Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 23.11.2004, Az.: 2 A 441/03
Hilfe zum Lebensunterhalt; Lebensmittelpunkt; Passivlegitimation; pauschaliertes Wohngeld; Rücknahme; tatsächlicher Unterkunftsbedarf; örtliche Zuständigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.11.2004
- Aktenzeichen
- 2 A 441/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50804
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 97 Abs 1 BSHG
- § 45 Abs 5 SGB 10
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Sind Sozialhilfebewilligungsbescheide unter Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit nach § 97 Abs. 1 BSHG erlassen worden, ist zu der Rücknahme dieser Bescheide nach §§ 45 ff. SGB X gemäß § 45 Abs. 5 SGB X die zuständige Behörde berufen.
Tatbestand:
Die Klägerin bezog von der in Sozialhilfesachen namens und im Auftrage des Antragsgegners tätigen Stadt D. seit Juli 1993 Hilfe zum Lebensunterhalt und pauschaliertes Wohngeld. Ausweislich der Bekundungen der sie behandelnden Psychotherapeutin Frau J. in der mündlichen Verhandlung leidet die Klägerin an rezidivierenden Depressionen und einer Angsterkrankung.
Seit April 1998 mietete sie eine Wohnung in der C. Straße in D. an. In dieser Wohnung verbrauchte die Klägerin im Jahr 1998 an Strom 193 kWh, im Jahr 1999 210 kWh, im Jahr 2000 188 kWh, im Jahr 2001 80 kWh und im Jahr 2002 15 kWh. Der Stromverbrauch im Jahr 2003 betrug in der Zeit vom 1. Februar bis 24. Juni nach den im Erörterungstermin vom 24. Juni 2003 zu Aktenzeichen 2 B 219/03 und dort durch fernmündliche Auskunft des Stromlieferanten EAM gewonnenen Feststellungen 26 kWh. Der Stromverbrauch für das gesamte Jahr 2003 belief sich laut fernmündlicher Auskunft der EAM auf 452 kWh.
Von März bis Oktober 2002 pflegte die Klägerin ihren krebskranken Vater. Dort hielt sie sich tagsüber auf und kam in ihre Wohnung nur zum Übernachten. Der Vater der Klägerin verstarb im September 2002. Anschließend war die Klägerin für den Rest des Monats September 2002 überwiegend bei ihrer in D. lebenden Mutter. In den letzten drei Monaten dieses Jahres hielt sich die Klägerin nach eigener Einlassung, bestätigt durch die Aussagen ihrer Gastgeber überwiegend bei ihrer Freundin K. L. und deren Sohn M. L. in N., Landkreis O. auf. Wegen der Häufigkeit der Aufenthalte und der Einzelheiten der Aufenthaltsmodalitäten in N. wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 24. Juni 2003 im Verfahren 2 B 219/03 Bezug genommen. Auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung besucht die Klägerin die Familie regelmäßig an den Wochenenden. Insoweit wird wegen der Einzelheiten auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Mitarbeiter des Sozialamtes der Stadt D. versuchten in der Zeit von März bis Juni und im Oktober 2003 mehrfach vergeblich, im Juli 2003 mit Erfolg, die Klägerin in ihrer Wohnung anzutreffen. Dabei machten sie die Feststellung, dass oft mehrere Tage dieselbe Post im Briefkasten lag. Nach Aussage von Nachbarn der Klägerin hält diese sich nicht in ihrer Wohnung auf. Aktenkundig sind auch Behauptungen, die Klägerin habe niemals seit Beginn der Anmietung in der Wohnung gewohnt. Allerdings kommt die Klägerin nach diesen Auskünften seit etwa Mitte des Jahres 2003 der turnusmäßigen Treppenhausreinigung nach.
Die Wohnung der Klägerin wurde nach deren eigenen Angaben und den im Erörterungstermin gemachten Angaben des Herrn M. L., dem Sohn ihrer Freundin, seit einiger Zeit und in kleinen Abschnitten renoviert. Ein Raum der Zweizimmerwohnung wurde zum Zeitpunkt des Erörterungstermins nicht zu Wohnzwecken genutzt, da hier Möbel und Einrichtungsgegenstände gelagert wurden. Nutzbar für Wohnzwecke war das Schlafzimmer, die Küche und das Bad der Wohnung. Wegen der Einzelheiten des Zustandes der Räume und des Eindrucks der Wohnung im Ganzen wird ebenfalls auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 24. Juni 2003 Bezug genommen. Die Renovierung wurde nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Klägerin im Dezember 2003 abgeschlossen.
Mit Bescheiden vom 25. April 2003 stellte die Stadt D. die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt und die Gewährung des besonderen Mietzuschusses mit Ablauf des 31. März 2003 ein. Zudem nahm sie mit Bescheid vom 24. April 2003 sämtliche in der Zeit vom 1. April 1998 bis 31. März 2003 ergangenen Sozialhilfebewilligungsbescheide zurück und forderte von der Klägerin Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 36.326,03 Euro zurück. Mit Bescheid vom 2. Mai 2003 schließlich nahm die Stadt D., die insoweit im eigenen Namen handelte, die in der genannten Zeit ergangenen Bescheide über die Bewilligung des besonderen Mietzuschusses (pauschaliertes Wohngeld) zurück und forderte von der Klägerin 8.455,39 Euro.
Zur Begründung aller Bescheide gab sie im Wesentlichen an, sie sei für die Hilfegewährung nicht zuständig. Die Klägerin halte sich tatsächlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich auf. Die von ihr angemietete Wohnung werde von ihr tatsächlich nicht genutzt. Dies sei seit ihrem angeblichen Einzug im April 1998 so und werde sowohl durch den bei einer Wohnungsbesichtigung gewonnenen unmittelbaren Eindruck wie auch durch den extrem niedrige Stromverbrauch im Jahr 2002 bestätigt.
Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Widerspruch ein und beantragte am 22. Mai 2003 zunächst, ihr Prozesskostenhilfe für einen noch zu stellenden einstweiligen Rechtsschutzantrag zu bewilligen sowie am 10. Juli 2003, nachdem ihr mit Beschluss der erkennenden Kammer vom 1. Juli 2003 Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, den Beklagten im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihr Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Mit Beschluss der erkennenden Kammer vom 24. Juli 2003 ist der Beklagte ab dem 1. Juli 2003 entsprechend verpflichtet worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die im Verfahren 2 B 219/03 ergangenen Beschlüsse Bezug genommen.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2003 zurück. Zur Begründung führte der Beklagte an, die Klägerin habe nie in der Wohnung C. Straße gewohnt. Die Wohnung habe bei einer Ortsbesichtigung im März 2003 einen unbewohnten Eindruck gemacht. Bei mehreren, nahezu täglich erfolgten Hausbesuchen sei die Klägerin nicht angetroffen worden. Die Nachbarn hätten bestätigt, dass sich die Klägerin kaum in der Wohnung aufhalte und lediglich die Treppenreinigung vornehme. Ihre Kellerräume nutze die Klägerin als Trödellager. Infolgedessen sei er für die Bewilligung von Sozialleistungen nicht zuständig, da die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt nicht in seinem Zuständigkeitsbereich, sondern in N. habe. Ihre Angaben zu Grund und Dauer der Renovierungsarbeiten seien unglaubhaft. Da dieser Zustand seit Anmietung der Wohnung bestehe, seien sämtliche Bewilligungsbescheide ab 1. April 1998 rechtswidrig. Auf Vertrauensschutz könne sich die Klägerin nicht berufen, weil sie pflichtwidrig nicht mitgeteilt habe, dass sie sich in N. aufhalte. Sie habe im Gegenteil den Anschein erweckt, sie bewohne die Wohnung in der C. Straße. Die bei der Rücknahme von Sozialleistungsbewilligungsbescheiden vorzunehmende Interessenabwägung gehe zu Lasten der Klägerin aus. Das öffentliche Interesse daran, Sozialleistungen nur rechtmäßig zu gewähren, gehe dem privaten Interesse der Klägerin vor.
Hiergegen hat die Klägerin am 3. Dezember 2003 Klage erhoben.
Sie trägt vor, sie sei ausschließlich in der C. Straße gemeldet und habe dort ihren Lebensmittelpunkt. Es handele sich nicht um eine Scheinwohnung. Die Nachbarn, auf deren Aussage sich der Beklagte stütze seien zwei Jahre nach ihr in das Mietshaus eingezogen. Sie nutze ihren Keller nicht als Trödellager, sondern bewahre dort Nachlassgegenstände eines verstorbenen Verwandten des Herrn L. auf. Von März bis Oktober 2002 habe sie sich allerdings nur gelegentlich zum Übernachten in ihrer Wohnung aufgehalten, weil sie sich um ihren krebskranken Vater gekümmert habe. Deshalb und weil ihre Mutter anschließend pflegebedürftig gewesen und es auch ihr, der Klägerin, gesundheitlich schlecht gegangen sei, sei die Renovierung der Wohnung in den Hintergrund gestellt worden. Sie gehe mit dem Strom sehr sparsam um und habe aufgrund ihres psychischen Zustandes und ihres Ruhebedürfnisses weder Fernsehen geguckt noch Radio gehört. Mit Herrn M. L., dem Sohn ihrer Freundin, sei sie lediglich befreundet. Sie werde von ihm finanziell nicht unterstützt und eine eheähnliche Lebensgemeinschaft bestehe nicht. Die Wohnung in N. sei auch viel zu klein, um sie als dritten Bewohner aufnehmen zu können. Frau L. habe ihr einmal auch zu verstehen gegeben, dass sie nicht wolle, dass sie, die Klägerin, ihre Küche mitbenutze. Familie L. wohne dort zur Miete.
Die Klägerin beantragt,
die Bescheide der Stadt D. vom 24. und 25. April und vom 2. Mai 2003 sowie den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 12. November 2003 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin ab dem 1. April 2003 laufende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz und einen besonderen Mietzuschuss in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, hinsichtlich der Bewilligung des besonderen Mietzuschusses sachlich und im Übrigen örtlich unzuständig zu sein. Die Klägerin halte sich überwiegend im Bereich der Gemeinde N. bei K. und M. L. auf. Sicheres Indiz hierfür seien sowohl der extrem geringe Stromverbrauch wie auch der Umstand, dass die Mitarbeiter der in seinem Namen und Auftrag handelnden Stadt D. des öfteren vergeblich versucht hätten, die Klägerin in ihrer Wohnung anzutreffen. Bestätigt werde die Einschätzung durch Aussagen der Nachbarn P. und Q. der Klägerin. Diese ab März 2003 gewonnenen Kenntnisse ließen sich auf die Zeit ab April 1998 übertragen.
Er sei auch für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide zuständig, denn nur er, nicht jedoch der Landkreis O., in dessen Zuständigkeitsbezirk die Gemeinde N. liegt, besitze sämtliche für die Rücknahme erforderlichen Informationen. Die Klägerin genieße keinen Vertrauensschutz, denn sie habe mindestens grob fahrlässig Angaben zu ihrem Lebensmittelpunkt verschwiegen. Wenn er für die Leistungsgewährung unzuständig sei, was als Vorfrage zu bejahen sei, dann sei die Nichtangabe der Ortsabwesenheit mindestens grob fahrlässig. Die Anwendung der §§ 45, 50 SGB X sei nicht durch § 105 SGB X ausgeschlossen, da nicht nur eine Leistung unter Verstoß gegen § 97 BSHG gewährt worden sei, sondern diese Leistung auch noch aus anderen materiellen Gründen rechtswidrig gewesen sei. Wenn und soweit die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt in N. gehabt habe, habe ein sozialhilferechtlicher Bedarf in D. nicht bestanden.
Die Klägerin und ihre Psychotherapeutin sind in der mündlichen Verhandlung informatorische angehört worden. Dabei hat die Klägerin bekundet, sich im Oktober 2003 oft bei ihrer Tochter aufgehalten zu haben, um deren Tochter, ihre Enkelin, während eines längerfristigen Krankenhausaufenthalts des Schwiegersohnes zu betreuen. Wegen der Einzelheiten der Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten dieses und des Verfahrens 2 B 219/03 sowie die Verwaltungsvorgänge der Stadt D. Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist der Beklagte auch passivlegitimiert, soweit es um die Rückforderung und die Einstellung von Leistungen des besonderen Mietzuschusses geht. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. Urteil vom 29.09.1999 - 2 A 2214/97 -, Urteil vom 13. September 2000 - 2 A 2169/98 -) ist der Beklagte als Träger der Sozialhilfe und nicht die Stadt D. für die Bewilligung und mithin auch für die Rücknahme des pauschalierten Wohngeldes sachlich zuständig.
Im Gegensatz zu dem sog. Tabellenwohngeld (dessen Höhe abhängig ist von der Höhe der Aufwendungen für die Unterkunft, der Zahl der Familienmitglieder und der Höhe des Familieneinkommens) wird Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz oder nach dem Bundesversorgungsgesetz nach dem 5. Teil des Wohngeldgesetzes -WoGG- (§§ 31 bis 33) pauschaliertes Wohngeld gewährt. Nach § 37 Satz 1 WoGG entscheidet über das Wohngeld nach dem 5. Teil dieses Gesetzes die in Angelegenheiten der laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt zuständige oder zur Durchführung herangezogene Stelle. Nach dem Regierungsentwurf zu dieser seit dem 01.04.1991 geltenden Vorschrift (zitiert nach Stadler/Gutekunst/Forster, Wohngeldgesetz, § 37, Rn. 1) wird damit eine Vereinfachung bei der Bewilligung von pauschaliertem Wohngeld angestrebt, die nur dann erreicht werden kann, wenn jeweils eine Stelle über beide Sozialleistungen entscheidet. Entscheidet danach eine zur Durchführung herangezogene Stelle (namens und im Auftrage des zuständigen Leistungsträger), so entscheidet sie auch - als herangezogene Stelle und nicht etwa im eigenen Namen - über das pauschalierte Wohngeld; mithin erstreckt sich nach dieser Gesetzesbestimmung die Heranziehung auf die Aufgabe „pauschaliertes Wohngeld“. Nach § 4 Abs. 1 des Nds. Ausführungsgesetzes zum BSHG (in der Fassung vom 20.03.1997 - Nds.GVBl S. 80) können die Landkreise zur Durchführung der ihnen als örtlichen Trägern der Sozialhilfe obliegenden Aufgaben durch Satzung oder öffentlich-rechtlichen Vertrag kreisangehörige Gemeinden und Samtgemeinden heranziehen. In solchen Fällen entscheidet nach § 5 Abs. 1 Satz 4 des Gesetzes die herangezogene kommunale Körperschaft im Namen des zuständigen Trägers der Sozialhilfe. Die Stadt D. ist eine kreisangehörige Gemeinde in diesem Sinne (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 16.04.1969 - IV OVGA 73/64 -). Der Beklagte, der Landkreis D., hat sie durch Satzung vom 01.10.1986 zu allen Aufgaben eines örtlichen Trägers der Sozialhilfe, einschließlich Führung von verwaltungsgerichtlichen und Spruchstellenverfahren, herangezogen. Mithin entscheidet sie in dieser Eigenschaft zusammen mit Hilfe zum Lebensunterhalt auch über pauschaliertes Wohngeld. Richtiger Beklagter ist aber nicht sie selbst, sondern der Landkreis D. als der zuständige Leistungsträger, in dessen Namen und Auftrag die Stadt D. tätig geworden ist. Die Kammer folgt ausdrücklich nicht dem Erlass des Nds. Sozialministeriums vom 15.07.1993 (Az.: 306-25 314-1) und dem nach Abstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen ergangenen Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 15. März 2001, in welchem ausgeführt wird, Beklagter bei Erhebung einer Klage gegen einen Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landkreises im verwaltungsgerichtlichen Verfahren betreffend Gewährung pauschalierten Wohngeldes sei die kreisangehörige Gemeinde bzw. Samtgemeinde selbst, da sie über die Gewährung pauschalierten Wohngeldes in eigener Zuständigkeit entschieden habe (wie die Kammer Stadler/Gutekunst/Forster/Wolf, Wohngeldgesetz, § 33 Rn. 56; a.A. Buchsbaum/Driehaus/Mann/Heise, Wohngeldrecht, § 37 Rn. 8). Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 2002 (- 5 C 58.01 -, FEVS 54, 319) veranlasst die Kammer nicht, von dieser Ansicht abzurücken. In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt, dass der Anspruch auf pauschaliertes Wohngeld, obwohl seine Höhe von den im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes anerkannten laufenden Aufwendungen für die Unterkunft abhängt, nicht auch selbst ein Sozialhilfeanspruch sei. Diese strickte Trennung zwischen Sozialhilfe und Wohngeldrecht führt nicht zu der Annahme, § 33 Abs. 7 WoGG begründe auch für das pauschalierte Wohngeld/besonderen Mietzuschuss die sachliche Zuständigkeit der in Angelegenheiten der laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt herangezogenen Körperschaft. Denn für eine solche Zuständigkeitsregel fehlt es in Anbetracht von Art. 83 GG dem Bundesgesetzgeber an der Gesetzgebungsbefugnis.
Die Klage ist auch begründet. Die Bescheide der Stadt D. vom 24. und 25. April und vom 2. Mai 2003 sind rechtswidrig und die Klägerin hat Anspruch darauf, dass ihr die begehrten Leistungen über den 31. März 2003 hinaus gewährt werden (§ 113 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1. Der von der Stadt D. im eigenen Namen erlassene Bescheid vom 2. Mai 2003, mit dem in der Zeit vom 1. April 1998 bis 31. März 2003 ergangene Bewilligungsbescheide für pauschaliertes Wohngeld (besonderer Mietzuschuss) zurückgenommen und von der Klägerin ein Betrag von insgesamt 8.455,39 Euro zurückgefordert wird ist schon deshalb rechtswidrig, weil die Stadt D. nach dem oben Gesagten hierfür sachlich nicht zuständig war.
2. Der von der Stadt D. namens und im Auftrage des Beklagten erlassene Bescheid vom 24. April 2003, mit dem in derselben Zeit ergangene Bewilligungsbescheide über laufende Hilfe zum Lebensunterhalt zurückgenommen und von der Klägerin ein Betrag von insgesamt 36.326,03 Euro zurückgefordert wird, ist rechtswidrig, weil - die Ansicht des Beklagten zugrunde gelegt - dieser nicht für die Rücknahmeentscheidung zuständig war bzw. - wenn die Ansicht des Beklagten nicht zutrifft - die Bewilligungsbescheide nicht rechtswidrig gewesen sind.
Die Rücknahme eines Sozialleistungsbescheides setzt gemäß § 45 Abs. 5 SGB X einerseits die Rücknahmebefugnis der bescheiderlassenden Behörde und nach § 45 Abs. 1 SGB X die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide voraus. Die Beklagte stützt die Rücknahme der in der Zeit vom 1. April 1998 bis 31. März 2003 ergangenen Bescheide darauf, dass sie für die Bewilligung der Sozialhilfeleistungen nach § 97 BSHG unzuständig und die Bewilligungsbescheide deshalb rechtswidrig gewesen seien. Diese Annahme als richtig unterstellt, wäre der Beklagte für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide gemäß § 45 Abs. 5 SGB X i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X unzuständig. Nach diesen Regelungen entscheidet über die Rücknahme nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes ausschließlich die zuständige Behörde. Dies wäre nach Ansicht des Beklagten hier der Landkreis O.. Dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist und auch für den Fall, dass der aufzuhebende Bescheid von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist (BVerwG, Beschluss vom 25.8.1995 -5 B 141/95-, FEVS 46, 231, m.w.N.; Sachs in Stelkens/Bonk, VwVfG, § 48 Rdnr. 256 f zu § 48 VwVfG). Zu Unrecht stützt der Beklagte seine abweichende Ansicht auf eine Entscheidung des OVG Münster vom 22.1.1998 (FEVS 49, 6). In der Entscheidung (abgedruckt auf S. 10) heißt es nämlich wörtlich: „Wenn freilich die Bewilligungsentscheidung von einer nach dem Gesetz unzuständigen Behörde getroffen worden ist, entspricht es dem gesetzlichen Regelungsziel, dass die zu Unrecht beanspruchte Zuständigkeit nicht prolongiert, sondern dass die nach dem Gesetz „zuständige Behörde“ mit der Sache befasst wird und über die Aufhebung des Bescheides entscheidet“. Ebenso wenig überzeugt die einschränkende Ansicht von Kopp/Ramsauer (VwGO, 7. Aufl., § 48 Rdnr. 148), auf die sich der Beklagte beruft, wonach etwas anderes als vom Bundesverwaltungsgericht Ausgeurteiltes bei Unzugänglichkeit gelten soll. Es bleibt nämlich völlig unklar, was mit dem Begriff „Unzugänglichkeit“ gemeint ist und eine Auseinandersetzung mit der eindeutigen Rechtsansicht des Bundesverwaltungsgerichts findet nicht statt.
Auch der Sinn des § 45 Abs. 5 SGB X gebietet entgegen der Auffassung des Beklagten keine andere Entscheidung. Durch ihn soll eine möglichst optimale Erledigung der Verwaltungsaufgabe durch den ortsnächsten Leistungsträger gewährleistet werden. In diesem Zusammenhang ist der Hinweis des Beklagten, nur er verfüge über die für die Rücknahmeentscheidung erforderlichen Informationen nicht zielführend. Denn dieses faktische Alleinwissen ist dem Umstand geschuldet, dass es der Beklagte entgegen § 16 Abs. 2 Satz 1 SGB I unterlassen hat, den Landkreis O. zeitnah über seine, des Beklagten, Feststellungen, die aus seiner Sicht seine Unzuständigkeit ergeben sollen, zu informieren und dem Landkreis O. die Sozialhilfeakte der Klägerin zur weiteren Bearbeitung zu überlassen. Ein solches Vorgehen vermag die gesetzlichen Zuständigkeitsregeln nicht außer Kraft zu setzen.
Sollte die Annahme des Beklagten, er sei für die Leistungsbewilligung ab April 1998 unzuständig, nicht zutreffen, fällt der Grund für die Rücknahme der Bewilligungsbescheide weg. Denn die Rechtswidrigkeit dieser Bescheide kann sich, wovon auch der Beklagte ausgeht, nur aus seiner Unzuständigkeit ergeben.
3. Die Bescheide vom 25. April 2003 sind rechtswidrig, weil der Klägerin ein Anspruch auf Bewilligung von Hilfe zum Lebensunterhalt und des besonderen Mietzuschusses ab 1. April 2003 zusteht.
Der Beklagte ist ab diesem Zeitpunkt gemäß § 97 Abs. 1 BSHG für die Leistungsbewilligung zuständig, so dass der einzige Grund, auf den er die Nichtbewilligung von Sozialhilfeleistungen stützt nicht besteht. Die Klägerin hält sich tatsächlich im Zuständigkeitsbereich des Beklagten auf. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt die Kammer zur Begründung zunächst Bezug auf ihre Ausführungen in den im Verfahren 2 B 219/03 ergangenen Beschlüsse vom 1. und 24. Juli 2003. Dem Beklagten ist es nicht gelungen, das Gericht davon zu überzeugen, dass die Klägerin in der von ihr angemieteten Wohnung in der C. Straße nicht ihren Lebensmittelpunkt hat und ihr Unterkunftsbedarf anderweitig gedeckt wird.
Mit dem Beklagten ist davon auszugehen, dass laufende Geldleistungen nach § 12 BSHG i.V.m. § 3 Abs. 1 RegelsatzVO nur für solche Aufwendungen in Betracht kommen, die zur Deckung eines aktuellen tatsächlichen Unterkunftsbedarfs notwendig sind, mithin grundsätzlich nur für eine tatsächlich genutzte Unterkunft; wird der Unterkunftsbedarf tatsächlich anderweitig gedeckt oder nutzt der Hilfeempfänger eine angemietete Unterkunft nicht, weil er anderweitig Unterkunft findet oder nimmt, besteht kein Leistungsanspruch (Nds. OVG, Beschluss vom 28. Januar 1998 -12 M 5666/97-, zitiert nach juris; Beschluss vom 25. April 1995 -12 M 1701/95-). Besteht die anderweitige Unterkunft im Zuständigkeitsbereich eines anderen Sozialhilfeträgers, ist dessen Zuständigkeit auch für übrige Hilfe zum Lebensunterhalt gegeben. Der regelmäßige (kostenfreie) Aufenthalt (einschließlich Übernachtung) in der Wohnung eines Partners (einer Partnerin) oder von Bekannten ist dabei - grundsätzlich - unschädlich, soweit sich nicht der Lebensmittelpunkt eindeutig in dessen Unterkunft verlagert, gar eine Gemeinschaft i.S.d. § 122 BSHG besteht, und dem Hilfesuchenden der Umzug tatsächlich möglich (Aufnahmebereitschaft der Dritten Person) und nach Maßgabe des § 2 BSHG abzuverlangen ist.
In diesem Sinne hat die Klägerin nicht eindeutig ihren Lebensmittelpunkt zu der Familie L. nach N. verlegt.
Soweit der Beklagte seine abweichende Ansicht auf die Beobachtungen seines Außendienstmitarbeiters R. aus dem Oktober 2003 stützt, überzeugt dies das Gericht nicht. Zwar sprechen die in der innerdienstlichen Mitteilung vom 4. November 2003 festgehaltenen Erkenntnisse dafür, dass die Klägerin an insgesamt 17 Tagen in der Zeit zwischen dem 9. Oktober und 3. November 2003 zu den jeweils angegebenen Zeiten nicht in ihrer Wohnung war. Gänzlich auszuschließen ist jedoch auch dies nicht, weil eine irgendwie geartete Verpflichtung auf Klingezeichen die Wohnungstür zu öffnen, nicht besteht. Entsprechend hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung bekundet, an einem dieser Tage morgens gegen 7.00 Uhr ein Klingelzeichen vernommen, nachdem sie aus dem Bett aufgestanden sei, aber niemanden mehr angetroffen zu haben. Dass es sich hierbei nicht um eine Schutzbehauptung handelt, hat die Psychotherapeutin der Klägerin in ihrer Anhörung bestätigt. Bedeutsam ist ferner, dass keine Feststellungen zu den in diesem Zeitraum verbleibenden neun Tagen und zu den übrigen verbleibenden Tageszeiten der Tage getroffen worden sind, an denen der Außendienstmitarbeiter vergeblich Einlass in die Wohnung der Klägerin begehrt hat. Es konnte somit schon vor Durchführung der mündlichen Verhandlung denkgesetzlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin zu den festgestellten Zeiten z.B. einkaufen oder im Urlaub gewesen ist oder Freunde besucht hat. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin dann sachlich und nachvollziehbar dargelegt, weshalb sie im Oktober 2003 tagsüber - auch zu frühen Zeiten - nicht zuhause erreichbar gewesen ist. Infolge des Krankenhausaufenthalts ihres Schwiegersohnes hielt sie sich oft und regelmäßig zur Kinderbetreuung im Haushalt ihrer Tochter auf. Die Kammer ist vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage, die durch die Bekundungen der Therapeutin Frau J. bestätigt wird überzeugt. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, weshalb die Klägerin ihrer Therapeutin diesbezüglich die Unwahrheit gesagt haben sollte. Selbst wenn Außerhausaufenthalte, seien sie bei der Familie L. oder bei der Tochter der Klägerin erfolgt, auch Übernachtungen eingeschlossen und eine mehrtägige Abwesenheit der Klägerin von ihrer Wohnung bedeuten hätten, reichten die Indizien zur Überzeugung der Kammer nicht aus, um davon ausgehen zu können, die Klägerin habe ihren Lebensmittelpunkt aus der C. Straße verlagert. Denn derartige Abwesenheiten sind für die Frage, wo der Lebensmittelpunkt einer Person ist, nach der oben dargestellten Rechtsprechung unerheblich. Folglich ist dem Antrag auf Vernehmung des Mitarbeiters R. der Stadt D. als Zeuge nicht nachzukommen. Da der Beklagte nicht dargelegt hat, dass dieser Zeuge weitergehende Beobachtungen über die Nutzung der Wohnung C. Straße durch die Klägerin gemacht hat, als er sie in der innerdienstlichen Mitteilung vom 4. November 2003 festgehalten hat, kann die Wahrheit der getroffenen tatsächlichen Feststellungen unterstellt werden. Abgesehen davon ist der Beweis deshalb nicht zu erheben, weil die Beweistatsache nicht entscheidungserheblich ist. Denn selbst wenn sich die Klägerin nicht regelmäßig in ihrer Wohnung aufgehalten hat, ist damit noch nicht dargetan, dass sich der Lebensmittelpunkt der Klägerin eindeutig aus dem Zuständigkeitsbereich der Stadt D. verlagert hätte.
Die Kammer misst auch den Aussagen der Nachbarn der Klägerin streitentscheidende Bedeutung nicht bei. Ebenso wenig wie der Außendienstmitarbeiter R. der Stadt D. können diese Nachbarn die Wohnung der Klägerin und deren Aufenthalte darin ständig unter Kontrolle haben. Ihre als wahr zu unterstellenden Aussagen, die Klägerin wohne dort nicht, sind deshalb nicht mehr als Momentaufnahmen, die für die Frage, wo die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt hat, nichts austragen. Deshalb auch kommt auch eine Vernehmung der namentlich benannten Nachbarn als Zeugen nicht in Betracht. Abgesehen davon bestätigen die Aussagen der Nachbarn, dass die Klägerin ihren mietvertraglichen Reinigungspflichten im Treppenhaus des Mietshauses jedenfalls ab Mitte 2003 nachgekommen ist.
Für eine Nutzung der Wohnung im Sinne eines Lebensmittelpunktes durch die Klägerin spricht dagegen der nach dem Erörterungstermin im Juni 2003 deutlich gestiegene Stromverbrauch, der auf eine regelmäßige Anwesenheit der Klägerin in der Wohnung schließen lässt. Zwar ist der Stromverbrauch für einen Einpersonenhaushalt immer noch als unterdurchschnittlich hoch anzusehen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung jedoch nachvollziehbar darlegen können, weshalb dies so war. So hat sie ihre Waschmaschine infolge eine Defektes in dieser Zeit nur ein- oder zweimal und auch ihren Elektroherd selten zur Zubereitung warmer Mahlzeiten genutzt. Schließlich ist, wie oben dargelegt, von einer häufigen Wohnungsabwesenheit der Klägerin im Oktober 2003 auszugehen.
Unabhängig von dem Vorstehenden und selbständig die Entscheidung tragend, scheitert die Annahme, die Klägerin habe ihren Lebensmittelpunkt zu irgend einem Zeitpunkt innerhalb des Streitzeitraumes von April 1998 bis November 2003 verlagert daran, dass ihr ein Umzug nach N. - und nur dieser Ort kommt als neuer Lebensmittelpunkt der Klägerin in Betracht - tatsächlich nicht möglich und nach Maßgabe des § 2 BSHG nicht abzuverlangen war. Denn diese Wohnung verfügt nach den Bekundungen der Frau L. im Erörterungstermin vom 24. Juni 2003 und der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, die insoweit durch den Durchsuchungsbericht des Polizeikommissariats Nörten-Hardenberg vom 24. Juni 2003 (Bl. 26 f. der Gerichtsakten im Verfahren 2 B 219/03) bestätigt werden, nur über ein Wohnzimmer, zwei Schlafräume, Küche, Bad und Toilette. Der Klägerin würde mithin in N. kein eigenes Zimmer zur Nutzung zur Verfügung stehen. Weder den bisherigen Bewohnern noch der Klägerin ist unter diesen Umständen eine dauerhafte Aufnahme der Klägerin zuzumuten. Etwas anderes mag sich ergeben, wenn die Klägerin und Herr M. L. in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammenleben würden. Hierfür fehlen indes jegliche tatsächlichen Feststellungen. Die Kammer merkt an dieser Stelle an, dass insoweit eben doch alles dafür spricht, dass der Landkreis O. als ortsnächster Sozialhilfeträger vom Beklagten hätte eingebunden werden müssen. Selbst wenn aber Herr L. bereit wäre, die Klägerin bei sich aufzunehmen, sagt dies nichts für seine Mutter und deren diesbezüglich Bereitschaft aus. Beide sind Mieter der Wohnung in N.. Frau L. hat der Klägerin indes zu erkennen gegeben, dass sie sie nicht in ihre Wohnung aufnehmen wolle. Ob dies mietvertraglich überhaupt zulässig wäre, braucht nicht weiter entschieden zu werden. Mithin hat die Klägerin gar keine zumutbare tatsächliche Möglichkeit, ihren Lebensmittelpunkt nach N. in die Wohnung der Familie L. zu verlagern. Auch wegen dieser selbständig die Entscheidung tragenden Erwägungen sind die (Hilfs-) Beweisanträge des Beklagten abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die einzig rechtsgrundsätzliche Frage, ob der Beklagte oder die Stadt D. für die Rücknahme von Bescheiden über die Bewilligung des besonderen Mietzuschusses (pauschalierten Wohngeldes) zuständig ist, nicht klärungsbedürftig ist, da sie durch das Inkrafttreten des SGB II und des SGB XII mit Wirkung vom 1. Januar 2005 gegenstandslos wird.