Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 01.02.2018, Az.: L 8 AY 16/17 B ER

Übernahme von Kosten für ambulant betreutes Wohnen als Leistungen nach dem AsylbLG bzw. SGB XII; Schwere psychische Erkrankung während eines Asylverfahrens

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
01.02.2018
Aktenzeichen
L 8 AY 16/17 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 24103
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - 23.05.2017 - AZ: S 42 AY 18/17 ER

Fundstellen

  • NZS 2021, 365
  • info also 2021, 240

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 23. Mai 2017 aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Kosten für die ambulante Betreuung der Antragstellerin durch den Verein C., Hildesheim, in einem Umfang von drei Fachleistungsstunden je Woche ab Februar 2018 bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens betreffend diese Leistungen vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung zu übernehmen.

Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren zu erstatten.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Übernahme von Kosten für ambulant betreutes Wohnen als Leistungen nach dem AsylbLG bzw. SGB XII.

Die 1973 geborene Antragstellerin ist türkische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit, und im September 1999 zum Zwecke der Familienzusammenführung mit einem Visum zu ihrem ersten Ehemann nach Deutschland eingereist. Nach schweren Misshandlungen durch diesen und mehreren Frauenhausaufenthalten wurde die Ehe im August 2006 geschieden. Im April 2007 heiratete die Antragstellerin einen türkischen Staatsangehörigen, der im September 2009 nach Deutschland einreiste und mit dem sie - soweit ersichtlich - noch heute verheiratet ist, aber nicht zusammenlebt. Bis Ende Mai 2010 verfügte sie über eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Der Antrag auf Verlängerung des Titels wurde vom Antragsgegner, in dessen Kreisgebiet die Antragstellerin im April 2009 gezogen ist, durch Bescheid vom 14. Juli 2010 mangels Vorliegen allgemeiner Erteilungsvoraussetzungen (Sicherung des Lebensunterhalts) abgelehnt. Klage und Eilantrag gegen diese Entscheidung blieben ohne Erfolg (vgl. Beschluss des OVG Lüneburg vom 18. Oktober 2010 - 11 ME 369/10, 13 B 3585/10 - und Urteil des VG Hannover vom 11. Januar 2011 - 13 A 3584/10 -).

Wegen der bevorstehenden Abschiebung unternahm die Antragstellerin im Oktober 2010 einen Suizidversuch.

Ende Oktober 2010 und Ende Januar 2011 wurde sie mit der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung mit suizidaler Dekompensation im D. Klinikum Hildesheim stationär aufgenommen. Amtsärztlich wurde für den Fall der Abschiebung vor dem Risiko einer erheblichen Verschlechterung des Gesundheitszustands der Antragstellerin und einer Retraumatisierung gewarnt, die weit über das Maß einer bei einer bevorstehenden Abschiebung allgemein zu erwartenden Psychoreaktion hinausginge (vgl. Stellungnahmen der Amtsärztin E. vom 30. Dezember 2010 und unter Beteiligung des Amtsarztes Dr. F. vom 22. Februar 2011, Bl. 412 f., 487 d. Ausländerakte). Nach der Einschaltung der Härtefallkommission beim Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport und Entlassung aus dem D. Klinikum tauchte die Antragstellerin Ende Februar 2010 - kurz vor einer beabsichtigten Abschiebung - gemeinsam mit ihrem Ehemann unter.

Am 13. Dezember 2011 wurde die - damals schwangere - Antragstellerin in der Medizinischen Hochschule Hannover mit der Diagnose einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen (ICD-10 F32.3) und dem Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS, ICD-10 F43.1) stationär aufgenommen.

Am 21. Februar 2012 gebar sie ihre Tochter G., die mit ihr in einer Mietwohnung in Nordstemmen lebt. Die Antragstellerin wurde in der Folgezeit geduldet. Seit August 2012 ist für sie eine umfassende Betreuung eingerichtet (Beschlüsse des Amtsgerichts Elze vom 8. August 2012 und 24. Januar 2014 - 9 XVII D 2215 -), weil sie nach dem im Betreuungsverfahren eingeholten nervenärztlichen Gutachten des Facharztes Dr. H., Giesen, vom 21. Juli 2012 wegen der akuten psychischen Krankheit, der rezidivierenden depressiven Episoden mit dem Maximum in Form einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen (ICD-10 F32.3) und einer PTBS (ICD-10 F43.1), in erheblicher Weise beeinträchtigt ist, ihre eigenen Angelegenheiten aus eigener Kraft zu besorgen.

Im November 2012 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 7 AufenthG bzgl. der Türkei. Hintergrund waren befürchtete Nachstellungen und Bedrohungen der Familie ihres ersten Ehemanns und ihrer eigenen Familie und die Befürchtung der Antragstellerin, der türkische Staat würde ihr insoweit keinen wirksamen Schutz gewähren. Das an dem Verfahren (zunächst) beteiligte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) teilte dem Antragsgegner im März 2015 mit, dass der geschilderte Sachverhalt möglicherweise eine asylrechtlich relevante Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure bedeute und die Antragstellerin auf die Stellung eines Asylantrags zu verweisen sei. Nach Einleitung des Asylverfahrens verfügte die dem Antragsgegner zugewiesene Antragstellerin seit April 2015 über eine Aufenthaltsgestattung. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erfolgte durch Bescheid des BAMF vom 20. Oktober 2017.

Während des Asylverfahrens stellte die Antragstellerin am 13. November 2015 beim Antragsgegner einen Antrag auf Übernahme von Kosten für eine ambulante Betreuung, die sowohl von den behandelnden Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie der Institutsambulanz des Klinikums I., J., Dr. K. und Dr. L. (u.a. Bericht vom 29. Februar 2016, Bl. 422 d. VA) als auch von den Amtsärzten des Gesundheitsamtes des Antragsgegners Dr. M. und N. (Gutachten vom 24. Februar und 5. April 2016, Bl. 6, 11 d. VA) zur Vermeidung einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin und der psychosozialen Gesundheit der Familie - aus medizinischer Sicht - als unerlässlich erachtet wurde. Die Antragstellerin bezog zu dieser Zeit bis August 2016 sog. Grundleistungen nach § 3 AsylbLG und ab September 2016 sog. Analog-Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG, bewilligt für den Monat September 2016 durch Bescheid des Antragsgegners vom 26. August 2016 (Bl. 186 d. VA).

Seit April 2017 bezog die Antragstellerin (gemeinsam mit ihrer Tochter) wieder Grundleistungen, bewilligt durch Bescheid vom 9. März 2017 (Bl. 61 d. VA). Die Kostenübernahme für die durch den Verein C., Hildesheim, in der Zeit vom 13. April bis Ende September 2016 erbrachte ambulante Betreuung der Antragstellerin übernahm der Antragsgegner durch Bescheid vom 14. Oktober 2016 (Bl. 13 d. VA, dort ausdrücklich nur bis Ende August 2016) mit dem Hinweis, dass sich der Verein an die Krankenkasse der Antragstellerin wenden solle. Eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse erfolgte nicht. Im Weiteren befasste sich der Antragsgegner mit der Frage der Tragung der ungedeckten Kosten für die Zeit ab Oktober 2016 (vgl. E-Mail des zuständigen Fachdienstes an das Rechtsamt vom 2. März 2017, Bl. 1 d. VA).

Am 23. März 2017 hat die Antragstellerin, vertreten durch ihren Betreuer, beim Sozialgericht (SG) Hildesheim u.a. unter Berufung auf die Gutachten des Gesundheitsamts des Antragsgegners aus 2016 und unter Vorlage der fachärztlichen Stellungnahme der Dres. K. und L. sowie der Psychologin O. der Institutsambulanz des Klinikums I. vom 16. März 2017 wegen der ungeklärten Kostenübernahme um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Das SG hat den Eilantrag durch Beschluss vom 23. Mai 2017 mit der Begründung abgelehnt, es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis für eine gerichtliche Entscheidung, weil zwischen den Beteiligten kein streitiges Rechtsverhältnis vorliege. Die Leistungen für das ambulant betreute Wohnen seien nach dem Inhalt der Verwaltungsakte nicht beantragt, der Bewilligungsbescheid vom 9. März 2017 sei nicht mit Widerspruch angefochten worden. Hierbei hat das SG übersehen, dass die Antragstellerin gegen den Bescheid im Eilverfahren durch Schriftsatz vom 4. April 2017 sehr wohl Widerspruch erhoben hat. Über diesen Widerspruch ist - nach Kenntnis des Gerichts - noch keine Entscheidung ergangen.

Gegen die Entscheidung des SG richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die weiterhin die Übernahme von (zukünftigen) Kosten für die ambulante Betreuung bzw. Assistenz begehrt; die Übernahme von in der Zeit ab März 2017 möglicherweise angefallenen Kosten hat sie nicht geltend gemacht. Zur Begründung nimmt sie u.a. Bezug auf weitere zur Gerichtsakte gereichte Stellungnahmen der Institutsambulanz des Klinikums I. vom 16. Juni und 29. September 2017.

Der Antragsgegner hält die Entscheidung des SG für zutreffend (fehlendes Rechtsschutzbedürfnis) und führt in der Sache aus, die Antragstellerin sei leistungsberechtigt nach §§ 1, 3 AsylbLG, weil sie durch das Untertauchen mit ihrem Ehemann im Jahr 2011 ihre Aufenthaltsdauer in Deutschland i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst habe. Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich insbesondere (auch) nicht aus § 6 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylbLG, weil die ambulanten Betreuungsleistungen nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich seien, sondern in der Vergangenheit überwiegend darin bestanden hätten, die Antragstellerin zum Anwalt oder zu Ärzten zu begleiten, Schriftverkehr mit dem Antragsgegner oder der Krankenkasse zu organisieren und Kontakt mit dem Verein Asyl e.V. aufzunehmen. Insoweit gelte nach § 6 AsylbLG ein anderer rechtlicher Maßstab als bei der Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen, die neben der psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung der Antragstellerin nicht zu bewilligen seien. Insoweit verweist der Antragsgegner auch auf die zur Gerichtsakte gereichten Stellungnahmen der Amtsärztin P. vom 8. Mai und 17. Juli 2017. Die bisherige Aufenthaltsdauer des Ausländers in Deutschland spiele bei der Auslegung des § 6 AsylbLG auch mit Rücksicht auf die Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (- 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -) keine Rolle.

Aus der EU-Richtlinie Aufnahmebedingungen 2013/33/EU ergebe sich nichts anderes. Verfahrensrechtlich greife im vorliegenden Fall der Kenntnisgrundsatz (§ 6b AsylbLG i.V.m. § 18 SGB XII) nicht, weil hier nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20. April 2016 - B 8 SO 5/15 R -) nicht eine Änderung des Umfangs des bereits bekannten Bedarfs vorliege, sondern eine andere Bedarfslage. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Oktober 2017 berühre die (Un-) Zulässigkeit des Eilantrags (fehlendes Rechtsschutzbedürfnis) nicht. Der Leistungsanspruch der Antragstellerin werde derzeit geprüft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Antragstellerin betreffenden Ausländer- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§§ 172 Abs. 3 Nr. 1, § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu Unrecht abgelehnt.

Der Antrag ist nicht mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Jede Rechtsverfolgung setzt ein Rechtsschutzbedürfnis voraus (BSG, Urteil vom 12. Juli 2012 - B 14 AS 35/12 R - juris Rn. 17). Das Fehlen eines Rechtsschutzbedürfnisses kann sich beispielsweise daraus ergeben, dass das angestrebte Ergebnis auf einfachere Weise als durch die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erreicht werden kann (BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 42/12 R - juris Rn. 23). Nach diesen Maßgaben war die Antragstellerin unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtschutzes nicht gehalten, sich wegen der begehrten Betreuungsleistungen zunächst an den Antragsgegner zu wenden. Der Antragsgegner hatte insoweit bei der Kostenübernahme durch Bescheid vom 14. Oktober 2016 auf - seiner Ansicht nach vorrangige - Leistungen der Krankenkasse verwiesen (für die Zeit ab Oktober 2016) und im Weiteren Kenntnis von den ungedeckten Betreuungskosten (dazu auch gleich). Aus Sicht der Antragstellerin war darin eine Ablehnungsentscheidung zu sehen. Wie der Verlauf des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zeigt, hätte sie die Kostenübernahme (auch) nicht durch einen vorherigen Antrag beim Antragsgegner erreichen können.

Einstweilige Anordnungen sind nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und der Antragsteller ohne den Erlass der begehrten Anordnung wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund). Sowohl die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs als auch die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Das einer einstweiligen Anordnung zugängliche streitige Rechtsverhältnis besteht hier in dem (mindestens) seit März 2017 vom Antragsgegner nicht beschiedenen Bedarf der Klägerin an ambulanter Betreuung bzw. Assistenzleistungen (vgl. auch § 78 SGB IX in der seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung, BGBl I 2016, 3234, der hier wegen des Verweises in § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII auf die alte Rechtslage nicht anwendbar ist, dazu später), für deren Bewilligung es keines ausdrücklichen Antrags bedarf. Im Asylbewerberleistungsrecht gilt - wie im Sozialhilferecht - (grundsätzlich) der Kenntnisgrundsatz, nach dem die Hilfe einsetzt, sobald dem zuständigen Träger bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen, § 6b AsylbLG i.V.m. § 18 SGB XII bzw. hier (dazu gleich) § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. § 18 SGB XII. Nach der vom Antragsgegner zitierten Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20. April 2016 - B 8 SO 5/15 R - juris Rn. 10) ist die Kenntnis in diesem Sinne danach zu beurteilen, ob der Informationsstand des Trägers der Sozialhilfe so ist, dass er von Amts wegen in Ermittlungen eintreten muss. Diese Voraussetzungen lagen (spätestens) Anfang März 2017 und liegen bis heute vor. Dem Antragsgegner ist aufgrund der Vielzahl der medizinischen Unterlagen, auch seines Gesundheitsamtes, das (mindestens) seit Oktober 2010 bestehende komplexe Krankheitsbild der Antragstellerin (dazu auch später), ihr darauf beruhender Bedarf an Betreuungs- bzw. Assistenzleistungen (insoweit Kenntnis seit Ende 2015) und die fehlende Kostenübernahme (auch durch die Krankenkasse der Antragstellerin) seit Oktober 2016 bekannt. Nach dieser Sachlage hatte er von Amts wegen Ermittlungen aufzunehmen, was auch durch den zuständigen Fachdienst mit der Einschaltung des Rechtsamts Anfang März 2017 geschehen ist (vgl. E-Mail vom 2. März 2017, Bl. 1 d. VA).

Nach den Maßgaben zum Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG hat die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsanspruch als auch die besondere Eilbedürftigkeit der Sache glaubhaft gemacht.

Mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Bescheid vom 20. Oktober 2017 ergibt sich der Anspruch der einkommens- und vermögenslosen Antragstellerin auf Eingliederungshilfe in Form von ambulanten Betreuungs- bzw. Assistenzleistungen aus §§ 19 Abs. 3, 23 Abs. 1 Satz 3, 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX (in der am 31. Dezember 2017 geltenden Fassung, a.F.). § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII (in der seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung, BGBl. I 2016, 3234) verweist wegen der Leistungen zur medizinischen und sozialen Rehabilitation ausdrücklich auf die außer Kraft getretene Rechtslage.

Die Antragstellerin ist nicht gemäß § 23 Abs. 2 SGB XII von Leistungen der Sozialhilfe ausgeschlossen, weil sie nicht mehr leistungsberechtigt nach § 1 Abs. 1 AsylbLG ist, wobei hier aufgrund des Zeitablaufs dahinstehen kann, ob das Ende der Leistungsberechtigung bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 AsylbLG mit dem Ablauf des Monats, in dem die Bekanntgabe des Bescheids des BAMF vom 20. Oktober 2017 fällt (so etwa Deibel in ZSFH SGB 2016, 415, 416) oder nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 AsylbLG durch das Erlöschen der Aufenthaltsgestattung gemäß § 67 Abs. 1 Nr. 6 AsylG mit Eintritt der Unanfechtbarkeit der Entscheidung des BAMF. Der Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 SGB XII greift ebenfalls nicht, weil sich die Antragstellerin rechtmäßig und nicht zum Zwecke der Arbeitssuche (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII) in Deutschland aufhält und auch andere Ausschlusstatbestände nicht vorliegen (vgl. auch § 23 Abs. 3 Satz 2 SGB XII).

Die Antragstellerin hat einen Rechtsanspruch auf die Leistungen. Der Anspruch ist nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII weder tatbestandlich noch auf Rechtsfolgenseite (auf Ermessensleistungen, vgl. § 17 Abs. 2 SGB XII) beschränkt. Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, (nur) Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nachdiesem Buch zu leisten. Im Übrigen kann nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII Sozialhilfe - also wie hier Eingliederungshilfe für behinderte Menschen nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII - geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Ein solcher Einzelfall liegt hier mit den besonders ausgeprägten gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragstellerin, die eine Hilfegewährung - in medizinischer Hinsicht - unbedingt erfordern (dazu auch später), der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, mit der prognostisch ein nicht nur vorübergehender Aufenthalt in Deutschland einhergeht (vgl. auch § 23 Abs. 1 Satz 4 SGB XII) und der familiären Situation der Antragstellerin als Alleinerziehende und den Auswirkungen für ihre Tochter (auch dazu später) vor (vgl. zu den Kriterien der Einzelfallbeurteilung Coseriu in jurisPK-SGB XII 2. Aufl. 2014, § 23 Rn. 24).

Zudem ist das grundsätzlich der Behörde zustehende Ermessen in diesem Einzelfall reduziert, weil sich allein eine Leistungsbewilligung als rechtmäßig erweist. Eine alternative Hilfestellung anstelle der Assistenzleistungen kommt nach den insoweit übereinstimmenden amtsärztlichen Stellungnahmen nicht in Betracht (vgl. zuletzt ausdrücklich die Amtsärztin P. in ihrem Gutachten vom 8. Mai 2017).

Die Antragstellerin erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII für die Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe als Pflichtleistung. Danach werden Pflichtleistungen nur an Personen erbracht, die durch eine Behinderung i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Die Antragstellerin leidet nach den insoweit übereinstimmenden Befundunterlagen, insb. nach dem nervenärztlichen Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H., Giesen, vom 21. Juli 2012, an rezidivierenden depressiven Episoden mit dem Maximum in Form einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen (ICD-10 F32.3) und einer PTBS (ICD-10 F43.1) und ist damit seelisch wesentlich behindert i.S. des § 3 Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglH-VO). Aufgrund dieser Erkrankungen und der damit einhergehenden ängstlich-misstrauischen Grundhaltung droht ohne Unterstützung im Alltag ein Rückzugsverhalten, das die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft in besonderer Weise einschränken kann (vgl. etwa die fachärztliche Stellungnahme der Dres. K. und L. sowie der Psychologin O. der Institutsambulanz des Klinikums I. vom 16. März und 29. September 2017). Auch nach den Erkenntnissen aus dem Betreuungsverfahren ist sie nicht in der Lage, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu bewältigen.

Der Anspruch auf Hilfen zu selbstbestimmten Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX a.F. (zum Begriff und dem Verhältnis der "Wohnmöglichkeit" zur Betreuungsleistung vgl. BSG, Urteil vom 25. August 2011 - B 8 SO 7/10 R - juris Rn. 15) erstreckt sich auf die Übernahme der Kosten für die Assistenzleistungen der Antragstellerin durch den Verein C., Hildesheim, in einem Umfang von drei Fachleistungsstunden je Woche. Die Antragstellerin benötigt zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung regelmäßige aktivierende Unterstützung, insb. Beratung und Begleitung, etwa bei Arztbesuchen, Behördengängen, beim Einkaufen oder für die Kita-Besuche ihrer Tochter (vgl. die Stellungnahme der Amtsärztin P. vom 8. Mai 2017 und die Stellungnahmen der Amtsärzte Dr. M. und N. vom 26. Februar und 5. April 2016, Bl. 6, 11 d. VA). Die Leistungserbringung durch den Verein C. ist sachgerecht, weil er auch Assistenten vorhält, die die gleiche (Mutter-) Sprache der Antragstellerin sprechen, insbesondere die ehemalige Betreuerin Frau Q. R.; dies ist nach der Stellungnahme der Dres. K. und L. sowie der Psychologin O. vom 16. März 2017 erforderlich, weil sich die Antragstellerin in deutscher Sprache kaum verständigen kann. Der (Stunden-) Umfang der Assistenz entspricht demjenigen aus dem Jahre 2016 und ist aufgrund der vorliegenden medizinischen Unterlagen (weiterhin) geboten; es sind keine Anhaltspunkte für eine Änderung der Bedarfslage ersichtlich.

Die einstweilige Anordnung ist zeitlich begrenzt auf den Abschluss des Verwaltungsverfahrens betreffend den Bedarf an Assistenzleistungen ab Februar 2018. Nach den Ausführungen des Betreuers der Antragstellerin ist nicht davon auszugehen, dass während des Eilverfahrens eine kostenpflichtige ambulante Betreuung in Anspruch genommen worden ist. Der Antragsgegner hat es durch einen zügigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens (ggf. einschließlich Vorverfahren) selbst in der Hand, sich von der gerichtlichen Verpflichtung zu lösen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Antragstellerin die begehrten Leistungen mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit auch vor der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugestanden haben.

Der Anspruch der Antragstellerin hat sich insoweit aus § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 19 Abs. 3, 23 Abs. 1 Satz 3, 53 Abs. 1 Satz 1, 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX a.F. ergeben (zu den Voraussetzungen des Anspruchs auf Eingliederungshilfe s. oben). Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass der Antragsgegner der Antragstellerin durch Bescheid vom 9. März 2017 (nur) Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bewilligt hat. Der Bescheid enthält allein eine Verfügung über die Höhe der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (für den Monat April 2017), nicht aber über die hier begehrten Betreuungsleistungen. Er enthält auch keine hoheitliche Vorabentscheidung über die Leistungsberechtigung dem Grunde nach gemäß § 3 AsylbLG oder § 2 AsylbLG i.S. eines Grundlagenbescheids (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 30. Oktober 2013 - B 7 AY 7/12 R - juris Rn. 14 ff.).

Außerdem ist der Bescheid wegen des noch nicht beschiedenen Widerspruchs der Antragstellerin vom 4. April 2017 (wohl) nicht bestandskräftig.

Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG (i.d.F. vom 10. Dezember 2014, BGBl. I 2187) ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG (nach der ab dem 6. August 2016 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 AsylbLG, BGBl. I 2016, 1939: abweichend von den §§ 3 und 4 sowie 6 bis 7 AsylbLG) das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 15 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann der Antragstellerin nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht vorgeworfen werden, dass sie die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 2 Abs. 1 AsylbLG selbst beeinflusst hat. Nach der Rechtsprechung des BSG (grundlegend: Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R - juris Rn. 32 ff.) setzt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in diesem Sinne in objektiver Hinsicht ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus, das in subjektiver Hinsicht vorsätzlich im Bewusstsein der objektiv möglichen Aufenthaltsbeeinflussung getragen ist. Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer liegt schon dann vor, wenn bei generell-abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise die Aufenthaltsdauer verlängern kann. Dabei genügt angesichts des Sanktionscharakters des § 2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen für den Ausländer sowie über die Regelung des § 2 Abs. 3 AsylbLG (a.F.) für dessen minderjährige Kinder so schwer, dass auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher führt nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analog-Leistungen; nur dann ist es gerechtfertigt, auch die minderjährigen Kinder mit den Folgen dieses Verhaltens zu belasten (BSG, a.a.O. Rn. 33).

Nach diesen Maßgaben liegt mit dem Untertauchen der Antragstellerin und ihres Ehemanns im Jahr 2011 ein Verhalten vor, das nach generell-abstrakter Betrachtungsweise geeignet ist, die Aufenthaltsdauer in Deutschland (rechtsmissbräuchlich) zu beeinflussen. Die Antragstellerin handelte - auch unter Berücksichtigung ihrer schweren Erkrankung (dazu gleich) - vorsätzlich, um eine bevorstehende Abschiebung in ihr Heimatland zu vereiteln. Unter besonderer Berücksichtigung der schweren Erkrankung der Antragstellerin und der im Ergebnis (wohl) zutreffenden Gefahr, in der Türkei Bedrohungen und Nachstellungen von der Familie ihres ersten Ehemanns und ihrer eigenen Familie schutzlos ausgesetzt zu sein, wiegt das Vereiteln der Abschiebung durch Untertauchen in diesem Einzelfall nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht so schwer, das es unentschuldbar (sozialwidrig) wäre. Nach den Berichten des D. Klinikums Hildesheim vom 27. Oktober sowie 1. und 10. November 2010 (Bl. 467 ff., 392 und 402 der Ausländerakte) über den stationären Aufenthalt der Antragstellerin Ende 2010 und den Stellungnahmen der Amtsärztin E. vom 30. Dezember 2010 und unter Beteiligung des Amtsarztes Dr. F. vom 22. Februar 2011 (Bl. 412 f., 487 d. Ausländerakte) hat bei der Antragstellerin (wegen der bevorstehenden Abschiebung) ein schwerer Krankheitsverlauf mit stark ausgeprägter Suizidalität vorgelegen, der womöglich auch einer Aufenthaltsbeendigung unter Anwendung von Zwang entgegen gestanden hätte. Zur Überzeugung des Senats hat sich die Antragstellerin schon damals in einem Zustand befunden, wie er von dem im Betreuungsverfahren beauftragten Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. in seinem Gutachten vom 21. Juli 2012 geschildert wird; sie war nicht in der Lage, ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln. Diese in der Person der Antragstellerin liegenden Umstände sind bei der Prüfung des Antragsgegners eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens - wenn überhaupt - nur unzureichend berücksichtigt worden.

Aber selbst bei der Annahme eines Rechtsmissbrauchs i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG und einer Leistungsberechtigung der Antragstellerin nach §§ 1, 3 AsylbLG (dem Grunde nach) hätte ihr der geltend gemachte Anspruch nach § 6 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylbLG zugestanden. Danach können sonstige Leistungen insbesondere gewährt werden, wenn sie im Einzelfall zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich sind. Bei der Auslegung dieser Norm sind weitere Kriterien einzubeziehen wie z. B. die Qualität des betroffenen Rechtes (Grundrechtsrelevanz), Ausmaß und Intensität der tatsächlichen Beeinträchtigung im Falle der Leistungsablehnung sowie die voraussichtliche und bisherige Aufenthaltsdauer des Ausländers in Deutschland (vgl. hierzu etwa Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 6 AsylbLG Rn. 41). Hierbei kommt auch der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 (- 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 -) eine besondere Bedeutung zu, weil nach dem Regelungskonzept des AsylbLG vom allgemeinen Grundsicherungsrecht (SGB II/SGB XII) abweichende Regeln der Existenzsicherung (gesetzgeberisch) nur möglich sind, wenn wegen eines nur kurzfristigen Aufenthalts konkrete Minderbedarfe gegenüber Hilfsempfängern mit Daueraufenthaltsrecht nachvollziehbar festgestellt und bemessen werden können (BVerfG, a.a.O., juris Rn. 74).

Nach diesen Maßgaben haben die Voraussetzungen für eine Hilfegewährung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylbLG vorgelegen. Nach den medizinischen Unterlagen aus 2016, insbesondere der behandelnden Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie der Institutsambulanz des Klinikums I., J., Dr. K. und Dr. L. (u.a. Bericht vom 29. Februar 2016, Bl. 422 d. VA), und der Amtsärzte des Gesundheitsamtes des Antragsgegners Dr. M. und N. (Gutachten vom 24. Februar und 5. April 2016, Bl. 6, 11 d. VA) sind die Assistenzleistungen zur Vermeidung einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin und der psychosozialen Gesundheit der Familie unerlässlich gewesen. Die Amtsärztin P. hat in ihrem Gutachten vom 8. Mai 2017 nochmals bestätigt, dass es keine alternative "Behandlungsmöglichkeit" gibt. Dass sie in ihrem Gutachten vom 17. Juli 2017 ausgeführt hat, die Assistenzleistungen seien nicht "unerlässlich i.S.v. unverzichtbar gemäß § 6 AsylbLG", ist für sich genommen nicht nachvollziehbar und ersetzt die (eigene) rechtliche Prüfung des Antragsgegners bzw. des Gerichts nicht.

Anders als die Regelungen des SGB XII differenziert § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG nicht zwischen Gesundheitsleistungen (im engeren Sinne) und sozialhilferechtlicher Eingliederungshilfe, die nach dieser Vorschrift nicht von vorneherein ausgeschlossen ist und ausnahmsweise - insbesondere für behinderte Kinder - erbracht werden kann (vgl. hierzu Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 6 AsylbLG Rn. 87 ff.). Entscheidend ist hier insoweit nicht die im Leistungsrecht nach dem SGB XII angelegte (inhaltliche) Trennung von Gesundheitsleistungen und Eingliederungshilfe, sondern dass ohne die Erbringung der Betreuungs- bzw. Assistenzleistungen in besonderer Weise die Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin gedroht hat. Die Maßnahmen hatten und haben das Ziel, die bestehende Erkrankung zu lindern, zu bessern, bzw. eine Chronifizierung etwa im Sinne einer andauernden Persönlichkeitsstörung zu vermeiden. Nach den fachärztlichen Stellungnahme der psychiatrischen Institutsambulanz des Klinikums I. vom 16. März und 29. September 2017 droht ohne ambulante Betreuung eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustands der Antragstellerin. In diesem Zusammenhang sind auch die familiäre Situation der Alleinerziehenden sowie das Wohl der Tochter (vgl. auch § 6 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. AsylbLG) in den Blick zu nehmen. Die Leistungen dienen (auch) der psycho-sozialen Gesundheit der Familie, einschließlich der Tochter (vgl. die Gutachten der Amtsärzte Dr. M. und N. vom 24. Februar und 5. April 2016, Bl. 6, 11 d. VA). Schließlich ist in besonderer Weise zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin bereits seit 18 Jahren (seit 1999) in Deutschland lebt. Die Annahme eines bloß vorübergehenden Aufenthalts in Deutschland ist damit widerlegt. Anhaltspunkte für eine bevorstehende Aufenthaltsbeendigung haben während des Asylverfahrens nicht vorgelegen, im Gegenteil: das BAMF hatte den Antragsgegner bereits 2015 darauf hingewiesen, dass die Furcht der Antragstellerin vor Bedrohungen und Nachstellungen durch Familienangehörige ihres Exmannes und ihrer eigenen Familie in der Türkei möglicherweise eine asylrechtlich relevante Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure darstellen kann.

Ungeachtet dessen hätte der Antragstellerin - wäre sie denn leistungsberechtigt nach §§ 1, 3 AsylbLG gewesen - der Anspruch auch aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG zugestanden.

Die Richtlinie Aufnahmebedingungen 2013/33/EU ist am 18. Juli 2013 in Kraft getreten und regelt Asylaufnahmebedingungen für Asylbewerber (bzw. Antragsteller auf internationalen Schutz) während der Dauer ihres Asyl- bzw. Anerkennungsverfahrens. Sie enthält besondere Vorschriften über die medizinische Versorgung von Personen mit besonderen Bedürfnissen nach Art. 19 Abs. 2, 21 bis 25 der Richtlinie 2013/33/EU, die vom (Bundes-) Gesetzgeber aber nicht (ausdrücklich) umgesetzt worden ist. Seit Ablauf der Umsetzungsfrist zum 21. Juli 2015 wird insoweit eine richtlinienkonforme Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG befürwortet (Wahrendorf in Wahrendorf, AsylbLG, 1. Aufl. 2017, § 4 Rn. 1; Herbst in Mergler/Zink, SGB XII/AsylbLG, Stand: 07/2017, § 6 AsylbLG Rn. 31; vgl. auch Frerichs in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 6 AsylbLG, Rn. 25 m.w.N.; so auch der Standpunkt der Bundesregierung in BT-Drs. 18/7831, S. 5 und BT-Drs. 18/9009, S. 3; im Ergebnis ebenso im Wege einer direkten Anwendung des Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 2013/33/EU Kanalen, VSSR 2016, 161, 188 ff., 191 ff.; a.A. SG Landshut, Urteil vom 24. November 2015 - S 11 AY 11/14 - juris Rn. 47, zu Art. 15 Abs. 2, 17 Abs. 1 der Vorgängerrichtlinie 2003/9/EG) mit der Folge, dass die Betroffenen einen Anspruch auf die "erforderliche medizinische und sonstige Hilfe" haben (vgl. auch die Rechtsfolge des § 6 Abs. 2 AsylbLG, der hier tatbestandlich nicht anwendbar ist). Dieser Ansicht schließt sich der Senat an.

Nach diesen Maßgaben ist die Antragstellerin aufgrund ihrer schweren psychischen Erkrankung während ihres Asylverfahrens als Asylbewerberin mit besonderen Bedürfnissen i.S. des § 21 der Richtlinie 2013/33/EU anzusehen (Personen mit psychischen Störungen). Nach den obigen Ausführungen zu der Erforderlichkeit der begehrten ambulanten Betreuung hätten ihr diese Leistungen gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylbLG als erforderliche medizinische und sonstige Hilfe i.S. des Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 2013/13/EU erbracht werden müssen.

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.