Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 29.04.2024, Az.: 7 U 405/22

Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Diesel-Abgasskandal; Kompensation des Differenzschadens durch das Software-Update

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
29.04.2024
Aktenzeichen
7 U 405/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 24844
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Stade - 12.07.2022 - AZ: 5 O 353/20

In dem Rechtsstreit
H. GmbH, ...,
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
gegen
A. AG, ...,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsgesellschaft ...,
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 29. April 2024 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade vom 12.07.2022 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieser Beschluss ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. "Diesel-Abgasskandal" geltend.

Wegen der getroffenen Feststellungen und der gestellten Anträge wird auf Ziffer I. des Hinweisbeschlusses des Senats vom 25.03.2024 verwiesen (Bl. 360 ff. d. A.).

Unter Ziffer II. des vorgenannten Hinweisbeschlusses hat der Senat ausgeführt, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückweisen zu wollen, weil eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nicht eingreife. Weiterhin komme ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV im Hinblick auf das unstreitig vorhandene Thermofenster zwar grundsätzlich in Betracht, ein etwaiger Differenzschaden, der danach gegebenenfalls verlangt werden könnte, werde im Wege des Vorteilsausgleichs durch das Software-Update aber vollständig aufgezehrt.

Mit ihrer Stellungnahme gemäß Schriftsatz vom 22.04.2024 tritt die Klägerin der Erwägung des Senats, ein etwaiger Differenzschaden werde durch das Software-Update im Wege der Vorteilsausgleichung vollständig kompensiert, entgegen. Die Gefahr eines behördlichen Einschreitens könne durch ein Software-Update nur für die Zukunft signifikant reduziert werden, was aber die in der Vergangenheit bestandene Unsicherheit eines behördlichen Einschreitens nicht nachträglich kompensiere. Weiterhin fehle es an einem messbaren Nutzungsvorteil in Geld, der über das hinausgehe, was in den Restwert bereits "eingepreist" sei. Das Update sei mit der Rechtsprechung des 36. Zivilsenats des OLG München (Urteil vom 9. Oktober 2023 - 36 U 7055/22 e -, Rn. 77, juris) nur dann und in der Höhe zu berücksichtigen, als es zusammen mit den übrigen Vorteilen (Nutzungsersatz und Restwert) den um den Differenzschaden geminderten Kaufpreis übersteige (Bl. 371 ff. d. A.).

II.

1. Der Senat hält, auch in Ansehung der Einwände der Klägerin, an seinen Erwägungen, ein etwaiger Differenzschaden der Klägerin werde durch das Software-Update im Wege der Vorteilsausgleichung vollständig kompensiert, fest. Damit ist die Berufung, wie mit dem Hinweisbeschluss angekündigt, nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

a) Nach Maßgabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in "Dieselfällen" hat der Tatrichter die Höhe des ersatzfähigen Differenzschadens im Rahmen der vorgesehenen Bandbreite zwischen 5 % und 15 % des gezahlten Kaufpreises nach § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO ohne Hinzuziehung eines Sachverständigengutachtens nach freier Überzeugung zu schätzen.

Dabei finden die von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe des Vorteilsausgleichs zum "kleinen" Schadensersatz Anwendung. Dies hat zur Folge, dass die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs anspruchsmindernd im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen sein können, soweit sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen, wofür der beklagte Hersteller darlegungs- und beweisbelastet ist. Beruft sich der Fahrzeughersteller auf die nachträgliche Verbesserung des Fahrzeugs durch ein Software-Update, kann damit eine Schadensminderung verbunden sein, wenn und soweit das Software-Update die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert, was voraussetzt, dass es nicht seinerseits eine unzulässige Abschalteinrichtung beinhaltet (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, Rn. 80, juris, mit Verweis auf BGH, Urteil vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, Rn. 23 f., juris; BGH, Urteil vom 24. Januar 2022 - VIa ZR 100/21, Rn. 17 ff., juris; BGH, Urteil vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20 -, Rn. 33, juris).

b) Ein Vorteilsausgleich durch das Software-Update setzt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, von der abzuweichen der Senat keinen Anlass sieht, somit nur voraus, dass das Risiko behördlicher Maßnahmen signifikant reduziert wird, woran es (nur dann) fehlt, wenn die festgestellten unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht beseitigt werden oder neue Abschalteinrichtungen implementiert werden.

aa) Dabei liegt es im Wesen eines Updates, dass es "nur" auf die Zukunft ausgerichtet sein kann, die Vergangenheit hingegen unberührt lässt. Daher ist der Schlussfolgerung der Klägerin, weil das Software-Update nur für die Zukunft wirke, komme eine vollständige Schadenskompensation, auch für die zurückliegende Zeit vor dem Aufspielen des Software-Updates, grundsätzlich nicht in Betracht, nicht zu folgen. Denn dies ließe sich mit der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Vorteilsausgleichung beim Differenzschaden ersichtlich nicht vereinbaren. Diese ist vielmehr so zu verstehen, dass die Gefahr behördlichen Einschreitens, die sich bis zum Software-Update nicht realisiert hat und durch das Update dann für die Zukunft vollständig beseitigt wird, zur vollständigen Schadenskompensation führt.

bb) In tatsächlicher Hinsicht ist im Streitfall davon auszugehen, dass die Voraussetzung der zukünftigen Beseitigung der Gefahr behördlichen Einschreitens im Streitfall erfüllt ist. Insoweit wird auf die Ausführungen des Senats in seinem Hinweisbeschluss (Ziff. II. 2. c)) Bezug genommen, denen die Klägerin insoweit nicht entgegengetreten ist.

2. Die Klägerin kann auch mit ihrem weiteren Einwand, es fehle an einem messbaren Nutzungsvorteil in Geld, nicht durchdringen. Auf eine Wertberechnung nach den Grundsätzen der Differenzhypothese kommt es nicht (mehr) an, wenn festgestellt ist, dass die unzulässige Abschalteinrichtung und damit die Gefahr behördlichen Einschreitens durch das Software-Update vollständig beseitigt worden ist. Denn dann ist, bezogen auf den aktuellen Zeitpunkt, der Zustand hergestellt, der auch ohne das schädigende Ereignis (Implementierung der vorschriftswidrigen Ursprungssoftware) bestanden hätte.

Eine Aufwertung des Fahrzeugs durch das Software-Update setzt nur eine signifikante Reduzierung der Gefahr von Betriebsbeschränkungen voraus. Wollte man stattdessen davon ausgehen, eine vollständige Schadenskompensation erfordere eine messbare Werterhöhung, die über den Restwert hinausgeht, könnte das Software-Update für sich genommen - entgegen der oben zitierten BGH-Rechtsprechung - keine Schadenskompensation bewirken, die nicht schon durch die Berücksichtigung des nach § 287 ZPO zu schätzenden Restwerts ohnehin berücksichtigt wird. Der Obersatz der höchstrichterlichen Rechtsprechung hätte dann aber lauten müssen, die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs, der gegebenenfalls durch ein Software-Update erhöht sein könne, könnten anspruchsmindernd im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen sein, anstatt, die Nutzungsvorteile und der Restwert des Fahrzeugs könnten anspruchsmindernd im Wege der Vorteilsausgleichung anzurechnen sein; berufe sich der Fahrzeughersteller auf die nachträgliche Verbesserung des Fahrzeugs durch ein Software-Update, könne damit (ebenfalls) eine Schadensminderung verbunden sein, wenn und soweit das Software-Update die Gefahr von Betriebsbeschränkungen signifikant reduziert werde.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf § 708 Nr. 10 Satz 2, § 711 ZPO.

Eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sieht der Senat nicht veranlasst, weil seine vorstehenden Erwägungen, wie oben im Einzelnen ausgeführt, mit der betreffenden höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einklang stehen.