Landgericht Verden
Urt. v. 25.10.2007, Az.: 5 O 220/07

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
25.10.2007
Aktenzeichen
5 O 220/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 61157
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGVERDN:2007:1025.5O220.07.0A

Fundstelle

  • SVR 2008, 140 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)

In dem Rechtsstreit

...

hat die 5. Zivilkammer des Landgerichts Verden auf die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 2007 durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht ... als Einzelrichterin

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Beklagten werden verurteilt als Gesamtschuldner an den Kläger 9 990,87 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 1 778,58 € seit dem 25. November 2006, auf 2 955,86 € seit dem 5. März 2007 und auf 5 286,43 € seit dem 23. Mai 2007 zu zahlen.

  2. Die Beklagten werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 10 000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. Mai 2007 zu zahlen.

  3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden - letztere soweit nicht vorhersehbar - zu 2/3 zu ersetzen, welche dem Kläger aus dem Verkehrsunfall mit dem Beklagten zu 1) am 26. Juli 2006 in ... noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.

  4. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

  5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 26 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 74 %.

  6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

  7. Der Streitwert wird bis zum 19. Juli 2007 auf 39 141,35 € festgesetzt: 14 141,35 € für den Antrag zu 1); 15 000,00 € für den Antrag zu 2) und 10 000,00 € für den Antrag zu 3). Für die Zeit danach beträgt der Streitwert 37 518,05 €: 12 518,05 € für den Antrag zu 1); 15 000,00 € für den Antrag zu 2) und 10 000,00 € für den Antrag zu 3).

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall vom 26. Juli 2006 in ...

2

Der Kläger befuhr mit seinem Motorrad ... mit dem amtlichen Kennzeichen ... die B. 214 aus Richtung ... kommend in Richtung ... Vor ihm fuhr der Zeuge ... mit seinem Pkw Kombi Marke ... Typ ... mit dem amtlichen Kennzeichen ...

3

Auf Höhe von Kilometer 35,7 kam ihnen ein vom Zeugen ... geführter Autotransporter entgegen. Hinter diesem Transporter scherte der Beklagte zu 1) mit seinem Pkw Kombi Marke ... mit dem amtlichen Kennzeichen ..., der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, zum Überholen aus.

4

Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, bremste der Zeuge ... das von ihm geführte Fahrzeug ab. Der Kläger bremste sein Motorrad ebenfalls ab. Es gelang ihm jedoch nicht, sein Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen zu bringen. Er rutschte oder fuhr auf das Fahrzeug des Zeugen ... auf, wurde aus dem Sattel gehoben und durch die Luft geschleudert. Er landete auf der Gegenfahrbahn, wo er von dem wieder einscherenden Beklagten zu 1) überrollt wurde. Entweder durch diesen Aufprall oder aus eigener Kraft gelangte der Kläger danach wieder auf seine Fahrspur (vgl. Fotos in den Beiakten).

5

Dem Zeugen ... gelang es, seinen Lkw rechtzeitig zum Stehen zu bringen.

6

Der Kläger wurde durch den Unfall erheblich verletzt. Er erlitt multiple Frakturen im linken Oberschenkel, Weichteilverletzungen im rechten und linken Unterschenkel, sowie linken Oberschenkel, Trümmerbrüche im linken Knie, Kreuzbandrisse in beiden Knien, Meniskusschäden rechts- und linksseitig, multiple Frakturen im linken Fuß. Er befand sich fast einen Monat in stationärer Behandlung. Es schlossen sich Behandlungen in ..., ... und ... an, die bis heute fortdauern. Nach wie vor leidet der Kläger regelmäßig unter Schmerzen an der linken Hüfte und an den Knien. Ca. 2-3 Mal die Woche benötigt er Schmerzmittel. Möglicherweise ist mit einem künstlichen Kniegelenk zu rechnen. Nach den durchgeführten Operationen befindet sich noch ein Nagel im Knochen, der noch entfernt werden muss. Die Beweglichkeit der Knie ist erheblich eingeschränkt. Der linke Fuß des Klägers ist dauerhaft geschwollen. Nach dem dreifachen Bruch des linken Fußes ist es unter dem Fuß zu Verwachsungen gekommen. Der Kläger kann seinem langjährigen Hobby, Tennis zu spielen, infolge des Unfalls nicht mehr nachgehen.

7

Der Kläger konnte seinen Beruf als Bezirksschornsteinfeger von August bis einschließlich Dezember 2006 nicht ausüben, in den Monaten Januar 2007 bis einschließlich März 2007 war er aufgrund der erlittenen Verletzungen in seiner Berufsausübung eingeschränkt. Die Arbeiten übernahm der Bezirksschornsteinfeger ..., der dafür vom Kläger insgesamt 7 931,66 € erhielt. Bezüglich der weiter geltend gemachten Schadenspositionen wird auf die Aufstellung Bl. 3-7 d.A. und Bl. 145-148 d.A. verwiesen, wobei Fahrtkosten in Höhe von 1 652,07 € inzwischen unstreitig sind.

8

Der Kläger begehrt 75 % des ihm entstandenen Schadens ersetzt. Er hält unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von 25 % ein Schmerzensgeld von 15 000,00 € für angemessen.

9

Mit Schreiben vom 9. November 2006 wurde die Beklagte zu 2) unter Fristsetzung zum 25. November 2006 aufgefordert, 6 373,00 € an den Kläger zu zahlen (Bl. 102 d.A.).

10

Mit Schreiben vom 22. Februar 2007 wurde die Beklagte zu 2) unter Fristsetzung zum 5. März 2007 aufgefordert, 7 665,06 € auf weitere Schadenspositionen zu zahlen, Bl. 104 d.A.

11

Die Beklagten zahlten insgesamt 3 923,50 €.

12

Der Kläger behauptet, der Zeuge ... habe eine Vollbremsung durchgeführt, um einen Frontalzusammenstoß mit dem Beklagten zu 1) zu vermeiden.

13

Nach Rücknahme der Klage in Höhe von 1 623,30 € beantragt der Kläger,

  1. 1.

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 12 518,05 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, in Höhe eines Betrages von 1 778,58 € seit 10. November 2006, in Höhe eines Betrages von 2 955,86 € seit 23. Februar 2007 und in Höhe eines Betrages von 7 783,61 € seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  2. 2.

    die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein vom Gericht zu bestimmendes angemessenes Schmerzensgeld, jedoch nicht weniger als 15 000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  3. 3.

    festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden zu einem Anteil von 75 % zu ersetzen, welche dem Kläger aus dem Verkehrsunfall mit dem Beklagten zu 1) am 26. Juli 2006 in ... noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind.

14

Die Beklagten beantragen,

  1. die Klage abzuweisen.

15

Sie bestreiten die Notwendigkeit einer Vollbremsung des Zeugen ... Dieser habe lediglich "normal" abbremsen müssen. Das überwiegende Verschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe den Kläger selbst.

16

Für den Schaden an der Motorradkleidung sei ein Abzug "neu für alt" vorzunehmen. Den geltend gemachten Heilbehandlungskosten seien die während des stationären Aufenthaltes ersparten Kosten mit 15,00 € pro Tag gegenzurechnen. Die Beklagten bestreiten die Erforderlichkeit und Höhe der geltend gemachten Kosten für die Gestellung eines Vertreters des Klägers.

17

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen ... und ... Auf die Protokollniederschriften vom 9. August 2007 (Bl. 159 ff.d.A.) und 4. Oktober 2007 (Bl. 178 f.d.A.) wird Bezug genommen.

18

Die Akten ... haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

19

Die zulässige Klage ist teilweise begründet. Im Übrigen ist sie als unbegründet abzuweisen.

20

Der Kläger hat gemäß §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. § 3 PflVersG einen Anspruch gegen die Beklagten auf Ersatz von 2/3 des ihm durch den Unfall entstandenen Schadens.

21

Beide Unfallbeteiligten trifft ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls. Der Kläger hat gegen § 4 StVO verstoßen. Er hat keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Zeugen ... gehabt, so dass er bei dessen plötzlicher Bremsung nicht hinter dem Pkw anhalten konnte.

22

Den Beklagten zu 1) trifft ein Verschulden, weil er gegen § 5 StVO verstoßen hat. Er hat überholt, obwohl dieses wegen des entgegenkommenden Verkehrs nicht gefahrlos möglich war. Er hat sich - wie er selbst vortragen lässt - bezüglich der Entfernungen und der gefahrenen Geschwindigkeiten verschätzt.

23

Bei Abwägung der Verschuldensbeiträge trifft den Beklagten zu 1) das deutlich überwiegende Verschulden. In § 5 Abs. 2 StVO ist dem Überholer die fast ausschließliche Verantwortlichkeit für die gefahrlose Durchführung des Überholvorgangs auferlegt, denn er hat dafür zu sorgen, dass jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist. Ihm wird äußerste Sorgfalt abverlangt, insbesondere auch in der Einschätzung der Fahrgeschwindigkeit des Gegenverkehrs, so dass die Verletzung dieser Sorgfaltspflicht einen schwerwiegenden Verschuldensvorwurf begründet.

24

Im vorliegenden Fall ist weiter zu berücksichtigen, dass der Zeuge ... wegen des Überholmanövers des Beklagten zu 1) nicht "normal" abgebremst hat, sondern dass er zu einer Gefahrenbremsung genötigt war, um einen Frontalzusammenstoß mit dem Pkw des Beklagten zu 1) zu verhindern. Der Zeuge ... hat nämlich glaubhaft und überzeugend angegeben, er habe "stark abgebremst, beinah bis zum Stillstand". Er habe "ziemlich voll und abrupt abgebremst".

25

Anschaulich hat der Zeuge ... weiter geschildert, wie er mittels Hupe und Lichthupe den entgegenkommenden Beklagten zu 1) warnen und von seinem Vorbringen abbringen wollte. Die Angaben des Zeugen ... sind bestätigt worden durch die Angaben des Zeugen ... Dieser ist nach seinem Bekunden durch die Lichthupe und das starke Abbremsen des ihm entgegenkommenden Pkw des Zeugen ... auf den seinen Autotransporter überholenden Pkw des Beklagten zu 1) aufmerksam geworden und hat ebenfalls so stark gebremst, dass er Mühe hatte, den von ihm geführten Pkw in der Spur zu halten.

26

Es erschließt sich dem Gericht nicht, warum der Beklagte zu 1) nicht einmal den Versuch unternommen hat, ebenfalls anzuhalten oder hinter dem Lkw wieder einzuscheren, sondern unter Einsatz der Lichthupe, - so der Zeuge ... - seinen Überholvorgang fortsetzte und ganz knapp vor dem fast stehenden Pkw des Zeugen ... und dem Lkw wieder einscherte und dabei den Kläger noch überrollte.

27

Der Kläger kann Ersatz folgender Schadenspositionen verlangen:

28

5 750,00 € Gesamtschaden am Motorrad (unstreitig)

29

682,78 € Sachverständigenkosten (unstreitig)

30

199,95 € Motorradjacke

31

28,95 € Motorradhandschuhe.

32

Für diese Positionen ist ein Abzug "neu für alt" nicht vorzunehmen, weil ausweislich der vorgelegten Kassenbelege beide Kleidungsstücke erst am 13. Juni 2007, mithin zwei Wochen vor dem Unfall gekauft worden sind.

33

75,00 € Stiefel

34

110,00 € Helm.

35

Da diese Gegenstände ausweislich der vorgelegten Kassenbelege am 1. Juni 2005 bzw. 18. Mai 2005 erworben worden sind, mithin zum Zeitpunkt des Unfalls rund ein Jahr alt waren, hat das Gericht hier einen Abzug "neu für alt" in Höhe von rund 50 % vorgenommen.

36

230,15 € Abschleppkosten (unbestritten)

37

3 267,42 € Luftrettung (unbestritten)

38

89,90 € ärztliches Gutachten (unbestritten)

39

73,04 € ärztlicher Bericht (unbestritten)

40

43,95 € Telefonkosten während des stationären Aufenthaltes (unbestritten)

41

5,90 € Abmeldung Motorrad (unbestritten)

42

1 652,07 € Fahrtkosten (im Laufe des Rechtsstreits unstreitig gestellt)

43

730,79 € Eigenbeteiligung des Klägers abzüglich ersparter Aufwendungen.

44

Hier hat das Gericht für die 27 Tage des stationären Aufenthaltes pro Tag 10,00 €, mithin insgesamt 270,00 € abgezogen. Diese 10,00 € pro Tag hält das Gericht für ausreichend und angemessen.

45

7 931,66 € Berufsvertretung.

46

Insoweit hat der Kläger durch die vorgelegten quittierten Rechnungen des Bezirksschornsteinfegers ... seine Auslagen belegt. Irgendwie geartete Ersparnisse des Klägers oder Vermögenszuwächse, die hiervon in Abzug zu bringen sind, sind von den Beklagten nicht vorgetragen und auch nicht erkennbar. Der Kläger hat bei seiner Anhörung im Termin am 9. August 2007 erklärt, keinerlei Krankengeld o.ä. erhalten zu haben. Er habe seinen Vertreter "aus eigener Tasche" bezahlt. Dem sind die Beklagten nicht substantiiert entgegengetreten.

47

Ersatz für eine Urinflasche (5,50 €), Fußcreme (7,50 €) und einen Badewannengriff (8,99 €) kann der Kläger nicht verlangen. Hier hätte es einer substantiierten Darlegung bedurft, warum diese Dinge unfallbedingt angeschafft werden mussten.

48

Der ersatzfähige Gesamtschaden des Klägers beläuft sich mithin auf 20 871,56 €. 2/3 davon sind 13 914,37 €, so dass nach der Zahlung der Beklagten in Höhe von 3 923,50 € noch 9 990,87 € verbleiben.

49

Unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers am Zustandekommen des Unfalls hält das Gericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 10 000,00 € für die erlittenen Verletzungen für angemessen. Der Kläger ist - wie dargelegt - durch den Unfall erheblich verletzt worden. Er wird verletzungsbedingt dauerhaft beeinträchtigt bleiben. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes kann das nach Auffassung des Gerichts grob fahrlässige Verhalten des Beklagten zu 1) nicht unberücksichtigt bleiben.

50

Der geltend gemacht gemachte Zinsanspruch steht dem Kläger hinsichtlich der 1 778,58 € erst ab dem 25. November 2006 und hinsichtlich der 2 955,86 € erst ab dem 5. März 2007 gemäß §§ 286, 288 BGB zu. Ein vorheriger Verzugsbeginn ist nicht dargelegt.

51

Der weitere Zinsanspruch beruht auf § 291 BGB.

52

Da - wie dargelegt - mögliche weitere Operationen unfallbedingt erforderlich sein können und der Kläger dauerhaft beeinträchtigt ist, ist der Feststellungsantrag mit der oben begründeten Haftungsquote von 2/3 ebenfalls begründet.

53

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.