Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 10.11.2004, Az.: 2 A 332/03

Aufenthalt; betreutes Wohnen; Betreuung; Einrichtung; Einzelwohnen; Erstattung; gewöhnlicher Aufenthalt; Jugendheim; Kinderheim; Kostenerstattung; Sozialhilfeträger; Wohngruppe; Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
10.11.2004
Aktenzeichen
2 A 332/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 51014
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 13.02.2006 - AZ: 12 LC 528/04

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten um einen Kostenerstattungsanspruch für Sozialhilfeleistungen, die der Kläger Herrn C. D. in der Zeit vom 1. September 2000 bis zum 31. Juli 2002 erbracht hat.

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Der 1976 geborene C. D. ist ausweislich der in den Akten befindlichen fachlichen Stellungnahmen nicht nur vorübergehend wesentlich seelisch behindert. Er leidet an einer leichtgradigen Intelligenzminderung (Intelligenzquotient von 70) und einer Persönlichkeitsstörung mit im Vordergrund stehender emotionaler Instabilität.

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Herr D. lebte bis zum 10. Juli 1994 im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Zum 11. Juli 1994 begab er sich in die vollstationäre Betreuung des Sozialpädagogischen Zentrum E. (im Folgenden Zentrum), Wohngruppe F., einem Kinder- und Jugendheim als. Der Beklagte als zuständiger örtlicher Träger der Jugendhilfe gewährte ihm fortan bis zum 31. August 2000 Eingliederungshilfe gemäß §§ 35 a, 41 SGB VIII. Ab dem 01. Februar1998 mietete er eine 2-Zimmer-Wohnung in G. an, die ihm vom Zentrum vermittelt worden war. Ausweislich einer Stellungnahme seiner Betreuerin Frau H., die Angestellte des Zentrums ist, an das Jugendamt des Beklagten vom 7. Juli 1998 sei das ganze von allen Beteiligten als Versuch gewertet worden, weil in Anbetracht der von Herrn D. in der Vergangenheit entwickelten großen Ängste, seine Wohngruppe zu verlassen, recht unklar gewesen sei, wie er mit der neuen Wohnsituation aufgrund seiner geringen Belastbarkeit zurechtkommen würde. Herr D. wurde weiterhin intensiv von den Mitarbeitern der Wohngruppe betreut. Während der ersten Monate hielt er sich auch noch häufig in der Wohngruppe auf, etwa zu gemeinsamen Mahlzeiten oder Freizeitaktivitäten oder zur Krisenintervention. Nach dieser Stellungnahme wurde die vollstationäre Maßnahme ab dem 1. August 1998 in eine ambulante Maßnahme umgewandelt. Die sehr arbeits- und zeitintensive Betreuung wurde fortgesetzt und beinhaltete nunmehr folgende Schwerpunkte:

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Hilfestellung bei der Alltagsorganisation, Haushaltsführung und Einteilung der finanziellen Mittel;

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Unterstützung bei der Aufnahme sozialer Kontakte in der neuen Umgebung und bei der Freizeitgestaltung;

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Unterstützung bei Behördengängen;

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Unterstützung und Hilfestellung im Ausbildungsbereich/Berufsschule, Berichtsheftführung, Lerneinheiten;

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Intervention und Beratung in Krisensituationen;

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Hilfestellung beim Erwerb der Fahrerlaubnis.

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Darüber hinaus stand Herrn D. weiterhin das freizeitpädagogische Angebot des Zentrums zur Verfügung, das seine Betreuerin mit ihm zu nutzen gedachte. Frau H. hielt eine sozialpädagogische Betreuung mit 10 Fachleistungsstunden für angemessen. Auch diese wurde vom Beklagten aus Mitteln der Jugendhilfe gewährt. Seit Anfang 1999 unternahm Herr D. eine Ausbildung auf einem landwirtschaftlichen Betrieb. Die Lehrstelle fand er in Zusammenarbeit mit seiner Betreuerin. Er brach die Ausbildung am 31. Juli 2000 erfolglos ab.

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Das Einrichtungskonzept des Zentrums differenziert zwischen vollstationärer Betreuung für seelisch behinderte Jugendliche und junge Erwachsene und ambulanten Betreuungsangeboten für Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden und/oder weitgehend selbständig leben können. Ziele der ambulanten Betreuungsangebote sind u.a.

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Befähigung zu eigen- und sozialverantwortlicher Lebensführung,

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Integration in das Gemeinwesen,

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Befähigung zur selbständigen Inanspruchnahme von Hilfe- und Betreuungsangeboten sowie

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das Entwickeln schulischer und/oder beruflicher Perspektiven.

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Im Rahmen der ambulanten Betreuung werden Wohnungen oder Appartements in der Region angemietet, die die jungen Leute auch nach Beendigung der Jugendhilfe weiter bewohnen können. Die Betreuung bietet den Jugendlichen und jungen Erwachsenen mittels Beratung und aktiver Unterstützung Hilfen zur eigenständigen Lebensführung an, wobei notwendige Alltagstechniken trainiert und erlernt werden.

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Der Einrichtungsträger bescheinigte unter dem 9. Oktober 2000, dass Herr D. in der Zeit vom 11. Juli 1994 bis 31. August 2000 in seiner Einrichtung betreut worden sei.

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Ab dem 01. September 2000 bezog Herr D. Hilfe zum Lebensunterhalt durch den Kläger. Dieser erbrachte in der Zeit vom 01. September 2000 bis zum 31. Juli 2002 unbestritten Leistungen in Höhe von insgesamt 8.882,91 EUR. Von diesem Betrag entfallen 2.292,53 Euro auf Wohngeld- und Mietzuschussleistungen.

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Erstmals mit Schreiben vom 28. November 2000 machte der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 103 BSHG geltend und wies darauf hin, dass Herr D. in G. (im Kreisgebiet des Klägers) wohne und von ihm seit dem 01. September 2000 Sozialhilfe beziehe.

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Nachdem es der Beklagte mit Schreiben vom 2. Oktober und 5. Dezember 2002 abgelehnt hatte, Kosten zu erstatten, hat der Kläger am 26. August 2003 Klage erhoben.

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Er ist der Ansicht, Herr D. habe das Zentrum erst zum 01.09.2000 verlassen. In der Zeit vom 01. August 1998 bis zum 31. August 2000 sei er weiterhin vom Zentrum betreut worden, so dass eine ständige Überwachung seiner Person gewährleistet gewesen sei. Deshalb habe Herr D. seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht bereits am 01. August1998 durch Umzug nach G. in seinen Zuständigkeitsbereich verlagert.

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Der Kläger beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 8.882,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er meint, die stationäre Maßnahme für Herrn D. sei am 01. August 1998 in eine ambulante Maßnahme umgewandelt worden. Deshalb habe ab diesem Zeitpunkt ein ambulant betreutes selbständiges Einzelwohnen mit der Folge vorgelegen, dass Herr D. seinen gewöhnlichen Aufenthalt zu diesem Zeitpunkt aus seinem Zuständigkeitsbereich in denjenigen des Klägers verlagert habe.

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Wegen der weitern Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg. Der Kläger hat gemäß § 103 Abs. 3 BSHG einen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung von Sozialleistungen in Höhe von 6.590,39 EUR.

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Nach § 103 Abs. 3 BSHG hat der zuständige örtliche Träger der Sozialhilfe (hier der Kläger) gegen den Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich der Hilfeempfänger (hier Herr D.) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG hatte, hier der Beklagte, einen Kostenerstattungsanspruch, wenn der Hilfeempfänger in den Fällen des § 97 Abs. 2 BSHG die Einrichtung verlässt und im Bereich des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, innerhalb von einem Monat danach der Sozialhilfe bedarf. Die Vorschrift dient ebenso wie § 97 Abs. 2 BSHG dem Schutz des Sozialhilfeträgers, in dessen Zuständigkeitsbereich sich Einrichtungen im Sinne der letztgenannten Vorschrift befinden. Sie soll ihn vor übergroßen finanziellen Belastungen schützen, die durch Einrichtungen entstehen können, für die er nach der Grundregel des § 97 Abs. 1 BSHG sonst örtlich zuständig wäre. Zusätzlich regelt § 103 Abs. 2 BSHG, dass als Aufenthalt in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung auch gilt, wenn jemand außerhalb der Einrichtung untergebracht wird, aber in ihrer Betreuung bleibt. Unter Zugrundelegung dieses Regelungsgefüges geht die Kammer davon aus, dass der klägerische Kostenerstattungsanspruch begründet ist.

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Die Anwendung des § 103 Abs. 3 BSHG setzt nicht voraus, dass dem Hilfeempfänger während des Einrichtungsaufenthalts Sozialhilfe gewährt wurde (BVerwG, Urteil vom 2.10.2003 -5 C 20/02-, DVBl 2004, 444). Es kann deshalb offen bleiben, ob Herr D. während des Aufenthaltes im Sozialpädagogischen Zentrums E. Sozialhilfe bezogen hat.

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Die eigenständige Kostenerstattungsregel in § 103 Abs. 3 BSHG knüpft an die Zuständigkeitsvorschrift des § 97 Abs. 2 BSHG an und verlängert den Schutz des Anstaltsortes auch bei offener Hilfe. Sie setzt damit voraus, dass im Zeitpunkt des Verlassens der Einrichtung nicht der erstattungsberechtigte Sozialhilfeträger selbst, sondern derjenige des gewöhnlichen Aufenthalts des Hilfeempfängers im Zeitpunkt von dessen Aufnahme in die Einrichtung leistungsverpflichtet war. Da der Kläger Ansprüche ab dem 1. September 2000 geltend macht, lässt sich die - hypothetische - Zuständigkeit des Beklagten nach § 97 Abs. 2 BSHG nur bejahen, wenn sich Herr D. mindestens bis Ende Juli 2000 in einer Einrichtung im Sinne dieser Vorschrift aufgehalten hat, weil sonst die Monatsfrist des § 103 Abs. 3 BSHG, binnen derer der Hilfeempfänger der Sozialhilfe bedarf, abgelaufen wäre. Dies stellt der Beklagte im Ergebnis unzutreffend mit der Begründung in Abrede, das Betreuungskonzept für Herrn D. stelle sich ab dem 1. August 1998 als ambulant betreutes Einzelwohnen dar.

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Zunächst ist festzustellen, dass der Anwendbarkeit des § 103 Abs. 3 BSHG nicht erstattungsrechtliche Spezialregelungen entgegenstehen.

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Zwar stellt sich die Unterbringung des Herrn D. im Zentrum ebenso wie die anschließende Betreuung außerhalb der Einrichtung als eine Jugendhilfemaßnahme nach §§ 35a, 41 SGB VIII dar, und halten insoweit die §§ 89 ff SGB VIII erstattungsrechtliche Spezialvorschriften bereit, die denjenigen in § 103 BSHG vorgehen (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 19. Mai 2003 -12 LC 291/02-, NDV-RD 2003, 106). Hier wird vom Kläger aber die Erstattung der nach dem Einrichtungsaufenthalt anfallenden Sozialhilfe für Herrn D. begehrt. Einen derartigen Erstattungsanspruch sehen die §§ 89 ff. SGB VIII naturgemäß nicht vor, weil es insoweit nicht um Kosten der Jugendhilfe geht. Die Anwendung des § 103 Abs. 3 BSHG ist damit eröffnet.

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Die Tatbestandvoraussetzungen des § 103 Abs. 3 BSHG sind erfüllt. Insbesondere liegt ein Fall des § 97 Abs. 2 BSHG vor.

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Da es allein um die Anwendung von Rechtsvorschriften geht, kommt allerdings der Stellungnahme des Einrichtungsträgers des Zentrums vom 9. Oktober 2000, Herr D. sei in der Zeit vom 11. Juli 1994 bis 31. August 2000 in seiner Einrichtung betreut worden, für die Beantwortung der Frage, ob sich Herr D. bis zum 31. August 2000 in einer Einrichtung im Sinne von § 103 Abs. 3 BSHG befand, keine Rechtsbedeutung zu.

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Wegen des eigenständigen Regelungsgehalts der §§ 103 Abs. 3, 97 Abs. 2 BSHG hält es die Kammer für richtig, den hier zugrunde gelegten Einrichtungsbegriff nicht am - weitergehenden - Einrichtungsbegriff der §§ 86 ff. SGB VIII zu orientieren. Zwar hat das Nds. Oberverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung wie auch die Kammer in der Vorentscheidung (Urteil vom 23.1.2002 -2 A 2438/99-) ausgeführt, dass sich die Zuständigkeit für Jugendhilfemaßnahmen, wie hier, nach §§ 86 ff. SGB VIII und nicht nach § 97 BSHG richtet. Diese Zuständigkeitsregel hat indes keinen Einfluss auf die Auslegung der allein unter kostenerstattungsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Frage, ob eine Einrichtung vorliegt oder nicht.

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Die Kammer bejaht die Frage, ob sich Herr D. bis zum 31. August 2000 in einer Einrichtung aufgehalten hat. Dies ergibt sich indes nicht aus der Anwendung des § 97 Abs. 2 BSHG allein, sondern lässt sich nur unter Zuhilfenahme des § 103 Abs. 2 BSHG tun.

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Für die Frage, ob Herrn D. Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung gewährt wurde (§ 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG), gibt § 97 Abs. 4 BSHG eine Auslegungshilfe. Danach sind Anstalten, Heime oder gleichartige Einrichtungen im Sinne des Absatzes 2 alle Einrichtungen, die der Pflege, der Behandlung oder sonstigen in diesem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen oder der Erziehung dienen.

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Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu im Sinne der Rechtsansicht des Beklagten ausgeführt, dass mit dem Wechsel von stationärer zu ambulanter Eingliederungshilfe die örtliche Zuständigkeit nach § 97 Abs. 2 BSHG ende und sie nach § 97 Abs. 1 BSHG neu zu bestimmen sei (Urteil vom 27.02.2002 -5 C 30.01-, BVerwGE 116, 339). Dem lag der diesem vergleichbare Fall einer Eingliederungshilfeempfängerin zugrunde, die nach einem mehrjährigen Heimaufenthalt eine eigene Wohnung bezog und ambulante pädagogische Betreuung erhielt. In einer früheren, zu § 100 BSHG ergangenen Entscheidung bestimmt das Bundesverwaltungsgericht den Einrichtungsbegriff näher (Urteil vom 24.02.1994 -5 C 24.92-, BVerwGE 95, 149, 152). Danach ist die Bindung dieses Begriffs an ein Gebäude oder überhaupt an das Räumliche unerlässlich. Einrichtung bedeutet danach einen für Hilfen nach § 100 BSHG in einer besonderen Organisationsform unter verantwortlicher Leitung zusammengefassten Bestand an persönlichen und sächlichen Mitteln, der auf eine gewisse Dauer angelegt und für einen größeren, wechselnden Personenkreis bestimmt ist. Bei einer dezentralen Unterbringung genügt es für die Annahme einer Einrichtung, wenn die Unterkunft der Rechts- und Organisationssphäre des Einrichtungsträgers so zugeordnet ist, dass sie als Teil des Einrichtungsganzen anzusehen ist. Hiervon kann man für das betreute Wohnen des Herrn D. jedenfalls für die Zeit ab 1. August 1998 nicht ausgehen. Denn er hat selbständig, wenn auch mit vorheriger Unterstützung des Sozialpädagogischen Zentrums, eine eigene Wohnung angemietet, die in keinerlei rechtlichem oder organisatorischem Bezug zum Zentrum steht (Allgemein für das sog. betreute Wohnen in diesem Sinne: Schellhorn, a.a.O., § 97 Rdnr. 96, anders aber wohl § 103 Rdnr. 30; Mergler/Zink, BSHG § 103 Rdnr. 21; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.8.1998 -7 S 1171/98-, FEVS 49, 250). Ob der Ansicht von Schoch gefolgt werden kann, der Einrichtungsbegriffs müsse erweitert werden, da sonst die Erstattungsregel des § 103 Abs. 2 BSHG ins Leere gehen würde (LPK-BSHG § 97 Rdnr. 32a und 60 f.), lässt die Kammer offen. Denn hier geht es nicht um die Bestimmung der Zuständigkeit für in einer Einrichtung zu erbringende Leistungen, sondern um einen Kostenerstattungsanspruch nach Verlassen der Einrichtung. Für diesen Fall trifft § 103 Abs. 2 BSHG eine von den Zuständigkeitsvorschriften unabhängige und deshalb nicht notwendig deckungsgleiche Sonderregel, die auch auf den Erstattungsanspruch nach § 103 Abs. 3 BSHG anzuwenden ist. Zwar könnte die gesetzessystematische Stellung der Vorschrift dafür sprechen, dass sie nur für die Erstattungsregel in § 103 Abs. 1 BSHG gilt. Es ist jedoch kein sachlicher Grund für diese Annahme ersichtlich. Denn der Absatz 1 dieser Vorschrift verweist ebenso wie ihr Absatz 3 auf § 97 Abs. 2 BSHG. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber den Einrichtungsbegriff in ein und derselben Bestimmung, die sowohl in Absatz 1 wie auch in Absatz 3 Erstattungsregeln zugunsten des Sozialhilfeträgers am Ort einer Einrichtung trifft, unterschiedlich ausgelegt wissen wollte.

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Nach § 103 Abs. 2 BSHG gilt als Aufenthalt in einer Einrichtung auch, wenn jemand außerhalb der Einrichtung untergebracht wird, aber in ihrer Betreuung bleibt oder aus ihr beurlaubt wird. Herr D. ist auch ab dem 1. August 1998 bis zum 31. August 2000 in einer derartigen Betreuung des Zentrums geblieben.

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Für diese Annahme genügt allerdings nicht jede Art noch so geringfügiger Betreuung. Vielmehr liegt sie nur vor, wenn eine ständige Überwachung des der Hilfe und/oder Betreuung bedürftigen Hilfeempfängers erfolgt.(Schellhorn; Das Bundessozialhilfegesetz, 6. Auflage, § 103 Rdnr.30). Es muss sich um eine regelmäßige, intensive und den jeweiligen Hilfeerfordernissen angepasste Einflussnahme der Einrichtung handeln, die in kurzen zeitlichen Abständen erfolgt (Schoch, a.a.O., § 103 Rdnr. 24; Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, § 103 Rdnr. 19). Dieser Betreuung muss zudem ein sozialpädagogisches Gesamtkonzept des Einrichtungsträgers zugrunde liegen. Beides ist hier zu bejahen.

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Die Betreuerin des Herrn D., Frau H., weist in ihrem Schreiben vom 7. Juli 1998 darauf hin, dass die vollstationäre Maßnahme zum 01. August in eine ambulante Maßnahme umgewandelt werde. Aus dem Schreiben ergibt sich weiter, dass Herr D. während dieser Maßnahme weiterhin intensiv durch das Zentrum in Person seiner dort angestellten Betreuerin unterstützt und begleitet wurde. Die Betreuung betraf alle wesentlichen Punkte seines Lebens. So wurde Herr D. durch Frau H. bei der Alltagsorganisation, Haushaltsführung und bei seinen Finanzen betreut. Aber auch bei der Freizeitgestaltung und im Ausbildungsbereich sowie bei Behördengängen unterstützte ihn die Mitarbeiterin des Zentrums. Hier ist auch darauf hinzuweisen, dass Herr D. seinen Ausbildungsplatz nur unter Vermittlung des Zentrums erhalten hat. Es gab keinen nennenswerten Lebensbereich, in dem Herr D. sich nicht auf die Betreuung und Unterstützung des Zentrums hätte verlassen können. Dass es sich um eine sehr intensive Betreuung gehandelt hat, zeigt sich auch daran, dass für die Betreuung zehn Fachleistungsstunden pro Woche angesetzt und die Kosten hierfür vom Beklagten aus Mitteln der Jugendhilfe übernommen wurden. Frau H. war somit zu mehr als einem Viertel ihrer Arbeitskraft nur für Herrn D. tätig.

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Aus dem zu den Gerichtsakten gereichten Einrichtungskonzept des Zentrums ergibt sich darüber hinaus, dass sich das ambulant betreute Einzelwohnen in das Gesamtkonzept der Betreuungsleistungen des Zentrums einbettet. Es stellt sich als Schlussstein, sozusagen als letzter Schritt zur weitgehend betreuungsunabhängigen Selbständigkeit der Hilfeempfänger dar. Die Betreuung erfolgt durch Mitarbeiter des Zentrums.

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Die Klage ist jedoch unbegründet, soweit der Kläger mit ihr auch Wohngeld- und Mietzuschussleistungen geltend macht. Denn der Anspruch nach § 103 Abs. 3 BSHG erfasst nur aufgewendete Kosten der Sozialhilfe. Zu diesen gehören die genannten Leistungen nicht (BVerwG, Urteil vom 28.6.2002 -5 C 8.01-, FEVS 54, 1; Urteil vom 14.11.2002 -5 C 58.01- NDV-RD 2003, 71). Der geltend gemachte Anspruch ist deshalb um 2.292,53 Euro zu kürzen.

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Soweit sich der klägerische Anspruch aus § 103 Abs. 2 BSHG ergibt, steht ihm nicht § 111 SGB X entgegen. Danach ist der Erstattungsanspruch ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend gemacht wird. Mit Schreiben vom 28. November 2000 hat der Kläger seinen seit 1. September 2000 bestehenden Anspruch auf Erstattung von Sozialhilfe gegenüber dem Beklagten unmissverständlich und hinreichend konkret geltend gemacht. Eine sofortige Bezifferung der aufgewandten Kosten ist nicht erforderlich gewesen (st. Rspr. der Kammer, vgl. nur Urteil vom 29.10.2003 -2 A 2332/01-; OVG Lüneburg, Urteil vom 10.4.2002 -4 LB 3480/01-, FEVS 54, 64).

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Der vom Kläger geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291 i.V.m. 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (BVerwG, Urteil vom 22.2.2001 -5 C 34.00-, NVwZ 2001, 1057).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.

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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO für den Leistungsanspruch bzw. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO für den Kostenerstattungsanspruch.

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Die Berufung ist gemäß § 124a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, weil die Frage, ob § 103 Abs. 2 BSHG für die Auslegung des § 103 Abs. 3 BSHG heranzuziehen ist, von grundsätzlicher Bedeutung ist.

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Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 13 Abs. 2 GKG a.F. i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG.