Verwaltungsgericht Hannover
v. 28.02.2011, Az.: 13 A 2316/09
Flüchtlingseigenschaft; PKK; Tätigkeit; Terroristische Vereinigung; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 28.02.2011
- Aktenzeichen
- 13 A 2316/09
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2011, 45098
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs 1 AsylVfG
- § 60 Abs 8 AufenthG
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG hinsichtlich der Türkei besteht. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens zu 3/5, die Beklagte tragen die Kosten zu 2/5.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG.
Er ist türkischer Staatsbürger kurdischer Volkszugehörigkeit. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 21.10.2002 wurde zwar seine Anerkennung als Asylberechtigter abgelehnt; jedoch wurde seinerzeit festgestellt, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliegen.
Durch Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 02.11.2007 wurde der Kläger wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz zu einer Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen verurteilt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Abdruck des Urteils in den Verwaltungsvorgängen der Beklagten (Beiakte A Bl. 88 ff.) Bezug genommen.
Anfang Dezember 2007 leitete die Beklagte ein Widerrufsverfahren ein.
Mit Bescheid vom 25.05.2009 des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge widerrief die Beklagte die Feststellungen zu § 51 Abs. 1 AuslG, verneinte die Flüchtlingseigenschaft des Klägers und Abschiebehindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG. Der Bescheid wurde als Einschreiben am 02.06.2009 zur Post gegeben.
Der Kläger hat am 10.06.2009 Klage erhoben.
Er meint, die Verfolgungsgefahr in der Türkei bestehe für ihn fort. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 AufenthG lägen nicht vor, eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Er habe seine politischen Aktivitäten in Deutschland nicht in dem Bewusstsein ausgeübt, damit den Terrorismus zu unterstützen. Er habe gedacht, die gesammelten Spendengelder dienten der Propagierung von Rechten für Kurden in der Türkei. Seit seinem Umzug nach Hameln (mitgeteilt im September 2010) habe er nicht mehr mit den früheren Personen zusammengearbeitet.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25.05.2009 aufzuheben,
hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen von Abschiebeverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Sie tritt der Klage entgegen.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 30.06.2009 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Zu der Entscheidungsform Gerichtsbescheid wurden die Beteiligten gehört.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Voraussetzungen zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid liegen vor, § 84 VwGO. Das Gericht sieht den Sachverhalt als geklärt an und die Sache weist auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Das Einverständnis des Klägers für diese Entscheidungsform ist nicht erforderlich.
Die Entscheidung ergeht gemäß § 76 Abs. 1AsylVfGdurch den Einzelrichter.
Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.
Die Beklagte hat die mit dem Bescheid vom 21.10.2002 getroffene Feststellung des Vorliegens der Voraussetzung des § 51 Abs. 1 AuslG zu Recht mit der Begründung widerrufen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG vorliegen, weil der Kläger aufgrund seiner Betätigung für die PKK den Tatbestand des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland - verwirklicht. Der Bescheid genügt insoweit augenscheinlich den rechtlichen Anforderungen des § 73 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2a Satz 4 AsylVfG i. V. m. § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG. Zu Recht hat die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid weiter festgestellt, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen, weil der Kläger den Ausschlusstatbestand des § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG erfüllt. Nach § 30 Abs. 4 AufenthG ist ein Asylantrag (der gemäß § 13 Abs. 2 AsylVfG den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft umfasst) unabhängig von seiner materiell rechtlichen Begründetheit als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG vorliegen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger ist Funktionär einer terroristischen Vereinigung. Er hat „Spenden“ gesammelt, Propagandamaterial (Zeitschriften) verkauft sowie die Anreise zu PKK-Veranstaltungen organisiert. Insoweit folgt das Gericht den Ausführungen des angefochtenen Bescheides und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG).
Sein Vortrag, er habe nicht im Bewusstsein gehandelt, eine terroristische Vereinigung zu unterstützen, stellt sich sowohl angesichts der Vorgeschichte des Klägers als auch in Anbetracht der der doch nennenswerten verantwortlichen Aktivitäten für die PKK in Deutschland als reine Schutzbehauptung dar. Nach dem strafgerichtlichen Urteil war der Kläger keinesfalls ein „kleines Licht“ in der Organisation. Der Kläger hat auch fast sein gesamtes Leben als Erwachsener im Dienst dieser Organisation verbracht. Er hat bislang mit der PKK und ihren Unterorganisationen auch nicht nachvollziehbar gebrochen. Wenn der Kläger sich bislang hinsichtlich seiner weiteren politischen Betätigung zurückgehalten hat, so dürfte dies in erster Linie dem laufenden Widerrufsverfahren geschuldet sein. Auffällig ist in diesem Zusammen übrigens auch, dass der Kläger im Schriftsatz vom 24.04.2011 lediglich vortragen lässt, seit seinem Umzug nach Hameln (mitgeteilt im September 2010) habe er keinen Kontakt mehr mit den Personen, mit denen er zuvor zusammengearbeitet habe. Das mag so sein, dürfte aber dann wohl eher der eingetretenen räumlichen Trennung geschuldet sein, weil der Kläger nicht mehr im Landkreis Diepholz wohnt.
Der Kläger kann sich weiterhin nicht mit Erfolg auf das Urteil des EuGH vom 09.11.2010 (C-57/09 und C-101/09) berufen. Danach stellt der Umstand, dass eine Person einer Organisation angehört hat, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931/GASP des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus aufgeführt ist, und den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, nicht automatisch einen schwerwiegenden Grund dar, der zu der Annahme berechtigt, dass diese Person eine „schwere nichtpolitische Straftat“ oder „Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen“, begangen hat. Im vorliegenden Fall wird aber nicht lediglich anknüpfend an die Mitgliedschaft des Klägers an eine terroristische Vereinigung vermutet, dass er an Straftaten beteilig war, sondern es steht aufgrund des strafgerichtlichen Urteils fest, dass der Kläger für die PKK bzw. deren Organisation in Deutschland tatsächlich tätig war und insoweit Straftaten begangen hat.
Es kann hier offen bleiben, ob nicht der Ausgangsbescheid vom 21.10.2002 von Anfang an rechtswidrig war, weil ihm damals nicht die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Beteiligung an der Ermordung eines Dorfvorstehers in der Türkei entgegengehalten wurde und insoweit möglicherweise eine Rücknahme hätte ausgesprochen werden können. Denn eine Rücknahme ist nicht erfolgt. Die Beklagte hat sich auf einen Widerruf beschränkt.
Keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet die Klage schließlich auch soweit der Kläger mit dem Hilfsantrag die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung der Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 3, 4 und 7 AufenthG begehrt. Auch insoweit folgt die Einzelrichterin der Begründung des angegriffenen Bescheides und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylVfG). Der Kläger vermochte auch entgegen den Ausführungen des angefochtenen Bescheides nicht darzulegen, dass Abschiebungshindernisse im Sinne des § 60 Abs. 3, 4 und / oder 7 vorliegen.
Lediglich zum Teil ist der Hilfsantrag des Klägers begründet.
Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer aber nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Entsprechend darf nach Abs. 5 der Vorschrift ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
Aufgrund seiner Eigenschaft als PKK-Funktionär kann das Gericht aufgrund der derzeitigen Erkenntnislage nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass der Kläger bei einer unterstellten Rückkehr in sein Heimatland nicht misshandelt oder gar gefoltert wird bzw. ihm eine unmenschliche Behandlung iSd. § 60 Abs. 5 AufenthG iVm. Art. 3 EMRK droht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.