Rechtsbehelfsverfahren nur für die Fälle der Drittanfechtung von Verwaltungsakten und nur so weit, wie dadurch dem Widerspruch oder der Klage abgeholfen wird, ermöglicht. Allein verfahrensökonomische Gründe können eine gesetzlich nicht normierte Erweiterung der Widerrufs- und Rücknahmemöglichkeiten für anerkennende Asylentscheidungen nicht rechtfertigen. Denn eine solche Verwaltungspraxis würde gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet das Rechtsstaatsprinzip, daß der Gesetzgeber die der staatlichen Eingriffsmöglichkeit offenliegende Rechtssphäre des einzelnen selbst abgrenzt und dieses nicht dem Ermessen der Verwaltungsbehörden überläßt (vgl. BVerfGE 8, 71, 76 [BVerfG 10.07.1958 - 1 BvF 1/58]; 49, 89, 145) [BVerfG 08.08.1978 - 2 BvL 8/77]. Mit dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes verlangt das Rechtsstaatsprinzip, daß die Verwaltung in den Rechtskreis des einzelnen nur eingreift, wenn sie dazu in einem Gesetz ermächtigt wird und wenn diese Ermächtigung nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend bestimmt und begrenzt ist, so daß die Eingriffe meßbar und in gewissem Ausmaß für den Staatsbürger vorhersehbar und berechenbar werden (BVerfGE 8, 274, 325; 56, 1, 12). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß die Anerkennung als Asylberechtigter die Rechtsstellung eines Ausländers erheblich beeinflußt. Gemäß § 18 Satz 1 AsylVfG ist die Entscheidung des Bundesamts im Asylverfahren in allen Angelegenheiten verbindlich, in denen die Anerkennung rechtserheblich ist. Diese Feststellungswirkung einer Asylanerkennung tritt in vielen Bereichen bereits dann ein, wenn die Anerkennung noch nicht bestandskräftig geworden ist. So erwirbt der Ausländer bereits mit Erlaß des Anerkennungsbescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG die Rechtsstellung nach der Genfer Konvention (Kanein, Ausländerrecht, 4. Aufl., § 18 AsylVfG RdNr. 4) mit den sich daraus ergebenden weiteren Rechtsfolgen (vgl. § 19 Abs. 1 c AFG; § 20 Abs. 2 Satz 6 AsylVfG). Den obengenannten Grundsätzen der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit des Verwaltungshandelns würde es jedoch widersprechen, wenn es dem Bundesamt nach seinem Ermessen überlassen bliebe, ob und wann dem unter falschen Voraussetzungen anerkannten Asylberechtigten diese Rechtsstellung durch Widerruf oder Rücknahme der Anerkennungsentscheidung aus Anlaß eines noch anhängigen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wieder entzogen werden soll, ohne daß es hierzu ausdrücklich vom Gesetzgeber ermächtigt wäre.
Räumt jedoch bereits die noch nicht bestandskräftige Asylanerkennung dem Ausländer eine besondere Rechtsstellung ein, so verletzt ihn eine rechtswidrige Aufhebung der Anerkennungsentscheidung auch im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwVO in eigenen Rechten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision an das Bundesverwaltungsgericht liegen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vor.
Stelling
Behrens
Littmann