Landgericht Göttingen
Beschl. v. 16.12.2009, Az.: 6 S 58/09
Gutschrifterteilung und gleichzeitige Verrechnung derselben mit einem Negativsaldo durch einen Insolvenzverwalter; Gleichmäßige Befriedigung aller Insolvenzgläubiger i.S.d. § 1 S. 1 Insolvenzordnung (InsO) als vornehmste Aufgabe des Insolvenzverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 16.12.2009
- Aktenzeichen
- 6 S 58/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 35650
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:2009:1216.6S58.09.0A
Verfahrensgang
Rechtsgrundlagen
- § 1 S. 1 InsO
- § 81 InsO
Fundstelle
- ZInsO 2010, 858-859
In dem Rechtsstreit
...
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen
am 16.12.2009
durch
die Vizepräsidentin des Landgerichts ...,
die Richterin am Landgericht ... sowie
die Richterin ...
beschlossen:
Tenor:
Es wird darauf hingewiesen, dass das Gericht beabsichtigt, die am 12.06.2009 gegen das am 06.05.2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Göttingen (Az.: 21 C 4/09) eingelegte Berufung der Beklagten auf ihre Kosten gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Der Beklagten wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen ab Zugang schriftsätzlich Stellung zu nehmen.
Gründe
I.
Nach vorläufiger Bewertung der Kammer auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Darüber hinaus hat auch weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch ist eine Entscheidung des Berufungsgerichts aus den in § 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO genannten Gründen erforderlich.
Das angefochtene Urteil beruht weder auf Rechtsfehlern, noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Das Amtsgericht Göttingen hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung von 1.602,53 EUR nebst Zinsen stattgegeben. Dies erscheint zutreffend.
II.
1.
Es dürfte vom folgenden - überwiegend - unstreitigen Sachverhalt auszugehen sein. Am 19.03.2005 richtete die Insolvenzschuldnerin, die Firma ... an die Beklagte eine Rechnung in Höhe von 828,39 EUR und erteilte am 14.04.2005 eine Gutschrift über 24,13 EUR, so dass sich eine Forderung in Höhe von 804,26 EUR ergab. Diese Forderung stellte die Insolvenzschuldnerin auf dem bei ihr geführten Kontokorrentkonto der Beklagten mit dem Betrag von 804,26 EUR ins Soll.
Am 01.05.2005 wurde das Insolvenzverfahren über die Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt.
Am 09.05.2009 erteilte entweder die Insolvenzschuldnerin selbst durch einen ihrer Mitarbeiter oder der Kläger als Insolvenzverwalter (dies dürfte streitig sein) der Beklagten eine Bonusgutschrift in Höhe von 1.602,53 EUR und stellte diese auf dem Kontokorrentkonto der Beklagten ins Haben, sodass sich dort am 09.05.2009 ein Guthaben von 798,27 EUR ergab (1.602,53 Euro abzgl. 804,26 Euro).
Am 21.05.2005 erteilte der Kläger der Beklagten eine weitere Rechnung in Höhe von 873,09 EUR. Darauf zahlte die Beklagte 74,82 EUR. Hinsichtlich des Restes gab die Beklagte an, insoweit auf dem Kontokorrentkonto ein Guthaben gehabt zu haben.
2.
Rechtlich dürften ausgehend von diesem Sachverhalt zwei Vorgänge zu unterscheiden sein.
a)
Mit der Erteilung der Gutschrift in Höhe von 1.602,53 Euro und der Verrechnung derselben mit dem Negativsaldo auf dem Kontokorrentkonto der Beklagten dürfte diese keine Aufrechnung erklärt haben. Insoweit dürfte allein die Insolvenzschuldnerin beziehungsweise der Kläger gehandelt haben. Daran dürfte vorliegend der Kläger nicht gebunden sein, da die Gutschrifterteilung selbst, spätestens aber die Verrechnung auf dem Kontokorrentkonto rechtswidrig und damit ohne Wirkung sein dürfte. Dabei dürfte es nicht darauf ankommen, ob die Gutschrift und die Verrechnung durch die Insolvenzschuldnerin oder durch den Kläger erfolgt ist.
(1)
Wurde die Gutschrift durch die Insolvenzschuldnerin bzw. durch einen von ihr beauftragten Mitarbeiter erteilt, dürfte diese Verfügung gemäß § 81 InsO unwirksam gewesen sein. Danach sind Verfügungen unwirksam, die der Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über einen Gegenstand der Insolvenzmasse tätigt. Eine Gutschrifterteilung an die Beklagte durch die Insolvenzschuldnerin dürfte eine solche Verfügung über den Gegenstand der Insolvenzmasse sein, da damit unmittelbar die Masse geschmälert wird. Damit hätte eine Gutschrifterteilung durch die Insolvenzschuldnerin nicht erfolgen dürfen. Entsprechend bliebe die Forderung des Klägers gegen die Beklagte in Höhe von 804,25 EUR bestehen, da mangels einer wirksamen Gutschrifterteilung auch keine Saldierung auf dem Kontokorrentkonto der Beklagten eingetreten sein dürfte.
(2)
Hat der Kläger als Insolvenzverwalter selbst die Bonuszahlung bewilligt und auf dem Kontokorrentkonto der Beklagten gutgeschrieben, so dürfte er sich damit insolvenzzweckwidrig verhalten haben mit der Folge, dass die Gutschrift, sicherlich aber die Verrechnung unwirksam sein dürfte.
Zwar steht dem Insolvenzverwalter wegen der mit seinem Amt verbundenen vielfältigen und schwierigen Aufgaben bei der Ausübung seiner Tätigkeit grundsätzlich ein breiter Ermessensspielraum zu. Nach der Rechtsprechung ist die Rechtsmacht des Verwalters jedoch durch den Insolvenzzweck beschränkt. Deshalb sind solche Rechtshandlungen des Verwalters unwirksam, welche der vornehmsten Aufgabe des Insolvenzverfahrens - der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger im Sinne des § 1 S. 1 InsO - klar und eindeutig zu wider laufen (BGH WM 1983, 500; BGH NJW 1994, 323 [BGH 28.10.1993 - IX ZR 21/93]). Eine solche insolvenzzweckwidrige Rechtshandlung des Verwalters würde die Masse nicht verpflichten (BGH WM 2002, 1199 [BGH 25.03.2002 - IX ZR 313/99]). Ein derartiges klar und eindeutiges Zuwiderlaufen wird immer dann angenommen, wenn der Widerspruch zum Insolvenzweck unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten für jeden verständigen Beobachter ohne weiteres ersichtlich ist (BGH WM 1983, 500; 2002, 1199).
Mit der Gutschrifterteilung und der gleichzeitigen Verrechnung derselben mit einem Negativsaldo dürfte der Kläger als Insolvenzverwalter der Gläubigerin - hier der Beklagten - eine hinsichtlicht der übrigen Gläubiger bevorzugte Position verschafft haben. Er dürfte dadurch der Beklagten ermöglicht haben, ihre Forderung aus der Bonusszahlung vollständig werthaltig zu stellen, obwohl ihr im Vergleich zu den übrigen Insolvenzgläubigern möglicherweise nur ein Bruchteilsanspruch zugestanden hätte. Zwar mag damit der Insolvenzverwalter den Zweck verfolgt haben, Kunden der Insolvenzschuldnerin zu binden und damit einer Masseschmälerung entgegenzuwirken, dies hätte jedoch auch dadurch erreicht werden können, dass eine Gutschrift erteilt, diese jedoch nicht unmittelbar verrechnet wird. Dass es sich bei dem Verhalten des Klägers um ein dem Insolvenzverfahren dienenden Zweck zuwiderlaufendes Verhalten handelt, musste sich der Beklagten dabei auch aufdrängen. Diese nimmt rege am Geschäftsverkehr teil und dürfte sich daher ihrer Gläubigerposition als Insolvenzgläubigerin und der daraus folgenden Besserstellung durch die Verrechnung der Gutschrift durchaus bewusst gewesen sein.
Im Ergebnis dürfte daher die Erteilung der Gutschrift, spätestens aber die Verrechnung derselben auf dem Kontokorrentkonto der Beklagten unwirksam gewesen sein, weshalb die Forderung des Klägers in Höhe von 804,26 EUR gegenüber der Beklagten bestehen blieb. Selbst bei Wirksamkeit der Bonuszahlung müsste die Beklagte die Aufrechnung erklären, was wiederum dem Aufrechnungsverbot des Insolvenzverfahrens zuwiderlaufen würde.
b)
Ein weiterer rechtlicher Vorgang dürfte sodann in der Inrechnungstellung der zweiten Forderung in Höhe von 873,09 EUR zu sehen sein. Indem der Kläger diese nicht auf dem Kontokorrentkonto der Beklagten gutgeschrieben hat, sondern vielmehr die Beklagte gegen diese Forderung eine ihr noch zustehende Forderung aus der Bonuszahlungsbewilligung entgegengehalten hat, dürfte sie insoweit die Aufrechnung erklärt haben. Dies wiederum dürfte gegen das insolvenzrechtliche Aufrechnungsgebot verstoßen.
3.
Insgesamt dürfte daher das Urteil des Amtsgerichts Göttingen zu Recht ergangen sein.
III.
Vor einer abschließenden Beratung der Sache durch die Kammer erhält die Beklagte Gelegenheit, zu den vorstehenden Hinweisen innerhalb der obengenannten Frist Stellung zu nehmen.