Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 24.03.1998, Az.: 5 U 112/97
Arzthaftung für verspätet vorgenommene Operation (Revisionsoperation); Umfang der pflichtgemäßen Kontrolle und Beobachtung möglicher Komplikationen (Hämatom) nach einer Arterienoperation; Beweiserleichterungen des Patienten bei unterlassener Dokumentation einer gebotenen engmaschigen Kontrolle nach einer Subclaviastenose; Berücksichtigung einer Vorschädigung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 24.03.1998
- Aktenzeichen
- 5 U 112/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 28932
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1998:0324.5U112.97.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 31 BGB
- § 831 BGB
Fundstellen
- MedR 1998, 418
- OLGReport Gerichtsort 1998, 190-191
Amtlicher Leitsatz
Beweiserleichterungen bei nicht dokumentierter engmaschigen Kontrolle nach einer Subclaviastenose
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Ersatz immaterieller Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht von materiellen und immateriellen Zukunftsschäden wegen einer im Zusammenhang mit einer Arterienoperation entstandenen Armplexusparese rechts.
Am 16.6.1992 wurde die Klägerin, bei der sich seit Anfang der 80er-Jahre eine Gangunsicherheit und eine ursächlich nicht eindeutig abzuklärende Halbseitenschwäche (Hemiparese) rechts eingestellt hatte, zur Aufweitung der Schlüsselbeinschlagader (Arteria subclavia) in den von der Beklagten getragenen Städtischen Kliniken ... aufgenommen.
Im Anschluss an eine Ballondilatation vom 25.6.1992 nach vorangegangenem erfolglosen Aufweitungsversuch der Subclaviastenose traten massive schmerzhafte Armbeschwerden auf. Das vom behandelnden Chefarzt Dr. H... am Morgen des 28.6.1992 diagnostizierte Hämatom in der Gefäßnervenscheide wurde abends operativ ausgeräumt. Nach dem Entlassungsbericht vom 10.8.1992 und den anschließenden Verlaufsuntersuchungen besteht bei der Klägerin eine komplette untere Armplexusparese mit allmählicher Rückläufigkeit. Der Umfang der operationsbedingten dauerhaften Nervenschädigung ist streitig.
Die Klägerin hat den behandelnden Ärzten vorgeworfen, die Revisionsoperation trotz der sich noch am Tag des Eingriffs eingestellten, sich verstärkenden erheblichen Schmerzen und der Herausbildung eines starken Blutergusses im Arm- und Brustbereich sowie beschwerlicher Sensibilitätsstörungen am rechten Arm zu spät vorgenommen zu haben. Dadurch sei es zu einer schwergradigen Lähmung des rechten Armes gekommen. Auch nach den neurologischen stationären Folgebehandlungen und weiterer Rehabilitationstherapien sei eine Lähmung an der rechten Hand mit Taubheit von Daumen, Zeige- und Mittelfinger und Schmerzen an der Innenseite des ganzen Armes sowie der ersten drei Finger rechts verblieben, was auch zu Depressionen geführt habe.
Ihre Schmerzensgeldvorstellung hat die Klägerin nach anfänglichen 20.000,- DM und zwischenzeitigen etwa 65.000,- DM mit 30.000,- DM angegeben.
Die Beklagte hat behauptet, für einen Revisionseingriff habe trotz engmaschiger Kontrollen zuvor kein Anhalt bestanden; die Revision sei dann rechtzeitig erfolgt.
Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen und sachverständiger Beratung (Einholung eines schriftlichen gefäßchirurgischen Gutachtens, eines schriftlichen neurologischen Gutachtens, eines schriftlichen elektromyographischen und elektroneurographischen Zusatzgutachtens sowie Anhörung des Gefäßchirurgen) dem Schmerzensgeldantrag in Höhe von 12.000,- DM nebst Zinsen und den Feststellungsanträgen unter Berücksichtigung einer 50% igen neurologischen Vorschädigung gemäß dem neurologischen Sachverständigengutachten stattgegeben.
Mit der dagegen gerichteten Berufung erstrebt die Klägerin eine Anhebung des Schmerzensgeldes auf 30.000,- DM und einen Fortfall der Vorschädigungseinschränkung bei den Feststellungsansprüchen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache zum Teil Erfolg.
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Haftung der Beklagten für die verspätet vorgenommene Revisionsoperation gem. §§ 823 Abs. 1, 89, 31, 831 BGB angenommen.
Die gegen den Grund der Haftung gerichteten Angriffe der Berufungserwiderung greifen nicht durch.
Die behandelnden Ärzte haben es nach dem dokumentierten Befund vom 26.6.1992 vorwerfbar unterlassen, die Klägerin ausreichend im Hinblick auf den Eintritt von möglichen Komplikationen wie eines Hämatoms zu kontrollieren. Die allein dokumentierte Durchführung von Pflebographie und Sonographie und die zeugenschaftlich belegte ärztliche Kontrolle im Rahmen der Visiten reichen dafür nicht. An der Fehlerhaftigkeit dieser weil nicht dem geschuldeten guten fachärztlichen Standard entsprechenden Behandlung bestehen nach den ausführlichen und gut begründeten insgesamt überzeugenden Erläuterungen der Sachverständigen keine Zweifel.
Bereits das Beschwerdebild vom 26.6.1992 begründete den Verdacht auf eine Teilschädigung sensibler Nervenfasern und gebot zumindest eine engmaschige Kontrolle - so der gefäßchirurgische Gutachter -, die von dem neurologischen Gutachter auf alle zwei Stunden tagsüber und alle vier Stunden nächtlich nach 22.00 Uhr konkretisiert wird. Die Nichtdokumentation dieser nach beiden Gutachtern zweifellos aufzeichnungspflichtigen Kontrollmaßnahmen lässt zunächst den Schluss auf ihr Unterbleiben zu und belegt für die Klägerin beweisrechtlich den dadurch begründeten Behandlungsfehler. Das wird durch die Zeugenvernehmung nicht widerlegt, die ihrerseits auch nicht die Einhaltung der erforderlichen ärztlichen Kontrollen bestätigen konnte. Entgegen der Ansicht der Berufungserwiderung kam insoweit die Vernehmung der Assistenzärztin Dr. B... nicht in Betracht, weil die Prozessbevollmächtigten ausweislich des Verhandlungsprotokolls vom 15.2.1996 auf diese Zeugenvernehmung verzichtet haben und dieser Beweisantritt sich auch nicht auf die Einhaltung der gebotenen laufenden Kontrolle bezog.
Aus diesem Dokumentationsmangel allein lässt sich zwar nicht - wie das Landgericht meint -, der Kausalzusammenhang von unterlassener Maßnahme und dem eingetretenen Misserfolg ableiten. Das Unterbleiben dieser zweifelsfrei gebotenen Befunderhebung und -sicherung rechtfertigt es aber, der Behandlungsseite die Beweislast dafür aufzuerlegen, wie dieser Befund ausgesehen haben würde (vgl. Steffen-Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rn. 551). Danach muss von einem frühzeitiger erkennbaren Beschwerdebild ausgegangen werden, das als zu unterstellendem positiven Befund Anlass zu einer Revisionsoperation zu einem Zeitpunkt gegeben hätte, in dem die jetzt eingetretenen Schäden noch zu vermeiden waren. Dass der so zu vermutende Verlauf jedenfalls wahrscheinlich ist, steht nach den Erläuterungen beider Sachverständigen außer Frage. Das Unterbleiben der Revisionsoperation muss dann sogar als grob fehlerhaft eingestuft werden angesichts der medizinisch allgemein bekannten nur begrenzten Zeit von Stunden, die verbleiben, um eine Dauerschädigung von Nerven noch zu vermeiden. Den Beweis, Dass das Behandlungsergebnis auch in diesem Fall so wie geschehen ausgefallen wäre, hat die Behandlungsseite nicht führen können.
Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Berücksichtigung der Vorschädigung in Form einer Hemiparese. Dass diese Vorschädigung bestand, wird sogar von der Klägerin eingeräumt. Ihr Versuch, die geäußerten Beschwerden als davon völlig unabhängig zu sehen, geht fehl.
Zunächst weist die Berufungserwiderung zu Recht darauf hin, Dass die Anträge der Klägerin gemäß Protokoll vom 20.10.1997 die Berücksichtigung dieser Vorschädigung gemäß dem neurologischen Sachverständigengutachten ausdrücklich enthalten. Ob den Anträgen insoweit zugleich Geständniswirkung gem. § 288 ZPO zukommt, kann offen bleiben. Denn abgesehen davon ist das Gutachten insoweit auch nicht unpräzise wegen der lückenhaften Dokumentation, wie die Berufung meint. Die Dokumentationsmängel begründen lediglich die jetzt bestehende Unsicherheit, den Zeitpunkt der Entstehung der Armplexusparese genauer einzugrenzen. Auf die Quantifizierung der Gesamtbeschwerden nach Behandlungsbeschwerden und Vorschäden hat das aber keinen Einfluss. Dass der Gutachter zu einer Schätzung greifen musste, liegt an der unzureichenden ursächlichen Zuordnung des Vorschadens, was nicht der Behandlungsseite zugerechnet werden kann. Hinzu kommt die von dem neurologischen Sachverständigen erkannte objektive Diskrepanz zwischen der messbaren Schädigung bezüglich der Armplexusparese und den subjektiven Angaben der Klägerin zu ihren Beschwerden. Dass der Sachverständige angesichts dessen auf der Grundlage seines medizinischen Fachwissens und seiner ärztlichen Erfahrung den Einfluss der Schädigung und Vorschädigung mit je 1/2 bewertet, ist daher insgesamt nicht zu beanstanden und kann der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegt werden.
Das hat das Landgericht bei den Feststellungsanträgen fehlerfrei getan.
Auch bei der Entscheidung über die Höhe des Schmerzensgeldes muss dies - wie geschehen - Einfluss nehmen. An der zwischenzeitlich geäußerten Vorstellung von etwa 65.000,- DM hat die Klägerin zu Recht nicht festgehalten. Die von ihr angesprochene obergerichtliche Rechtsprechung betrifft andere Fallgestaltungen, die sich auf den schädigungsbedingten vollständigen Ausfall von Gliedmaßen beziehen, wovon hier - wie ausgeführt - nicht ausgegangen werden kann. Bei der Schmerzensgeldbemessung waren jedoch zusätzlich die ganz erheblichen Schmerzen zu berücksichtigen, die die Klägerin wegen der zu spät vorgenommenen Revision zu erleiden hatte, und der im wesentlichen behandlungsbedingte seit dem bestehende Dauerschmerz. Dies und die vorgenannten objektiven körperlichen Beeinträchtigungen , die auf der fehlerhaften Versorgung beruhen, rechtfertigen nach den maßgeblichen Gesamtumständen ein Schmerzensgeld von insgesamt 18.000 DM.