Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 19.02.2018, Az.: L 11/9 AS 52/13

bereite Mittel; Darlehen; Einkommen; Provisionsvorschüsse; wertmäßiger Zuwachs

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
19.02.2018
Aktenzeichen
L 11/9 AS 52/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 73931
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG - 06.11.2012 - AZ: S 70 AS 1888/09

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Provisionsvorschüsse als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II.

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. November 2012 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt als Sonderrechtsnachfolgerin ihres am J. 2016 verstorbenen Ehemannes B. die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für die Monate Januar bis April 2009. Die Berufung des Beklagten richtet sich gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Hannover, durch das er zur Leistungsgewährung verurteilt worden ist.

Der verstorbene Ehemann der Klägerin hatte seit Oktober 2006 als (damals) Alleinstehender im laufenden Bezug von SGB II-Leistungen gestanden, da er aus seiner selbständigen Tätigkeit (lt. Gewerbeanmeldung: „Vermittlung von Versicherungen, Bausparverträgen, Finanzdienstleistungen und Finanzierungen“) seinen Lebensunterhalt nicht bzw. nicht vollständig bestreiten konnte (vgl. für den letzten Bewilligungszeitraum von Mai bis Oktober 2008: Bewilligungsbescheid vom 28. April 2008). Er übte seine selbständige Tätigkeit im Versicherungsaußendienst u.a. auf der Grundlage von zwei mit der K. GmbH & Co KG (im Folgenden: L. KG) geschlossenen Verträgen aus, wonach ihm für den Abschluss von Verträgen Provisionen gezahlt wurden. Zunächst übte der Ehemann der Klägerin seine Tätigkeit für die L. KG als freier Handelsvertreter (August 2004 bis August 2007), später als sog. „selbständiger Kooperationspartner“ aus (ab September 2008). Die Geschäftsbeziehung mit der L. KG endete im Herbst 2009. Seine selbständige Tätigkeit stellte der Ehemann der Klägerin zum 1. April 2012 vollständig ein (Rentenbezug ab 1. September 2012).

Am 10. Oktober 2008 beantragte der Ehemann der Klägerin wegen des Ablaufs des letzten Bewilligungszeitraums die Weiterbewilligung der SGB II-Leistungen für die Zeit ab 1. November 2008. Zum Zeitpunkt der Antragstellung wurde dem Ehemann der Klägerin aufgrund seiner Herzerkrankung von der M. Lebensversicherung AG eine befristete private Berufsunfähigkeitsversicherung i.H.v. 1.500,-- € gezahlt (für die Zeit vom 1. August 2008 bis 31. Januar 2009; Auszahlung der letzten Monatsrente am 23. Dezember 2008). Der Beklagte lehnte die Weitergewährung von SGB II-Leistungen für die Zeit ab 1. November 2008 mit der Begründung ab, dass angesichts des monatlichen Renteneinkommens keine Hilfebedürftigkeit mehr bestehe (Bescheid vom 5. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2009).

Hiergegen hat der verstorbene Ehemann der Klägerin am 8. Juli 2009 beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben und geltend gemacht, dass für die Monate Januar bis April 2009 die Gewährung von SGB II-Leistungen zu Unrecht abgelehnt worden sei. In diesen Monaten sei keine Berufsunfähigkeitsrente mehr gezahlt worden. Aus den Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit habe er seinen Lebensunterhalt nicht bestreiten können. Auch wenn die - im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens zur Gerichtsakte gereichten - Betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) rein rechnerisch einen Gewinn ausweisen würden, sei tatsächlich kein Einkommen erzielt worden. Bei den Betriebseinnahmen seien nämlich auch die Provisionsvorschüsse der L. KG berücksichtigt worden (November 2018: 1400 €; Februar 2009: 1400 €; März 2009: 5000 €; April 2009: 5000 €). Hierbei habe es sich um zinslose Darlehen gehandelt. Die Vorschüsse seien zum Zeitpunkt der Auszahlung noch überhaupt nicht verdient gewesen. Vielmehr sei in der Folgezeit eine Verrechnung der Vorschüsse mit den jeweils später erzielten Provisionsansprüchen erfolgt. Die L. KG sei zur Zahlung dieser wegen der rechtswidrigen Leistungsablehnung erforderlichen Vorschüsse nur bereit gewesen, weil aufgrund der langjährigen Vertragsbeziehung ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe. Es verstoße gegen Treu und Glauben, wenn der Beklagte die nur aufgrund seiner rechtswidrigen Leistungsablehnung notwendig gewordenen Vorschüsse als Einkommen anspruchsmindernd anrechne. Es dürfte in verfassungsrechtlicher Hinsicht mit dem Sozialstaatsprinzip nicht zu vereinbaren sein, dass ein Hilfebedürftiger seines Anspruchs dadurch verlustig gehe, sich im Falle einer rechtswidrigen Leistungsverweigerung durch das Jobcenter anderweitig beholfen zu haben. Bei der gebotenen Außerachtlassung der in den Monaten Februar bis April 2009 gezahlten Provisionsvorschüsse (Gesamtbetrag: 11.400,-- €) sei in diesem Zeitraum ein insgesamt negatives Betriebsergebnis erzielt worden. Der Leistungsanspruch betrage - wie in den vorangegangenen Bewilligungszeiträumen - 641,-- € pro Monat (für die Monate Januar bis April 2009) zuzüglich der bislang zu Unrecht nicht gewährten Zuschüsse zur privaten Kranken-und Pflegeversicherung (207,-- € pro Monat).

Der Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren entgegnet, dass die Gewährung von Provisionsvorschüssen i.H.v. 11.400,-- € (für die Monate Februar bis April 2009) nicht mit der Ablehnung von SGB II-Leistungen in diesem Zeitraum (Gesamtbetrag für die Monate Januar bis April 2009: maximal 2564,-- €) erklärt werden könne. Die Provisionsvorschüsse seien als Einkommen zu berücksichtigen, da sie dem Ehemann der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum tatsächlich zur Verfügung gestanden hätten. Der Einwand, dass die Vorschüsse mit späteren Provisionszahlungen verrechnet werden, spreche nicht gegen sondern gerade für eine Anrechnung der Vorschüsse im Monat des Zuflusses (hier: Februar bis April 2019). Schließlich könnte eine Anrechnung der endgültigen Provisionsansprüche im jeweiligen Fälligkeitsmonat nicht erfolgen, da im Verrechnungsmonat überhaupt kein tatsächlicher Einkommenszufluss sondern nur eine Verrechnung stattfinde. Die Rechtsauffassung der Klägerseite würde dazu zu führen, dass die Vorschüsse bzw. Provisionen letztlich überhaupt nicht angerechnet werden könnten.

Hierauf ist für den Ehemann der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren entgegnet worden, dass die Befürchtungen des Beklagten bereits deshalb ins Leere gingen, weil für die Zeit ab Mai 2009 ausdrücklich keine Leistungen mehr begehrt würden. Es komme für die rechtliche Würdigung der Zahlungen durch die L. KG nicht entscheidend auf die Bezeichnung als „Vorschuss“ oder „Darlehen“ an. Nach allgemeinem sprachlichen und rechtlichen Verständnis handele es sich bei einem Vorschuss um eine Zahlung auf eine bereits bestehende Verbindlichkeit. Die Zahlung erfolge auf eine dem Grunde nach schon bestehende aber noch nicht fällige Schuld. Ein Darlehen stelle demgegenüber ein eigenständiges Rechtsgeschäft dar. Die im Streit stehenden Zahlungen seien deshalb eindeutig als Darlehenszahlungen zu klassifizieren. Ein Provisionsanspruch gegen die L. KG, der vorschussweise hätte gezahlt werden können, sei im Zeitpunkt der Auskehrung der Beträge noch gar nicht gegeben gewesen. Ein solcher Anspruch sei nicht einmal dem Grunde nach angelegt gewesen. Entsprechende Verträge habe es in der Zeit Februar bis April 2009 gar nicht gegeben. Es sei vollkommen unklar gewesen, wann, mit wem und mit welchem Provisionsanspruch entsprechende Verträge künftig zustande kommen würden. Die Vertragspartner seien lediglich zuversichtlich gewesen, dass der Ehemann der Klägerin „schon irgendwie“ entsprechende Provisionsansprüche zur Verrechnung werde begründen können. Die Vereinbarung über die Verrechnung mit künftig entstehenden Provisionsansprüchen stelle lediglich eine Tilgungsabrede dar. Ergänzend sei auf die Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit zur Abgrenzung von Vorschüssen und Darlehen zu verweisen. Auch im Schreiben der L. KG vom 18. Januar 2011 würden die erfolgten Zahlungen als „zinslose Provisionsvorschussdarlehen“ bezeichnet.

Das SG hat den Beklagten verurteilt, an den Ehemann der Klägerin 2.564,-- € zu zahlen und ihm die im Zeitraum Januar bis einschließlich April 2009 entstandenen Kosten für die Kranken- und Pflegeversicherung zu erstatten. Im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass der Ehemann der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum (Januar bis April 2009) hilfebedürftig gewesen sei. Er habe damals mit seiner selbständigen Tätigkeit keinen Gewinn erwirtschaftet. Soweit die BWA Gewinne für Januar bis April 2009 ausweise, seien die von der L. KG gezahlten Provisionsvorschüsse als Betriebseinnahmen berücksichtigt worden. Rechtlich handele es sich bei den Provisionsvorschüssen jedoch um Darlehen, weil der Ehemann der Klägerin zur Rückzahlung der Beträge verpflichtet gewesen sei. Der Zufluss dieser Darlehen stelle ein einkommensneutrales Rechtsgeschäft dar, bei dem es nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zur Anrechnung von Einkommen komme. Bei Abzug der Provisionsvorschüsse ergebe sich ein Verlust i.H.v. insgesamt 2.704,95 € in den maßgeblichen Monaten, so dass der Ehemann der Klägerin Anspruch auf Arbeitslosengeld II zzgl. der Beiträge für die private Kranken- und Pflegeversicherung gehabt habe (Urteil vom 6. November 2012).

Gegen das dem Beklagten am 14. Dezember 2012 zugestellte Urteil richtet sich seine am 14. Januar 2013 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegte Berufung. Es sei nach wie vor unklar, wie sich die in den vorgelegten BWA dargestellten Betriebseinnahmen konkret zusammensetzten. Das Vorbringen des Ehemanns der Klägerin (keine Abgrenzung der verrechneten Provisionsvorschüsse von den zum jeweiligen Zeitpunkt gutgeschriebenen Provisionsansprüchen) sei insoweit nicht schlüssig und dürfte auch buchhalterischen Regeln widersprechen. Aus den vorgelegten BWA ergebe sich für das Jahr 2009 ein Gewinn i.H.v. 26.694,78 €. Insoweit seien auch die Provisionsvorschüsse als Einnahme zu berücksichtigen. Soweit das SG auf eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes (BFH) abgestellt habe, betreffe diese Rechtsprechung lediglich die zeitliche Zuordnung und nicht das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen von betrieblichen Gewinnen. Ein Darlehensvertrag sei mit der L. KG gerade nicht abgeschlossen worden. Beide Vertragspartner seien vielmehr davon ausgegangen, dass eine Verrechnung mit Provisionen erfolgen werde. Die Rechtsauffassung des SG führe dazu, dass der Zufluss der Zahlung nicht einnahmenerhöhend wirkt, auf der anderen Seite aber die Rückführung des vermeintlichen Darlehens als Betriebsausgabe gewinnmindernd berücksichtigt wird. Dies begünstige den Ehemann der Klägerin doppelt.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. November 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für rechtmäßig und trägt ergänzend u.a. vor, dass das SG die Vorschüsse zutreffend nur als Anzahlungen/Darlehen und nicht als Einkommen bewertet habe. Dies entspreche auch der Bezeichnung der Vorschüsse durch die damaligen Vertragspartner. Dem Ehemann der Klägerin sei im streitbefangenen Zeitraum noch nichts endgültig wertmäßig zugeflossen. Es sei damals vollkommen offen gewesen, welche künftig anzubahnenden und abzuschließenden Versicherungsverträge zu welchen Provisionsansprüchen führen würden. Aus den Vorschüssen habe der Ehemann der Klägerin die für den Lebensunterhalt erforderlichen Beträge für sich verwendet und im Übrigen die Fortführung seines Gewerbebetriebs finanziert (Anlaufphase ab Januar 2009 nach krankheitsbedingter Reduzierung der Erwerbstätigkeit).

Im Berufungsverfahren sind von der L. KG Fotokopien der mit dem verstorbenen Ehemann der Klägerin geschlossenen Verträge sowie der Abrechnungsunterlagen (sog. „Kontoblätter“) beigezogen worden. Aus diesen Kontoblättern ergibt sich, dass die L. KG dem verstorbenen Ehemann der Klägerin weitere Vorschüsse im Mai 2009 (insgesamt: 4.186,60 €) und im Juni 2009 (778,65 €) auszahlte. Mit dem bei der L. KG bestehenden Minussaldo (Summe aus den jeweils ausgezahlten Vorschüssen sowie einem bereits im Juli 2008 bestehenden „Vortrag“ von - 4.012,53 €) wurden die vom Ehemann der Klägerin jeweils erzielten Provisionsansprüche verrechnet (Provisionsansprüche im streitbefangenen Zeitraum [Januar bis April 2009]: insgesamt 1.706,99 €; in der Zeit vom 1. Mai 2009 bis zur Beendigung der Geschäftsbeziehung mit der L. KG im Herbst 2009: insgesamt 7.805,92 €). Der bei Vertragsbeendigung noch bestehende Minus-Saldo von 8.085,72 € (Stichtag: 30. September 2009) wurde vom Ehemann der Klägerin bis Anfang 2011 im Wege der Ratenzahlung ausgeglichen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge sowie die erst- und zweitinstanzliche Gerichtsakte verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die form-und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist begründet. Der verstorbene Ehemann der Klägerin hatte keinen Anspruch auf SGB II-Leistungen für die Monate Januar bis April 2009. Das zusprechende erstinstanzliche Urteil war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind ausschließlich die Monate Januar bis April 2009. Der Beklagte wurde nur für diese Monate zur Leistungsgewährung verurteilt. Hiergegen richtet sich dessen Berufung. Die Klägerseite, die keine Berufung eingelegt hat, hat im erstinstanzlichen Verfahren auch ausschließlich für diesen Zeitraum SGB II-Leistungen begehrt.

Der Beklagte hat die Gewährung von SGB II-Leistungen (auch) für die Monate Januar bis April 2009 rechtsfehlerfrei abgelehnt (Bescheid vom 5. November 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Juni 2009 - betreffend die Monate November 2008 bis [mindestens] April 2009). Der verstorbene Ehemann der Klägerin war in den Monaten Januar bis April 2009 nicht hilfebedürftig (vgl. zur Hilfebedürftigkeit als Voraussetzung für einen Anspruch auf SGB II-Leistungen: § 7 Abs 1 Nr 3 i.V.m. § 9 SGB II). Vielmehr erzielte er in diesem Zeitraum durchgängig Einkommen aus seiner selbständigen Tätigkeit in der Versicherungs- bzw. Finanzdienstleistungsbranche, welches seinen grundsicherungsrechtlichen Bedarf überstieg.

Als Einkommen sind zu berücksichtigen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach dem SGB II, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, und der Renten oder Beihilfen, die nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schäden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit erbracht werden, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem BVG (§ 11 Abs 1 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung - im Folgenden: a.F.). Für Selbständige bestimmt § 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II- / Sozialgeld-Verordnung - Alg II-V - in der vom 1. Januar 2009 bis 31. März 2011 geltenden Fassung; im Folgenden: a.F.), dass bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Arbeit zunächst von den Betriebseinnahmen auszugehen ist. Betriebseinnahmen sind alle aus u.a. selbständiger Arbeit erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs 1 Satz 4 SGB II) tatsächlich zufließen (§ 3 Abs 1 Satz 1 und 2 Alg II-V a.F.). Zur Berechnung des Einkommens sind von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 Abs 2 SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen (§ 3 Abs 2 Alg II-V a.F.).

Der Bewilligungszeitraum betrug im streitbefangenen Zeitraum in der Regel sechs Monate (vgl. § 41 Abs 1 Satz 2 SGB II in der bis 31. Juli 2009 geltenden Fassung), umfasste im vorliegenden Fall, in dem der vorangegangene Bewilligungszeitraum mit Ablauf des Monats Oktober 2008 endete, die Monate November 2008 bis April 2009. Ein Ende des vorliegend streitbefangenen Bewilligungszeitraums am 30. April 2009 ergibt sich zusätzlich auch aus dem Klageantrag, wonach Leistungen ausdrücklich nur für die Zeit bis Ende April 2009 begehrt werden.

Ausweislich der von der Klägerseite zur Gerichtsakte gereichten Betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) (insbesondere Bl. 21 und 59 der Gerichtsakte) erzielte der verstorbene Ehemann der Klägerin in den Monaten November 2008 bis April 2009 (6-monatiger Bewilligungszeitraum) betriebliche Einnahmen in Höhe von 22.933,94 €. Dem standen nach den Angaben des Ehemanns der Klägerin betriebliche Ausgaben in Höhe von 13.724,57 € gegenüber. Somit wurde - auf der Grundlage der Angaben des Ehemanns der Klägerin - im sechsmonatigen Bewilligungszeitraum (November 2008 bis April 2009) ein betrieblicher Gewinn i.H.v. insgesamt 9.209,37 €, d.h. monatlich i.H.v. 1.534,90 € erzielt.

Dieser Betrag liegt auch nach Abzug der gesetzlichen Freibeträge (sog. Versicherungspauschale sowie Erwerbstätigenfreibeträge) deutlich über dem damaligen grundsicherungsrechtlichen Bedarf des verstorbenen Ehemannes der Klägerin (641 € pro Monat als Gesamtbetrag für den Regelbedarf sowie für die KdUH; vgl. zu diesem Betrag: Bewilligungsbescheid vom 28. April 2008 sowie den in dieser Höhe gestellten erstinstanzlichen Klageantrag). Insoweit kann offengelassen werden, ob die zusätzlich geltend gemachten Beträge für die freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung als Abzugsposten vom Einkommen (vgl. hierzu: § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II) oder aber mittels zusätzlicher Leistungsbeträge zu berücksichtigen sind. Schließlich lag der Gesamtbetrag aus Regelbedarf, Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei unter 900,-- € pro Monat (bei einem betriebswirtschaftlichen Gewinn i.H.v. 1.534,90 € pro Monat). Darüber hinaus hatte der verstorbene Ehemann der Klägerin im streitbefangenen Bewilligungszeitraum (nämlich in den Monaten November und Dezember 2008) weiteres Einkommen aus Rentenbezug i.H.v. 1.500,-- € pro Monat.

Entgegen der Auffassung der Klägerin und des SG können die an den verstorbenen Ehemann der Klägerin in den Monaten November 2008, Februar 2009, März 2009 und April 2009 gezahlten Provisionsvorschüsse (Gesamtbetrag: 12.800 €) bei der Berechnung des Einkommens nicht außer Betracht bleiben.

Bei diesen Zahlungen handelte es sich unstreitig um Einnahmen in Geld aus selbständiger Tätigkeit (vgl. hierzu: § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II). Insoweit enthält das SGB II einen eigenständigen Einkommensbegriff, der nicht mit dem steuerrechtlichen Einkommensbegriff identisch ist (vgl. hierzu erneut: § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II i.V.m § 3 Abs 1 Alg II-V). Auch bei den Betriebsausgaben besteht keine Bindung an steuerrechtliche Grundsätze (vgl. § 3 Abs 2 Alg II-V - „ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften“). Eine - weitgehende - Anlehnung der Berechnung des Einkommens von Selbständigen an steuerrechtlichen Maßstäben erfolgte lediglich in der Vergangenheit (vgl. hierzu: § 2a Alg II-V in der bis 31. Dezember 2007 geltenden Fassung).

Unabhängig davon stimmt der Senat dem Beklagten dahingehend zu, dass die vom SG in Bezug genommene Entscheidung des BFH vom 17. März 2010 - X R 28/08 - in erster Linie die steuerrechtlich maßgebliche Verbuchung eines Provisionsvorschusses betrifft (nämlich sog. Aktivierung als betrieblicher Gewinn oder aber sog. Passivierung als „erhaltene Anzahlung“). Im Übrigen sieht der BFH in ständiger Rechtsprechung Provisionsvorschüsse auch dann als zugeflossen an, wenn im Zeitpunkt der Veranlagung feststeht, dass sie teilweise zurückzuzahlen sind. Das "Behaltendürfen" sei nicht Merkmal des Zuflusses i.S. des § 11 Abs.1 Einkommenssteuergesetz (EStG), vgl. BFH, Urteil vom 13. Oktober 1989 – III R 30-31/85 –, BFHE 159, 123.

Die Provisionsvorschüsse sind auch nicht deshalb unbeachtlich, weil sie nach dem Vorbringen der Klägerseite als Darlehen einer zivilrechtlich wirksam vereinbarten Rückzahlungsverpflichtung anzusehen sein sollen (vgl. zur Nichtberücksichtigung von Darlehen bei der Einkommensberechnung: BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 46/09 R -; ausdrücklich auch für betriebliches Darlehen: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. April 2012 - L 9 AS 757/11-). Insoweit hat der Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin und die L. KG keinen ausdrücklichen Darlehensvertrag abgeschlossen haben. Vielmehr zahlte die L. KG auf Bitte des verstorbenen Ehemanns der Klägerin Provisionsvorschüsse aus, die in der Folgezeit mit den jeweils erzielten Provisionsansprüchen verrechnet werden sollten. Anders als bei einem Darlehensvertrag bestand ursprünglich somit gerade keine unbedingte Rückzahlungsverpflichtung, sondern eine Verrechnungsvereinbarung. Gegen eine unbedingte Rückzahlungsverpflichtung spricht auch, dass angesichts der ihrer Höhe nach nicht zu prognostizierenden zukünftigen Provisionsansprüche des Ehemannes der Klägerin zum Zeitpunkt der jeweiligen Auszahlung der Vorschüsse vollkommen offen war, ob die gewährten Vorschüsse durch zukünftige Provisionsansprüche gedeckt sein würden. Es war zum Zeitpunkt der jeweiligen Auszahlung der Vorschüsse somit nicht bekannt, ob es sich hierbei nur um eine vorgezogene (d.h. vorschussweise) Zahlung oder aber um eine (mangels Deckung durch spätere Provisionsansprüche) zurückzuzahlende Darlehensgewährung handelte.

Insoweit hatten die L. KG und der verstorbene Ehemann der Klägerin auch keine konkreten Regelungen zur Rückzahlung etwaiger durch spätere Provisionsansprüche nicht gedeckte Beträge getroffen. Aus den zur Gerichtsakte gelangten Kontoblättern ergibt sich vielmehr, dass während der noch laufenden Vertragsbeziehung (d.h. bis Herbst 2009) keinerlei Rückzahlungen erfolgten, sondern ausschließlich Verrechnungen mit den erzielten Provisionsansprüchen. Insoweit ist auch bemerkenswert, dass der Saldo des verstorbenen Ehemanns der Klägerin bei der L. KG schon zu Beginn des streitbefangenen Zeitraums (Stichtag: 10. Oktober 2008) negativ war (- 2306,38 €). Gleichwohl erfolgten zunächst keinerlei Rückzahlungen, sondern ausschließlich Verrechnungen. Erst mehrere Monate nach Ablauf des streitbefangenen Zeitraums - nämlich erstmals nach Beendigung der Vertragsbeziehung zwischen dem Ehemann der Klägerin und der L. KG im Herbst 2009 - erfolgten tatsächlich Rückzahlungen durch den verstorbenen Ehemann der Klägerin. Insoweit trägt das Kontoblatt den Zusatz „Ratenrückzahlung vereinbart“. Dieser Zusatz spricht nach dem Gesamtergebnis der Ermittlungen für eine erst im September 2009 (d.h. bei Vertragsbeendigung) abgeschlossene Ratenvereinbarung. Schließlich wurden weder Raten in der Zeit vor dem 30. September 2009 gezahlt noch ist von der Klägerseite vorgetragen bzw. nachgewiesen worden, dass bereits vorher eine Vereinbarung über ratenweise Rückzahlung beginnend (erst) am 30. September 2009 abgeschlossen worden wäre.

Das Vorliegen eines Darlehens kann auch nicht damit begründet werden, dass die Vorschüsse deutlich über den zu erwartenden Provisionsansprüchen gelegen haben sollen (vgl. zu diesem Vortrag der Klägerseite unter Bezugnahme auf Rechtsprechung zu Vorschüssen von Arbeitnehmern: Schriftsatz vom 26. Januar 2011). Unabhängig davon, ob diese Rechtsprechung überhaupt auf Provisionsansprüche von selbständigen Handelsvertretern übertragbar ist bzw. im Grundsicherungsrecht Anwendung finden kann, sind an den verstorbenen Ehemann der Klägerin im streitbefangenen Bewilligungszeitraum (November 2008 bis April 2009) Provisionsvorschüsse „nur“ i.H.v. 12.800,-- € gezahlt worden (d.h. rechnerisch 2.133,-- € pro Monat), während er ausweislich der von der L. KG geführten Kontoblätter z.B. in den Monaten Mai bis Juli 2009 Provisionsansprüche i.H.v. 7.805,92 € realisierte (d.h. rechnerisch 2.601,97 € pro Monat - in den Kontoblättern verbucht unter dem Begriff „Finanzdock“, vgl. zu diesem Begriff: Erklärung des verstorbenen Ehemanns der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 6. November 2012).

Grundsicherungsrechtlich ist entscheidend, dass im Bewilligungszeitraum (November 2008 bis April 2009) die Provisionsvorschüsse dem verstorbenen Ehemann der Klägerin zugeflossen sind, ohne dass diese – wie oben ausgeführt – zum Zeitpunkt des Zuflusses bereits mit einer zivilrechtlich wirksamen Rückzahlungsverpflichtung belastet gewesen wären. Es handelte sich somit nicht - wie bei einem Darlehen - um ein einkommensneutrales Rechtsgeschäft (vgl. zu diesem Begriff: LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. April 2012 - L 9 AS 757/11-, Rn 41 - zitiert nach Juris). Denn es war zu den jeweiligen Auszahlungszeitpunkten vollkommen offen, ob bzw. in welcher Höhe es tatsächlich zu Rückzahlungen kommen würde. Unter der Annahme einer Fortführung des Kooperationsvertrags mit der L. KG auch über den 30. September 2009 hinaus waren der Ehemann der Klägerin und die L. KG offensichtlich davon ausgegangen, dass – wie bereits in der Vergangenheit - ausschließlich Verrechnungen im Kontokorrentverhältnis erfolgen würden. Bei Vereinbarung einer laufenden Verrechnung handelt es sich bei Provisionsvorschüssen um Einkommen im Sinne des § 11 SGB II, da die Vorschussbeträge tatsächlich zugeflossen sind und auch nicht mit einer zivilrechtlich wirksam vereinbarten Rückzahlungsverpflichtung belastet sind (vgl. hierzu erneut: BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 - B 14 AS 46/09 R).

Insoweit stimmt der erkennende Senat auch der Kontrollüberlegung des Beklagten ausdrücklich zu, wonach die Außerachtlassung der Provisionsvorschüsse bei der Einkommensanrechnung zu einer § 11 SGB II widersprechenden Begünstigung des Ehemanns der Klägerin geführt hätte. Schließlich könnten die dem Ehemann der Klägerin unstreitig zugeflossenen Beträge (insgesamt: 12.800 €) bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung der Klägerin weder zum Zuflusszeitpunkt noch zum jeweiligen Verrechnungszeitpunkt als Einkommen berücksichtigt werden: Zum Zuflusszeitpunkt sollen sie nämlich als darlehensähnliche Zahlung unberücksichtigt bleiben, während zum jeweiligen Verrechnungszeitpunkt eine Anrechnung als Einkommen wegen fehlenden tatsächlichen Zuflusses von Einkommen (im Sinne sog. „bereiter Mittel“) scheitern würde. Dass der – letztlich endgültige – Zufluss von Provisionszahlungen bei der Einkommensberechnung im Ergebnis vollständig unberücksichtigt bleiben soll, widerspricht den §§ 7, 9 und 11 SGB II.

Die Rechtsauffassung des Senats und des Beklagten führt nicht zu einer Beeinträchtigung von Rechten des verstorbenen Ehemanns der Klägerin. Schließlich standen ihm die Provisionsvorschüsse tatsächlich zur Verfügung, so dass er hiervon die Kosten des Lebensunterhalts bestreiten konnte. Dem steht nicht entgegen, dass das Behaltendürfen der Vorschüsse unter der Bedingung stand, dass in der - von den Vertragsparteien zeitlich nicht eingegrenzten - Zukunft entsprechende Provisionsansprüche auch tatsächlich realisiert werden. Allein diese Unsicherheit verhinderte nicht den durch die erfolgten Zahlungen jeweils eintretenden „wertmäßigen Zuwachs“ beim Empfänger (vgl. zu diesem Begriff: BSG, Urteil vom 17. Juni 2010, a.a.O., Rn 16). Die späteren Verrechnungen der Provisionsvorschüsse führen grundsicherungsrechtlich dazu, dass in diesen späteren Zeiträumen nur die nach erfolgter Verrechnung tatsächlich zufließenden (Rest-)Beträge der Provisionen als Einkommen i.S.d. § 11 SGB II zu berücksichtigen sind. Etwaige darüber hinaus geleistete Rückzahlungen von Provisionsvorschüssen können ggf. als Betriebsausgaben vom (sonstigen) Einkommen aus selbständiger Tätigkeit abgesetzt werden (vgl. § 3 Abs 2 Alg II-V).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG, wobei die Kostenentscheidung auch für die Kosten des Widerspruchsverfahrens gilt.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.