Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 10.03.1998, Az.: 5 U 2/98

Verjährungsbeginn bei unzureichender Eingriffsaufklärung; Ersatz immaterieller Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle Schäden im Zusammenhang mit einer Kniegelenksoperation; Kenntnis der Klägerin vom Misserfolg einer Behandlung als Beleg für die Kenntnis von einem Behandlungsfehler; Haftung wegen Verletzung ärztlicher Aufklärungspflichten

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
10.03.1998
Aktenzeichen
5 U 2/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 28915
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0310.5U2.98.0A

Fundstellen

  • MDR 1998, 656-657 (Volltext mit red. LS)
  • MedR 1998, 316
  • NJW-RR 1998, 1245-1246 (Volltext mit amtl. LS)
  • OLGReport Gerichtsort 1998, 192-193
  • VersR 1999, 367 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Verjährungsbeginn bei unzureichender Eingriffsaufklärung

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Ersatz immaterieller Schäden (Kapital und Rente) und Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige materielle Schäden im Zusammenhang mit einer Kniegelenksoperation.

2

Seit dem 12. Lebensjahr litt die Klägerin an wiederkehrenden Partellaluxationen links (Auskugelungen/Verrenkungen der Kniescheibe). Nach der am 05.08.1991 stationär durch den Beklagten - Chefarzt der Orthopädischen Abteilung des Franziskushospitals in Harderberg - vorgenommenen Kniegelenksoperation ("Operation nach Elmslie") konnte sie am 24.08.1991 in die ambulante orthopädische Nachbehandlung entlassen werden. Die während des langwierigen und schmerzhaften Heilungs- und Mobilisationsprozesses aufgetretenen Beschwerden machten über Jahre ambulante und stationäre Folgebehandlungen erforderlich.

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Nach dem im Schlichtungsverfahren eingeholten fachärztlichen Gutachten von Prof. Dr. Stock, Orthopädische Klinik Braunschweig, vom 04.02.1997 sind die postoperativen Komplikationen als Häufung unglücklicher Umstände zu werten, die schicksalsbedingt bei Operationen dieser Art auftreten können. Allein eine Unterschenkelthrombose könne evtl. auf einer nicht ganz ausreichenden Thromboseprophylaxe beruhen.

4

Das Landgericht hat die am 04.07.1997 erhobene Klage abgewiesen. Evtl. deliktische Ansprüche der Klägerin seien verjährt, denn die Klägerin habe nach ihrem eigenen Vorbringen die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis, dass die Operation Ursache ihrer Dauerbeschwerden sein musste, spätestens Ende 1993 erlangt. Vertragliche Ersatzansprüche mit einer 30-jährigen Verjährungsfrist schieden aus, weil die Klägerin als gesetzlich Krankenversicherte den Abschluss eines Behandlungsvertrages nicht vorgetragen habe.

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Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung führt in der Sache zur Aufhebung und Zurückverweisung an die erste Instanz.

7

Das Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, § 539 ZPO, da das Landgericht bei der Feststellung des Verjährungsbeginns gemäß § 852 BGB erhebliches Vorbringen zu dem Geschehensablauf unberücksichtigt gelassen hat, wonach die Klageerhebung in nicht verjährter Zeit erfolgt ist. Mangelhafte Tatsachenfeststellung und nicht erschöpfte Beurteilung des Streitstoffes stellen stets die Zurückverweisung rechtfertigende Verfahrensfehler dar. Eine eigene Entscheidung des Senats erscheint nicht sachgerecht, § 540 ZPO, da es infolge der - in sich konsequenten - Klageabweisung an jeglicher Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf Haftungsgrund und ggfls. Haftungshöhe fehlt und diese insgesamt erstmalig in der Berufungsinstanz stattfinden müsste.

8

Im rechtlichen Ansatz zutreffend geht auch das Landgericht mit der einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur zunächst davon aus, dass Verjährungsbeginn gemäß § 852 BGB positive Kenntnis des Geschädigten von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen voraussetzt (vgl. dazu statt aller Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rn. 480 ff). Der Patient muss dafür das Behandlungsgeschehen in seinen Grundzügen kennen, wozu u.a. auch die Kenntnis von Tatsachen gehört, aus den sich ein Abweichen des Arztes vom üblichen ärztlichen Vorgehen ergibt. Bedenklich ist dagegen die vom Landgericht gezogene Schlussfolgerung, die Klägerin hätte aus den ihr bekannten postoperativen Folgebehandlungen und den sich verschlimmernden Beschwerden spätestens Ende 1993 erkennen bzw. den Schluss ziehen müssen, dass Ursache dafür nur die Behandlung durch den Beklagten sein konnte, und dadurch die vorgenannte erforderliche den Verjährungsbeginn auslösende Kenntnis erlangt.

9

Kenntnis vom Misserfolg einer Behandlung belegt nicht ohne weiteres die Kenntnis von einem Behandlungsfehler und Kenntnis von einem Behandlungsfehler weist nicht stets auf die Kenntnis von seiner Ursächlichkeit für den Misserfolg hin (vgl. Steffen a.a.O. Rn. 480). Auch kann das bloße Kennenmüssen nicht der vom Gesetz geforderten positiven Kenntnis gleichgestellt werden. dass die Klägerin sich ausnahmsweise gemäß § 242 BGB so behandeln lassen müsste, als habe sie die erforderliche Kenntnis gehabt, weil sie sich gleichsam sehenden Auges den offenliegenden Erkenntnisquellen verschlossen habe, ist nicht festgestellt. Anhaltspunkte dafür sind insbesondere angesichts des sich verschlimmernden nicht abgeschlossenen Beschwerdebildes auch sonst nicht ersichtlich. Entgegen der Ansicht des Landgerichts belegt dieses Klagevorbringen keine den Verjährungsbeginn zu dem von ihm angenommenen Zeitpunkt stützenden Kenntnisse der Klägerin.

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Abgesehen davon lässt das Landgericht außer Acht, dass die Klägerin ihr Ersatzbegehren im Wesentlichen auf eine unzureichende Eingriffsaufklärung stützt. Bei der Haftung wegen Verletzung solcher ärztlicher Aufklärungspflichten ist für den Verjährungsbeginn erforderlich, dass der Patient von den Tatsachen Kenntnis erlangt, aus denen sich die Notwendigkeit einer Aufklärung ergibt. Dazu gehört wiederum das Wissen, dass die eingetretene Komplikation ein dem Eingriff eigentümliches Risiko und nicht nur ein unvorhersehbarer unglücklicher Zufall war (vgl. BGH VersR 1976, 293; OLG Düsseldorf VersR 1986, 1194; OLG Köln VersR 1988, 744 [OLG Köln 26.03.1987 - 7 U 320/86]). Vor Einholung des Schlichtungsgutachtens, auf das sich beide Parteien für ihre unterschiedlichen Rechtsstandpunkte beziehen, konnte die Klägerin entgegen der Berufungserwiderung dieses Wissen nicht haben. Solange und soweit sie (noch) auch von der Möglichkeit einer fehlerhaften ärztlichen Versorgung als Ursache ihrer Beschwerden ausgehen konnte und durfte, fehlte ihr nicht nur dafür die positive Kenntnis, sondern auch und gerade für etwaige haftungsbegründende Aufklärungsdefizite. Auf mögliche Behandlungsfehler können sich Aufklärungspflichten nie beziehen. Verstöße gegen die Unterrichtungspflichten der Behandlungsseite sind daher auch erst dann schlüssig darzulegen, wenn der Patient um Tatsachen weiß, die neben oder anstatt eines möglichen fehlerhaften Vorgehens das Beschwerdebild teilweise oder ganz als Folge eines aufklärungsbedürftigen Eingriffs darstellen. Daran fehlte es hier aber bis zu dem Schlichtungsgutachten insgesamt.

11

Auf die Kenntnis vom bloßen postoperativen Behandlungsgeschehen, die das Landgericht allein heranzieht, lässt sich das nicht stützen. Erst das Schlichtungsgutachten hat der Klägerin Kenntnisse vermittelt, dass bei ihr dem Sachverständigen zufolge solche eingriffsimmanenten Komplikationen aufgetreten sein sollen, und sie in die Lage versetzt, diese an der von ihr behaupteten unzureichenden Aufklärung einschließlich des gerügten Zeitpunktes zu messen.

12

Unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens und Streitstoffes und der danach gebotenen Tatsachenfeststellung bleibt der Verjährungseinrede gegenüber einer möglichen Haftung aus Delikt insgesamt der Erfolg versagt.

13

Der Frage nach etwaigen Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien brauchte der Senat daher nicht weiter nachzugehen. Zu Recht hat aber das Landgericht jeglichen Vortrag der Klägerin vermisst, wonach sie Vertragspartnerin des Chefarztes geworden sein könnte, da für die stationäre Behandlung regelmäßig der Krankenhausträger allein Vertragspartner der Patienten ist im Rahmen eines sog. totalen Krankenhausvertrages und privatrechtliche Behandlungsbeziehungen zunächst nur zwischen Kassenpatient und Krankenhausträger begründet werden (vgl. nur Steffen/Dressler a.a.O. Rn. 23 und 52 ff).

14

Die Sache ist an das Landgericht zurückzugeben, damit die nunmehr erforderliche gerichtliche Aufklärung in der Sache dort nachgeholt werden kann.