Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 09.11.2021, Az.: 13 U 120/16 (Kart)

Antrag auf Streitwertfestsetzung von Streithelfern in einem Kartellschadensersatzprozess; Streitwert einer durchgeführten Nebenintervention; Regelmäßig kein geringerer Wert für eine Gebührenberechnung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.11.2021
Aktenzeichen
13 U 120/16 (Kart)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 58563
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2021:1109.13U120.16KART.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - AZ: 18 O 418/14

Amtlicher Leitsatz

Bei Streithelfern im Kartellschadensersatzprozess, die - nach einer Streitverkündung der Beklagten wegen möglicher gesamtschuldnerischer Ausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 und 2 BGB - der Beklagten beigetreten sind und sich ihrem Klagabweisungsantrag angeschlossen haben, ist der für die Gerichtsgebühren festgesetzte Streitwert gemäß § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren der Prozessbevollmächtigten der Streithelfer maßgebend. Die Festsetzung eines geringeren Werts für die Rechtsanwaltsgebühren der Prozessbevollmächtigten der Streithelfer gemäß § 33 Abs. 1 Fall 1 RVG kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Hiervon unberührt bleibt die Möglichkeit, gemäß § 89a Abs. 3 GWB - vorbehaltlich der zeitlichen Anwendbarkeit dieser Vorschrift - geringere Werte festzusetzen, nach denen sich die Kostenerstattungsansprüche der Streithelfer für ihre Rechtsanwaltskosten bestimmen. Dies ist jedoch kein Fall des § 33 Abs. 1 RVG; der Gebührenanspruch des jeweiligen Rechtsanwalts gegen den von ihm vertretenen Streithelfer ist hiervon nicht betroffen.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin nach § 33 Abs. 1 RVG vom 14. September 2021 - betreffend die Wertfestsetzung für die Rechtsanwaltsgebühren der Prozessbevollmächtigten der Streithelferinnen - wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Klägerin hat mit ihrer Klage vom 29. Dezember 2014 die Beklagte, eine Spanplattenherstellerin, aus eigenem und abgetretenem Recht auf Schadensersatz in Anspruch genommen, weil die Klägerin und die Zedentinnen aufgrund des "Spanplattenkartells" überhöhte Preise für die von ihnen bezogenen Spanplatten gezahlt hätten. Der Klagforderung liegen Spanplattenlieferungen der Beklagten und anderer Spanplattenherstellerinnen zu Grunde.

Die Beklagte hat verschiedenen anderen Spanplattenherstellerinnen mit Schriftsatz vom 2. April 2015 den Streit verkündet. Sie hat dies damit begründet, dass ihr im Falle ihres Unterliegens gegen die Streitverkündeten Ausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 BGB zustehen könnten bzw. Ansprüche der Klägerin gegen diese gemäß § 426 Abs. 2 BGB auf die Beklagte übergehen könnten (Bl. 196 ff. d.A.). Die Streitverkündeten sind im April bzw. Mai 2015 dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten und haben sich im erstinstanzlichen Verhandlungstermin am 7. Juli 2015 dem Klagabweisungsantrag der Beklagten angeschlossen (Bl. 830 f. d.A.). Die Streithelferinnen zu 3 - 5 haben eine Beteiligung an dem Kartell bestritten (Bl. 831 d.A.).

Mit Urteil des Senats vom 12. August 2021 (veröffentlicht bei Juris) ist die Beklagte - unter Klagabweisung im Übrigen - zur Zahlung von 8.954.242,65 € verurteilt worden. Nach der getroffenen Kostenentscheidung hat die Klägerin von den Kosten der Streithelferinnen 65 % zu tragen. Den Streitwert hat der Senat für die Berufungsinstanz auf 26.029.009,12 € festgesetzt.

Die Klägerin beantragt gemäß § 33 Abs. 1 Alt. 1 RVG (Bd. XV Bl. 3150 d.A.),

den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit der Rechtsanwälte der Streithelfer der Beklagten im Berufungsverfahren jeweils gesondert festzusetzen.

Die Klägerin meint, es liege ein Fall des § 33 Abs. 1 Alt. 1 RVG vor, weil die Streithelferinnen als Gesamtschuldner im Innenverhältnis allenfalls anteilig hafteten. Ihr maßgebliches wirtschaftliches Interesse sei grundsätzlich danach zu bemessen, welche Regressforderungen sie bei einem Unterliegen der unterstützten Beklagten erwarten müssten. Das Regressrisiko der Streithelferinnen könne danach bemessen werden, welche Anteile an der geltend gemachten Gesamtforderung auf Lieferungen der jeweiligen Streithelferin entfielen. Hinzuzurechnen sei jeweils ein Anteil an den geltend gemachten Schäden in Bezug auf Lieferungen Dritter; diese Schadenssumme sei anteilig auf die Beklagte und die Streithelfer (nach ihrem jeweiligen prozentualen Anteil an den gesamten Lieferungen der Beklagten und der Streithelferinnen) zu verteilen (Bl. 3151 f. d.A.). Nach dieser Maßgabe schlägt die Klägerin vor, die Gegenstandswerte für die Streithelferin zu 1 auf 587.552,42 €, für die Streithelferin zu 2. auf 5.059.316,78 € und für die Streithelferin zu 3 bis 5 auf 4.172.605,18 € festzusetzen (Bl. 3156 d.A.).

Die Streithelferinnen sind dem Antrag entgegengetreten.

II.

Der Antrag der Klägerin gemäß § 33 Abs. 1 RVG ist zulässig, aber unbegründet.

1. Die Klägerin ist antragsbefugt. Nach § 33 Abs. 2 Satz 2 RVG kann der Antrag auch von einem erstattungspflichtigen Gegner gestellt werden. Die Klägerin ist erstattungspflichtige Gegnerin der Streithelferinnen der Beklagten, weil sie nach der Kostenentscheidung des Senats einen Teil der durch die Nebenintervention verursachten Kosten zu tragen hat.

2. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für eine gesonderte Wertfestsetzung für die Prozessbevollmächtigten der Streithelferinnen sind nicht gegeben.

a) Nach § 33 Abs. 1 Fall 1 RVG setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag fest, wenn sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert berechnen. Das ist hier jedoch nicht der Fall.

Im Streitfall richten sich auch die den Streithelferinnen entstandenen Anwaltsgebühren nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert (§ 32 Abs. 1 RVG).

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stimmt der Streitwert einer durchgeführten Nebenintervention mit dem Streitwert der Hauptsache überein, wenn der Nebenintervenient am Prozess im gleichen Umfang beteiligt ist wie die Partei, der er beigetreten ist (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 - X ZR 109/12 -, Rn. 6, juris). Seine Angriffs- und Verteidigungsmittel betreffen den Erfolg dieser Partei und zwar in voller Höhe des von ihr oder gegen sie geltend gemachten Klageanspruchs (aaO). Für den Wert der Hauptsache ist es ohne Bedeutung, ob der Nebenintervenient selbst Anträge gestellt hat, weshalb auch der Wert seiner Beteiligung nicht vom Stellen eines solchen Antrags abhängt (aaO). Hat aber der Nebenintervenient im Prozess die gleichen Anträge gestellt wie die von ihm unterstützte Partei, stimmt der Streitwert der Nebenintervention mit dem Streitwert der Hauptsache überein (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1959 - V ZR 204/57, BGHZ 31, 144; Beschluss vom 11. Dezember 2012 - II ZR 233/09 -, Rn. 2, juris).

Dieser Auffassung wird in der Literatur und von Teilen der Rechtsprechung entgegengetreten. Danach soll sich der Wert der Nebenintervention nach dem Interesse des Streithelfers am Obsiegen der unterstützten Partei bemessen, wobei wiederum unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten werden, inwiefern es von Belang ist, ob sich der Streithelfer den Anträgen der unterstützten Partei angeschlossen hat, und ob regelmäßig ein Abschlag bereits deshalb vorzunehmen ist, weil die Nebenintervention für den Streithelfer nur die Interventionswirkung nach § 68 ZPO hat (vgl. BeckOK ZPO/Wendtland, 42. Ed. 1.9.2021, § 3 Rn. 27; Musielak/Voit/Heinrich, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 3 Rn. 32; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 28. August 2008 - 14 W 51/08 -, Rn. 8, juris mwN).

Mit dem Bundesgerichtshof ist jedoch allein darauf abzustellen, in welchem Umfang der Streithelfer an dem Rechtsstreit beteiligt ist. Danach kommt beispielsweise eine Herabsetzung des Wertes gemäß § 33 Abs. 1 RVG in Bezug auf den Streithelfer eines beklagten Bauunternehmers in Betracht, wenn er bei einem Bauprozess als Subunternehmer nur einen von mehreren streitgegenständlichen Mängeln zu vertreten hätte. Sein rechtliches Interesse an dem Obsiegen des Beklagten (§ 66 ZPO) bezieht sich dann nur auf diesen Mangel und den diesbezüglichen Gewährleistungsanspruch. Anders liegt es, wenn - wie im Streitfall - das rechtliche Interesse des Streithelfers am Obsiegen des Beklagten darin besteht, nicht vom Beklagten bei dessen Unterliegen als möglicher Gesamtschuldner aus § 426 BGB in Anspruch genommen zu werden. In diesem Fall ist der Streithelfer im vollen Umfang an dem Rechtstreit beteiligt, weil nur bei einer vollständigen Klagabweisung kein Regressrisiko besteht. Dann ist auch für die Anwaltsgebühren seines Prozessbevollmächtigten der für die Gerichtsgebühren festgesetzte Streitwert maßgeblich (§ 32 Abs. 1 RVG); der Anwendungsbereich des § 33 Abs. 1 RVG ist nicht eröffnet.

Es wäre auch systemwidrig, den Gebührenstreitwert in Bezug auf einen - vollständig am Rechtsstreit beteiligten - Streithelfer je nach dessen wirtschaftlichem Interesse an dem Obsiegen der unterstützten Partei zu reduzieren. Denn der Streitwert für die Gerichtsgebühren bemisst sich allein nach dem vom Kläger mit der Klage verfolgten Interesse. Auch die Anwaltsgebühren des Prozessbevollmächtigten des Beklagten berechnen sich gemäß § 32 Abs. 1 RVG nach dem Gerichtsgebührenstreitwert, obwohl das wirtschaftliche Interesse des Beklagten an dem Obsiegen - zum Beispiel bei einer auf Unterlassung oder Auskunft gerichteten Klage - erheblich niedriger zu bewerten sein kann, als das korrespondierende Interesse des Klägers. Soweit ersichtlich, wird nicht vertreten, dass in diesem Fall - bei einem vollständig am Rechtsstreit beteiligten Beklagten - der Wert für die Rechtsanwaltsgebühren seines Prozessbevollmächtigten aufgrund eines geringeren wirtschaftlichen Interesses am Obsiegen herabzusetzen sei.

Es wäre im Übrigen auch nicht praktikabel, wenn bei jeder Nebenintervention das wirtschaftliche Interesse des Streithelfers an dem Obsiegen der unterstützten Partei ermittelt werden müsste. Dies würde unter Umständen weitreichende tatsächliche und rechtliche Feststellungen in Bezug auf das Rechtsverhältnis zwischen dem Streithelfer und der unterstützten Partei erfordern, die nicht Gegenstand des Rechtsstreits waren.

bb) Im Streitfall waren die Streithelferinnen der Beklagten in vollem Umfang an dem Rechtstreit beteiligt. Sie sind nur bei einer vollständigen Klagabweisung vor einem möglichen Regress durch die Beklagte sicher geschützt. Folgerichtig haben sie die Abweisung der Klage beantragt. Für eine Herabsetzung des Streitwerts für die Rechtsanwaltsgebühren ihrer Prozessbevollmächtigten ist daher kein Raum.

cc) Der Senat verkennt nicht, dass der Beitritt von zahlreichen Streithelfern unter Umständen zu einer erheblichen Erhöhung des Kostenrisikos des Prozessgegners führen kann, die im Einzelfall unbillig erscheinen mag. Dies ist jedoch eine Folge der gesetzlichen Konzeption der Streithilfe und des Kostenrechts, die nicht zur Disposition der Gerichte steht. Allerdings ist bei hohen Streitwerten aufgrund der Gebührendegression das Verhältnis von Klagforderung und Kostenrisiko aus der Sicht der klagenden Partei tendenziell weniger ungünstig. Im Streitfall ist der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz jedenfalls noch nicht berührt; die Klägerin ist durch das bestehende Kostenrisiko auch nicht von ihrer Rechtsverfolgung abgehalten worden.

2. Die Regelung des § 89a Abs. 3 GWB ist für die vorliegende Entscheidung gemäß § 33 Abs. 1 RVG ohne Belang. Die Klägerin hat sich auch - zu Recht - nicht auf diese Bestimmung berufen.

a) § 89a Abs. 3 GWB hat einen anderen Regelungsbereich. Wenn in einem Kartellschadensersatzprozess bei einer Nebenintervention der Gegner der unterstützten Hauptpartei die Kosten des Nebenintervenienten zu tragen hat, soll nach dieser Regelung das Gericht nach freiem Ermessen einen (reduzierten) Gegenstandswert festsetzen, nach dem der Gegner die Kosten der Nebenintervention zu erstatten hat. Die Regelung betrifft nach ihrem klaren Wortlaut nicht das Verhältnis des Prozessbevollmächtigten zu dem von ihm vertretenen Streithelfer. Der Gebührenanspruch des Prozessbevollmächtigten des Streithelfers wird durch eine Festsetzung nach § 89a Abs. 3 GWB nicht beeinflusst (Senat, Beschluss vom 17. Juni 2021 - 13 W 36/20, Rn. 20, juris; Bornkamm/Tolkmitt in Langen/Bunte, GWB, 13 Aufl. 2018, § 89a Rn. 23; Immenga/Mestmäcker/Karsten Schmidt, 6. Aufl. 2020, GWB § 89a Rn. 25; Wiedemann KartellR-HdB, § 59 Einführung, Rechtsweg, Zuständigkeit Rn. 104, beck-online; OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 2 W 7/20, Rn. 31, juris). Vielmehr wird nur der Kostenerstattungsanspruch des Streithelfers eingeschränkt, sodass der Streithelfer auch bei einem Obsiegen der unterstützten Partei unter Umständen einen Teil seiner Anwaltskosten selbst tragen muss. Es liegt mithin kein Fall des § 33 Abs. 1 RVG vor (Senat, aaO); eine Festsetzung nach § 89a Abs. 3 GWB hätte - als ergänzender Bestandteil der Kostengrundentscheidung - von Amts wegen zu erfolgen (aaO Rn. 33).

b) Darüber hinaus ist die Vorschrift im vorliegenden Rechtsstreit noch nicht anwendbar, weil die Beitritte der Streithelferinnen - wie auch die Einlegung der Berufung - vor dem Inkrafttreten der Regelung erfolgt sind.

§ 89a Abs. 3 GWB ist am 9. Juni 2017 in Kraft getreten. Eine diesbezügliche Übergangsvorschrift fehlt (vgl. § 186 GWB). Die zeitliche Anwendbarkeit richtet sich daher nach allgemeinen Grundsätzen. Die Regelung ist nur auf solche Streithelfer anzuwenden, deren Beitritt nach dem Inkrafttreten der Regelung erfolgt ist (so auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 2 W 7/20, Rn. 20, juris).

Soweit Übergangsregelungen fehlen, erfassen Änderungen des Prozessrechts zwar im Allgemeinen auch schwebende Verfahren. Diese sind daher mit dem Inkrafttreten des Änderungsgesetzes grundsätzlich nach neuem Recht zu beurteilen, soweit es nicht um unter der Geltung des alten Rechts abgeschlossene Prozesshandlungen und abschließend entstandene Prozesslagen geht (BGH, Beschluss vom 23. April 2007 - II ZB 29/05 -, BGHZ 172, 136-147, Rn. 25).

Ein prozessualer Kostenerstattungsanspruch entsteht aber bereits mit der Begründung des Prozessrechtsverhältnisses, und zwar unter der aufschiebenden Bedingung einer gerichtlichen Entscheidung oder eines Prozessvergleichs, wonach der Gegner die Kosten des Rechtsstreits trägt (MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, vor § 91 Rn. 18). Im Falle eines Streithelfers entsteht mit seinem Beitritt das Prozessrechtsverhältnis zu den beteiligten Parteien (§ 66 ZPO) und somit auch sein aufschiebend bedingter Kostenerstattungsanspruch. Eine rückwirkende Anwendung von § 89a Abs. 3 GWB auf diesen bereits entstandenen Anspruch verbietet sich daher. Nach allgemeinen Grundsätzen kann der Kostenerstattungsanspruch der Streithelferinnen nicht durch die erst nach ihrem Beitritt in Kraft getretene Regelung beschnitten werden.