Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 29.11.2004, Az.: 2 A 434/03

Bestimmtheit; Negativevidenz; Schenkungsrückgewährungsanspruch; Überleitung; Überleitungsanzeige

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
29.11.2004
Aktenzeichen
2 A 434/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 50803
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger ist der Schwiegersohn der 1924 geborenen Frau E. F.. Frau F. wohnte seit dem 13. November 2001 in der G. H. in D., einem Alten- und Pflegeheim. Der Beklagte erbrachte für Frau F. ab 1. Februar 2002 Pflegeleistungen nach § 68 BSHG. Bis einschließlich Juli 2002 waren dies 275,92 Euro monatlich, ab August 2002 944,95 Euro monatlich.

2

Mit notariellem Vertrag vom 17. Februar 1997 übertrug Frau F. ihren im Grundbuch von Benniehausen eingetragenen Grundbesitz auf den Kläger, nachdem ihr der Grundbesitz zuvor von ihrem Sohn, der seit 6. August 1986 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen war, durch dieselbe Urkunde zurückübertragen worden war. Im Kosteninteresse legten die Vertragsbeteiligten den Wert des Grundstücks mit 180.000,00 DM fest. Das Grundstück war und ist in Abteilung III des Grundbuchs mit Grundschulden in Höhe von 95.000,00 DM belastet. Der Kläger übernahm mit dem notariellen Übertragungsvertrag diese Grundschulden. Gleichzeitig verpflichtete er sich, an seine Schwiegermutter rückwirkend ab dem 1. Dezember 1996 einen an die Entwicklung des Preisindexes gekoppelten monatlichen Versorgungsbetrag in Höhe von 1.000,00 DM zu zahlen und ihr das Erdgeschoss des Wohnhauses zu einem monatlichen Mietzins von 700,00 DM zu vermieten. Weitere vertragliche Verpflichtungen übernahm der Kläger nicht. Seit dem 12. Juni 1997 ist der Kläger als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen. In den Verwaltungsvorgängen des Beklagten befinden sich Kontoauszüge der Frau F. für das Jahr 2001, aus denen sich ergibt, dass sie die vereinbarten 1.000,00 DM monatlich erhalten, jedoch lediglich eine Monatsmiete in Höhe von 350,00 DM entrichtet hat. Dies beruhte darauf, dass der Betreuer der Frau F. die Miete um den Differenzbetrag gekürzt hatte (s. dessen Schreiben vom 9. August 2002 an den Beklagten, Bl. 123 der Beiakten).

3

Mit Bescheid vom 22. August 2002 erließ der Beklagte gegenüber dem Kläger eine Überleitungsanzeige nach § 90 BSHG. Im Tenor dieses Bescheides heißt es: „Den von Frau F. Ihnen gegenüber bestehenden Schenkungsrückforderungsanspruch nach § 528 Abs. 1 BGB leite ich gemäß § 90 Abs. 1 BSHG auf mich über.“ Zur Begründung wird ausgeführt, bei dem notariellen Vertrag vom 17. Februar 1997 handele es sich um eine Schenkung im Sinne von § 516 BGB. Da Frau F. nicht in der Lage sei, ihren angemessenen Unterhalt, zu dem auch die Kosten einer notwendigen Heimunterbringung gehörten, aus eigenen Mitteln zu bestreiten, bestehe ein Schenkungsrückgewähranspruch. Dieser müsse wegen des Nachrangs der Sozialhilfe geltend gemacht werden. Bei Rückgewähr der Schenkung nach Eintritt der Bedürftigkeit würde eine Hilfeberechtigung von Frau F. nicht bestehen. Im Rahmen der Ermessensbetätigung führte der Beklagte aus, im Hinblick auf das Gebot wirtschaftlicher und sparsamer Bewirtschaftung öffentlicher Mittel und dem Grundsatz der Nachrangigkeit der Sozialhilfe überwiege das Interesse an der Realisierung des Rückgewähranspruchs.

4

Hiergegen legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, bei der Grundstücksübertragung von seiner Schwiegermutter auf ihn handele es sich nicht um eine Schenkung. Die Übertragung sei nicht unentgeltlich erfolgt. Vielmehr habe er Grundschulden in Höhe von 110.000,00 DM und eine Zahlungsverpflichtung in Höhe von 1.000,00 DM monatlich übernommen. Zudem habe er in der Zeit von 1996 bis 2002 Erhaltungsaufwendungen in Höhe von 50.000,00 DM für das Haus gehabt. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2003 zurück. Nur wenn offensichtlich ein Schenkungsanspruch nicht bestehe (sog. Negativevidenz) sei die Überleitungsanzeige rechtswidrig. Dies sei hier nicht der Fall. Die Übernahme der Grundschulden durch den Kläger sei keine Gegenleistung, sondern mindere den Wert des Grundstücks. Dieser betrage unter Zugrundelegung der von den Vertragsparteien angenommen Werte 85.000,00 DM (180.000,00 Grundstückswert abzüglich 95.000,00 Grundschulden). Die vom Kläger übernommene Versorgungszusage mache den Vertag zu einer gemischten Schenkung. Insoweit sei ein monatlicher Betrag von 300,00 DM zugrunde zu legen (1.000,00 DM Geldzuwendung abzüglich 700,00 DM Miete monatlich). Ausgehend vom Lebensalter der Frau F. zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und ihrer statistischen Lebenserwartung sei davon auszugehen, dass der Kläger diesen Betrag für 12,84 Jahre (entspricht 153 Monaten) zu zahlen habe. Dies ergebe eine Verpflichtung des Klägers in Höhe von 45.900,00 DM. Folglich übersteige der Wert des Grundstücks die Gegenleistung um 39.100,00 DM. Der Kläger und seine Schwiegermutter seien sich einig gewesen, dass dieser Teil dem Kläger unentgeltlich habe zugewendet werden sollen. Die vom Kläger aufgewendeten Erhaltungskosten für das Gebäude könnten nicht berücksichtigt werden. Zu ihnen sei der Kläger vertraglich nicht verpflichtet gewesen. Er habe sie folglich im eigenen Interesse durchgeführt, wenngleich sie seiner Schwiegermutter auch zugute gekommen seien. Herausverlangt und geltend gemacht werden könne nur ein Anspruch in Höhe der 39.100,00 DM aus § 528 Abs. 1 BGB.

5

Hiergegen hat der Kläger am 28. November 2003 Klage erhoben.

6

Zu deren Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und macht ergänzend geltend, die Immobilie gehöre zum Schonvermögen nach § 88 BSHG.

7

Der Kläger beantragt,

8

den Bescheid des Beklagten vom 22. August 2002 und dessen Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2003 aufzuheben.

9

Der Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Er bezieht sich zur Begründung auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2003.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Klage ist begründet. Die Überleitungsverfügung des Beklagten vom 22. August 2002 ist rechtswidrig. Da sie den Kläger in seinen Rechten verletzt, ist sie gemäß § 113 Abs. 1 VwGO aufzuheben.

14

Nach § 90 BSHG kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige an einen Drittschuldner bewirken, dass ein Anspruch des Hilfeempfängers oder seines nicht von ihm getrennt lebenden Ehegatten bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht. Die Überleitung bewirkt jedoch allein einen Gläubigerwechsel, verändert im Übrigen den übergeleiteten Anspruch nicht und besagt mithin nichts über dessen Bestand, Höhe und Inhalt. Hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zustehen würde. Dem Schuldner verbleiben folglich auch gegenüber dem Sozialhilfeträger alle Rechtseinwendungen, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden.

15

Im Rahmen der Anfechtungsklage gegen eine solche nach § 90 Abs. 1 BSHG angezeigte Überleitung vertraglicher Ansprüche prüft das Verwaltungsgericht das Bestehen des überzuleitenden Anspruchs nur insoweit, als nach objektivem materiellen Recht ein Anspruch ausgeschlossen erscheint, d. h. ob das Nichtvorliegen des übergeleiteten Anspruchs offenkundig ist („Negativevidenz“, vgl. BVerwG, Urteil vom 27.05.1993 -5 C 7.92-, BVerwGE 92, 281; Urteil vom 4.6.1992 -5 C 57/88-, NJW 1992, 3313). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass das Bestehen eines vertraglichen oder gesetzlichen Anspruchs nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Überleitungsanzeige ist. Es reicht vielmehr aus, dass - abstrakt begrifflich - ein Anspruch aus dem konkreten Sachverhalt heraus gegeben sein könnte.

16

Es kann dahin stehen, ob ein Schenkungsrückgewähranspruchs der Frau F. gegen den Kläger von vornherein offenkundig ausgeschlossen ist. Denn der angefochten Bescheid des Beklagten ist deshalb rechtswidrig, weil er inhaltlich nicht hinreichend bestimmt ist.

17

Die schriftliche Überleitung ist, weil sie einen Gläubigerwechsel bewirkt, eine hoheitliche Maßnahme, die der Sozialhilfeträger zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Sie ist somit ein Verwaltungsakt, der gemäß § 33 Abs. 1 SGB X inhaltlich hinreichend bestimmt sein muss (vgl. OVG Münster, Urteil vom 22.01.1998 - 8 A 940/96 -, FEVS 49,6 ff; BSG, Urteil vom 24.08.1998 - 7 Rar 74/86 -, Juris Nr. KSRE033033406). Dies ist dann der Fall, wenn der im Verwaltungsakt zum Ausdruck gekommene Wille der Behörde für die Beteiligten des Verfahrens, in dem er ergeht, unzweideutig erkennbar und nicht einer unterschiedlichen subjektiven Bemessung zugänglich ist (Vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.1990 - 8 T 69/87 -, NVwZ 1990, 855- zu der Parallelvorschrift des § 37 Abs. 1 BayVwVfG -; OVG NW, Urteil vom 27.11.1997 -8 A 4279/95 - unter Hinweis auf BT-Drs. 7/910, S. 58 - Abs. 1 -; Hauck/ Freischmidt/Freund/ Recht/Rombach, Sozialgesetzbuch SGB X/1, 2, Stand: 2003, § 33 Rdnr. 3). An der hinreichenden Bestimmtheit fehlt es u.a., wenn bei gestaltenden oder feststellenden Verwaltungsakten die Reichweite ihrer Gestaltungswirkung bzw. Feststellungswirkung nicht, nicht richtig oder in nicht vertretbarer Weise missverständlich angegeben wird. Ein Verwaltungsakt kann schließlich nur dann als hinreichend bestimmt angesehen werden, wenn sich aus dem verfügenden Teil des Bescheides (=Tenor), der Grundlage der Vollstreckung ist, eindeutig ermitteln lässt, was geregelt werden soll und wenn dies nicht im Widerspruch zu der Begründung steht. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit muss klar ersichtlich sein, dass eine Regelung getroffen werden soll und welchen Inhalt sie hat. Aus Gründen der Rechtssicherheit muss der im Tenor des Verwaltungsaktes zum Ausdruck kommende Wille der Behörde für den Adressaten des Verwaltungsaktes somit unzweideutig erkennbar und nicht einer unterschiedlichen subjektiven Bemessung zugänglich sein. Mangelnde Bestimmtheit geht zu Lasten der Behörde.

18

In Anwendung der vorstehenden Rechtsgrundsätze muss im Falle der Überleitung eines Schenkungsrückgewähranspruchs der Beschenkte zweifelsfrei feststellen können, welcher Ansprüche sich der Sozialhilfeträger konkret berühmt. Eine Überleitungsanzeige muss daher im Tenor kenntlich machen, welches Geschenk der Beschenkte herausgeben soll. Die Anzeige muss zudem - dies kann allerdings auch in den Gründen des Bescheides erfolgen - erkennen lassen, dass der Übergang des Schenkungsrückforderungsanspruchs (nur) in Höhe der dem Hilfeempfängers gewährten Sozialhilfeleistungen auf den Sozialhilfeträger bewirkt werden soll; schließlich ist die Angabe von Zeitraum und Höhe der gewährten Hilfe erforderlich, wegen der die Überleitung erfolgt (BSG, a.a.O., m.w.N.; Urteil der erkennenden Kammer vom 28.01.2004 -2 A 2086/02-, abgedruckt in der Internetentscheidungssammlung des Nds. OVG)).

19

Den vorstehenden rechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes genügt die angefochtene Überleitungsanzeige des Beklagten nicht. Im Tenor des Bescheides vom 22. August 2002 ist der übergeleitete Anspruch lediglich mit „den von Frau F. Ihnen gegenüber bestehenden Schenkungsrückgewähranspruch nach § 528 BGB“ bezeichnet worden. Weder wird aus dem Tenor (und nicht einmal aus den Gründen des Bescheides) deutlich, welches Geschenk zurückgefordert wird, noch wird klargestellt, dass die Rückforderung begrenzt ist durch die Höhe der geleisteten Sozialhilfe. Insbesondere geht der Tenor des Bescheides auf den konkreten Gegenstand der Schenkung mit keinem Wort ein. Selbst wenn man es für zulässig erachten wollte, die Begründung des angefochtenen Bescheides für die Bestimmung des übergeleiteten Anspruchs mit heranzuziehen, wird nicht hinreichend deutlich erkennbar, welcher Anspruch hier übergeleitet werden soll. Dort wird lediglich darauf hingewiesen, der Kläger habe durch den Übergabevertrag vom 17. Februar 1997 das Grundvermögen in Benniehausen erhalten, wobei es sich um eine Schenkung im Sinne von § 515 BGB handele, auf die sich der Schenkungsrückgewähranspruch nach § 528 BGB beziehe. Erst nach Einsichtnahme in weitere Unterlagen, hier in den notariellen Übergabevertrag und den kompletten Verwaltungsvorgang vermag sich ein Rechtskundiger ein Bild davon zu machen, welcher Anspruch denn möglicherweise übergeleitet werden sollte. Aus dem angefochtenen Bescheid, und hierauf kommt es entscheidend an, erschließt sich all dies hingegen nicht. Auch der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 29. Oktober 2003 bringt keine weitere Klarheit. In seinem Tenor wird der Widerspruch schlicht zurückgewiesen. Allerdings geht dieser Bescheid in seiner Begründung auf den genauen Inhalt des Schenkungsrückforderungsanspruchs ein. Es soll sich um einen Geldanspruch in Höhe von 39.100,00 DM handeln, da es sich bei dem Übergabevertrag vom 17. Februar 1997 um eine gemischte Schenkung handele. Wenn der Beklagte den übergeleiteten Anspruch so verstanden hat, hätte er den Widerspruch indes nicht zurückweisen dürfen. Denn im Ausgangsbescheid ist er offenbar davon ausgegangen, dass Frau F. einen Anspruch auf Rückgabe des übertragenen Grundstücks hat. Der Wert dieses Grundstücks übersteigt indes den Geldanspruch deutlich. Deutlich wird, dass selbst der Beklagte den Inhalt des übergeleiteten Anspruchs unterschiedlich interpretiert. So besteht zwischen der uneingeschränkten Überleitung im Ausgangsbescheid und der Einschränkung dieses Anspruchs in der Begründung des Widerspruchsbescheides ein durch Auslegung nicht überbrückbarer Widerspruch. Eine derart auslegungsbedürftige und widersprüchliche Überleitung eines Anspruchs kann nicht Grundlage der Vollstreckung sein, weshalb der angefochtene Bescheid unbestimmt ist.

20

Für den Kläger als Adressat des Bescheides war auch nicht ersichtlich, in welcher Höhe er in Anspruch genommen werden sollte. Denn es fehlt der Hinweis darauf, dass die Überleitung auf die Höhe der entstehenden Sozialhilfeaufwendungen, begrenzt jedoch durch den Wert des übertragenen Vermögens, beschränkt ist.

21

Die Entscheidung über die Notwendigkeit der Hinzuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren fußt auf § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Der Kläger bedurfte der rechtskundigen Unterstützung, um seine Rechte und Ansichten gegenüber dem Beklagten ausreichend zu vertreten.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.