Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 26.03.1998, Az.: 8 U 215/97
Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts; Bejahung der örtlichen Zuständigkeit durch die Vorinstanz; Angreifbarkeit einer Entscheidung der Vorinstanz; Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs; Überprüfbarkeit der Zulässigkeit des Rechtswegs im allgemeinen Rechtsmittelverfahren; Vorliegen eines wesentlichen Verfahrensmangels
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 26.03.1998
- Aktenzeichen
- 8 U 215/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 28947
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1998:0326.8U215.97.0A
Rechtsgrundlagen
- Art. 100 Abs. 1 S. 2 GG
- Art. 103 Abs. 1 GG
- § 281 Abs. 1 ZPO
- § 512a ZPO
- § 539 ZPO
Fundstelle
- NJW-RR 1999, 865-866 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Die Bejahung der örtlichen Zuständigkeit durch die Vorinstanz kann entgegen § 512 a ZPO mit der Berufung angegriffen werden, wenn die Entscheidung willkürlich ist oder auf der Verletzung rechtl. Gehörs beruht.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Honoraransprüche der Kläger aus einem Architektenvertrag.
Die Parteien schlossen am 4.11./15.11.1993 einen Einheitsarchitektenvertrag, mit dem sich die Kläger verpflichteten für einen von dem Beklagten in Eisenberg/Thüringen geplanten Neubau eine Autohofes mit Außenanlagen und Restauration sowie eines Lkw-Service-Centers und einer Hotelanlage sämtliche Architektenleistungen nach § 15 HOAI zu erbringen. Das Bauvorhaben wurde aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind, nicht durchgeführt.
Die Kläger haben gemäß Rechnung vom 09.08.1993 nebst Anlagen für die Leistungsphasen 1 und 2 (Grundlagenermittlung und Vorplanung) Honoraransprüche in Höhe von insgesamt 503.221,63 DM geltend gemacht. Zur Begründung haben sie ausgeführt, dass sie die in Rechnung gestellten Leistungen vertragsgemäß erbracht und abgerechnet hätten.
Am 24.10.1996 ist im schriftlichen Verfahren ein Versäumnisurteil ergangen ist, mit dem der Beklagte zur Zahlung des Betrages von 503.221,63 DM nebst Zinsen verurteilt worden ist.
Mit seinem form- und fristgerecht eingelegten Einspruch hat der Beklagte zunächst die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Osnabrück gerügt. Er hat im Übrigen vorgetragen, dass die Geschäftsgrundlage des Vertrages weggefallen sei, und hat bestritten, dass die von den Klägern für die Honorarermittlung angesetzten Massen und Kosten richtig seien Hilfsweise hat der Beklagte mit einem Schadensersatzanspruch in Höhe von 339.499,89 DM wegen Planungsfehlern des Klägers zu 1) bei einem anderen Bauvorhaben die Aufrechnung erklärt.
Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen mit Urteil vom 28.10.1997 das Versäumnisurteil bis auf die Höhe des Zinsanspruchs aufrechterhalten. Zur Begründung ist in dem Urteil, auf das wegen weiterer Einzelheiten verwiesen wird, ausgeführt, dass den Klägern auf Grund der prüffähigen Abrechnung das geltend gemachte Honorar zustehe. Der Beklagte habe nicht bewiesen, dass die Geschäftsgrundlage des Vertrages weggefallen sei. Eine Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen sei wegen der fehlenden Identität der Schuldner nicht möglich. Die Zuständigkeitsrüge sei i.S. von § 296 Abs. 3 ZPO verspätet.
Mit seiner Berufung rügt der Beklagte weiterhin die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Osnabrück. Im Übrigen wendet sich der Beklagte unter Wiederholung und Ergänzung seines erstinstanzlichen gegen Grund und Höhe des geltend gemachten Anspruchs.
Der Beklagte beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise
den Rechtsstreit an das Landgericht Gera zu verweisen.
Die Kläger sind der Ansicht, dass der Beklagte in der Berufungsinstanz wegen § 512 a ZPO nicht mehr die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Osnabrück, die im Übrigen gegeben sei, mit Erfolg rügen könne. Im Übrigen verteidigen sie die angefochtene Entscheidung.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtsstreit wird Bezug genommen auf den von ihnen vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung führt zur Verweisung des Rechtsstreits auf den Hilfsantrag der Kläger an das örtlich zuständige Landgericht Gera (§ 281 Abs. 1 ZPO).
1)
Der Beklagte kann in der Berufungsinstanz mit Erfolg die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts Osnabrück geltend machen. Diese Rüge ist im vorliegenden Fall nicht durch die Vorschrift des § 512 a ZPO ausgeschlossen, wonach die Berufung nicht darauf gestützt werden kann, dass das Landgericht seine örtliche Zuständigkeit zu Unrecht angenommen habe. Denn dies ist ausnahmsweise dann möglich , wenn das erstinstanzliche Gericht seine örtlichen Zuständigkeit willkürlich angenommen und damit den Beklagten seinem gesetzlichen Richter entzogen hat (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 20. Aufl., Rz. 1 zu § 512 a ZPO; Rimmelspacher im Münchener Komm. zur ZPO, Rz. 11 zu § 512 a ZPO) oder wenn das Gericht erster Instanz dem Beklagten das rechtliche Gehör verweigert hat (vgl. KG NJW-RR 1987, 1203). Der Senat sieht es in diesen Fällen für geboten an, eine Ausnahme von der der Regelung des § 512 a ZPO zuzulassen. Denn der gesetzliche Richter ist nach Art. 100 Abs. 1 S. 2 GG eine Institution von Verfassungsrang und der Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine elementares, gemäß Art. 103 Abs. 1 GG in der Verfassung verankertes Gebot für das Gerichtsverfahren. Im Hinblick darauf hat nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH ein Verweisungsbeschluss nach § 281 ZPO dann keine bindende Wirkung und ist anfechtbar, wenn er objektiv willkürlich erscheint (vgl. BGH NJW 1993, 1273) oder wenn er auf der Versagung rechtlichen Gehörs beruht (vgl. BGHZ 71, 69 ff., 72 f. [BGH 15.03.1978 - IV ARZ 17/78]; 102, 338 ff., 341) [BGH 10.12.1987 - I ARZ 809/87]. Es kann aber keinen Unterschied machen, ob das Gericht unter Entziehung des gesetzlichen Richters oder unter Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs einen Verweisungsbeschluss erlassen oder - wie hier - seine örtliche Zuständigkeit angenommen hat. Die Überprüfbarkeit einer Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit im Fall der Verletzung rechtliche Gehörs durch die Berufungsinstanz steht auch nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des BGH, wonach die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht generell den Rechtsmittelzug eröffnet, wenn die Berufungssumme nach § 511 a Abs. 1. S. 1 ZPO nicht erreicht ist (vgl. BGH NJW 1990, 838 und 1795).
Denn im Fall der Berufungssumme geht es um die gesetzlich geregelte Zugangsvoraussetzung für ein Rechtsmittel, die nicht ohne weiteres übergangen werden kann. Die Bejahung der örtlichen Zuständigkeit stellt dagegen einen erheblichen Eingriff in die prozessuale Stellung des Beklagten dar, der die Zuständigkeit für nicht gegeben erachtet, und muss daher im Falle der Verletzung rechtlichen Gehörs auch noch in der Berufungsinstanz geändert werden können. Auch die Regelung des § 17 a Abs. 5 GVG, wonach die Zulässigkeit des Rechtswegs im allgemeinen Rechtsmittelverfahren nicht mehr überprüft werden kann, gebietet es nicht, die örtliche Zuständigkeit im Berufungsverfahren generell und ausnahmslos nicht mehr überprüfen zu können. Denn Sinn dieser Vorschrift in Verbindung mit den Regelungen in § 17 a Abs. 2, 3 und 4 GVG ist es, die Frage der Zulässigkeit des Rechtswegs vor dem Ergehen einer erstinstanzlichen Hauptsachentscheidung zu klären. Wird daher das Berufungsgericht wegen des Versäumens des Vorabverfahrens in der ersten Instanz mit der Rechtswegfrage befasst, muss es die Zulässigkeit des Rechtswegs in eigener Zuständigkeit selbst prüfen (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 20. Aufl., Rz. 18 zu § 17 a GVG). Nach den Vorschriften des GVG ist es daher nicht ausgeschlossen, dass auch das Berufungsgericht die Frage der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts prüft, wenn - wie hier - erst in dem erstinstanzlichen Urteil über die Zuständigkeit entschieden wird.
2)
Ein Ausnahmefall, bei die dem nach dem Vorstehenden der Beklagte in der Berufungsinstanz die Bejahung der örtliche Zuständigkeit durch die Vorinstanz rügen kann, liegt hier vor. Das Landgericht Osnabrück hat seine örtliche Zuständigkeit allein dadurch angenommen, dass es die Zuständigkeitsrüge des Beklagten nach § 296 Abs. 3 ZPO als verspätet zurückgewiesen hat. Diese Zurückweisung erfolgte willkürlich und unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beklagten.
Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Zuständigkeitsrüge wegen Verspätung lagen nach den gesetzlichen Regelungen nicht vor. Einmal betrifft § 296 Abs. 3 ZPO nur verzichtbare Rügen zur Zulässigkeit und gilt daher nicht für Rügen der örtlichen Zuständigkeit (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., Rz. 8 a zu § 296 ZPO und Zöller-Vollkommer, a.a.O., Rz. 5 zu § 39 ZPO jeweils m.w.N.). Zum anderen ist es einer Partei nach Erlass eines Versäumnisurteils nicht verwehrt, versäumtes Vorbringen innerhalb der Einspruchsfrist nachzuholen (vgl. Zöller-Greger, a.a.O., Rz. 17 zu § 296 ZPO m.w.N.). Unter diesen Umständen ist die Zurückweisung der Zuständigkeitsrüge des Beklagen wegen Verspätung willkürlich, weil sie sich so weit von den gesetzlichen Normen entfernt, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist.
Das Landgericht hat aber auch gleichzeitig den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. zuletzt NJW 1990, 2389) liegt allein schon durch die fehlerhafte Zurückweisung des Vorbringens des Beklagten wegen Verspätung ein Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs vor. Darüber hinaus hat der Beklagte mehrfach die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Osnabrück gerügt und hat auf diese Rüge auch in der mündlichen Verhandlung nicht verzichtet. Das Landgericht ist vor Erlass des angefochtenen Urteils auf diese Rüge überhaupt nicht eingegangen und hat dem Beklagten keine Gelegenheit gegeben, zu der erst in dem Urteil vertretenen Auffassung, seine Zuständigkeitsrüge sei verspätet, Stellung zu nehmen.
3)
Die Nichtzulassung des Vorbringens des Beklagten zur örtlichen Zuständigkeit stellt zugleich einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S. von § 539 ZPO dar. Nach § 540 ZPO ist der Senat dadurch aber nicht gehindert, die Frage der örtlichen Zuständigkeit selbst zu entscheiden.
Das Landgericht Osnabrück ist örtlich nicht zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich nicht aus § 29 Abs. 1 ZPO. Denn Erfüllungsort für die streitige Verpflichtung auf Zahlung des Architektenhonorars ist nicht das Architektenbüro der Kläger, sondern der Wohnsitz des Beklagten als Auftraggeber. Dieser liegt aber im Bezirk des Landgerichts Gera.
Es ist allgemein anerkannt, dass Erfüllungsort für die beiderseitigen Verpflichtungen aus einem Architektenvertrag nicht wie sonst regelmäßig der Ort des Bauwerks, sondern der Wohnsitz des Auftraggebers ist, wenn es wie hier nicht zur Errichtung des Bauwerks kommt. (vgl. Locher/Koeble/Frik, HOAI, 7. Aufl., Rz. 34 zu § 1 HOAI; Hesse/Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, 5. Aufl., Rz. 75 zu § 8 HOAI; Pott/Dahlhoff/Kniffka, HOAI, 7. Aufl., Rz. 21 zu § 8 HOAI). Etwas anderes gilt hier nicht deswegen, weil die Kläger nur Honoraransprüche für die Leistungsphasen 1 und 2 geltend machen. Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob Erfüllungsort für die gegenseitigen Leistungen aus einem Architektenvertrag, der nur die Leistungsphasen 1 und 2 von § 15 HOAI umfasst, das Büro des Architekten ist ( so LG München NJW-RR 1993, 212; a.A. LG Kaiserslautern NJW 1988, 652 [LG Kaiserslautern 05.05.1987 - 2 S 123/84] und dem folgend Pott/Dahlhoff/Kniffka, a.a.O.; sowie Zöller-Vollkommer, ZPO, 20. Aufl., Rz. 25 zu § 29 ZPO, Stichwort ,Architektenvertrag). Denn die Parteien haben einen Architektenvertrag geschlossen, der sämtliche Leistungsphasen nach § 15 HOAI umfasst. Aus der Natur des Schuldverhältnisses ergibt sich daher nicht, dass Schwerpunkt der vertraglichen Zusammenarbeit der Parteien das Architektenbüro der Kläger sein sollte.
4)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 281 Abs. 3 S. 1 ZPO. Danach hat das Landgericht Gera einheitlich über die Kosten des Verfahrens einschließlich der durch die Anrufung des Landgerichts Osnabrück entstandenen Mehrkosten zu entscheiden. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind aber mit Ausnahme der Gerichtskosten, die gemäß § 8 Abs. 1 GKG niedergeschlagen werden, als Mehr- kosten den Klägern aufzuerlegen (vgl. BGHZ 11, 43 ff., 58; 12, 52 ff., 71 [BGH 22.12.1953 - V ZR 6/51]; 14, 222 ff., 231 f. [BGH 10.07.1954 - VI ZR 120/53]).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Das Urteil ist trotz einer Beschwer von über 60.000,00 DM entsprechend § 281 Abs. 2 S. 3 ZPO unanfechtbar (vgl. RGZ 95, 280; 108, 263; BGHZ 2, 278), wobei unerheblich ist, dass die Kläger die Verweisung nur hilfsweise beantragt haben (vgl. BGH MDR 1953, 544 f.).