Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.11.2021, Az.: 16 U 310/21

Erwerb eines vermeintlich vom Dieselskandal betroffenen VW Golf mit einem Motor der Baureihe EA 288; Fahrkurvenerkennung keine unzulässige Abschalteinrichtung; Begriff der Sittenwidrigkeit; Temperaturbasierte Abgasrückführungstechnik

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.11.2021
Aktenzeichen
16 U 310/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 62472
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 30.06.2021 - AZ: 11 O 342/20

In dem Rechtsstreit
H.-J. K., ...,
Kläger und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
gegen
V. AG, vertreten durch den Vorstand, ...,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Anwaltsbüro ...,
hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... und die Richterin am Oberlandesgericht ... am 12. November 2021 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 11. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 30. Juni 2021 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieser Beschluss ist ebenso wie das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Der Kläger macht Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. "Diesel-Abgasskandal" geltend.

Er erwarb am 27. Mai 2014 von der Volkswagen Automobile H. GmbH einen gebrauchten VW Golf zum Kaufpreis von 32.900,00 €. In dem Fahrzeug ist ein VW-Dieselmotor vom Typ EA 288 EUR 5 verbaut, der nach Auffassung des Klägers unter den sog. "Diesel-Abgasskandal" fällt.

Das Landgericht hat die auf Rückabwicklung gerichtete Klage durch Urteil vom 30. Juni 2021 (Bl. 143 ff. d.A.), auf das wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts, der tatsächlichen Feststellungen und der Entscheidungsgründe verwiesen wird, abgewiesen, weil der Kläger das Vorliegen von sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtungen nicht substantiiert dargetan habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 30. Juni 2021 verkündeten Urteils des Landgerichts Hannover, Az. 11 O 342/20, wie folgt zu erkennen:

1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Marke: Volkswagen, Typ: GOLF mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer ... an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von EUR 32.900,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, unter Anrechnung einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs zu erstatten, die sich aus folgender Formel ergibt: Kaufpreis x (aktueller Kilometerstand - Kilometerstand bei Erwerb) / (geschätzte Gesamtlaufleistung - Kilometerstand bei Erwerb) zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von EUR 2.199,36 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in dem Berufungsantrag zu 2. (hier 1.) genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung und die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze verwiesen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 1. Oktober 2021 (Bl. 231 ff. d. A.) darauf hingewiesen, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig zurückweisen zu wollen. Dem ist der Kläger mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 20. Oktober 2021 (Bl. 254 ff. d. A.) entgegengetreten, mit dem er seinen Vortrag zu den behaupteten Abschalteinrichtungen und einem vermeintlich sittenwidrigen Handeln der Beklagten weiter vertieft.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist offensichtlich unbegründet und unterliegt daher der Zurückweisung durch den vorliegenden, einstimmig gefassten Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO.

Die Rechtssache hat unter Berücksichtigung der aktuellen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zum Komplex des sog. "Diesel-Abgasskandals" keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich. Unter Berücksichtigung dessen erscheint auch eine mündliche Verhandlung nicht als geboten.

Zur Begründung nimmt der Senat in vollem Umfang auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom 1. Oktober 2021 Bezug, an denen er festhält. Die Beschlussgründe werden durch die dazu von dem Kläger abgegebene Stellungnahme mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2021 nicht entkräftet; vielmehr bleibt es dabei, dass das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat.

Zu den Ausführungen des Klägers in seiner Stellungnahme ist - teilweise ergänzend, teilweise wiederholend - Folgendes festzuhalten:

1. Bereits im Rahmen des o.g. Hinweisbeschlusses wurde dargelegt, dass von einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung nicht ausgegangen werden kann und es mithin an der schlüssigen Darlegung des erforderlichen Grundmangels fehlt, wenn das Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden: KBA) als zuständige Typengenehmigungsbehörde auf der Grundlage vollständiger und wahrheitsgemäßer Angaben des Herstellers vorhandene Abschalteinrichtungen als zulässig eingestuft und die Typengenehmigung in bewusster Billigung dieser Abschalteinrichtungen erteilt hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 2021 - VIII ZR 357/20 -, juris Rn. 30). Ein solches Einverständnis liegt auch vor, wenn das KBA den streitgegenständlichen Motortyp bereits (nachträglich) überprüft hat und hierbei zu dem Ergebnis gelangt ist, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen vorliegen und darüber hinaus auch keine anderweitigen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass im betroffenen Fahrzeug gleichwohl eine unzulässige, im EG-Typengenehmigungsverfahren verschwiegene und auch bei der nachträglichen Prüfung unentdeckt gebliebene Abschalteinrichtung vorhanden ist, aufgrund der in der - näheren oder ferneren - Zukunft eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung gem. § 5 Abs. 1 FZV drohen könnte.

Dass dies vorliegend der Fall ist, hat der Senat bereits in dem Hinweisbeschluss vom 1. Oktober 2021 ausführlich dargelegt; dies gilt auch für den Umstand, dass - im Übrigen auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 -, juris Rn. 23) - die vermeintliche Überschreitung der gesetzlichen Emissionsgrenzwerte im Realbetrieb gerade kein ausreichendes Indiz für das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung darstellt. Daran ändern auch die weiteren Ausführungen in dem Schriftsatz des Klägers vom 20. Oktober 2021 nichts.

Soweit der Kläger darin auf die vermeintliche Unmaßgeblichkeit der Beurteilung durch das KBA abstellt, verkennt er weiterhin, dass es auf das Einverständnis der zuständigen Behörde mit dem Vorgehen des Herstellers ankommt; maßgeblich für die Beurteilung der Rechtsfrage, ob unzulässige Abschalteinrichtungen vorliegen, ist daher allein die Sicht des KBA als der in der Bundesrepublik Deutschland dafür zuständigen Fachbehörde. Allein dem KBA obliegt die Auslegung und Anwendung der entsprechenden Rechtsvorschriften, weswegen es - jedenfalls in einem auf Leistung von Schadensersatz durch den Motorhersteller eines Kraftfahrzeugs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gerichteten Rechtsstreit wie hier - auch nicht darauf ankommt, ob die für das Typengenehmigungsverfahren zuständige Behörde die maßgeblichen europäischen Leitlinien für Emissionsstrategien immer eindeutig zutreffend ausgelegt hat.

Die sich stetig wiederholenden Ausführungen zu der Fahrkurvenerkennung übersehen geflissentlich, dass diese - worauf der der Senat bereits im Beschluss vom 1. Oktober 2021 hingewiesen hat - vom KBA gerade nicht als unzulässige Abschalteinrichtung oder Konformitätsabweichung hinsichtlich des Emissionsverhaltens eingeordnet wurde. Dies folgt bereits aus dem in dem Hinweisbeschluss auszugsweise wiedergegebenen Wortlaut der amtlichen Auskunft des KBA zum Aktenzeichen 7 U 180/19. Denn wenn die Grenzwerte nach den Untersuchungen des KBA auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenerkennungsfunktion nicht überschritten werden, widerlegt dies die von dem Kläger aufgestellte Behauptung einer Beeinflussung des Emissionskontrollsystems in Abhängigkeit vom jeweiligen Einsatz des Fahrzeugs - nämlich ob auf dem Prüfstand oder im Realbetrieb.

Auf welche Weise das KBA diese Erkenntnisse gewonnen hat, welche Untersuchungen im Einzelnen durchgeführt wurden, auf welche Kriterien seitens des KBA bei seiner Entscheidung abgestellt wurde und welche Gesinnung dabei vorherrschte, spielt dagegen für die vorliegende Entscheidung keine Rolle. Denn den Zivilgerichten kommt nicht die Aufgabe zu, eine aus Klägersicht missliebige, in die Regelungskompetenz einer anderen Behörde fallende Entscheidung im Rahmen von Schadensersatzprozessen, an denen diese Behörde entweder überhaupt nicht, oder aber lediglich in Form der Erteilung einer amtlichen Auskunft beteiligt ist, für unwirksam oder falsch zu erklären.

Schließlich vermag der Senat angesichts der auch heute noch andauernden Rechtsaufassung des KBA jedenfalls kein vorsätzliches, sittenwidriges Handeln der Beklagten zu erkennen: Steht fest, dass sich das KBA selbst in Kenntnis der Fahrkurvenerkennung nicht veranlasst sieht, die betreffenden Fahrzeuge zurückzurufen, sind auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Beklagte die Fahrkurvenerkennung bei Beantragung der Typgenehmigung für illegal gehalten und für den Fall einer Aufdeckung dieser Programmierung mit einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung gerechnet hat (vgl. insofern BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, juris Rn. 16 ff.). Denn sie musste in Bezug auf die Auslegung und Befolgung der Verordnung (EG) 715/2007 gegenüber sich selbst nicht strenger sein, als es die zuständigen Behörden ihr gegenüber gewesen wären bzw. sind.

2. Im Hinblick auf ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten in Bezug auf das verbaute Thermofenster hat der Kläger auch im Rahmen seiner ergänzenden Ausführungen vom 20. Oktober 2021 keine greifbaren Anhaltspunkte für im Typengenehmigungsverfahren verschwiegene oder unzutreffend erfolgte Angaben aufgezeigt.

3. Soweit der Kläger meint, dass für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit nicht nur auf die temperaturbasierte Abgasrückführungstechnik, sondern auch auf die weiteren "unzulässigen Abschalteinrichtungen" abzustellen sei, scheitert seine Argumentation bereits daran, dass er Anhaltspunkte für solche weiteren "Manipulationen" nicht schlüssig dargelegt hat (s.o.).

4. Nach alledem fehlt es damit mangels Täuschung des KBA bzw. Erschleichung der Typengenehmigung auch an einer Täuschung aller potentiellen Erwerber und damit an einer deliktischen Handlung der Beklagten, die als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung anzusehen wäre (vgl. OLG Celle, Urteile vom 13. November 2019 - 7 U 367/18 -, juris und vom 18. Dezember 2019 - 7 U 511/18 -, juris).

Mangels Anspruchsgrundlage stehen dem Kläger somit weder der von ihm geltend gemachte Zahlungsanspruch noch Nebenforderungen zu. Dementsprechend befindet sich die Beklagte auch nicht in Annahmeverzug.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.