Landgericht Hildesheim
Urt. v. 05.05.2006, Az.: 7 S 54/06
60 %; Alleinhaftung; Betriebsgefahr; Dunkelheit; Geschwindigkeitsüberschreitung; Haftungsverteilung; Kfz-Unfall; Kollision; Nässe; Verkehrsunfall; Vorfahrtberechtigter; Vorfahrtverletzung; zulässige Höchstgeschwindigkeit; Zurücktreten; überwiegendes Verschulden
Bibliographie
- Gericht
- LG Hildesheim
- Datum
- 05.05.2006
- Aktenzeichen
- 7 S 54/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53393
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 09.02.2006 - AZ: 13 C 901/04
Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB
- § 7 StVG
- § 17 StVG
- § 18 StVG
- § 3 StVO
- § 8 StVO
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 09.02.2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lehrte geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gebührenstreitwert für die Berufung: 1.856,74 €.
Tatbestand:
I.
Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.
Die Beklagten verfolgen mit der Berufung weiterhin den Klageabweisungsantrag. Sie vertreten die Auffassung, der Kläger hafte für den entstandenen Unfall allein, da er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erheblich überschritten habe. Im Hinblick auf die vom Sachverständigen … ermittelte Geschwindigkeit, den Umstand, dass die Fahrbahn nass bzw. feucht gewesen sei, und die herrschende Dunkelheit, sei eine Alleinhaftung des Klägers gerechtfertigt. Ohnehin habe der Beklagte zu 1. keinen Vorfahrtsverstoß gemäß § 8 StVO begangen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Lehrte vom 09.02.2006 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist auch in der Sache begründet.
Dem Kläger steht im Hinblick auf den Unfall vom 04.12.2003 ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 7, 17, 18 StVG bzw. § 823 BGB nicht zu, weil er den Eintritt des Unfalls in einem derart erheblichen Umfang selbst verschuldet hat, dass das Verschulden des Beklagten zu 1) bzw. die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr demgegenüber zurücktritt.
Zunächst ist bereits fraglich, ob der Beklagte zu 1) überhaupt einen Vorfahrtsverstoß gemäß § 8 StVO begangen hat. Insoweit ist festzustellen, dass der Beklagte zu 1) nach seinem unbestrittenen Vortrag auf die Hauptstraße abgebogen ist, als der Kläger noch etwa 200 Meter von der Einmündung entfernt war. Diese Frage kann jedoch letztlich dahinstehen, da der Kläger seinerseits eine derart gravierende Geschwindigkeitsüberschreitung im Sinne des § 3 StVO begangen hat, dass seine Alleinhaftung gerechtfertigt ist. Nach dem vorliegenden Sachverständigengutachten lässt sich die Bremsausgangsgeschwindigkeit des Klägers auf eine Spanne von ca. 95 bis 101 km/h eingrenzen. Dies entspräche einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 90 % bzw. 45 km/h. Der Kläger selbst trägt in seiner Berufungserwiderung vor, dass unter Umständen eine Ausgangsgeschwindigkeit des klägerischen Fahrzeugs von (nur) 80 km/h gegeben sein könnte. Selbst auf dieser Grundlage wäre aus Sicht der Kammer eine Alleinverantwortung des Klägers gerechtfertigt. Legt man eine Geschwindigkeit des Klägers von 80 km/h zu Grunde, wäre eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 60 % bzw. 30 km/h gegeben. Ein derartiger Verstoß würde bei isolierter Betrachtung eine Alleinhaftung des Klägers nicht rechtfertigen. Das OLG Hamm hat eine Alleinhaftung bei einer Überschreitung um mindestens 80 % angenommen (VRS 1993, 253-256). Das Kammergericht Berlin geht von einer Mithaftung des Wartepflichtigen von 25 % aus, wenn ein Vorfahrtsberechtigter, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 100 % überschritten hat, mit einem Wartepflichtigen kollidiert (NZV 1999, 85-86). Neben einem Geschwindigkeitsverstoß sind allerdings die weiteren Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Vorliegend hat sich der Unfall bei Dunkelheit und auf feuchter bzw. nasser Fahrbahn ereignet. Im Hinblick darauf erscheint eine Alleinhaftung des Klägers schon unter Zugrundelegung der vom Kläger selbst eingeräumten Geschwindigkeitsüberschreitung gerechtfertigt. Eine schwerwiegende Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei Dunkelheit wiegt schwerer als bei Tageslicht, weil die Einschätzung der Geschwindigkeit des herannahenden Fahrzeugs für den Vorfahrtsverpflichteten dann deutlich erschwert ist. Weiter sind zu Lasten des Klägers die Straßenverhältnisse zu berücksichtigen, durch die sich der Bremsweg verlängert. Auch kann nicht außer Acht gelassen werden, dass sich der Beklagte zu 1) mit seinem Fahrzeug nach dem Einbiegen in Fahrtrichtung des Klägers fortbewegte, so dass dem Kläger noch mehr Raum und Zeit verblieb, sich auf diese Verkehrssituation einzustellen. Angesichts dieser Wertung bedurfte es einer Anhörung des Sachverständigen nicht, weil sich aus einer Gesamtschau der dargelegten Umstände eine Alleinhaftung des Klägers schon dann ergibt, wenn man - auf der Basis seines eigenen Vorbringens - eine Bremsausgangsgeschwindigkeit von 80 km/h zu Grunde legt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.