Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.02.2018, Az.: L 2/9 R 550/14
Antragstellung; Meistbegünstigungsgrundsatz; nicht erwerbsmäßige Pflege; Pflegeperson; Rentenversicherung; unzulässige Rechtsausübung; Verjährung; Versicherungspflicht
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 28.02.2018
- Aktenzeichen
- L 2/9 R 550/14
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2018, 73919
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 13.10.2014 - AZ: S 6 R 1183/13
Rechtsgrundlagen
- § 44 SGB 11
- § 33 SGB 11
- § 19 SGB 11
- § 14 SGB 11
- § 242 BGB
- § 214 Abs 2 BGB
- § 25 SGB 4
- § 23 Abs 1 SGB 4
- § 35 Abs 1 S 3 SGB 10
- § 31 SGB 10
- § 24 SGB 10
- § 3 S 1 Nr 1a SGB 6
- § 170 Abs 1 Nr 6 SGB 6
- § 60 SGB 1
- § 66 SGB 1
- § 45 SGB 1
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Vermag der Träger der Pflegeversicherung die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Pflichtversicherung für Pflegetätigkeiten nicht erwerbsmäßiger Pflegepersonen nicht verlässlich zu überblicken, dann hat er eine Entscheidung des zuständigen Trägers der Rentenversicherung über das Bestehen einer solchen Versicherungspflicht einzuholen.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. Oktober 2014 wird aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. April 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2013 wird geändert.
Die Beklagte wird verpflichtet, unter Abänderung ihres Bescheides vom 21. Juni 2011 eine Versicherungspflicht der Klägerin als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson aufgrund der Pflege ihres Sohnes I. auch für den Zeitraum 1. Mai 1998 bis zum 30. November 2005 festzustellen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen; im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1944 geborene Klägerin begehrt die Feststellung ihrer Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson aufgrund der Pflege ihres Sohnes I. für den Zeitraum 1. Mai 1998 bis zum 30. November 2005.
Die Klägerin hat zwei pflegebedürftige Kinder: Ihre 1965 geborene Tochter J. ist bei der Pflegekasse bei der DAK versichert und erhält Leistungen zur Pflege nach dem SGB XI. Für die zugunsten ihrer Tochter erbrachten Pflegeleistungen als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson sind von Seiten der Pflegekasse bei der DAK insbesondere auch für den streitbetroffenen Zeitraum Beitragszahlungen erbracht worden.
Auch der 1967 geborene Sohn I. weist einen erheblichen Pflegebedarf auf. I. war zunächst bei der Pflegekasse bei der AOK München versichert. Diese veranlasste im Februar 1995 eine Begutachtung des Pflegebedarfs von I.. Der Gutachter gelangte zu der Einschätzung, dass I. die Voraussetzungen für die damalige Pflegestufe II erfüllte. Seine Mutter, d.h. die Klägerin des vorliegenden Verfahrens, pflege ihn mit einem Umfang von wöchentlich mindestens 21 Stunden.
Zum 1. März 1997 verzog die Familie von Bayern in das niedersächsische R. Damit verbunden war ein Wechsel der zuständigen Pflegekasse für I.. Dieser ist seit Juli 1997 bei der beigeladenen Pflegekasse bei der AOK - Die Gesundheitskasse für Niedersachsen versichert.
Nachdem die Beigeladene erst verspätet von ihrer Zuständigkeit für den Sohn der Klägerin erfahren hatte, nahm sie zum 1. Mai 1998 die laufenden Pflegegeldzahlungen unter Zugrundelegung der Pflegestufe II auf. Bis April 1998 hatte tatsächlich noch die AOK München entsprechende Leistungen ausbezahlt.
Über ihre Zuständigkeit unterrichtete die Beigeladene den Sohn der Klägerin mit Schreiben vom 4. Mai 1998 (bei dem ein Zugang nach Angaben der Klägerin nicht festzustellen war). In dem Schreiben hieß es u.a.: „Bitte denken Sie auch an die soziale Absicherung der Pflegeperson. Unter bestimmten Bedingungen zahlt die Pflegekasse … zusätzliche Beiträge zur Rentenversicherung. Einen Antrag und ein Merkblatt für Ihre Pflegeperson fügen wir bei. Da wir dem Rentenversicherungsträger nachweisen müssen, ob für die Pflegeperson Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit besteht, benötigen wir den ausgefüllten Antrag zurück.“
Mit weiterem Schreiben vom 10. September 1998 (welches nach Angaben der Klägerin ebenfalls nicht zugegangen sein soll) erinnerte die Beigeladene die Klägerin an dieses Antragsformular. In dem Schreiben führte sie weiter aus: „Da wir dem Rentenversicherungsträger den Nachweis erbringen müssen, ob für Sie Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit besteht, benötigen wir den von Ihnen ausgefüllten Antrag zurück. Sollten wir den Antrag nicht bis zum 20.09.1998 erhalten haben, gehen wir davon aus, dass die Voraussetzungen für die Rentenversicherungspflicht nicht erfüllt sind und die Pflegekasse keine Beiträge an den Rentenversicherungsträger zu entrichten hat.“
Auch in der Zeit ab Mai 1998 ist der Sohn I. - wie auch weiterhin seine Schwester J. - fortlaufend von seiner Mutter, d.h. der Klägerin, gepflegt worden. Lediglich montags bis mittwochs jeweils von 8 bis 16 Uhr erfolgte eine Betreuung von I. in einer Fördertagesstätte der Lebenshilfe.
Für die Pflegeleistungen der Klägerin erbrachte die Beigeladene fortlaufend Pflegegeldzahlungen nach Maßgabe der Pflegestufe II. Beiträge zur Rentenversicherung für die Pflege des Sohnes wurden von ihr jedoch nicht gezahlt.
Seit Mai 2009 bezieht die Klägerin eine Altersvollrente. Im Februar 2010 wandte sich die Klägerin an die Beigeladene und rügte die Nichterbringung von Rentenversicherungsbeiträgen für die Pflege von I..
Die Beigeladene veranlasste eine Nachbegutachtung von I. durch den Medizinischen Dienst. In dem Gutachten von K. L. wurde auf der Grundlage einer am 12. Januar 2011 durchgeführten Untersuchung festgestellt, dass I. weiterhin die Voraussetzungen für eine Einstufung in damalige Pflegestufe II erfüllte. Er weise einen wöchentlichen Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung von 23 Stunden und 48 Minuten auf. Von diesem Bedarf würden wöchentlich 30 Minuten im Rahmen der von montags bis mittwochs erfolgenden Betreuung in der Fördertagesstätte erbracht. Die restliche Pflegezeit von wöchentlich 23 Stunden und 18 Minuten erbringe seine Mutter.
Mit Bescheid vom 21. Juni 2011 stellte die Beklagte, an den die Beigeladene den Antrag der Klägerin weitergeleitet hatte, fest, dass eine Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI der Klägerin für die Pflege ihres Sohnes I. nicht bestehe. Wegen unterbliebener bzw. verspäteter Antragstellung im Sinne von § 33 SGB XI hätten die Leistungen nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt erbracht werden können.
In der Folgezeit begehrte die Klägerin wiederholt eine Überprüfung dieser Entscheidung. So legte sie mit Anwaltsschreiben vom 25. Januar 2013 dar, dass die Beklagte die Anforderungen an das Antragserfordernis bei Weitem überspanne. Zudem habe die Beigeladene dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht Rechnung getragen.
Mit Bescheid 15. April 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2013 stellte die Beklagte eine Versicherungspflicht der Klägerin als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson aufgrund der Pflege ihres Sohnes I. für den Zeitraum Dezember 2005 bis April 2009 (d.h. bis zum Beginn der Regelaltersrente der Klägerin) fest. In dem Bescheid hieß es u.a.: „Nach § 45 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen 4 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Fälligkeitsdatum - ab Zeitpunkt der Kenntnis der Versicherungs- und Beitragspflicht - im Januar 2006, so dass Versicherungs- und Beitragspflicht rückwirkend zum 01.12.2005 (Fälligkeit zum 15.01.2006) bis zum Eintritt der Regelaltersrente (30.04.2009) besteht (vgl. § 23 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IV).“
Zur Begründung der am 21. November 2013 erhobenen Klage hat die Klägerin insbesondere geltend gemacht, dass die vierjährige Verjährungsfrist erst im Oktober 2010 bzw. April 2011 zu laufen begonnen habe, da erst zu diesem Zeitpunkt die Beigeladene ihre Beitragspflicht subjektiv habe erkennen können.
Mit Urteil vom 13. Oktober 2014, der Klägerin zugestellt am 23. Oktober 2014, hat das Sozialgericht Hannover die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht u.a. ausgeführt, dass „die Beitragsforderungen ab dem 01.12.2005“ verjährt seien. Mit Schreiben vom 4. Mai und 10. September 1998 habe die Beigeladene die Klägerin aufgefordert, die entsprechenden Antragsunterlagen ausgefüllt vorzulegen. Diese Anforderungen reichten aus Sicht der Kammer aus, um die Anforderungen, die an ein ordnungsgemäßes Verhalten der Pflegekasse zu stellen seien, zu erfüllen. Die Beigeladene sei insbesondere nicht verpflichtet gewesen, näher zu prüfen, ob die Klägerin die maßgeblichen Schreiben tatsächlich erhalten habe.
Mit der am 21. November 2014 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Eine Verjährung der streitbetroffenen Ansprüche habe schon deshalb nicht eintreten können, weil diese nach § 23 Abs. 1 Satz 6 SGB IV erst 2010/2011 fällig geworden seien. Im Übrigen sei eine Einrede der Verjährung von Seiten der Beigeladenen bislang überhaupt nicht erhoben worden.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. Oktober 2014 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 15. April 2013 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Oktober 2013 zu ändern und
2. die Beklagte zu verpflichten, unter Abänderung ihres Bescheides vom 21. Juni 2011 eine Versicherungspflicht der Klägerin als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson aufgrund der Pflege ihres Sohnes I. auch für den Zeitraum 1. Mai 1998 bis zum 30. November 2005 festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte führt aus, dass sie die Angaben der Beigeladenen zur Verjährungsproblematik nach Prüfung inhaltlich übernommen habe.
Die Beigeladene stellt keine Anträge.
Ihrer Auffassung nach richtet sich die Verjährung nach § 45 SGB I und nicht nach § 25 SGB IV.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Beigeladenen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat gemäß § 44 SGB X einen Anspruch auf Aufhebung des Ausgangsbescheides vom 21. Juni 2011, soweit die Beklagte diesen nicht bereits unter Teilstattgabe des Begehrens der Klägerin mit Bescheid vom 15. April 2013 für den Zeitraum Dezember 2005 bis April 2009 korrigiert hat. Zu Unrecht hat die Beklagte in diesem Bescheid die Feststellung einer Versicherungspflicht der Klägerin in der gesetzlichen Rentenversicherung als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson aufgrund der Pflege ihres Sohnes I. für den Zeitraum 1. Mai 1998 bis zum 30. November 2005 abgelehnt.
1. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (in der im streitbetroffenen Zeitraum maßgeblichen Fassung des 1. SGB XI-ÄndG, BGBl. I 1996, 830) entrichten die Pflegekassen und die privaten Versicherungsunternehmen zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Pflegepersonen im Sinne des § 19 Beiträge an den zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung, wenn die Pflegeperson regelmäßig nicht mehr als dreißig Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Damit korrespondierend normierte damals § 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VI aF die Versicherungspflicht von Personen in der Zeit, in der sie einen Pflegebedürftigen im Sinne des § 14 des Elften Buches nicht erwerbsmäßig wenigstens 14 Stunden wöchentlich in seiner häuslichen Umgebung pflegen (nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen), wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen oder einer privaten Pflegeversicherung hat. Nach Satz 3 des § 3 SGB VI unterliegen solche Personen der Rentenversicherungspflicht nach Satz 1 Nr 1a nicht, die daneben regelmäßig mehr als 30 Stunden wöchentlich beschäftigt oder selbstständig tätig sind.
Über die Versicherungs- und Beitragspflicht in einem Versicherungszweig hat der Versicherungsträger zu entscheiden, bei dem die behauptete Versicherungspflicht bestehen würde, es sei denn, es gibt eine abweichende Zuständigkeitsregelung. Dies hat das BSG bereits für Streitigkeiten über die Krankenversicherungspflicht der Rehabilitanden (BSGE 45, 296, 299 = SozR 2200 § 381 Nr 26 S 66) und der Arbeitslosen (BSG SozR 3-4100 § 155 Nr 4) entschieden. Die Grundsätze dieser Entscheidungen gelten auch für die Rentenversicherung. Auch der Rentenversicherungsträger hat, vorbehaltlich abweichender Regelungen, über die Versicherungspflicht, die Beitragspflicht und die Beitragshöhe in der Rentenversicherung selbst zu entscheiden (BSG, Urteil vom 22. März 2001 – B 12 P 3/00 R –, SozR 3-2600 § 3 Nr 5).
Der bei der Prüfung der Pflegebedürftigkeit und der Zuordnung zu den Pflegestufen im Leistungsrecht einschlägige, auf nichtprofessionelle Pflegepersonen im Sinne der Laienpflege bezogene abstrakte objektive Maßstab ist auch bei der Beurteilung der zeitlichen Mindestanforderungen des § 3 Satz 1 Nr 1a SGB VI im Recht der Pflichtversicherung der gesetzlichen Rentenversicherung anzuwenden (BSG, Urteil vom 28. September 2011 – B 12 R 9/10 R –, SozR 4-2600 § 3 Nr 6).
Im vorliegenden Fall erfüllte die Klägerin auch im Zeitraum 1. Mai 1998 bis zum 30. November 2005 aufgrund der nicht erwerbsmäßigen Pflege ihres Sohnes I. die erläuterten tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. In den tatsächlichen Verhältnissen ist keine Abweichung im Vergleich zu dem nachfolgenden Zeitraum ab Dezember 2005 zu verzeichnen, für den inzwischen von Seiten der Beklagten zugunsten der Klägerin das Vorliegen der Versicherungspflicht nach § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB XI festgestellt worden ist.
Dementsprechend sind die Feststellungen in dem auf Veranlassung der Beigeladenen im Februar 2011 eingeholten Gutachten von M. L. auch für den streitbetroffenen Zeitraum Mai 1998 bis November 2005 aussagekräftig. Auch in diesem Zeitraum wurde I. lediglich von montags bis mittwochs jeweils von 8 bis 16 Uhr in der Fördertagesstätte betreut. Ansonsten ist er allein von seiner Mutter, d.h. der Klägerin, gepflegt worden. Der erforderliche Zeitbedarf für die von ihr regelmäßig erbrachten Pflegeleistungen im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung belief sich auf wöchentlich 23 Stunden und 18 Minuten. Die entsprechenden gutachterlichen Feststellungen werden von den Beteiligten auch gar nicht in Zweifel gezogen.
Die Klägerin ist seinerzeit auch keiner Erwerbstätigkeit und dementsprechend erst recht keiner mehr als dreißigstündigen nachgegangen. Sie war durch die Pflege von I. und ihrer ebenfalls pflegebedürftigen Tochter J. ohnehin voll ausgelastet.
2. Dem streitbetroffenen Anspruch steht auch nicht das Fehlen eines nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, 19 Satz 1 SGB IV erforderlichen Antrages entgegen. Das Antragserfordernis soll in erster Linie dafür Sorge tragen, dass grundsätzlich keine Leistungen für solche Zeiträume gewährt werden, in denen der Versicherungsträger mangels Antragstellung von dem Versicherungsfall noch keine Kenntnis hatte und die notwendige tägliche Pflege deshalb auf andere Weise sichergestellt werden musste und auch sichergestellt worden ist (BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R –, SozR 4-3300 § 23 Nr 2).
Zudem hat die Auslegung von Anträgen nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung zu erfolgen (BSG Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 3/09 R - SozR 4-4200 § 28 Nr 3 RdNr 14). Danach ist, sofern eine ausdrückliche Beschränkung auf eine bestimmte Leistung nicht vorliegt, davon auszugehen, dass der Antragsteller die nach der Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommenden Leistungen begehrt, unabhängig davon, welchen Ausdruck er gewählt hat (BSG, U.v. 30. Oktober 2014 - B 5 R 8/14 R -).
Ein Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung impliziert damit regelmäßig und auch im vorliegenden Zusammenhang das Ziel, dass die Pflegeversicherung neben den unmittelbaren Leistungen zur Pflege (insbesondere - soweit gewünscht - in Form von Pflegegeld) bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen auch Beitragszahlungen zur Rentenversicherung für die Pflegeperson erbringen möge. Dass für den Sohn der Klägerin im streitbetroffenen Zeitraum ein Antrag auf Pflegeleistungen gestellt worden war, steht außer Streit. Bezeichnenderweise hat die Beigeladene fortlaufend Pflegegeldzahlungen erbracht.
3. Es bedarf keiner näheren Prüfung, ob eventuell Anhaltspunkte für eine unvollständige Erfüllung von Mitwirkungspflichten im Sinne des § 60 SGB I auf Seiten der Klägerin bestehen könnten. Die Folgen einer eventuellen unzureichenden Mitwirkung hat der Gesetzgeber abschließend in § 66 SGB I geregelt. Entscheidungen im Sinne des § 66 SGB I sind schon im Ausgangspunkt weder von Seiten der Beigeladenen noch von Seiten der Beklagten getroffen worden.
4. Maßgeblich für die Ablehnung der Feststellung einer versicherungspflichtigen Pflegetätigkeit im Ausgangsbescheid vom 21. Juni 2011 sowie - bezüglich des streitbetroffenen Zeitraums - auch in dem insoweit eine Korrektur ablehnenden Überprüfungsbescheid vom 15. April 2013 war letztlich der Umstand, dass sich die Beklagte im Ergebnis die Auffassung der Beigeladenen bezüglich einer eingetretenen Verjährung einer entsprechenden Beitragsforderung zu eigen gemacht hat.
Dies verdeutlich insbesondere der nachfolgende Passus im Bescheid vom 15. April 2013: „Nach § 45 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen 4 Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Fälligkeitsdatum … im Januar 2006, so dass Versicherungs- und Beitragspflicht rückwirkend vom 01.12.2005 … bis zum Eintritt der Regelaltersrente … besteht …“
Damit hat die Beklagte im Ergebnis das Bestehen einer Beitragspflicht mit einem Verjährungstatbestand verknüpft und zum Ausdruck gebracht, dass vor Dezember 2005 - gerade aufgrund der Verjährung (vgl. auch den zweiten Absatz des Bescheides) - letztlich keine Beitragspflicht bestanden habe.
Bereits dieser Ausgangspunkt ist in rechtlicher Hinsicht jedoch nicht nachvollziehbar: Auch die Verjährung einer Forderung bringt diese nicht zum Erlöschen (vgl. insbesondere § 214 Abs. 2 BGB). Dementsprechend endet auch eine Beitragspflicht nicht mit dem Eintritt einer Verjährung der Beitragszahlungsansprüche.
Überdies fehlt auch eine Ermächtigungsgrundlage, die die Beklagte berechtigen würde, als Gläubigerin der streitbetroffenen Beitragsansprüche auch zulasten der Klägerin über den Eintritt einer Verjährung Regelungen erlassen zu dürfen.
Ohnehin haben Sozialleistungsträger nicht die Verpflichtung, sondern lediglich die Berechtigung, in Bezug auf ihnen gegenüber bestehende Forderungen die Einrede der Verjährung zu erheben. Sie haben über die Erhebung der Verjährungseinrede nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (BSG, Urteil vom 13. Juni 1985 – 7 RAr 107/83 –, BSGE 58, 154). Dabei muss die Begründung der Entscheidung nach § 35 Abs. 1 Satz 3 des Zehnten Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren - (SGB 10) über die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe hinaus auch alle Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Sie muss auch darlegen, dass die Behörde ihr Ermessen überhaupt ausgeübt hat (BSG, Urteil vom 16. Dezember 1987 – 11a RLw 2/87 –, AgrarR 1988, 211).
Auch soweit danach im Ausgangspunkt eine Erhebung der Verjährungseinrede grundsätzlich öffentlich-rechtlichen Trägern gestattet ist; gilt dies ohnehin nicht, wenn erst ein pflichtwidriges Unterlassen des Beitragsschuldners den Rentenversicherungsträger von der (rechtzeitigen) Geltendmachung seines Beitragsanspruchs abgehalten hat. In einem solchen Fall ist die Erhebung einer Verjährungseinrede hinsichtlich der Rentenversicherungsbeiträge ausgeschlossen, weil diese sich als rechtsmissbräuchlich darstellt (BSG, Urteil vom 02. November 2015 – B 13 R 35/14 R –, juris).
Überdies obliegt die Entscheidung über eine Geltendmachung der Verjährung in Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht dem Rentenversicherungsträger als Beitragsschuldner, sondern der zuständigen Pflegekasse als Beitragsgläubigerin. Erhebt die Pflegekasse die Einwendung der Verjährung, dann handelt es sich um die Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des Sozialrechts mit unmittelbarer Außenrechtswirkung im Sinne des § 31 SGB X. Vor dem - in die Zuständigkeit der Pflegekasse fallenden - Erlass eines solchen Verwaltungsaktes wären die Beteiligten und damit insbesondere auch die betroffene Pflegeperson nach § 24 SGB X anzuhören.
5. Im vorliegenden Zusammenhang ist allerdings ohnehin kein Raum für die Erhebung der Einrede der Verjährung, weil die streitbetroffene Beitragsforderung noch gar nicht verjährt ist.
Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind (Satz 2).
Der Begriff „Ansprüche auf Beiträge“ im Sinne dieser Vorschrift ist umfassend zu verstehen. Erfasst werden alle Ansprüche der Sozialversicherungsträger auf Beiträge (vgl. Verbandskommentar, § 25 SGB IV, Anm. 1.3). Auch der Sachzusammenhang mit den allein die Träger der Pflegeversicherung betreffenden Ausnahmeregelungen in § 23 Abs. 1 Satz 5 und 6 SGB IV verdeutlicht, dass auch Beitragsansprüche der Rentenversicherung gegenüber den Träger der Pflegeversicherung nach § 170 Abs. 1 Nr. 6 SGB VI von der Vorschrift des § 25 SGB IV erfasst werden sollen.
Im vorliegenden Zusammenhang ist die 30jährige Verjährungsfrist des § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV maßgeblich, die augenscheinlich noch nicht abgelaufen ist. Von Seiten der Beigeladenen sind die Beiträge zur Rentenversicherung für die zugunsten ihres Sohnes von der Klägerin erbrachten Pflegeleistungen vorsätzlich vorenthalten worden.
Für das Eingreifen der 30jährigen Verjährungsfrist reicht es aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (BSG, Urteil vom 30. März 2000 – B 12 KR 14/99 R –, SozR 3-2400 § 25 Nr 7).
Im vorliegenden Fall war der Beigeladenen - wie gerade Ihr aktenkundiges Schreiben vom 10. September 1998 verdeutlicht - bekannt, dass die Klägerin ihren Sohn nicht erwerbsmäßig pflegte. Ebenfalls war der Beigeladenen bekannt, dass nach Maßgabe des letzten vorausgegangenen Gutachtens die wöchentliche Pflegezeit auf Seiten der Klägerin mindestens 21 Stunden betrug. Zweifel an der fortwährenden Maßgeblichkeit dieser gutachterlichen Einschätzung bestanden seinerzeit offenbar auch auf Seiten der Beigeladenen nicht, da diese keinen Anlass zu einer ansonsten gebotenen Einleitung einer Nachbegutachtung gesehen hat.
Bei dieser Ausgangslage bleibt letztlich kein Raum für andere Bewertung des Sachverhalts, als dass die Sachbearbeiter der Beigeladenen seinerzeit die Beitragspflicht jedenfalls für möglich gehalten haben. Bei der dargelegten ihnen seinerzeit bekannten Ausgangslage drängte sich das Vorliegen jedenfalls der Möglichkeit einer Versicherungspflicht geradezu auf. Insbesondere ist die Möglichkeit, dass die Mutter des schwerst behinderten Versicherten neben den umfänglichen Pflegeleistungen zugunsten des Sohnes (überdies im vorliegenden Fall auch noch neben weiteren wiederum umfänglichen Pflegeleistungen zugunsten der Tochter) seinerzeit einer mehr als 30stündigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sein könnte, als gerade lebensfremd einzuschätzen. Entsprechende letztlich eher nur theoretisch in Betracht kommende Möglichkeiten von Ausnahmekonstellationen im Sinne des Fehlens einer Versicherungspflicht stehen der Einschätzung nicht entgegen, dass gleichwohl die Möglichkeit als solche des Bestehens einer Versicherungspflicht im Sinne eines bedingten Vorsatzes durchaus gesehen worden ist. Davon ist auch in Bezug auf den vorliegenden Fall auszugehen.
Auf Seiten der Beigeladenen ist auch durchaus billigend in Kauf genommen worden, dass das gewählte Vorgehen im Ergebnis dazu führen konnte, dass von Rechts bestehende Verpflichtungen zur Beitragsabführung nicht umgesetzt werden würden.
6. Ohnehin wäre die Erhebung einer Verjährungseinrede auf Seiten der Beigeladenen als rechtsmissbräuchlich zu bewerten.
Das Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung wegen Rechtsmissbrauchs ist eine aus dem Grundsatz von Treu und Glauben iS des § 242 BGB abgeleitete, der gesamten Rechtsordnung immanente Schranke, die auch im Bereich des Sozialrechts zu beachten ist. Die Berufung auf Verjährung wird daher grundsätzlich dann als unzulässige Rechtsausübung angesehen, wenn der Verpflichtete den Berechtigten, wenn auch unabsichtlich, durch sein Verhalten von der rechtzeitigen Geltendmachung des Anspruchs abgehalten hat (BSG, Urteil vom 27. Juni 2012 – B 5 R 88/11 R –, BSGE 111, 107).
Halten Pflegekassen, private Versicherungsunternehmen oder sonstige der in § 170 Abs. 1 Nr 6 Buchst c SGB VI genannten Stellen ihre Leistungspflicht nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XI für gegeben, haben sie diese ebenso zu erfüllen wie Arbeitgeber, die bei unstreitiger Versicherungspflicht, Beitragspflicht und Beitragshöhe den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für ihre Beschäftigten ohne vorherige Entscheidung der Einzugsstelle zahlen. Besteht aber Streit über die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung, hat hierüber bei nicht erwerbsmäßigen Pflegepersonen, bei denen das Einzugsstellenverfahren nicht gilt, zunächst der zuständige Träger der Rentenversicherung zu entscheiden (BSG, Urteil vom 23. September 2003 – B 12 P 2/02 R –, SozR 4-2600 § 3 Nr 1).
Nach Maßgabe der Zielrichtung der gesetzlichen Vorgaben ist im vorliegenden Zusammenhang dem angesprochenen „Streit“ über die Versicherungspflicht die Ungewissheit über ihr Vorliegen gleichzustellen. Geht der Pflegeversicherungsträger - wie im vorliegenden Fall die Beigeladene - von einer mehr als 14stündigen Pflegetätigkeit einer nicht erwerbsmäßigen Pflegeperson im Sinne der seinerzeit maßgeblichen Fassung des § 19 SGB XI aus, will er aber gleichwohl von einer Beitragsabführung im Hinblick auf eine nicht auszuschließende - von ihm nicht abschließend beurteilbare - Möglichkeit eines Ausnahmetatbestandes namentlich in Form einer eventuell in Betracht kommenden mehr als 30stündigen Erwerbstätigkeit der Pflegeperson absehen, dann ist er zur Einschaltung des Rentenversicherungsträgers verpflichtet. Die bloße - im vorliegenden Zusammenhang ohnehin ferner liegende - Möglichkeit eines solchen einer Versicherungspflicht entgegenstehenden Ausnahmetatbestandes berechtigt ihn nicht, seinerseits eine Entscheidung im Sinne der Nichtentrichtung von Beiträgen zu treffen. Vielmehr hat er die sachliche Prüfzuständigkeit des Rentenversicherungsträgers zu respektieren und diesem den Sachverhalt zur weiteren Bearbeitung und Aufklärung zuzuleiten.
Mit einem pflichtwidrigen Unterlassen einer solchen Weiterleitung, wie sie auch im vorliegenden Zusammenhang zu konstatieren ist, nimmt der Pflegeversicherungsträger dem Rentenversicherungsträger zugleich die Möglichkeit zu einer (rechtzeitigen) Geltendmachung seines Beitragsanspruchs (vgl. zur von Rechts wegen gebotenen Gewährleistung eines Informationsflusses auch BSG, Urteil vom 17. April 2008 – B 13 R 123/07 R –, BSGE 100, 215). Bei dieser Ausgangslage ist nach der bereits erläuterten höchstrichterlichen Rechtsprechung die Berufung auf eine etwaige Verjährung als rechtsmissbräuchlich zu bewerten.
Soweit die Beigeladene in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 10. September 1998 ausgeführt hat, dass sie bei fehlender Rücksendung des beigefügten Antragsformulars davon auszugehen habe, dass die Voraussetzungen für die Rentenversicherungspflicht nicht erfüllt seien und dass die Pflegekasse keine Beiträge an den Rentenversicherungsträger zu entrichten habe, bestätigt dies die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Vorgehens. Es fehlte schon im Ausgangspunkt an gesetzlichen Vorgaben, um entsprechende Rechtsfolgen fingieren zu können.
Soweit eine unzureichende Mitwirkung auf Seiten der Klägerin - jedenfalls nach Maßgabe des Akteninhalts der Beigeladenen - in Betracht gekommen sein mag, hätte sich ihre Mitwirkungsverpflichtung ohnehin nur auf die Angabe von Tatsachen und nicht etwa auch auf eine rechtliche Bewertung erstreckt (vgl. § 60 SGB I). Selbst wenn sie insoweit nur unzureichend mitgewirkt haben sollte, wäre dem erforderlichenfalls - durch den Rentenversicherungsträger als insoweit zuständige Stelle - mit Maßnahmen nach § 66 SGB I zu begegnen gewesen. Es gibt jedoch keine Rechtsgrundlage, anhand derer die Beigeladene daraus eigenverantwortlich und losgelöst von den gesetzlichen Vorgaben insbesondere des § 66 SGB I das Fehlen von Beitragsansprüchen hätte ableiten dürfen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.