Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 18.11.2021, Az.: 14 U 119/21

Ansprüche aus einer Bürgschaft; Unwirksamkeit der einer Bürgschaft zugrundeliegenden Sicherungsabrede; Unangemessene Benachteiligung durch Allgemeine Geschäftsbedingungen; Überschreitung eines zulässigen Sicherungseinbehalts

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
18.11.2021
Aktenzeichen
14 U 119/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 64760
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 23.06.2021 - AZ: 14 O 234/20

Fundstellen

  • IBR 2022, 240
  • NJW-Spezial 2022, 301

In dem Rechtsstreit
I. GmbH & Co. KG, ...,
Klägerin und Berufungsklägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
gegen
... Versicherung, ...,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Amtsgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 18. November 2021 beschlossen:

Tenor:

I. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 11.000,00 € festzusetzen.

II. Es wird erwogen, die Berufung der Klägerin gegen das am 23.06.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover, Az. 14 O 234/20, durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

III. Den Parteien wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen seit Zugang dieses Beschlusses gegeben.

Gründe

I.

Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als offensichtlich unbegründet.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dabei ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Landgericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Im vorliegenden Fall ist unter keinem der vorgenannten Gesichtspunkte eine Änderung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts veranlasst. Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin aus der Vertragserfüllungsbürgschaft abgewiesen.

1. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 11.000,00 € gem. § 765 Abs. 1 BGB. Danach verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen. Vorliegend besteht diese Verbindlichkeit nicht, denn die der Bürgschaft zugrundeliegende Sicherungsabrede in § 5.2 und § 14.3 des Bauvertrages zwischen der Klägerin und der Schuldnerin ist unwirksam.

a) Bei den Klauseln § 5.2 und § 14.3 des Bauvertrags zur Durchführung von Montagearbeiten handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die wirksam in den Vertrag einbezogen wurden. Charakteristisch für Allgemeine Geschäftsbedingungen sind die Einseitigkeit ihrer Auferlegung sowie der Umstand, dass der andere Vertragsteil, der mit einer solchen Regelung konfrontiert wird, auf ihre Ausgestaltung gewöhnlich keinen Einfluss nehmen kann (BGH, Urteil vom 17. Februar 2010 - VIII ZR 67/09, BGHZ 184, 259, Rn. 18, juris). Es ist bereits nicht behauptet, dass die Klägerin die Bedingungen zur Disposition ihrer Auftragnehmerin gestellt hat. Zudem ergibt sich aus dem Inhalt und der Gestaltung der in einem Bauvertrag verwendeten Bedingungen ein von dem Verwender zu widerlegender Anschein, dass die Klauseln zur Mehrfachverwendung vorformuliert worden sind (BGH, Urteil vom 23. Juni 2005 - VII ZR 277/04 -, Rn. 8, juris). Bereits die Gestaltung der Präambel des Vertrages, in der die Klägerin genannt und mit "nachstehend als "I." bezeichnet" wird und die Auftragnehmerin lediglich mit "nachstehend als Auftragnehmerin bezeichnet" benannt wird, bestätigt den Anschein, dass diese Bedingungen mehrfach zwischen der Klägerin und unterschiedlichen Auftragnehmern gestellt werden, weil eine Differenzierung in der Bezeichnung ansonsten regelmäßig nicht vorgenommen wird. Diesen Anschein hat die Klägerin nicht widerlegt.

b) Die vorgenannten Klauseln des Bauvertrages sind daher an §§ 305 ff. BGB zu messen (hierzu: Senat, Urteil vom 02.10.2019 - 14 U 94/19 -, Rn. 37 m.w.N., juris).

Gem. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Fall, wenn die Sicherung von Vertragserfüllungsansprüchen eine Größenordnung von 10 % überschreiten (Schulze-Hagen, BauR 2007, 170, 176). Bis zur Höhe von ca. 10 % benachteiligt die Sicherung des Auftraggebers den Auftragnehmer nicht entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Das Vertragserfüllungsrisiko verwirklicht sich insbesondere, wenn der Auftragnehmer vor der Fertigstellung seiner Werkleistung insolvent wird und der Auftraggeber deshalb einen Dritten mit der Vollendung des Bauvorhabens beauftragen muss. Der sich daraus ergebende finanzielle Mehraufwand wird vielfach 10 % der Auftragssumme erreichen oder sogar überschreiten. Die auf diesen Prozentsatz beschränkte Absicherung des Auftraggebers ist daher nicht zu beanstanden (BGH, Urteil vom 09. Dezember 2010 - VII ZR 7/10 -, Rn. 19, juris).

Gemessen daran, wäre die Vereinbarung einer 10%igen Vertragserfüllungsbürgschaft in § 5.2 des Bauvertrages allein zwar noch zulässig. Die belastende Wirkung einer für sich allein gesehen noch hinnehmbaren Klausel kann durch eine oder mehrere weitere Vertragsbestimmungen derart verstärkt werden, dass der Vertragspartner des Verwenders im Ergebnis unangemessen benachteiligt wird (BGH, Urteil vom 14. Mai 2003 - VIII ZR 308/02, NJW 2003, 2234; Urteil vom 25. Juni 2003 - VIII ZR 335/02, NJW 2003, 3192; vgl. auch Urteil vom 25. März 2004 - VIII ZR 453/02, BauR 2004, 1143 = NZBau 2004, 322 = ZfBR 2004, 550). Ergibt sich eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers erst aus der Gesamtwirkung zweier, jeweils für sich genommen nicht zu beanstandender Klauseln, sind beide Klauseln unwirksam. Denn es ist nicht Sache des Gerichts auszusuchen, welche der beiden Klauseln bestehen bleiben soll (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 1994 - VIII ARZ 3/94, BGHZ 127, 245, 253; BGH, Urteil vom 09. Dezember 2010 - VII ZR 7/10 -, Rn. 16, juris).

aa) Dies ist vorliegend der Fall. Nach den von der Klägerin gestellten Vertragsbestimmungen bestehen gem. § 5.2 des Bauvertrages als Sicherheiten für die Klägerin die 10%ige Vertragserfüllungsbürgschaft und zusätzlich ein 5%iger Einbehalt der Abschlagszahlungen. Damit hat die Klägerin den zulässigen Sicherungseinbehalt überschritten. Denn zusätzlich zu der an sich zulässigen Vertragserfüllungsbürgschaft wird auch ein Teil der Abschlagszahlung einbehalten. Dieser Einbehalt führt dazu, dass die von der Klägerin gezahlten Abschlagszahlungen zusätzlich zu dem Betrag der Vertragserfüllungsbürgschaft, der eine Alternativbeschaffung bei dem Ausfall des Auftragnehmers sichern soll, regelmäßig nicht dem vollen Wert der erbrachten Leistungen entsprechen, weil nach der Stellung der jeweiligen Rechnung weitergearbeitet wird. Die dadurch entstehende Gesamtbelastung durch die vom Auftragnehmer zu stellenden Sicherheiten überschreiten das Maß des Angemessenen. Sie lassen sich kumulativ durch das Interesse des Auftraggebers an Absicherung nicht rechtfertigen.

bb) Über die vorgenannte Regelung hinaus benachteiligen die Regelungen des § 5.2 i. V. m. § 14.3. des Bauvertrages den Auftragnehmer auch deshalb unangemessen, weil dieser der Klägerin auch für einen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen möglicher Gewährleistungsansprüche eine Sicherheit von 10% der Auftragssumme zu stellen hat. Dies ist durch das Sicherungsinteresse der Klägerin nicht mehr gedeckt.

Der Bundesgerichtshof hat insoweit Gewährleistungsbürgschaften in Höhe von 5 % der Auftragssumme bisher nicht beanstandet. Er hat auch eine Vereinbarung als noch wirksam angesehen, die eine Sicherheit durch eine kombinierte Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft von 6 % vorgesehen hat, mit der gleichzeitig Überzahlungs- und Gewährleistungsansprüche abgesichert worden sind (BGH, Urteil vom 25. März 2004 - VII ZR 453/02, BauR 2004, 1143 = NZBau 2004, 322 = ZfBR 2004, 550). Eine Sicherheit von insgesamt 10 % übersteigt jedoch das unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer angemessene Maß. In der § 9 c Abs. 2 Satz 3 VOB/A ist vorgesehen, dass die Sicherheit für Mängelansprüche 3 % der Abrechnungssumme nicht überschreiten soll (ebenso in vorherigen Fassungen der VOB/A: vgl. § 9 c Abs. 2 Satz 3 VOB/A a.F. 2016 und § 9 Abs. 8 Satz 3 a.F. 2012). Diese Regelung ist auf entsprechende Erfahrungswerte zurückzuführen, nach denen eine Sicherheit in dieser Höhe im Allgemeinen als angemessen und ausreichend und somit im Normalfall für Verträge mit der öffentlichen Hand als gewerbeüblich angesehen werden kann (Joussen, in: Ingenstau/Korbion, VOB Teile A und B, 21. Aufl., VOB/A, § 9c Rn. 14). In der Praxis der privaten Bauwirtschaft hat sich eine Gewährleistungsbürgschaft von höchstens 5 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme durchgesetzt. Diese Höhe der Sicherheit trägt dem Umstand Rechnung, dass das Sicherungsinteresse des Auftraggebers nach der Abnahme deutlich geringer ist als in der Vertragserfüllungsphase (BGH, Urteil vom 05. Mai 2011 - VII ZR 179/10 -, Rn. 28, juris).

Gemessen daran ist die Allgemeine Geschäftsbedingung in § 14.3 des Bauvertrages, die Gewährleistungsansprüche durch eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10% absichert, unwirksam. Die Rückgabe der Sicherheit ist nicht auch von der Fertigstellung und Abnahme des Werkes abhängig. Die Bürgschaft ist für die Dauer der vereinbarten Verjährungsfrist für Mängelansprüche zu stellen und die Rückgabe erfolgt erst nach Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche. Diese Regelung ermöglicht es der Klägerin, die Vertragserfüllungsbürgschaft längere Zeit nach der Abnahme zu behalten.

c) Der Beklagte kann sich als Bürgin auch auf die Unwirksamkeit der vorgenannten Klauseln berufen.

Dem Bürgen stehen gemäß § 768 Abs. 1 S. 1 BGB die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden zu. Hat der Bürge eine Sicherung gewährt, obwohl die Sicherungsabrede zwischen Hauptschuldner und Gläubiger unwirksam ist, so kann er sich gegenüber dem Leistungsverlangen des Gläubigers auf die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede und auf die Einrede des Hauptschuldners berufen. Nach dem Akzessorietätsgedanken ist sichergestellt, dass der Bürge grundsätzlich nicht mehr zu leisten hat als der Hauptschuldner (BGH, Urteil vom 01. Oktober 2014 - VII ZR 164/12, Rn. 15, juris).

d) Die Erhebung der Einrede ist nicht gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.

Der Zweck der Einrede gebietet es, hierbei strenge Maßstäbe anzulegen und den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nur gegenüber einem wirklich groben Verstoß gegen Treu und Glauben durchgreifen zu lassen, etwa wenn der Verpflichtete den Berechtigten durch sein Verhalten von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten oder ihn nach objektiven Maßstäben zu der Annahme veranlasst hat, es werde auch ohne Rechtsstreit eine vollständige Befriedigung seines Anspruchs zu erzielen sein (BGH, Urteil vom 1. Oktober 1987, IX ZR 202/86, NJW 1988, 266 [BGH 16.09.1987 - IVa ZR 76/86]; OLG Nürnberg, Urteil vom 09. Februar 2009 - 14 U 1226/08 -, Rn. 23, juris; vgl. für eine rechtsmissbräuchliche Berufung auf einen Formverstoß nur in Ausnahmefällen beim Vorliegen ganz besonderer Umstände: BGH, Urteil vom 24. Januar 1990 - VIII ZR 296/88, Rn. 19, juris.).

Ein ähnlich grober Verstoß liegt seitens der Beklagten nicht vor. Diese hat weder (beispielsweise) arglistig gehandelt noch eine besonders schwere Treuepflicht verletzt. Zudem ist die Beklagte an dem Vertragsschluss nicht unmittelbar beteiligt gewesen, sondern hat vielmehr lediglich als Dritte eine Bürgschaft für den Vertrag übernommen, deren Klauseln die Klägerin - als Verwenderin - selbst gestellt hat. Die alleinige potentielle Kenntnis von der Übersicherung genügt nicht, um ein rechtmissbräuchliches Verhalten seitens der Beklagten anzunehmen.

2. Auch das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt unterscheidet sich von dem vorliegenden Fall. In dem von der Klägerin zitierten Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart sind die Abschlagszahlungen alternativ zu einer Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 10% vereinbart worden, wobei die Bürgschaft nach der Abnahme zurückzugeben war. Auch das Oberlandesgericht Stuttgart erachtet eine maximale Obergrenze von 10% als angemessen (OLG Stuttgart, Urteil vom 17. Januar 2017 - 10 U 81/16, Rn. 96, juris), wobei eine geringe Überschreitung, die sich aus unterschiedlichen Berechnungsvorgängen ergebe, keine Übersicherung darstelle. In dem Fall des Oberlandesgerichts Stuttgarts handelte es sich um eine Überschreitung von 0,15% aufgrund von einer Brutto-Berechnung trotz Vorzugssteuerabzugsberechtigung (OLG Stuttgart, Urteil vom 17. Januar 2017 - 10 U 81/16, Rn. 99 ff., juris). Vorliegend ist indes eine Abweichung von 5% aufgrund des Einbehalts gegeben und die Auftragsnehmerin soll die Sicherheit in Höhe von 10% der Auftragssumme über die Abnahme hinaus leisten (s.o.). Diese Belastung der Auftragnehmerin ist nicht mehr angemessen (s.o.).

II.

Die Klägerin sollte nach alledem erwägen, aus Kostengründen ihr Rechtsmittel zurückzunehmen. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass sich im Fall einer Rücknahme der Berufung die anfallenden Gerichtskosten deutlich ermäßigen würden.