Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 24.03.1998, Az.: 5 U 111/97
Ansprüche auf Schmerzensgeld aus einer Krankenhausbehandlung; Anforderungen an den Beweis eines Behandlungsfehlers; Voraussetzungen einer Verletzung von Befunderhebungspflichten
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 24.03.1998
- Aktenzeichen
- 5 U 111/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 28963
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1998:0324.5U111.97.0A
Rechtsgrundlage
- § 823 BGB
Fundstellen
- MedR 1998, 418
- OLGReport Gerichtsort 1998, 204-205
- VersR 1999, 761-762 (Volltext mit amtl. LS)
Tatbestand
Die Klägerin und Berufungsklägerin begehrt von den Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden im Zusammenhang mit der stationären ärztlichen Behandlung einer Osteomyelitis im ...-hospital in P..., die vom 25.1. bis zum 12.5.1989 gedauert hat. Die Klägerin hat behauptet, die später eingetretene Hüftkopfnekrose wäre bei einer rechtzeitigen operativen Revision des Osteomyelitis- Rezidivs vermieden worden. Eine operative Revision des Osteomyelitisherds sei bereits bei der Entlassung der Klägerin angezeigt gewesen. Dies hätte bei Kontrollen - insbesondere im Wege von Röntgenaufnahmen - erkannt werden können; diese gebotenen Maßnahmen hätten die Beklagten zu 1. und 2. verabsäumt.
Das Landgericht hat auf Grund des Beweisbeschlusses vom 8.4.1997 durch Einholung eines schriftlich erstatteten und in der mündlichen Verhandlung erläuterten Gutachtens des Sachverständigen Dr. E...Beweis erhoben und sodann die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass sich in der erstinstanzlich durchgeführten Beweiserhebung kein Anhaltspunkt für eine fehlerhafte Behandlung der Osteomyelitiserkrankung der Klägerin ergeben habe. Dies habe der Sachverständige Dr. E... überzeugend ausgeführt. Die Behandlung der Klägerin sei fachgerecht, zeitgerecht und nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt worden. Das gelte auch für den Zeitpunkt der Entlassung der Klägerin. Die Laborwerte hätten keinen Nachweis auf einen Entzündungsherd erbracht, so dass die Osteomyelitis als vorübergehend geheilt anzusehen gewesen sei. Mit der Entlassung und Überweisung zur ambulanten Weiterbehandlung sei es in die alleinige Zuständigkeit des Arztes für Orthopädie Dr. M... gefallen, ein Aufflammen der Osteomyelitis, insbesondere die Bildung eines Rezidivs zu überwachen. Eine Mitverantwortung der Beklagten für diese ambulante Behandlung der Klägerin durch den Facharzt Dr. M... scheide daher aus.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Ansprüche der Klägerin auf Grund ihrer Behandlung im Jahre 1989 im Krankenhaus der Beklagten zu 3. sind insgesamt nicht gegeben.
Die auf Grund der in der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nach sachverständiger Beratung getroffenen Feststellungen belegen keinen Behandlungsfehler der Beklagtenseite bei der ärztlichen Betreuung der Klägerin, denn es kann nicht festgestellt werden, dass sich bereits zum Zeitpunkt der Entlassung der Klägerin ein Osteomyelitis- Rezidiv gebildet hatte oder zu bilden begann und dass dieser pathologischer Befund von den behandelnden Ärzten pflichtwidrig nicht erkannt wurde.
Die Klägerin ist für den von ihr behaupteten Behandlungsfehler beweisfällig geblieben. Bei der Aufnahmeuntersuchung wurde durch den Beklagten zu 1. sofort die richtige Verdachtsdiagnose einer Oberschenkelosteomyelitis links gestellt. Die eingeleitete Primärbehandlung mit Ruhigstellung auf einer Schiene und intravenöser Antibiotika- Gabe war nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. E... ebenso zeitgerecht und richtig wie die weitere Untersuchung im Wege einer Skelettszintigrafie und der anschließenden Ruhigstellung in einer Gipsliegeschale und später in einem Becken- Bein- Gipsverband. Die laborchemischen Blutparameter wurden regelmäßig in wöchentlichen Abständen kontrolliert. Die Entzündungsparameter zeigten bereits 14 Tage nach der eingeleiteten Therapie einen deutlichen Rückgang. Im Zeitpunkt der Gipsentfernung am 18.4.1989 lagen alle Laborwerte im Normbereich; die Blutsenkung betrug 8 mm in der ersten Stunde, der CRP- Wert, der Entzündungsstoffe im Blut anzeigt, betrug 0 und war mithin optimal. Zwar kam es nach der Gipsentfernung und der anschließenden Mobilisierungsbehandlung zu einer diskreten Erhöhung der Blutsenkungswerte, diese normalisierten sich aber in den nächsten 14 Tagen bis zum 8.5.1989 wieder. Auch die am 24.4.1989 durchgeführte Röntgenkontrolle ergab nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. E... keinen Anhalt für ein Wiederaufleben der Osteomyelitis im Bereich des linken Schenkelhalses, da auf diesem Röntgenbild der Hüftkopf gleichförmig und gleichmäßig gerundet erschien. Soweit auf dem Röntgenbild eine fleckförmige Verschattung im Bereich des Schenkelhalses und der Trochanterregion zu erkennen ist, beruht dies nach den mündlichen Erläuterungen des Sachverständigen auf dem Umstand, dass es unter der verordneten leichten Bewegungstherapie zu einem geringfügigen Aufflackern der Osteomyelitis gekommen war, die aber ausweislich der Laborwerte bis zur Entlassung vollständig wieder abgeklungen war. Nach allem war eine chirurgische Revision im Bereich des linken Schenkelhalses nicht indiziert, vielmehr durften die Beklagten zu 1. und 2. die Osteomyelitis als abgeklungen ansehen. Das Wiederauftreten der chronischen Osteomyelitis ist daher als schicksalsbedingt anzusehen.
Eine Erleichterung für den Nachweis eines Diagnosefehlers und seiner Kausalität für den später eingetretenen Gesundheitsschaden der Klägerin greift hier unter dem Gesichtspunkt der versäumten Erhebung zweifelsfrei gebotener Befunde nicht ein. Zwar kann in den Fällen, in denen es der Arzt schuldhaft unterlassen hat, medizinisch zweifelsfrei gebotene Befunde zu erheben und zu sichern, deren Erhebung gerade wegen des erhöhten Risikos, um dessen Eintritt in dem Prozess gestritten wird, geschuldet war, eine Beweislast des Arztes in Bezug darauf, wie dieser Befund ausgesehen haben würde, gerechtfertigt sein, auch wenn sein Versäumnis nicht als "grob" qualifiziert werden muss (Steffen/Dressler, Neue Entwicklungslinien der BGH- Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rdn. 551); die Beklagten zu 1. und 2. haben aber nicht versäumt, gebotene Kontrollbefunde zu erheben, insbesondere ist den Beklagten nicht vorzuwerfen, dass im zeitlichen Zusammenhang mit der Entlassung keine Röntgenaufnahmen mehr gefertigt wurden. Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen waren nicht die Röntgenaufnahmen, sondern vielmehr die Laborwerte für die Diagnose eines vollständigen Abklingens der Osteomyelitis maßgeblich, denn nur sie gaben zuverlässig Aufschluss über die Abkapselung eines Entzündungsherds. Im Übrigen wäre nach der am 24.4.1989 vorgenommenen Röntgenaufnahme eine erneute Röntgenkontrolle im Hinblick auf den Strahlenschutz medizinisch nicht vertretbar gewesen. Diesen vom Landgericht nach sachverständiger Beratung getroffenen Feststellungen steht auch nicht entgegen, dass aus Sicht des von der Klägerin vorgetragenen Schlichtungsgutachtens von Prof. Dr. W... eine operative Revision des obersten Oberschenkelknochens indiziert gewesen wäre, wenn nach der Abnahme des Gipsverbands bei noch vorliegender Entzündung die Bildung einer Abkapselung und eines Knochensequesters oder eine Abhebung der Knochenhaut festgestellt worden wäre. Ein derartiger Befund war aber nach den Laborwerten und der Röntgenaufnahme ausgeschlossen.
Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung die Eignung der Laborwerte und der Röntgenaufnahmen für eine abschließende Befunderhebung in Frage stellt, ist dies nicht geeignet, die Überzeugungskraft der Ausführungen des Sachverständigen zu erschüttern, da weder vorgetragen wird noch sonst ersichtlich ist, ob und aus welchem Grunde Laborwerte und Röntgenaufnahmen als ,Verlaufsparameter" für eine bakteriologische Entzündung der vorliegenden Art nur bedingt und eingeschränkt tauglich sein sollen und welcher von der Darstellung des Sachverständigen abweichender medizinischer Standard der Befundsicherung für die Feststellung einer erfolgreichen Behandlung von Krankheiten der vorliegenden Art üblich ist.
Schließlich stellt es keine Verletzung von Befunderhebungspflichten dar, dass die Beklagten ihre Diagnose für die Entlassung der Klägerin nicht durch eine erneute Skelettszintigrafie oder eine Kernspintomografie abgesichert hatten. Hierzu hat der Sachverständige Dr. E... überzeugend ausgeführt, dass zu solchen Untersuchungsmaßnahmen nur entsprechende Laborwerte Anlass gegeben hätten. Da die Laborwerte der Klägerin vor ihrer Entlassung aber im Normbereich gelegen hatten, war eine solche weiter gehende Befunderhebung medizinisch nicht angezeigt. Darauf, dass eine weiter gehende Untersuchung im Wege einer erneuten Skelettszintigrafie oder einer Kernspintomografie möglich war, kommt es nicht an; eine mangelnde Ausschöpfung der diagnostischen Möglichkeiten wäre den Beklagten nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen aus medizinischer Sicht nur dann vorwerfbar, wenn dazu Anlass bestanden hätte, was hier jedoch nicht der Fall war.
Überdies könnte auch nicht davon ausgegangen werden, dass der so vermutete Verlauf, also ein positiver Befund, wahrscheinlich gewesen wäre, was für eine Beweiserleichterung vorausgesetzt wird (BGHZ 99, 391 [BGH 03.02.1987 - VI ZR 56/86]; BGH NJW 1988, 1513, 2949; 1994, 2419 [BGH 28.06.1994 - VI ZR 153/93]; BGH VersR 1993, 1021). Wie der Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, durfte die Klägerin bei ihrer Entlassung als vorübergehend geheilt angesehen werden; der Befund hatte sich erkennbar erst wesentlich später verschlechtert.
Es stellt schließlich auch keine Pflichtverletzung dar, dass der Beklagte zu 2. erst einen Monat nach ihrer Entlassung durch Arztbrief vom 8.6.1989 dem Hausarzt der Klägerin den Krankheitsverlauf und die Behandlung mitgeteilt hat. Zu Hinweisen oder Empfehlungen an die weiterbehandelnden Ärzte war der Beklagte zu 2. nicht verpflichtet, da die Klägerin zur selbstständigen ambulanten Behandlung an die Ärzte B... und Dr. M... überwiesen wurde. Auch war die späte Unterrichtung dieser Ärzte nicht ursächlich für die spätere Gesundheitsbeeinträchtigung, denn der Arztbrief hatte nur die Funktion eines zusammenfassenden Krankheitsberichts über den Verlauf der Erkrankung und ihrer Behandlung. Daher ist auch nicht ersichtlich, in welcher Hinsicht eine frühere Unterrichtung des Hausarztes etwas an dem Krankheitsverlauf und an der weiteren Behandlung der Klägerin geändert hätte.
Die Berufung gegen das klageabweisende Urteil war mithin unbegründet und daher zurückzuweisen.