Landgericht Verden
Urt. v. 23.08.2007, Az.: 4 O 361/06
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 23.08.2007
- Aktenzeichen
- 4 O 361/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 61156
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGVERDN:2007:0823.4O361.06.0A
In dem Rechtsstreit
...
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden auf die mündliche Verhandlung vom 2. August 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Klagabweisung im Übrigen werden die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt,
- 1.
an den Kläger 9 347,85 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2006 und außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 929 €,
- 2.
an die Stadt ..., vertreten durch den 1. Bürgermeister, ... einen Betrag von 2 940,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2006 und
- 3.
an die ... vertreten durch den Geschäftsführer ..., einen Betrag von 5 015,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6. Januar 2006 zu zahlen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in Höhe von 20 % und die Beklagten als Gesamtschuldner in Höhe von 80 %.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht Schadenersatzansprüche aus einem Unfall geltend, der sich am 16. August 2005 gegen 2.30 Uhr auf der BAB 27 zwischen ... und ... ereignete. An dem Unfall beteiligt waren der Klein-Lkw des Klägers, Marke Iveco Daily Unijet, der von dem bei dem Unfall tödlich verletzten ... gesteuert wurde sowie die Pferde der Beklagten. Beide Pferde, die zu Freizeitzwecken verwendet wurden, waren aus der Weide ausgebrochen und in der Nacht in Richtung Autobahn gelaufen. Dort sprangen sie - aus Sicht der Autofahrer - von rechts kommend auf die Fahrspur und überquerten diese bis auf die Überholspur, wo sie durch das Fahrzeug des Klägers erfasst wurden. Bei dieser Kollision geriet das Fahrzeug des Klägers ins Schleudern und überschlug sich mehrfach.
Der Kläger trägt vor, der Zaun der Weide, auf der sich die Pferde zuvor aufhielten, sei unzureichend gewesen. Der Fahrer seines Fahrzeugs sei nicht zu schnell gefahren, sondern maximal mit der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h. Aus den Zeugenaussagen lasse sich auch nicht herleiten, dass das Fahrzeug des Klägers eine höhere Geschwindigkeit inne gehabt hätte. Das Fahrzeug sei auch nicht überladen gewesen. Die Ware sei nach dem Unfall nicht gewogen worden.
Der Kläger beantragt:
- 1.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger € 13 673,73 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.01.2006 und außergerichtliche Anwaltsgebühren von € 989 zu bezahlen.
- 2.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch jeweils verurteilt, an die Stadt ..., vertreten durch den 1. Bürgermeister, ... einen Betrag von € 2 940,00 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.01.2006 zu bezahlen.
- 3.
Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die ..., vertreten durch den Geschäftsführer ..., einen Betrag von € 5 015,66 nebst 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.01.2006 zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie tragen vor, der Fahrer des Klägers habe den Unfall allein verschuldet. Er sei erheblich zu schnell gefahren, habe gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht verstoßen und das Fahrzeug sei überladen gewesen. Demgegenüber trete die bloße Tiergefahr zurück. Der Weidezaun habe der Ortsüblichkeit entsprochen, die Pferde seien 10 bis 12 Jahre alt und ruhige Tiere gewesen. Die Koppel habe circa 1,5 km von der Autobahn entfernt gelegen, so dass ein Vorfall wie hier nicht vorhersehbar gewesen sei. Der Ausbruch aus der Weide sei nur durch eine Panikreaktion der Pferde im Zusammenhang mit einer möglichen Begegnung mit Wildschweinen erklärbar. Das Fahrzeug sei überladen gewesen, was sich aus einer entsprechenden polizeilichen Mitteilung ergebe. Der Fahrer sei mit eher 180 Km/h gefahren. Diese unzulässig überhöhte Geschwindigkeit sei schadensursächlich gewesen. Auch die Zeugen hätten bestätigt, dass das Fahrzeug erheblich zu schnell gefahren sei.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß den Beweisbeschlüssen vom 11. Januar 2007 (Bl. 95 d.A.) und vom 21. Juni 2007 (Bl. 125 d.A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen ... vom 20. April 2007 sowie auf das gerichtliche Protokoll vom 2. August 2007 (Bl. 155 d.A.) verwiesen.
Zur ergänzenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die beigezogenen Ermittlungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist im Wesentlichen begründet. Die Beklagten sind verpflichtet, dem Kläger gemäß § 833 BGB den ihm aus dem Verkehrsunfall entstanden Schaden in Höhe von 80 % zu ersetzen. Die weitergehende Klage war aufgrund eines geringfügigen Mitverschuldens des Fahrers des auf den Kläger zugelassenen Fahrzeugs abzuweisen.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagten ein Verschulden deshalb trifft, weil der Zaun, mit dem die Pferdeweide eingezäunt war, nach den Feststellungen des Sachverständigen Bemmann zu niedrig war. Die Beklagten haften bereits aufgrund der nach § 833 Satz 1 BGB bestehenden Gefährdungshaftung (Tierhalterhaftung). Dabei ist ein Schaden durch ein Tier immer dann verursacht, wenn sich eine durch die Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens hervorgerufene Gefährdung verwirklicht hat (vgl. dazu Parlandt-Sprau, 66. Auflage 2007, § 833 Rdz. 6 und 7). Dieses gilt insbesondere bei Pferden durch Scheuen oder Durchgehen und besonders dann, wenn dieses dazu führt, dass sie dabei eine Straße oder - wie hier - sogar eine Autobahn versuchen zu überqueren. Damit haftet der Tierhalter, ohne dass ihn ein Verschulden treffen muss. Hier ist es gleichgültig, wem der beiden Beklagten welches Tier gehörte, da der Schaden durch beide Tiere verursacht wurde und die Beklagten deshalb als Gesamtschuldner haften (§ 840 BGB).
Demgegenüber ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein geringfügiges Verschulden des Fahrers bewiesen. Auch auf einer Autobahn darf ein Fahrer bei Dunkelheit grundsätzlich nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke rechtzeitig anhalten kann. Nur in besonderen Ausnahmefällen kann ein Hindernis so schwer erkennbar sein, dass den Fahrzeugführer kein Schuldvorwurf trifft, wenn er dieses zu spät wahrnimmt (z. B., wenn ein dunkel gekleideter Mensch auf der Fahrbahn liegt oder ein dunkler Reifen; vgl. dazu z.B. BGH NJW 1984, 2412 und NJW 1995, 1029). Bei den Pferden der Beklagten handelt es sich jedoch nicht um solche Hindernisse, die für den Fahrer des Klägers bei einer seiner Sichtweite angepassten Geschwindigkeit nicht erkennbar gewesen wären. Vielmehr liefen sie von rechts auf die Fahrbahn und der vor dem Fahrzeug des Klägers fahrende Pkw Audi A2 konnte den Pferden noch ausweichen, so dass es bei angepasster Geschwindigkeit auch dem Fahrer des Klägers möglich gewesen wäre, auf der linken Fahrspur auszuweichen. Dieses war ihm deshalb nicht möglich, weil er zur Überzeugung des Gerichts für die um ca. 02.30 Uhr vorhandene Sichtweite zu schnell gefahren ist. Zwar haben die Zeugen naturgemäß eine Geschwindigkeit des Fahrzeugs nicht zuverlässig schätzen können, die Zeugen ... und ... haben aber übereinstimmend bekundet, dass ihr Pkw mit etwa 120 bis 130 km/h kurz vor dem Unfall gefahren sei. Der Klein-Lkw des Klägers befuhr die Überholspur, wollte also den vor ihm fahrenden Pkw dieser Zeugen überholen und musste somit naturgemäß eine zumindest etwas höhere Geschwindigkeit inne haben. Wie hoch diese Geschwindigkeit allerdings im Einzelnen war, lässt sich nicht mehr feststellen. Auch der Sachverständige hat Feststellungen insoweit nicht treffen können. Er hat allerdings festgestellt, dass selbst bei einer eingehaltenen Geschwindigkeit der zulässigen 120 km/h ein Unfall für den Fahrer des Klägers nicht vermeidbar gewesen wäre, sondern nur, wenn er etwa 80 bis 90 km/h eingehalten hätte. Der Fahrer habe vielmehr auf den Schlenker des vorausfahrenden Fahrzeugs reagiert und gebremst, wodurch es zu einer Spurzeichnung von etwa 23 m kam. Die Pferde habe er jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch nicht gesehen. Einer zusätzlichen Vernehmung des zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen Zeugen ... bedurfte es unter diesen Umständen nicht. Dieser Zeuge hat auch gegenüber der Polizei keinerlei Angaben zum Unfall gemacht. Es ist nicht erkennbar, dass er zu der gefahrenen Geschwindigkeit des Klein-Lkw irgendwelche Angaben machen könnte. Auch die Beklagten tragen nicht vor, warum er zu näheren Angaben dazu in der Lage sein sollte. Hinzu kommt, dass selbst der Zeuge ... trotz seiner Äußerung gegenüber der Polizei, der Klein-Lkw sei mindestens 150 km/h gefahren (Bl. 12 der Ermittlungsakte), dieses in seiner schriftlichen Aussage nicht bestätigt hat, sondern sich nur daran zu erinnern meint, die Polizei habe eine zwischen 140 und 150 km/h stehen gebliebene Tachonadel festgestellt. Auch der Zeuge ... hat in seiner schriftlichen Aussage (Bl. 142 d.A.) zur Geschwindigkeit nichts aussagen können. Es ist somit nicht erkennbar, was der Zeuge ... zur Klärung der Geschwindigkeit beitragen könnte. Soweit die Beklagten das behaupten wollen, handelt es sich um eine Behauptung ins Blaue hinein. Deshalb war diesem Beweisantritt nicht (mehr) nachzugehen. Dieses gilt um so mehr, als nach den Ausführungen des Sachverständigen ... die Geschwindigkeit des Klein-Lkw nicht feststellbar ist und der Unfall für dessen Fahrer nur bei einer Annäherungsgeschwindigkeit von etwa 80 bis 95 Km/h vermeidbar gewesen wäre. Auch die von den Beklagten behauptete Überladung wirkt sich nach den Ausführungen des Sachverständigen nur ganz geringfügig aus (ein Energieinhalt im Verhältnis 1: 1,09) und hat auf die Vermeidbarkeit des Unfalls keinen Einfluss. Zur näheren Darstellung wird auf den Inhalt des Gutachtens verwiesen, dem das Gericht nach eigener kritischer Würdigung folgt.
Da für den Fahrer des Klein-Lkw auch nicht ein Ausnahmetatbestand des § 18 Abs. 6 StVO (ausreichender Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug oder ausreichende Markierung und Ausleuchtung der Fahrbahn) zutrifft, muss sich der Kläger ein Mitverschulden zurechnen lassen.
Die Abwägung der Verursachungsbeiträge führt zu einer Verteilung von 20 zu 80 zu Lasten der Beklagten. Dieses ergibt sich daraus, dass entscheidend für den Unfall die Verwirklichung der Tiergefahr war, für die die Beklagten ohne Verschulden haften. Ein Autofahrer muss grundsätzlich nicht mit Tieren auf einer Autobahn rechnen. Demgegenüber stellt sich das Verschulden des Fahrers, der auf der Autobahn nicht auf Sicht fuhr, im Verhältnis zu dieser Gefährdungshaftung als gering dar. Zwar ist ein vollständiges Zurücktreten hinter der Tiergefahr nach Ansicht des Gerichts nicht vertretbar, es kann aber auch nur eine relativ geringfügige Mithaftung in Höhe von 20 % in Betracht kommen (vgl. dazu z.B. OLG Hamm, NZV 1989, 234; OLG Düsseldorf, NZV 1988, 21; OLG Oldenburg in NZV 1991, 115; OLG Frankfurt in Versicherungsrecht 2002, 1568).
Die Schadenshöhe haben die Beklagten nicht bestritten. Von dem Gesamtschaden in Höhe von 21 629,39 € haben die Beklagten 17 303,51 € zu ersetzen und davon die jeweils vollen Beträge gemäß den Anträgen zu 2. und 3. in Höhe von 2 940,00 € und 5 015,66 € an die Stadt Achim bzw. die Firma Bormann zu zahlen und an den Kläger den entsprechenden verringerten Betrag, weil dieser seinerseits verpflichtet ist, 20 % zu den Feuerwehreinsatzkosten und den Bergungskosten sowie Standgebühren beizutragen.
Die Anwaltsgebühren waren nach dem Wert bis zu 19 000,00 € zu ersetzen und zwar in Höhe von 1,5 der Gebühren (das sind mit der Auslagenpauschale 929 €; vgl. zum vollen Ersatz der Geschäftsgebühr BGH VIII ZR 86/06vom 7.3.2007), da es sich hier, wie schon das Verhalten der Beklagten (oder der hinter ihnen stehenden Haftpflichtversicherung) zeigt, die bisher nichts an den Kläger gezahlt haben, nicht um eine nur mittelmäßig schwierige Schadensangelegenheit handelt.
Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs. 1 BGB. Der weitergehende Zinsanspruch (8 %) war abzuweisen, da es sich hier nicht um eine Forderung aus einem Rechtsgeschäft gemäß § 288 Abs. 2 BGB handelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.