Landgericht Hildesheim
Urt. v. 29.11.2006, Az.: 2 O 200/06
Alleinverschulden; dunkle Verfärbung; Eigentumsverletzung; Erkennbarkeit; fehlender Gefahrenhinweis; fehlendes Warnschild; Feldweg; forstwirtschaftliches Grundstück; Grundstückseigentümer; gute Sichtverhältnisse; Haftung; Heilbehandlungskosten; landwirtschaftliches Grundstück; potenzielle Gefahrenquelle; Reiter; Reitpferd; Schadensersatzanspruch; Spaziergang; Spaziergänger; Tageslicht; Tierarztkosten; unterlassener Warnhinweis; Verkehrssicherungspflichtverletzung; Vorhersehbarkeit; Wildschutzzaun; Wildsperrgitterrost; Wirtschaftsweg; öffentlicher Weg; überragendes Mitverschulden; überwiegendes Mitverschulden
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 29.11.2006
- Aktenzeichen
- 2 O 200/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53262
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 254 BGB
- § 823 Abs 1 BGB
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithilfe trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus vermeintlicher Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.
Am 27.03.2006 unternahm die Klägerin bei Tageslicht gemeinsam mit dem in ihrem Eigentum stehenden 13-jährigen Schimmelwallach ... einen Spaziergang in der Gemarkung Edemissen. Neben diesem gehend führte die Klägerin ihr Pferd am Zaumzeug auf einem unbefestigten Feldweg, welcher von der ... kommend auf die Straße K ... (Hauptstraße zwischen ... und ...) führt. Eigentümerin dieses Wegegrundstücks ist die Beklagte. Unmittelbar vor dem Kreuzungsbereich des Feldweges und der K ... befindet sich ein quer über den Weg verlaufendes Wildsperrgitterrost, das dazu bestimmt ist, einen Wildwechsel in diesem Bereich zu verhindern. Wegen der Beschaffenheit des Wildsperrgitterrostes und dessen unmittelbarer Umgebung im Einzelnen wird auf die durch die Klägerin als Anlagen zu dem Schriftsatz vom 14.08.2006 zur Gerichtsakte gereichten Lichtbilder (Bl. 125 f. d. A.) sowie auf die als Anlagen zum Terminsprotokoll vom 09.11.2006 genommenen Lichtbilder (Bl. 218 - 237 d. A.) Bezug genommen. In einiger Entfernung von dem Wildsperrgitterrost erkannte die Klägerin jedenfalls eine dunkle Verfärbung im Boden. Nachdem die Klägerin das Wildsperrgitterrost erreicht hatte, brach das von ihr am Zaumzeug geführte Pferd mit allen vier Beinen in das Rost ein. Es musste durch die Feuerwehr geborgen werden, wobei es sich erhebliche Hautverletzungen und auch Knochenbrüche an den Extremitäten zuzog. Wegen der Verletzungen im Einzelnen wird auf die Darstellung in der Klagschrift vom 12.06.2006 (Bl. 24 f. d. A.) Bezug genommen. Das Pferd wurde zunächst in der tierärztlichen Gemeinschaftspraxis Dr. .../Dr. ... sowie anschließend in der Tierärztlichen Hochschule ... behandelt. Für die auf das Unfallgeschehen zurückgehende Behandlung entstanden Kosten in Höhe von insgesamt 3.326,51 €. Wegen der Spezifizierung der einzelnen Kosten und des Inhaltes der erfolgten Behandlungsmaßnahmen wird auf die Rechnungen vom 01.04., 01.05., 14.07. und 28.07.2006 (Bl. 48 f., 50 - 52, Bl. 112 - 114 und Bl. 115 f. d. A.) verwiesen.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ersatz der von ihr aufgewendeten Heilbehandlungskosten und Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich künftig entstehender Schäden. Die Klägerin behauptet, das Wildsperrgitterrost sei weder für sie noch für das von ihr am Zügel geführte Pferd als Gefahrenquelle erkennbar gewesen. Das Pferd sei ruhigen Schrittes auf den Rost getreten und sogleich eingebrochen. Im Termin vom 09.11.2006 hat die Klägerin erklärt, sie habe das Pferd bis an das Rost herangeführt, in diesem Moment habe das Tier „einen Satz nach vorne gemacht“ und sei eingebrochen. Wildabhalteroste seien in der Bevölkerung völlig unbekannt. Der Schutzinstinkt ihres Tieres habe versagt, weil das Wildabhalterost überhaupt nicht als Gefahrenquelle erkennbar gewesen sei. Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe als Eigentümerin des Wegegrundstücks ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt. Es sei zumindest erforderlich gewesen, durch Warnschilder auf die gegebene Gefahrenlage hinzuweisen. Die Klägerin behauptet, ihr Pferd habe einen Wert von 7.000,00 bis 8.000,00 €, weshalb weitere Heilbehandlungskosten nicht unverhältnismäßig seien. Der Feuerwehreinsatz sei gebührenpflichtig gewesen, eine Abrechnung sei bisher lediglich noch nicht erfolgt. Es stehe zu erwarten, dass eine Weiterbehandlung des Pferdes notwendig werde.
Mit Schriftsatz vom 18.09.2006 hat die Beklagte u. a. dem Land ... den Streit verkündet. Das Land ... ist daraufhin dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten mit Schriftsatz vom 26.09.2006 beigetreten.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie insgesamt 3.326,51 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 1.955,19 € seit dem 07.07.2006 und auf weitere 1.371,32 € seit dem 17.08.2006 zu zahlen,
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den weiteren materiellen Schaden, der im Zusammenhang mit dem Unfall vom 27.03.2006 (tierärztliche Behandlung des Schimmelwallachs ... und Kosten für die Bergungsaktion der Freiwilligen Feuerwehr ...) noch entstehen wird, zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Streithelferin der Beklagten schließt sich diesem Antrag an.
Die Beklagte nimmt eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten in Abrede. Sie ist der Auffassung, für den streitgegenständlichen Feldweg bestehe überhaupt keine Verkehrssicherungspflicht. Sie behauptet im Übrigen, das Wildsperrgitterrost sei aus einer Entfernung von 50 Metern zu erkennen und jedenfalls in der weiteren Annäherung als potentielle Gefahrenquelle für jeden sorgfältigen Passanten sogleich wahrnehmbar. Die Klägerin habe ihr Pferd bewusst auf das Rost geführt, weshalb der natürliche Schutzinstinkt des Tieres versagt habe. Der Klägerin falle deshalb jedenfalls ein überragendes Mitverschulden zur Last.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 27.09.2006 (Bl. 169 d. A.) durch Einnahme richterlichen Augenscheins des Wildabhalterostes. Wegen der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 09.11.2006 nebst Anlagen (Bl. 214 - 237 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
I.
Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten kein Anspruch auf Leistung von Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Beklagte hat die sie treffende Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt, weshalb die Klägerin keinen Ersatz der ihr entstandenen und noch entstehenden Vermögenseinbußen aus dem Unfallgeschehen vom 27.03.2006 von der Beklagten verlangen kann.
1. Die Beklagte als Eigentümerin des Wegeflurstücks trifft eine Verkehrssicherungspflicht für den Zustand des auf dem Grundstück befindlichen beschränkt öffentlichen Weg. Zwar sind an die Verkehrssicherungspflicht bei Straßen und Wegen, die durch landwirtschaftliches und forstwirtschaftliches Gebiet führen und im Wesentlichen - wie auch hier - als Wirtschaftsweg benutzt werden, geringere Anforderungen als bei sonstigen öffentlichen Straßen zu stellen (OLG Düsseldorf VersR 1997, Seite 639; OLG Koblenz NJW-RR 2003, 1253). Gleichwohl entfällt eine Sicherungspflicht nicht. Die Verkehrssicherungspflicht beruht auf dem Tatbestand, dass von der Straße/dem Weg durch die Zulassung des öffentlichen Verkehrs Gefahren für Dritte ausgehen (vgl. BGHZ 14, 83; BGHZ 16, 95). Der Pflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise nach den Verhältnissen im Einzelfall alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen, die für den sorgfältigen Benutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzustellen vermag (vgl. BGH VersR 1979, 1055). Jedenfalls hat der Pflichtige vor nicht erkennbaren Gefahren zu warnen (vgl. BGHZ 108, 273). Maßgeblich ist deshalb für die Reichweite der Verkehrssicherungspflicht zunächst, für welche Art von Verkehr ein Weg nach seinem äußeren Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist. Es ist ein diesem Verkehrsbedürfnis entsprechender, hinreichend sicherer, gefahrloser Zustand der Verkehrsfläche herbeizuführen. Andererseits muss der Benutzer die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm darbietet und sein Verhalten den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen (BGH VersR 1979, 1055; BGHZ 108, 273). Dieses bedeutet, dass verkehrssicherungspflichtige Maßnahmen umso weniger zumutbar sind und damit eine Verkehrssicherungspflicht umso weniger besteht, je leichter eine drohende Gefahr dem Straßenbenutzer erkennbar ist.
Diesen Anforderungen genügt der auf dem Grundstück der Beklagten befindliche Wildsperrgitterrost aufgrund seiner äußerlich wahrnehmbaren Beschaffenheit, ohne dass es eines zusätzlichen Hinweises auf besondere Gefahren dieses Bauwerkes bedurfte. Der Feldweg dient vorwiegend land- und forstwirtschaftlichen Zwecken, ist aber nach seinem äußeren Erscheinungsbild auch für eine Benutzung durch Fußgänger gewidmet. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist die Kammer davon überzeugt, dass das Wildsperrgitterrost als bauliche Maßnahme, die ein Passieren von Wildtieren in diesem Bereich unmöglich machen soll, bereits auf eine Entfernung von etwa 20 Metern für einen sorgfältigen Passanten ohne Weiteres als Gefahrenquelle für den Durchgangsverkehr erkennbar ist. Es ist für einen Spaziergänger augenfällig, dass er bei einem Überschreiten des Rostes Gefahr läuft, zwischen den einzelnen Streben einzubrechen. Auf diese Entfernung zeigen sich im Untergrund deutlich wahrnehmbare metallene Querstreben mit nicht unerheblichen Zwischenräumen. Es ist ebenso ohne Weiteres erkennbar, dass sich unmittelbar neben dem Wildsperrgitterrost eine Pendeltür befindet, welche durch eine besondere Sperrvorrichtung gesichert ist. Es zeigen sich sowohl nach links als auch nach rechts führend aus Metallgeflecht gefertigte Zäune, deren Funktion darin besteht und nur darin bestehen kann, ein seitliches Umgehen dieses Bereichs zu verhindern. Es ist allein aufgrund dieser sogleich wahrnehmbaren äußeren Beschaffenheit der Örtlichkeit für jeden aufmerksamen Passanten sogleich offenkundig, dass ein Beschreiten des Weges im Bereich des Wildsperrgitterrostes nicht vorgesehen und vor allem nicht gefahrlos möglich ist. Dieser Eindruck wird zudem dadurch verstärkt, dass sich sowohl vor als auch hinter dem Rost gesondert gepflasterte Flächen und außerdem betonierte, durch Metallstreben eingefaßte Streifen befinden, welche die bauliche Anlage sogleich erkennbar aus der im Übrigen weitestgehend unbefestigten Oberfläche des Feldweges hervorheben. Die in den Verlauf des Feldweges eingebrachten Metallstreben sind dadurch optisch gesondert abgegrenzt und fallen dem aufmerksamen Spaziergänger sofort als Besonderheit mit Gefahrenpotential auf, welche ein Passieren nicht ohne Weiteres ermöglicht, insbesondere nicht für ein Pferd.
Angesichts dieser äußerlichen Beschaffenheit des Wildsperrgitterrostes bedurfte es keines besonderen Warnhinweisschildes, da sich die Gefährlichkeit dieser Anlage sowohl für Passanten als auch für von diesen mitgeführte Tiere jedem verständigen Menschen sogleich aufdrängt. Dabei kann die Frage, ob derartige Vorrichtungen tatsächlich in der Bevölkerung unbekannt sind, auf sich beruhen. Es geht bei der Frage nach der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nicht darum, eine Funktion eines Bauwerkes im Einzelnen zu erfassen, sondern vielmehr ausschließlich darum, eine potentielle Gefährlichkeit des Zustandes einer Sache auszumachen und sich auf diese mögliche Gefahrenlage einzustellen. Die Verkehrssicherungspflicht geht immer nur so weit, den Wegebenutzer vor Gefahren zu schützen bzw. in hinreichendem Umfang vor ihnen zu warnen, die er auch bei Anwendung verkehrserforderlicher Sorgfalt nicht rechtzeitig erkennen könnte (BGH NJW 1980, 219). Bei erkennbaren Besonderheiten (und Mängeln) im Zustand eines Weges wird dem Benutzer zugemutet, sich darauf einzustellen. Tut er dies nicht, trifft den Sicherungspflichtigen von vornherein keine Haftung.
Die Klägerin hätte gemeinsam mit ihrem Pferd das Wildsperrgitterrost ohne besondere Mühen durch Benutzung der Pendeltür seitlich umgehen oder aber umdrehen können. Mit Rücksicht hierauf kann letztlich die Frage, wie das Tier tatsächlich in den Bereich des Rostes gelangte (durch ruhigen Schritt, durch einen Sprung oder aber aufgrund bewußter Führung), offen bleiben.
2. Selbst wenn man mit der Auffassung der Klägerin die Ansicht vertreten wollte, es habe eines Warnhinweises auf das Wildsperrgitterrost bedurft, träte die Pflichtverletzung, welche in dem Unterlassen eines solchen Hinweises läge, völlig hinter dem ganz erheblichen Mitverschulden der Klägerin zurück, § 254 BGB. Nach deren unwidersprochen gebliebenem Vortrag ist die Klägerin gerade deshalb zum Unfallzeitpunkt mit ihrem Pferd, welches sie am Zügel führte, in der fraglichen Gegend spazieren gegangen, weil es erst tags zuvor in einen in der Nähe gelegenen Stall eingestellt worden war. Sie wollte dem Pferd die „neue Umgebung“ zeigen. Diese Umgebung war der Klägerin ebenfalls nicht bekannt. Angesichts der Tatsache, dass die Klägerin bei der Annäherung auf das Wildsperrgitterrost zumindest eine Verfärbung und Veränderung in der Beschaffenheit des Untergrundes bemerkte, hätte es ihr bei Beachtung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt oblegen, ihr Pferd zum Stillstand zu bringen und sich in sicherer Entfernung von dem Rost von dessen Beschaffenheit zu unterrichten. Zu diesem Zwecke wäre es ihr ohne Weiteres möglich und zumutbar gewesen, entweder ohne Pferd selber an den Rost heranzutreten oder aber ihre bei dem Spaziergang ebenfalls anwesende Mutter zu bitten, das Umfeld des Rostes zu erkunden. Da sie von dieser naheliegenden Möglichkeit keinen Gebrauch machte, fällt ihr jedenfalls an dem Unfallgeschehen ein derart gravierendes Verschulden zur Last, dass ein etwaiger Pflichtenverstoß der Beklagten vollends zurückträte.
3. Nach alledem ist die Klage abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 101 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 709 Satz 1 ZPO.