Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 18.11.2021, Az.: 11 U 66/21
Rückerstattung einer im Voraus entrichteten Vergütung für die Teilnahme an einem berufsbegleitenden Seminar; Terminverlegung wegen der Corona-Pandemie
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 18.11.2021
- Aktenzeichen
- 11 U 66/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 54426
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2021:1118.11U66.21.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 23.04.2021 - AZ: 16 O 240/20
Rechtsgrundlagen
- § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB
- Art. 240 § 1 BGBEG
- Art. 240 § 5 BGBEG
- § 275 Abs. 1 BGB
Amtlicher Leitsatz
Bucht ein im Erwerbsleben Stehender ein berufsbezogenes und -begleitendes Seminar, für das bereits im Vorfeld bestimmte Termine angegeben worden sind, muss der Seminaranbieter auch ohne ausdrücklichen Hinweis allein nach Maßgabe dieser Umstände davon ausgehen, dass die Einhaltung der angegebenen Termine für die Teilnehmer im Sinne des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB wesentlich ist und sie weder in der Lage noch auch nur bereit sein werden, an dem Seminar an beliebigen anderen Terminen teilzunehmen.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 23. April 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wie folgt abgeändert:
Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin 8.835,75 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29. April 2020 zu zahlen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits jeweils zur Hälfte.
Dieses Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gegenstandswert wird (auch) für den Berufungsrechtszug auf 8.835,75 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten - hilfsweise aus abgetretenem Recht - auf Rückerstattung einer im Voraus entrichteten Vergütung für die Teilnahme einer ihrer Mitarbeiterinnen an einem von der Beklagten zu 1. angebotenen berufsbegleitenden Seminar in Anspruch, dessen ursprünglich angesetzte Termine die Beklagte wegen der Covid-19-Pandemie teilweise verlegen musste und teilweise nur noch über das Internet anbieten konnte.
Am 14. November 2019 meldete sich eine Mitarbeiterin der Klägerin, Frau M., bei der Beklagten zu 1 (im Folgenden der Einfachheit halber: die Beklagte), deren Mitgesellschafterin damals noch auch die Beklagte zu 2. war, für eine Ausbildung zum "Agile Coach" im Rahmen eines mehrtägigen Präsensseminars an. Es standen von vornherein fünf (jeweils zwei- bis dreitätige) Terminblöcke fest, die sich, beginnend am 23. März 2020, über einen Zeitraum von rund sechs Monaten verteilten und die von der Beklagten zusammen mit der Anmeldung bestätigt wurden. Die Klägerin zahlte vorab - wie von Frau M. bei der Anmeldung angekündigt - die vereinbarte Vergütung in Höhe der Klagesumme. Wegen der beginnenden Covid-19-Pandemie sagte die Beklagte den ersten Unterrichtsblock am 13. März 2020 ab. Frau M. erkundigte sich mit einer E-Mail vom 7. April 2020 nach der weiteren Planung der Beklagten. Die Beklagte teilte mit, dass auch der zweite Unterrichtsblock abgesagt werde und die weitere Veranstaltung sodann voraussichtlich als "Webinar" über das Internet angeboten werden solle. Statt des zweiten Blocks sollten zunächst an zwei Tagen - davon ein Termin, der ursprünglich für den zweiten Unterrichtsblock vorgesehen war - per Internet eineinhalbstündige "Webinare" zum Kennenlernen und zum Themenaustausch abgehalten werden. Mit E-Mail vom 20. April 2020 teile die Beklagte mit, dass der erste Unterrichtsblock nunmehr als "Webinar" vom 11. bis zum 13. Mai 2020 stattfinden sollte. Diese Termine waren in der ursprünglichen Planung nicht enthalten; eine vorherige Absprache dieser Termine mit den Teilnehmern fand nicht statt. Am Tag darauf "stornierte" Frau M. ihre Teilnahme mit der Begründung, sie sei sowohl an diesen Terminen als auch an dem von der Beklagten ersatzweise angebotenen Termin zur Teilnahme an dem "Webinar" einer anderen Teilnehmergruppe verhindert; außerdem verzögere sich die gewünschte Ausbildung nun zu sehr. Die Beklagte lehnte am 28. April 2020 die Rückerstattung der Vergütung ab.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstands erster Instanz sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die auf Rückzahlung der Ausbildungsvergütung gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die von der Beklagten zu erbringen gewesene Leistung sei nicht unmöglich geworden. Es habe kein absolutes Fixgeschäft vorgelegen. Die geplante Ausbildung zum "Agile Coach" stehe und falle nicht damit, ob sie zu dem ursprünglich vorgesehenen Termin beendet gewesen sei. Auch habe die Ausbildungsleistung entgegen der Auffassung der Klägerin nicht ausschließlich nur im Präsenzunterricht erbracht werden können. Der Klägerin habe auch kein Rücktrittsrecht gemäß § 323 Abs. 1 BGB zugestanden. Eine etwaige pflichtwidrig zu langsame Reaktion der Beklagten auf die neuen Unterrichtsbedingungen während der Pandemie sei allenfalls als unerheblich im Sinne des § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB zu bewerten. Das ergebe sich aus der Abwägung der wechselseitigen Parteiinteressen. Zugunsten der Beklagten sei dabei unter anderem zu berücksichtigen, dass sie - im Vergleich zur ursprünglichen Planung - kostenfrei zusätzliche Leistungen angeboten habe. Die Klägerin habe schließlich auch nicht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage zurücktreten können. Die Umstellung auf Online-Unterricht stelle keine Geschäftsgrundlage dar, weil der Präsenzunterricht schon ausdrücklicher Vertragsinhalt gewesen sei. Die Pandemiebedingungen im Übrigen seien nicht ausreichend schwerwiegend; es sei davon auszugehen, dass die Parteien den Vertrag auch in Kenntnis dieser veränderten Bedingungen geschlossen hätten. Auch sei das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung dadurch nicht schwer gestört worden. Ein Kündigungsrecht gemäß § 627 BGB habe der Klägerin nicht zugestanden, weil es sich bei dem Seminar nicht um Dienste höherer Art gehandelt habe, denn die Klägerin habe das Lehrpersonal nicht selbst auswählen und daher auch nicht ein besonderes Vertrauensverhältnis begründen können.
Gegen dieses Urteil, auf dessen Begründung im Einzelnen ebenfalls verwiesen wird, richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Rückzahlungsbegehren weiterverfolgt. Die Klägerin rügt die Übergehung von Teilen ihres erstinstanzlichen Vortrags durch das Landgericht. Sie habe bestritten, dass die Beklagte ihren Leistungsumfang ausgedehnt gehabt habe. Auch habe sie beweisbewehrt behauptet, dass ihre Mitarbeiterin gegenüber der Beklagten deutlich gemacht habe, dass ihr Hauptanliegen ein frühzeitiger Beginn des Seminars gewesen sei. In rechtlicher Hinsicht geht die Klägerin weiterhin von vorübergehender Unmöglichkeit der Leistungserbringung aus, weil eine bestimmte Leistungszeit vorgesehen gewesen sei, welche die Beklagte nicht habe einhalten können. Sie, die Klägerin, habe ein - näher ausgeführtes - besonderes Interesse an einer zügigen Ausbildung ihrer Mitarbeiterin gehabt. Im Übrigen wiederholt die Klägerin, dass es ihrer Mitarbeiterin wegen anderweitiger Verpflichtungen nicht möglich gewesen sei, an den von der Beklagten einseitig und ohne Abstimmung angesetzten Nachholterminen teilzunehmen. Die Klägerin meint, dass sich die Unmöglichkeit überdies aus dem Umstand ergebe, dass Präsenzveranstaltungen zunächst nicht mehr möglich gewesen seien, sie aber bei der Beklagten ein Seminar mit Präsenzunterricht und ausdrücklich so beworbenen vielfältigen interaktiven Elementen gebucht gehabt habe und eben gerade nicht als Internet-Veranstaltung. Jedenfalls, so die Klägerin weiter, habe ihr ein Rücktrittsrecht gemäß § 323 Abs. 1 BGB zugestanden, nachdem die Beklagte die ersten beiden Seminartermine abgesagt hatte. Die Fortsetzung des Seminars als Internetveranstaltung sei auch eine Schlechtleistung gewesen. Die Klägerin greift die vom Landgericht im Hinblick auf § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB getroffene Abwägung an, vor allem mit dem wiederholenden Hinweis, dass es eine Ausweitung des Leistungsangebots der Beklagten nicht gegeben habe und dass eine etwaige Ausweitung zum allein maßgeblichen Zeitpunkt des Rücktritts nicht bekannt gewesen sei. Außerdem stellt die Klägerin in Abrede, dass der zusätzliche Zeitaufwand der Beklagten einen inhaltlichen Mehrwert mit sich gebracht habe. Sie behauptet insofern, dass die Teilnahme an einem Internetseminar nun einmal kognitiv anstrengender und ermüdender sei und die Stoffvermittlung mehr Zeit erfordere. Sie rügt, dass der gegenteiligen Annahme des Landgerichts die Tatsachengrundlage im Streitstoff fehle. Die Klägerin behauptet wiederholend außerdem, dass ein Kerninhalt des ursprünglich angebotenen Seminars bei einer Durchführung über das Internet nicht in vergleichbarer Weise habe stattfinden können, nämlich die interaktive Mitarbeit der Teilnehmer und der direkte Austausch untereinander. Die vom Landgericht berücksichtigte Überlegung, dass ihre eigene Mitarbeiterin an dem streitgegenständlichen Seminar teilnehmen sollte, um später selbst Webseminare vorbereiten zu können, hält die Klägerin mit der Begründung für irrelevant, dass hier nun einmal kein Webseminar gebucht gewesen sei und dass ihre Mitarbeiterin im Übrigen selbst wesentlich kürzere Online-Workshops habe vorbereiten sollen. Die Klägerin hält hilfsweise auch an ihrer Auffassung fest, dass jedenfalls die Geschäftsgrundlage entfallen sei. Die Annahme des Landgerichts, dass sie den Vertrag mit der Beklagten auch in Kenntnis der Pandemielage geschlossen hätte, beruhe auf einer abermaligen Verkennung des Sach- und Streitstands. Die Beklagte habe ihre, der Klägerin, gegenteilige Behauptung im ersten Rechtszug nicht bestritten.
Die Klägerin beantragt,
1. das am 23. April 2021 verkündete und am 29. April 2021 zugestellte Urteil des Landgerichts Hannover zum Aktenzeichen 16 O 240/20 aufzuheben und die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 8.835,75 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 29. April 2020 zu zahlen,
2. hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Hannover zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens und des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist begründet.
Die Klägerin hat - gleich ob aus eigenem oder abgetretenem Recht ihrer Mitarbeiterin M. - gegen beide Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung der Seminarvergütung gemäß § 346 Abs. 1 BGB, weil Frau M. (im eigenen Namen oder als Vertreterin der Klägerin) von dem Ausbildungsvertrag wirksam gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB zurückgetreten ist.
1. Diese Regelung erfasst die - nicht ausdrücklich gesetzlich geregelten - sogenannten relativen Fixgeschäfte (vgl. MünchKomm-BGB/Ernst, 8. Aufl., § 323 Rn. 113). Ihr zufolge kann der Gläubiger vom Vertrag ohne Fristsetzung zurücktreten, wenn der Schuldner die Leistung bis zu einem im Vertrag bestimmten Termin oder innerhalb einer im Vertrag bestimmten Frist nicht bewirkt, obwohl die termin- oder fristgerechte Leistung nach einer Mitteilung des Gläubigers an den Schuldner vor Vertragsschluss oder aufgrund anderer den Vertragsschluss begleitender Umstände für den Gläubiger wesentlich ist. Diese Voraussetzungen lagen hier im April 2020 zugunsten der Klägerin vor.
a) In dem Vertrag war eine Leistungszeit genau bestimmt. Das von der Mitarbeiterin M. gebuchte Seminar sollte in fünf "Modulen" abgehalten werden, die an folgenden Tagen stattfinden sollten:
23. bis 25. März 2020,
22. und 23. April 2020,
18. und 19. Juni 2020,
24. und 25. August 2020 sowie
21. und 22. September 2020.
Alle Termine waren bereits - was rechtlich entscheidend ist - vor der Buchung durch Frau M. bekanntgegeben worden (vgl. Seite 4 der Klageschrift, dort Rn. 7; von der Beklagten im ersten Rechtszug mit der Folge des § 138 Abs. 3 ZPO nicht bestritten). Die Beklagte bestätigte in ihrer Buchungsbestätigung vom 14. November 2019 (Anlage K 3, Bl. 21 d. A.) auch eben jene Termine. Frau M. durfte folglich im Zeitpunkt der Buchung verbindlich damit rechnen, dass das Seminar an den angegebenen Tagen durchgeführt werden würde.
b) Darüber hinaus muss für die Anwendbarkeit des § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB die termin- oder fristgerechte Leistung für den Gläubiger wesentlich sein. Das Geschäft muss also mit der Einhaltung oder Nichteinhaltung der Lieferzeit stehen oder fallen sollen (vgl. MünchKomm-BGB/Ernst a.a.O., Rn. 117). Dieses besondere Interesse muss dem Schuldner entweder bei Vertragsschluss mitgeteilt worden oder aus den den Vertragsschluss begleitenden Umständen für ihn erkennbar gewesen sein. Im Streitfall kommt nur Letzteres in Betracht, weil die Klägerin eine ausdrückliche Mitteilung vor Vertragsschluss nicht behauptet.
Die Argumentation der Klägerin zu dieser Fragestellung, mit der sie (auch) ein absolutes Fixgeschäft i.S.d. § 275 Abs. 1 BGB darlegen möchte, krankt daran, dass ihr - behauptetes - besonderes Interesse an einem frühzeitigen Abschluss der Ausbildung auch nach Maßgabe ihres eigenen Vorbringens nicht zum Vertragsinhalt wurde. Weder aus dem schriftsätzlichen Vortrag der Klägerin noch aus den von ihr vorgelegten Anlagen, mit denen der Buchungsvorgang im November 2019 dokumentiert ist (vgl. vor allem Anlage K 1 bis 3, Bl. 18 ff. d. A.) ergibt sich auch nur ansatzweise, dass Frau M. bei der Buchung gegenüber der Beklagten deutlich machte, dass sie und/oder die Klägerin ein besonderes Interesse an einem bestimmten Abschlussdatum hätten. Ohne eine solche ausdrückliche Festlegung beim Vertragsschluss lässt sich ein absolutes Fixgeschäft aber kaum begründen.
Die Annahme eines relativen Fixgeschäfts folgt hingegen aus anderen Umständen:
aa) Im Einklang mit der Tatbestandsalternative "Mitteilung" ist die in § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB normierte Alternative "Erkennbarkeit" dahin zu verstehen, dass die Wesentlichkeit der Zeitbestimmung für den zukünftigen Schuldner erkennbar geworden sein muss, bevor er seine auf Vertragsschluss gerichtete Erklärung (Angebot bzw. Annahme) abgegeben hat. Für die Erkennbarkeit genügt auch, dass die Wesentlichkeit der Zeiteinhaltung der Natur des Geschäfts entspricht oder nach Handelsbrauch anerkannt ist. Es ist naheliegend, im Vertragsschluss nach mitgeteilter oder erkennbar gewordener Wesentlichkeit der Termin- oder Fristeinhaltung eine zumindest konkludente Vereinbarung des Fixcharakters zu sehen. Auf die Wesentlichkeit der Einhaltung der vertraglichen Termin- oder Fristbestimmung, zugleich auf deren Erkennbarkeit für den Gläubiger, deuten beispielsweise hin: Sehr genaue Zeitbestimmungen, insbesondere die Angabe eines bestimmten Tages oder gar einer bestimmten Stunde; bestimmte Wendungen und Klauseln, z.B. "fix", "präzis", "genau", "prompt", "spätestens"; unter Umständen "sofort"; außerdem Bestellungen für bestimmte Anlässe wie Schlussverkauf, Markttage, Weihnachten, überdies Anzeigenaufträge für eine bestimmte Ausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift (vgl. MünchKomm-BGB/Ernst a.a.O., Rn. 118).
bb) Bucht ein im Erwerbsleben Stehender ein berufsbezogenes und -begleitendes Seminar, für das bereits im Vorfeld bestimmte Termine angegeben worden sind, muss der Seminaranbieter auch ohne ausdrücklichen Hinweis allein nach Maßgabe dieser Umstände davon ausgehen, dass die Einhaltung der angegebenen Termine für die Teilnehmer wesentlich ist und sie weder in der Lage noch auch nur bereit sein werden, an dem Seminar an beliebigen anderen Terminen teilzunehmen.
Die Erkennbarkeit dieser Interessenlage folgt aus der allgemeinbekannten Erfahrung, dass im Berufsleben stehende Personen - zumal solche mit höherem betrieblichen Verantwortungsgrad - über ihre Arbeitszeit in der Regel nicht beliebig verfügen können, sondern entweder ihrem Arbeitgeber oder - als Selbstständige - ihren Kunden in vielfältiger Weise terminlich verpflichtet sind. Überdies ist - mindestens bei unselbstständig Erwerbstätigen - immer damit zu rechnen, dass sie mit ihrem Arbeitgeber (und ihren Kollegen) eine Planung ihres Erholungsurlaubs abstimmen müssen. In Zeiten zunehmender Teilzeitbeschäftigung muss schließlich überdies davon ausgegangen werden, dass Arbeitnehmer keineswegs an jedem Werktag zur Arbeitsleistung verpflichtet sind, sondern womöglich familiäre Aufgaben wahrzunehmen haben. Angesichts dieser im Allgemeinen zu vermutenden Begrenztheit der zeitlichen Verfügbarkeit eines im Berufsleben stehenden Seminarteilnehmers muss ein Anbieter von - zumal, wie hier, mehrere Monate im Voraus angebotenen - berufsbegleitenden Seminaren im Allgemeinen davon ausgehen, dass sich die Teilnehmer in ihrer übrigen beruflichen und privaten Zeitplanung auf die angegebenen Termine einrichten, ihre Anmeldung zu einem bestimmten von mehreren angebotenen Seminaren womöglich sogar von Anfang an nach Maßgabe der Vereinbarkeit der angegebenen Termine mit ihrer sonstigen Zeitplanung ausgerichtet haben und daher nicht ohne Weiteres in der Lage sein werden, sich auf Verlegungen der angegebenen Termine einzustellen.
Die Interessenlage der Teilnehmer mag womöglich weniger eindeutig sein, wenn eine Aus- oder Fortbildungsmaßnahme nicht berufsbegleitenden Charakter hat, sondern dazu dient, den Teilnehmern die Aufnahme einer (anderen) Berufstätigkeit überhaupt erst zu ermöglichen (etwa Umschulungsmaßnahmen). Dann darf der Anbieter unter Umständen eher davon ausgehen, dass die Teilnehmer in einem bestimmten Zeitraum ohnehin keine anderweitigen hinderlichen Verpflichtungen und daher kein besonderes Interesse an der Einhaltung etwaiger ursprünglich angegebener fester Termine haben werden. Gleiches könnte gelten, wenn eine Fort- oder Ausbildungsveranstaltung ohnehin außerhalb der üblichen Arbeitszeiten stattfinden soll, also etwa als Abend- oder Wochenendkurs.
cc) So lagen die Dinge im Streitfall aber nicht: Es geht nicht um eine Umschulung oder dergleichen, die der Mitarbeiterin M. erst die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit ermöglichen sollte. Aus der Anmeldung der Mitarbeiterin (Anlage K 1, Bl. 18 d. A.) ergab sich vielmehr unmissverständlich, dass Frau M. bei der Klägerin bereits fest beschäftigt war. Allein aus der Terminplanung der Beklagten, die fünf Module von zumeist nur zwei Tagen Dauer, verteilt über sechs Monate, vorsah, ergibt sich, dass die Beklagte sich mit ihrem Angebot gerade an Personen wandte, die bereits im Berufsleben stehen. Die weit gestreckte Planung nimmt ersichtlich Rücksicht auf den Umstand, dass Berufstätige eine durchgängige elftägige Abwesenheit am Arbeitsplatz häufig mindestens als sehr belastend empfinden und stattdessen eher einzelne Abwesenheitstage mit ihrem sonstigen Arbeitsalltag verknüpfen können. Auch die Seminarbeschreibung (Anlage K 19, Bl. 39 ff. d. A. - für das laufende Jahr) legt nahe, dass sich die Beklagte an Personen wendet, die bereits im Berufsleben stehen und Erfahrung etwa in Organisationfragen und in einer Tätigkeit als "Coach" haben (vgl. etwa Seite 3, Bl. 40 d. A., Mitte).
dd) Im Streitfall kann dahinstehen, ob ein Seminarteilnehmer, der das Rücktrittsrecht aus § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausüben möchte, darlegen und ggf. beweisen muss, dass er an den vom Seminaranbieter angebotenen Ersatzterminen tatsächlich verhindert war. Im Streitfall ist das nämlich unstreitig. Die Klägerin hat eine Verhinderung ihrer Mitarbeiterin M. bereits in der Klageschrift (Rn. 25) vorgetragen. Die Beklagte hat diesen Vortrag nicht bestritten.
c) Der Umstand, dass die Beklagten letztendlich offenbar drei der fünf Ausbildungsmodule an Terminen durchführte, die sie auch ursprünglich benannt hatte (vgl. Seite 5 der Klageerwiderung, Bl. 50 d. A.), nimmt der Klägerin nicht gleichsam rückwirkend das Rücktrittsrecht. Es bleibt dabei, dass die ersten beiden der insgesamt fünf ursprünglich angegebenen Termine ausfielen, nämlich die Termine vom 23. bis 25. März und vom 22. auf den 23. April 2020, und ein neuer Termin (11. bis 13. Mai 2020) hinzukam. Das war der Sachstand zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung am 21. April 2020. Und dieser Sachstand rechtfertigte den Rücktritt aus den ausgeführten Gründen.
d) Bemerkenswert ist, dass die Beklagte selbst die Rechtslage - jenseits der Besonderheiten der Pandemie-Problematik - genauso einschätzt, wie im Vorstehenden dargelegt. Die Klägerin hat als Anlage K 17 (Bl. 37 d. A.) einen Screenshot der Homepage der Beklagten aus dem Abschnitt "FAQ" (= Antworten der Beklagten auf regelmäßig wiederkehrende Fragen) vorgelegt. Dort ist die Frage formuliert, was passiere, wenn eine Schulung ausfalle. Die Antwort der Beklagten lautet, dass das bislang noch nie passiert sei. Falls es doch einmal passiere, könnten die angemeldeten Teilnehmer auf eine andere Schulung umbuchen oder bekämen "eventuell bereits gezahlte Beträge zurückerstattet." Diese Auskunft dürfte die Beklagte zwar rechtlich eher nicht binden; um Allgemeinen Geschäftsbedingungen dürfte es sich bei dem "FAQ"-Bereich einer Homepage eher nicht handeln, was der Senat allerdings nicht näher geprüft hat. Die Antwort bestätigt allerdings jedenfalls die Sichtweise des Senats.
e) Der Gesetzgeber hat sich mit der vorliegenden Problematik, dass fest geplante Veranstaltungen wegen der Covid-19-Pandemie abgesagt werden müssen, bereits befasst, nämlich in dem neu gefassten Art. 240 EG-BGB. Aus diesen Regelungen ergibt sich hier aber keine Veränderung der Rechtslage.
aa) Gemäß Art. 240 § 1 Abs. 2 EGBGB hat ein Kleinstunternehmen im Sinne der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen (ABl. L 124 vom 20. Mai 2003, S. 36) das Recht, Leistungen zur Erfüllung eines Anspruchs, der im Zusammenhang mit einem Vertrag steht, der ein Dauerschuldverhältnis ist und vor dem 8. März 2020 geschlossen wurde, bis zum 30. Juni 2020 zu verweigern, wenn infolge von Umständen, die auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen sind,
1. das Unternehmen die Leistung nicht erbringen kann oder
2. dem Unternehmen die Erbringung der Leistung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen seines Erwerbsbetriebs nicht möglich wäre.
Das Leistungsverweigerungsrecht besteht in Bezug auf alle wesentlichen Dauerschuldverhältnisse. Wesentliche Dauerschuldverhältnisse sind solche, die zur Eindeckung mit Leistungen zur angemessenen Fortsetzung seines Erwerbsbetriebs erforderlich sind.
Das Vorbringen der Beklagten - die durch die Klägerin bereits in der Klageschrift (Rn. 93 ff., Bl. 15 d. A.) auf Art. 240 EG-BGB hingewiesen worden ist - füllt die Voraussetzungen nicht aus, unter denen sie zur Leistungsverweigerung berechtigt gewesen sein könnte.
Es ist schon nicht ersichtlich, dass es sich bei dem hier in Rede stehenden Seminar von insgesamt elf Tagen Dauer um ein Dauerschuldverhältnis handelt. Dabei geht es eher um eine einmalig zur erfüllende Leistung, die lediglich etwas mehr Zeit benötigte. Überdies ergibt sich aus der Norm nicht, ob das darin bestimmte Leistungsverweigerungsrecht dazu führen würde, dass der Leistungsgläubiger nicht nach § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB zurücktreten dürfte. Die Regelung zielt auf Liquiditätsprobleme und begründet im Ergebnis eine zeitlich begrenzte Vorleistungspflicht des Vertragspartners (vgl. jurisPK-BGB/Berg, 9. Aufl., Stand 11. Mai 2020, Art. 240 § 1 EGBGB, Rn. 2). Um all dies geht es im Streitfall nicht,
bb) Gemäß Art. 240 § 5 Abs. 1 EGBGB sind Veranstalter einer Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstigen Freizeitveranstaltung, die aufgrund der COVID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte oder kann, berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen Eintrittskarte oder sonstigen Teilnahmeberechtigung anstelle einer Erstattung des Eintrittspreises oder sonstigen Entgelts einen Gutschein zu übergeben. Umfasst eine solche Eintrittskarte oder sonstige Berechtigung die Teilnahme an mehreren Freizeitveranstaltungen und konnte oder kann nur ein Teil dieser Veranstaltungen stattfinden, ist der Veranstalter berechtigt, dem Inhaber einen Gutschein in Höhe des Wertes des nicht genutzten Teils zu übergeben. Gemäß § 2 ist der Betreiber einer Musik-, Kultur-, Sport- oder sonstigen Freizeiteinrichtung, die aufgrund der COVID-19-Pandemie zu schließen war oder ist, berechtigt, dem Inhaber einer vor dem 8. März 2020 erworbenen Nutzungsberechtigung anstelle einer Erstattung des Entgelts einen Gutschein zu übergeben.
All dies trifft auf das streitgegenständliche Seminar nicht zu. Unbesehen der bereits im Vorstehenden unter aa) mitgeteilten Bedenken, ob durch die Regelung überhaupt ein Rücktrittsrecht gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB ausgeschlossen wird, zeigt die Begrenzung der Befreiung von sofortigen Rückzahlungspflichten allerdings im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber Anbieter etwa von Tagungs- und Fortbildungsangeboten, die sich an Erwerbstätige richten, nicht begünstigen wollte (vgl. dazu auch BT-Drucks. 19/18697, Seite 7 f.).
f) Der im Mittelpunkt des angefochtenen Urteils stehenden Abwägung gemäß § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB bedarf es im Falle eines Rücktritts gemäß § 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht. Die Abwägung ist nur dann vorzunehmen, wenn der Schuldner die Leistung erbracht hat, aber eine Schlechtleistung vorliegt. Im hier einschlägigen Fall einer nicht fristgerechten Leistung liegt keine Schlechtleistung, sondern eine Nichtleistung (jedenfalls im maßgeblichen Zeitpunkt des Rücktritts) vor.
2. Dahinstehen kann nach alledem, ob - wie die Klägerin meint - die Leistung der Beklagten sogar i.S.d. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich geworden war, weil die Fortbildungsveranstaltung nur noch als "Webinar" angeboten werden konnte. Das sei, so die Klägerin, eine qualitativ vollständig andere Leistung als die ursprünglich von ihrer Mitarbeiterin gebuchte Präsenzveranstaltung. Deren Abhaltung, also die Erbringung der gebuchten Leistung, sei aber im Frühjahr 2020 jedenfalls vorübergehend wegen der behördlichen Verbote infolge der Covid-19-Pandemie unmöglich gewesen - und eine nur vorübergehende Unmöglichkeit genüge zur Anwendung des § 275 BGB.
a) Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn die versprochene Leistung auf Grund eines schon bei Vertragsschluss bestehenden (vgl. § 311a Abs. 1 BGB) oder eines danach eingetretenen Hindernisses für jedermann oder den Schuldner dauernd unmöglich ist. Ein zeitweiliges Erfüllungshindernis ist einem dauernden nur dann gleichzuachten, wenn durch das Hindernis die Erreichung des Vertragszwecks in Frage gestellt ist und der einen oder anderen Partei bei billiger Abwägung der beiderseitigen Belange nicht mehr zugemutet werden könnte, die Leistung dann noch zu fordern oder zu erbringen. Dabei ist die Frage, ob ein Leistungshindernis zu einer dauernden oder nur vorübergehenden Unmöglichkeit führt, nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Hindernisses zu beurteilen (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2007 - V ZR 211/06, juris Rn. 24 m.w.N.).
Es dürfte eher schwierig zu begründen sein, dass es einem Seminarteilnehmer im März und April 2020 allgemein unzumutbar war, auf die Inanspruchnahme einer berufsbegleitenden Fortbildung für einige Monate zu verzichten. Zwar trifft es zu, dass die weitere Entwicklung der Covid-19-Pandemie in jenem Zeitraum ebenso unabsehbar war wie die daraus von der Obrigkeit abgeleiteten freiheitseinschränkenden Maßnahmen. Allerdings war zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung am 21. April 2020 - senatsbekannt - durchaus absehbar, dass sich die Pandemie-Lage (zunächst) etwas entspannte. Niemand rechnete ernsthaft damit, dass Unterrichtsveranstaltungen - auch für Erwachsene - etwa auf Jahre hinaus nicht als Präsenzveranstaltungen stattfinden können würden.
Die Klägerin bezieht sich in ihrer Argumentation vor allem auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. März 1982 (VII ZR 357/80, juris Rn. 9 ff.). In jenem Urteil setzte der Bundesgerichtshof eine (nach damaligem Kenntnisstand: mutmaßlich) vorübergehende Unmöglichkeit mit einer dauernden Unmöglichkeit gleich, weil die dortige Klägerin nach der Revolution im Iran die dort geschuldete Leistung nicht mehr erbringen konnte. Es erscheint fraglich, ob jene Sachlage mit der Covid-19-Pandemie vergleichbar ist.
b) Überdies müsste sich feststellen lassen, dass ein - wenigstens teilweise - über das Internet angebotenes Seminar eine vollständig andere Leistung ist als ein Präsenzseminar.
Die Klägerin begründet das, insbesondere unter Verweis auf den von der Beklagten ursprünglich angekündigten hohen Anteil an interaktiven Elementen (vgl. dazu vor allem Anlage K 19. Bl. 39 ff. d. A.) zwar gut nachvollziehbar. Es bleibt dennoch fraglich, ob sich diese Sichtweise tatsächlich als verobjektivierter Maßstab heranziehen lässt. Der Senat hat schon im Ansatz große Zweifel, ob und in welcher Weise sich ein entsprechender objektiver Maßstab festlegen lässt. Es ist nicht ersichtlich, wer diesen Maßstab festlegen könnte und nach welchen objektiven Kriterien - jenseits individueller persönlicher Vorlieben, Erfahrungen und Fähigkeiten - die Festlegung erfolgen sollte.
3. Der Verzinsungsanspruch folgt aus Verzug, der ohne Mahnung eintrat, weil die Beklagte die Rückzahlung am 28. April 2019 endgültig und ernsthaft verweigerte.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 713 ZPO. Schutzanordnungen gemäß § 711 ZPO haben zu unterbleiben, weil die Voraussetzungen, unter denen ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil stattfindet, unzweifelhaft nicht vorliegen. Das einzige in Betracht kommende Rechtsmittel, die Nichtzulassungsbeschwerde, können die Beklagten gemäß § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO nicht in zulässiger Weise einlegen, weil von diesem Urteil für sie keine Beschwer von mehr als 20.000 € ausgeht.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Revisionsgründe gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen.