Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 29.11.2004, Az.: 2 B 382/04

Abschiebungshindernisse; Aufschiebende Wirkung; Beanstandungsklage; Bundesbeauftragter; isolierte Abschiebungsandrohung; sonstiger Fall; Suspensiveffekt

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
29.11.2004
Aktenzeichen
2 B 382/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50805
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

1

Der nach § 80 Abs. 5 VwGO zur beurteilende Antrag ist zulässig.

2

Zwar beantragt der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage, doch ist dieses Begehren in einen Antrag auf Feststellung, dass seiner Klage aufschiebende Wirkung zukommt, umzudeuten, da sein Antragsziel erkennbar darauf gerichtet ist, eine sofortige Vollziehung der Abschiebungsandrohung durch die begehrte gerichtliche Entscheidung zu verhindern (vgl. dazu Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 80 Rn. 130).

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Der Antrag hat in der Sache auch Erfolg.

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Die Klage vom 19. November 2004 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. November 2004 hat aufschiebende Wirkung.

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Nach § 75 AsylVfG haben Klagen in asylverfahrensrechtlichen Streitigkeiten nur in den Fällen des § 38 Abs. 1 und 73 AsylVfG aufschiebende Wirkung. Vorliegend ist ein Fall des § 38 AsylVfG gegeben. Die Kammer schließt sich der Rechtsprechung des VG Braunschweig (Beschluss vom 13.05.2004 -2 B 213/04-, zitiert nach der Entscheidungssammlung des Nds. Oberverwaltungsgerichts, ebenso VG Lüneburg, Beschluss vom 01.07.2004 -1 B 47/04-) an, das in diesem Zusammenhang zutreffend ausgeführt hat:

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„Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erlässt das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) nach den §§ 50 und 51 Abs. 4 des Ausländergesetzes die Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird und keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt. Nach §§ 35, 36 Abs. 1 AsylVfG beträgt die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist in den Fällen der Unbeachtlichkeit des Asylantrages (§ 29 AsylVfG) und der offensichtlichen Unbegründetheit (§ 29a, 30 AsylVfG) eine Woche. Nach § 38 AsylVfG beträgt die Ausreisefrist in sonstigen Fällen, in denen das Bundesamt den Ausländer nicht als Asylberechtigten anerkennt, einen Monat. Die Abschiebungsandrohung hat auch zu ergehen, wenn das Bundesamt zwar die Anerkennung als Asylberechtigter ablehnt, aber die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG oder Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG feststellt (§ 50 Abs. 3 AuslG). Nach § 34 Abs. 2 AsylVfG soll mit der Entscheidung über den Asylantrag auch die Abschiebungsandrohung verbunden werden. Nach der Gesetzeslage enthält der Bescheid des Bundesamtes mit dem über die Asylberechtigung bzw. Abschiebungshindernisse nach § 51 Abs. 1, 53 AuslG entschieden wird, auch eine Abschiebungsandrohung. Dies gilt auch, wenn das Bundesamt - wie vorliegend - nach § 31 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG von der Feststellung zu § 53 AuslG abgesehen hat, weil die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG festgestellt sind.

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Vorliegend ist ein Fall der §§ 35, 36 AsylVfG nicht gegeben. Es handelt sich vielmehr um einen sonstigen Fall nach § 38 AsylVfG. Das erkennende Gericht ist mit dem VG Neustadt a.W. (Beschl. v. 05.02.2001 - 7 L 2938/00 -, InfAuslR 2001, 203, 204) der Auffassung, dass eine Anwendung der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 2 AsylVfG nicht deshalb unzulässig ist, weil die isolierte Abschiebungsandrohung eine Entscheidung zur Asylberechtigung nicht trifft (so aber VG Leipzig, Beschl. v. 13.01.2000 - 6 A 31146/99.A -, Juris). § 38 Abs. 1 AsylVfG setzt weder seinem Wortlaut noch nach seinem Zweck voraus, dass die Verfügung der Ausreisefrist in dem selben Bescheid erfolgt, in dem eine Entscheidung über den Asylantrag getroffen wird. Voraussetzung ist vielmehr, dass der Asylbewerber vom Bundesamt nicht als Asylberechtigter anerkannt wird sowie, dass der Asylantrag nicht als offensichtlich unbegründet oder unbeachtlich abgelehnt wurde.

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Es bedarf daher nicht einer analogen Anwendung des § 39 Abs. 1 AsylVfG. Die analoge Anwendung des § 39 AsylVfG (VG Düsseldorf, Beschl. v. 23.07.2003 - 21 L 2528/03.A -; VG Leipzig, Beschl. v. 20.08.2002 - 4 A 30476/02.A. -; VG Wiesbaden, Beschl. v. 27.09.2001 - 6 G 1793/01.A -, alle zit. nach Juris) wird mit dem vielfach als unbillig empfundenen Ergebnis, dass im vorliegenden Fall der Klage aufschiebende Wirkung zukommt, während im Fall des Asylbewerbers, dessen zunächst vom Bundesamt zuerkannte Asylberechtigung vom Verwaltungsgericht aufgehoben wurde, eine solche aufschiebende Wirkung nicht besteht, gerechtfertigt. Im Wege eines Erst-Recht-Schlusses wird daher die analoge Anwendung des § 39 Abs. 1 AsylVfG bejaht. Diese „Schieflage“ verkennt auch das Gericht nicht. Dennoch ist für die analoge Anwendung des § 39 AsylVfG kein Raum. Wie bereits oben dargelegt fehlt es an einer Regelungslücke. Die §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylVfG sind ohne weiteres anwendbar. Das als unbillig empfundene Ergebnis ist nicht Resultat einer Regelungslücke, sondern des Absehens vom Erlass einer Abschiebungsandrohung durch das Bundesamt. Dazu ist das Bundesamt jedoch nicht verpflichtet. Nur für diesen Fall könne von einer Regelungslücke ausgegangen werden. Aus den dargelegten Gründen folgt das Gericht auch nicht dem VG Aachen (Beschl. v. 26. Febr. 2003 - 4 L 166/03.A -, zit. nach Juris), das weder § 38 noch § 39 AsylVfG anwenden will.“

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Ergänzend ist dazu im Anschluss an Funke-Kaiser (GK-AsylVfG, § 34 Rdnr. 75) auszuführen, dass § 75 Abs. 1 AsylVfG einer Differenzierung danach, ob es sich um eine verbundene, d.h. die Feststellung von Asyl und die Abschiebungsandrohung erfassende, oder eine isolierte, d.h. nur die Frage von Abschiebungshindernissen betreffende Anfechtungsklage handelt, nicht zugänglich ist (anders wohl: VG Aachen, a.a.O.; VG Mainz, Beschluss vom 01.06.2001 -6 L 503/01.MZ-, zitiert nach juris). Denn auch eine derart isolierte Anfechtungsklage bezieht sich auf einen Fall des § 38 Abs. 1 AsylVfG. Dem Gesetzgeber war der hierzu bestehende Meinungsstreit bei Schaffung des AsylVfG 1992 bekannt. Er hat trotz der strukturellen Nähe der isolierten Anfechtungsklage zu den Fällen des § 38 Abs. 2 und des § 39 Abs. 1 AsylVfG von einer gesetzlichen Gleichstellung abgesehen. Diese Entstehungsgeschichte lässt es deshalb nicht zu, Fälle der isolierten Anfechtung negativer Feststellungen zu Abschiebungshindernissen dem in § 75 AsylVfG geregelten generellen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Klage zu unterwerfen. Diese Überlegungen gelten auch für den hier gegebenen Fall, dass das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge über die Frage von Abschiebungshindernissen nach einer erfolgreichen Beanstandungsklage des Bundesbeauftragten erstmals befindet. Weshalb der genannte Kommentar zu § 39 Abs. 2 AsylVfG - allerdings nach dem Stand: März 1994 gegenüber den auf den Stand: September 2003 fußenden obigen Ausführungen - entgegen der einhelligen Meinung in der Rechtsprechung und auch derjenigen der Antragsgegnerin meint, § 39 Abs. 2 AsylVfG müsse auf Fälle wie diesen analog angewendet werden, erhellt sich nicht.

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Ein weiterer Aspekt tritt hinzu: Die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ist ein fundamentaler Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Prozesses (§ 80 Abs. 1 VwGO) und sowohl durch Art. 19 Abs. 4 GG (Justizgewährungsanspruch) als auch durch Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip) gewährleistet. Wenn der Gesetzgeber, was ihm auch unter verfassungsrechtlichen Gesichtpunkten grundsätzlich freisteht, das Widerspruchsverfahren und/oder die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen abschafft, dann hat dies wegen der aufgezeigten Grundrechtsrelevanz in einer für den betroffenen Bürger klaren und unmissverständlichen Form zu geschehen. Davon kann hier in Anbetracht des dargestellten Regelungsgefüges der §§ 34 ff. AsylVfG einerseits und der Formulierung in § 75 AsylVfG andererseits nicht ausgegangen werden. Im Zweifel ist daher, wie hier geschehen, derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die einer verfassungsgemäßen Anwendung des Gesetzes am nächsten kommt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG.