Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.02.2011, Az.: 10 A 50/11
Ausbildungsförderung; Forderung; Vertrauensschutz; Verwertbarkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 14.02.2011
- Aktenzeichen
- 10 A 50/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 45212
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 27 Abs 1 S 2 BAföG
- § 27 Abs 1 S 1 Nr 2 BAföG
- § 16 Abs 3 SGB 1
- § 45 SGB 19
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Hat der Auszubildende eine Forderung aus einem Darlehensvertrag mit einem nahen
Verwandten, dann ist diese rechtlich verwertbar i.S.d. § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG.
2. Gibt der Auszubildende im Antragsformular die Forderung aus dem Darlehen nicht an, aber die Zinserträge aus dem Vertrag, kann er sich im Einzelfall gegen die Rückforderung der Ausbildungsförderung auf Vertrauensschutz berufen, wenn für die Behörde die Unvollständigkeit der Angaben offensichtlich war und sie eine weitere Aufklärung gleichwohl unterlassen hat (hier bejaht).
Tenor:
Der Bescheid des Studentenwerks (C) vom 30.06.2009 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, das gerichtskostenfrei ist.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Ausbildungsförderung.
Für den Besuch der 12. Klasse der Fachoberschule Technik in (C), BBS-ME, erhielt der Kläger von der (D) für den Bewilligungszeitraum von Februar 2008 bis Januar 2009 Ausbildungsförderung nach dem BAföG. Bei Antragstellung gab er an, neben Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von "ca. 660 Euro" über Vermögen in Gestalt von Wertpapieren, Barvermögen und einem Bausparguthaben von zusammen unter 5.200 Euro zu verfügen. In dem Antrag vom 26.02.2008 ist weiterhin in Spalte 112 ("Vermögenswerte, deren Verwertung aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist") die Eintragung "17.9.12" durchgestrichen. Die (D) errechnete das anrechenbare Vermögen allein auf Grundlage des in den Anlagen nachgewiesenen Konto- und Bausparguthaben sowie des Wertpapiervermögens und berücksichtigte die Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht.
Seit dem Sommersemester 2009 studiert der Kläger im Studiengang Informationstechnik an der Fachhochschule (C). Für den Bewilligungszeitraum März 2009 bis Februar 2010 beantragte er Ausbildungsförderung und gab wieder an, neben Einkünften aus Kapitalvermögen über Vermögen in Gestalt von Wertpapieren, Barvermögen und einem Bausparguthaben zu verfügen. In Spalte 112 des Formularantrages ("Vermögenswerte, deren Verwertung aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist") trug er den Betrag von 16.815,00 Euro ein. Hierzu legte er dem Studentenwerk (C) die Ablichtung eines auf den 01.09.2007 datierten Darlehensvertrags mit seinem Vater (E) vor, nach dem er diesem ein festverzinsliches Darlehen in Höhe von 16.000 Euro gewährt hatte, das spätestens zum 31.12.2012 zurückzuzahlen sei.
Auf Anforderung des Studentenwerks legte der Kläger im Mai 2009 eine Bestätigung seines Vaters vor, nach der die vereinbarte Kreditsumme von 16.000 Euro in zwei Teilbeträgen von 15.000 Euro am 13.09.2007 und von 1.000 Euro am 15.10.2007 auf das Konto des Vaters eingezahlt worden sei. Er reichte weiter eine Saldenmitteilung für das angegebene Konto des Vaters vom 15.09.2007 ein, die für den 13.09. die Buchung von 15.000 Euro auf das Konto ausweist. Außerdem legte er eine Saldenmitteilung vom 15.10.2007 vor, nach der an diesem Tag 5.000 Euro auf das Tagesgeldkonto überwiesen worden waren. In einer persönlichen Vorsprache erklärte der Kläger, die angegebenen 600,00 Euro Zinsen seien Erträge aus dem Darlehen, die in Spalte 112 angegebene Summe beziehe sich auf das Darlehen und betrage 16.000 Euro, die darüber hinaus angegebenen 815 Euro entfielen.
Mit Bescheid vom 29.05.2009 setzte das Studentenwerk (C) den monatlichen Förderungsbetrag auf Null fest, weil der Betrag des anzurechnenden Einkommens und/oder Vermögens den Gesamtbedarf des Auszubildenden übersteige. Der Betrag in Höhe von 16.000 Euro könne von der Vermögensanrechnung nicht freigestellt werden, da es sich um Vermögen in Form einer Forderung im Sinne des § 27 Abs. 1 Nr. 2 BAföG handele. Diese Entscheidung war Gegenstand der Verfahren 3 A 2468/09 und 3 B 6351/09.
Nach Anhörung des Klägers hob das Studentenwerk (C) außerdem unter dem 30.06.2009 die Bewilligungsbescheide der (D) vom 30.04.2008 und 30.09.2008 für den Zeitraum von Februar 2008 bis Januar 2009 auf und forderte den Kläger zur Erstattung der gewährten Ausbildungsförderung in Höhe von 3740,00 Euro auf. Zur Begründung führte das Studentenwerk (C) aus, der Kläger habe grob fahrlässig gegenüber der (D) unvollständige oder unrichtige Angaben gemacht. Eine Rücknahme der begünstigenden Bescheide sei in §§ 20 und 53 BAföG vorgeschrieben, auf Vertrauensschutz könne er sich wegen der groben Fahrlässigkeit nicht berufen.
Der Kläger hat am 10.07.2009 Klage erhoben. Er macht im Wesentlichen geltend, das dem Vater gewährte Darlehen in Höhe von 16.000 Euro sei zu Gebäudesanierungen im landwirtschaftlichen Betrieb des Vaters verwandt worden. Dieses Vorgehen entspreche den üblichen Geflogenheiten in der Familie und stelle für den Vater eine günstigere Form der Finanzierung als die Aufnahme eines Bankdarlehens dar. Dass das Darlehen betrieblich verwendet worden sei, ergebe sich aus den Bilanzen des väterlichen Betriebs. Eine rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung liege nicht vor, weil er bei Vertragsschluss weder Schulbesuch noch Studium geplant gehabt hätte. Im Übrigen habe er den Darlehensvertrag bereits bei Antragstellung auch der (D) vorgelegt; ein Mitarbeiter der (D) habe die Eintragung in Spalte 112 gestrichen. Die gewährte Ausbildungsförderung habe er verbraucht.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Studentenwerks (C) vom 30.06.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Sie macht geltend, der Kläger habe in dem Antrag auf Ausbildungsförderung bei der (D) (C) zu keinem Zeitpunkt das Darlehen an den Vater angegeben. Der Antrag enthalte allerdings in Spalte 112 eine mehrfach auffällig durchgestrichene Eintragung, die aufgrund der auffälligen Punktierung so aussehe, als sei sie von 1.912,00 Euro nachträglich auf 17.912,00 Euro geändert worden. Es ergeben sich bei der Schreibweise der Ziffer 7 allerdings keine Anhaltspunkte für eine nachträgliche Änderung. Der Mitarbeiter der (D) (F), habe mitgeteilt, es sei üblich, bei Streichungen durch Mitarbeiter einen Namenskürzel zu hinterlassen; zudem würden die Streichungen so durchgeführt, dass der gestrichene Text noch lesbar sei. Überdies fordere die (D) bei Hinweisen auf freizustellende Vermögenswerte grundsätzlich Nachweise und nehme diese zur Akte. Dies spreche dagegen, dass der Kläger das Darlehen bei seiner Antragstellung am 26.02.2008 angegeben und durch Vorlage einer Kopie nachgewiesen habe. Jedenfalls liege eine rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung vor, da der Kläger nicht schlüssig darlegen könne, dass zwischen ihm und seinem Vater ein Darlehensvertrag bestehe. Der in Kopie vorgelegte Darlehensvertrag gebe im Übrigen die Verhältnisse hinsichtlich der Zahlungsflüsse nicht wieder. Für eine rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung spreche auch, dass der Kläger erst sein Geld nach Ende seines Studiums zum 31.12.2012 und damit "BAföG-sicher" zurückerhalte.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie Gerichtsakten aus den Verfahren 3 A 2468/09 und 3 B 6351/09 Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Studentenwerks (C) vom 30.06.2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VWGO).
Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheids ist hinsichtlich der Rücknahme der Bewilligungsbescheide § 45 Abs. 1, 2 und 4 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X); die Rückforderung bestimmt sich dann nach § 50 SGB X. Der Leistungsträger kann danach einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurücknehmen, wenn der Begünstigte deswegen nicht auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertrauen durfte, weil dieser auf Angaben beruht, die er mindestens grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X).
Die Bewilligungsbescheide der (D) sind zwar rechtswidrig, weil der Kläger für den Bewilligungszeitraum Februar 2008 bis Januar 2009 keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung hatte. Gegen die Rücknahme der Bescheide durch das nach § 45a Abs. 1 Satz 1 BAföG zuständig gewordene Studentenwerk kann sich der Kläger aber auf Vertrauensschutz berufen.
Gemäß § 1 BAföG besteht ein Anspruch auf Ausbildungsförderung nur dann, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Ausbildungsförderung wird nach § 11 Abs. 1
BAföG für den Lebensunterhalt und die Ausbildung geleistet. Gemäß § 11 Abs. 2 BAföG ist auf diesen Bedarf das Vermögen des Auszubildenden anzurechnen, das sich nach §§ 26 ff. BAföG berechnet.
Der Kläger muss sich die Summe von 16.000 Euro, die er im Herbst 2007 auf das Tagesgeldkonto seines Vaters überwies, als eigenes Vermögen anrechnen lassen. Dabei geht das Gericht anders als die Beklagte nicht davon aus, dass der Kläger den Betrag lediglich zum Schein überwies, um sich im Hinblick auf den Antrag auf Ausbildungsförderung "arm zu rechnen", mithin eine rechtsmissbräuchliche Vermögensübertragung vorlag. Eine rechtsmissbräuchliche Vermögensverfügung setzt dabei nicht voraus, dass der Auszubildende subjektiv verwerflich gehandelt hat; vielmehr ist allein maßgeblich, ob die Vermögensverfügung zeitnah zur Antragstellung und ohne gleichwertige Gegenleistung erfolgt ist sowie im Widerspruch zu dem mit der Vermögensanrechnung verfolgten Gesetzeszweck - nämlich der strikten Nachrangigkeit der Ausbildungsförderung - steht (BVerwG, Urt. v. 13.01.1983 - 5 C 103/80 - NJW 1983, 2829, 2830). Hier mag eine zeitliche Nähe zwischen dem Abschluss des Darlehensvertrags im September 2007 und der Antragstellung im Februar 2008 noch vorliegen. Auch mag insbesondere die im Darlehensvertrag vereinbarte Fälligkeit des Darlehens zur Rückzahlung darauf hindeuten, dass der Vertrag im Hinblick auf eine spätere (erfolgreiche) Beantragung von Ausbildungsförderung geschlossen wurde. Denn zum einen wäre das Darlehen erst am 31.12.2012 und damit nach Ende der Regelstudienzeit des Klägers von sieben Semestern an das Fachhochschule (C) fällig gewesen. Zum anderen hätte der Kläger bei Rückzahlung des Darlehens am Ende seines Studiums den Darlehensanteil an der Ausbildungsförderung vorzeitig tilgen können und hätte somit von dem Nachlass nach § 18 Abs. 5b BAföG i.V.m. § 6 DarlehensV profitiert, der zu einem überschlägigen Vorteil von 2.500 Euro geführt hätte.
Die Zweckgerichtetheit des Darlehensvertrags hat der Kläger bestritten. Sie ist indes nicht entscheidungserheblich. Denn das Gericht ist aufgrund hinreichender objektiver Anhaltspunkte zur Überzeugung gelangt, dass der Kläger seinem Vater aufgrund des Darlehensvertrages vom September 2007 in zivilrechtlich wirksamer Weise ein Darlehen in Höhe von 16.000 Euro zu den vertraglich vereinbarten Konditionen gab. Der Hingabe von 16.000 Euro steht mit der vereinbarten Verzinsung eine Leistung des Vaters als Darlehensnehmers gegenüber, die die damaligen Guthabenzinsen übertroffen haben dürfte und damit gleichwertig ist, so dass für die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Vermögensübertragung kein Raum ist.
Dabei hat das Gericht zunächst den Umstand bewertet, dass der Darlehensvertrag schriftlich geschlossen wurde und Abreden über die Tilgung und die Fälligkeit des Darlehens zur Rückzahlung enthielt. Dass die nach Angaben des Vaters des Klägers in der mündlichen Verhandlung vereinbarte Rückzahlung aus einer Lebensversicherung des Vaters nicht als Sicherungsabrede verschriftlicht wurde, steht der Annahme eines wirksamen Darlehensvertrags nicht entgegen, weil eine Sicherungsabrede nicht zu den konstitutiven Merkmalen eines Darlehensvertrags zählt. Maßgeblich ist allein, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Fälligkeit des Darlehens mit der Rückzahlung sicher rechnen konnte und sich das Darlehen nicht als "verzinste Schenkung" darstellte, die dann nach den Maßstäben der rechtsmissbräuchlichen Vermögensübertragung zu betrachten wäre. Das Gericht hat auch keinen Zweifel daran, dass die Zinsen tatsächlich an den Kläger ausgezahlt wurden und als Betriebskosten - wie vorgetragen - steuerlich vom Vater geltend gemacht wurden. Denn der Kläger hat die Zinsen in seinem Antrag vom Februar 2008 als Kapitalerträge angegeben. Darüber hinaus hat der Kläger durch Vorlage von Bilanzen des väterlichen Betriebs auch hinreichend dargelegt, dass das Darlehen in die Bilanz eingeflossen ist.
Anders als noch von der 3. Kammer in ihrem Beschluss vom 15.03.2010 (- 3 B 6351/09 - n.v.) angenommen, steht der Annahme eines wirksamen Darlehensvertrag über 16.000 Euro nach Auffassung nicht entgegen, dass der Kläger die Überweisungswege nicht mehr im Einzelnen durch Kontoauszüge belegen konnte. Der Vater des Klägers hat Kontoauszüge für das Tagesgeldkonto mit der Kontonummer 1401114762 bei der (G)-Bank in (H) vorgelegt, nach denen auf das Konto am 13.09.2007 10.000 Euro und am 15.10.2007 weitere 5.000 Euro eingegangen sind, von denen nur 1.000 Euro vom Kläger stammen sollen. Die Erklärung, die Summe von 5.000 Euro enthalte einen Teilbetrag von 4.000 Euro von der Mutter des Klägers, hält das Gericht in Ansehung der beschränkten Überweisungsmöglichkeiten auf ein Tagesgeldkonto für schlüssig. Denn diese Überweisungen sind regelmäßig nur von dem und auf das dem Tagesgeldkonto zugerechneten Referenzkonto möglich. Der Vater des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung dazu erklärt, dass seine Frau seit Jahren darauf bestehe, jede verfügbare Summe jedenfalls kurzfristig auf das Tagesgeldkonto zu überweisen, um Zinsen zu erhalten. Es ist daher gut denkbar, dass der Kläger den Darlehensbetrag in zwei Summen auf das Girokonto seiner Eltern überwiesen hat und diese einmal 10.000 Euro und dann 1.000 Euro sowie aus eigenen überschüssigen Mitteln 4.000 Euro auf das Tagesgeldkonto überwiesen haben. Dass der Kläger selbst seine Kontoauszüge nicht aufbewahrt hat, wie sein Vater in der mündlichen Verhandlung erklärte, ist ebenfalls denkbar.
Diese Forderung aus dem Darlehensvertrag war auch rechtlich verwertbar, so dass sie nicht dem Anrechnungsausschluss des § 27 Abs. 1 Satz 2 BAföG unterfällt. Nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 87, 284, 288) können rechtsgeschäftliche Verfügungsbeschränkungen abhängig von Art und Inhalt sowie von dem jeweiligen Verwertungszweck als rechtliche Verwertungshindernisse im Sinne der Vorschrift Berücksichtigung finden. Allerdings ist es nur dann gerechtfertigt, die Forderung aus dem anzurechnenden Vermögen auszuklammern, wenn ein ausbildungsbedingter Verwertungszugriff des Auszubildenden aus rechtlichen Gründen ganz oder teilweise ausscheidet. Vertragliche Bindungen und Beschränkungen, die eine objektive Zugriffsmöglichkeit unberührt lassen, können somit angesichts des Grundsatzes der Nachrangigkeit staatlicher Ausbildungsförderung, wonach individuelle Ausbildungsförderung nur dann beansprucht werden kann, "wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen" (§ 1 Halbsatz 2 BAföG; vgl. auch BVerwG, a.a.O., S. 286), die Herausnahme aus der Vermögensanrechnung nicht rechtfertigen (BVerwG, Beschl. v. 26.02.2000 - 5 B 182/99 - juris).
Die Abrede in dem Darlehensvertrag von September 2007, nach der das Darlehen am 31.12.2012 in einer Summe zurückzuzahlen sei, begründet nach diesen Maßstäben keine rechtliche Unverwertbarkeit. Sie bedeutet zwar, dass bei ungestörtem Verlauf der Kläger als Darlehensgeber das Darlehen erst zu diesem Zeitpunkt zurückerhalten hätte (§ 488 Abs. 1 Satz 2 BGB) und davor keinen Zugriff auf den Betrag gehabt hätte. Ein Zugriff des Klägers wäre indes jederzeit davor rechtlich möglich gewesen, weil es dem Kläger nicht verwehrt war, entweder gemäß §§ 490 Abs. 3, 313 BGB eine Vertragsanpassung von seinem Vater dahingehend zu verlangen, dass dieser das Darlehen ab Beginn des Schulbesuchs an der BBS-ME in Raten zurückzahlen sollte, oder den Darlehensvertrag gemäß §§ 490 Abs. 3, 314 BGB zu kündigen (vgl. zur Vertragsanpassung in einem ähnlich gelagerten Fall VG München, Urt. v. 23.04.2009 - M 15 K 07.5546 - Juris). Diese Möglichkeiten bestanden aus Rechtsgründen unabhängig davon, ob der Kläger und sein Vater bereits bei Abschluss des Darlehensvertrages wussten, dass der Kläger Ausbildungsförderung beantragen wollte und dies mit Erfolg nur würde tun können, wenn das Darlehen nicht zu seinem Vermögen zählte, oder dieser Plan erst nach Vertragsschluss reifte. Denn ein Vertragsanpassungsrecht wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§§ 489 Abs. 3, 313 BGB) bzw. ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund (§§ 489 Abs. 3, 314 BGB) bestand für den Kläger ohne Zweifel für den Fall der eintretenden Bedürftigkeit. Bei Darlehensverträgen wie dem vorliegenden kann angenommen werden, dass sich Darlehensgeber und Darlehensnehmer darüber einig sind, dass das Darlehen aus freien Mitteln aufgebracht wird und es keine Grundlage für den Darlehensvertrag mehr gibt, wenn der Darlehensgeber in Not gerät und das Geld für sich selbst benötigt. Der Kläger, der seine Ausbildung beendet hatte und nicht von der Ausbildungsstelle, der Siemens AG, in ein Anstellungsverhältnis übernommen wurde, war ohne Einkommen bedürftig und benötigte das Darlehen für die eigene Ausbildung. Wegen des Grundsatzes der Nachrangigkeit der staatlichen Ausbildungsförderung ist hierbei die Bewilligung der Ausbildungsförderung wegzudenken; denn nach der Struktur des Bundesausbildungsförderungsgesetzes verpflichtet der Gesetzgeber die Auszubildenden, vorrangig eigene Mittel einzusetzen und sich dieser auch nicht zu begeben, um die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu vermeiden oder zu verringern.
Im Übrigen hat die 3. Kammer in ihrem Beschluss vom 15.03.2010 (a.a.O.) zutreffend darauf hingewiesen, dass die Forderung auch durch Abtretung etwa an eine Bank hätte verwertet werden können.
Auf eine tatsächliche Unverwertbarkeit kann sich der Kläger ebenfalls nicht berufen. Eine solche könnte zwar nach § 29 Abs. 3 BAföG dazu führen, dass die Forderung nicht auf das Vermögen angerechnet würde, weil dies andernfalls eine unbillige Härte für den Auszubildenden darstellte. Der Kläger hat sich zwar auf eine tatsächliche Unverwertbarkeit berufen und geltend gemacht, er müsste seinen Vater auf Rückzahlung des Darlehens verklagen und den Ausgang eines jahrelangen Zivilprozesses abwarten. Dass dies zu befürchten gewesen wäre, hält das Gericht auf Grundlage der glaubhaften Angaben des in der mündlichen Verhandlung anwesenden Vaters des Klägers für ausgeschlossen. Dieser gab auf Befragen an, er hätte seinem Sohn selbstverständlich die Summe ganz oder in Raten zurückgezahlt, um ihm die Finanzierung des Studiums zu ermöglichen. Da der Kläger für sein Studium aufgrund der Anrechnung der Darlehensforderung keine Ausbildungsförderung erhielt, zahlte ihm sein Vater nach eigenen, glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung vorzeitig, nämlich Ende 2010, das gesamte Darlehen aus einer dann ausbezahlten Lebensversicherung zurück. Im Übrigen wies das Tagesgeldkonto des Vaters, auf das der Darlehensbetrag überwiesen worden war, ausweislich der vom Kläger vorgelegten Kontoauszüge Ende Januar 2008 und damit unmittelbar vor Beginn des Bewilligungszeitraums ein Guthaben von etwa 10.000 Euro auf. Auch wenn der Vater des Klägers in der mündlichen Verhandlung geltend machte, dieses Geld sei zur Aufrechterhaltung des Betriebs erforderlich gewesen und hätte dem Kläger nicht in einer Summe ausgezahlt werden können, ist doch deutlich, dass eine ratenweise Rückzahlung des Darlehens bereits mit Beginn des Bewilligungszeitraums möglich gewesen wäre.
Der Kläger hatte mithin bei Antragstellung im Februar 2010 aus dem Darlehensvertrag mit seinem Vater gegen diese eine Forderung i.S.d. § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG, die zu seinem Vermögen zählte. Auf dieser Grundlage hatte er für den Bewilligungszeitraum Februar 2008 bis Januar 2009 keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung, weil sein Vermögen seinen Bedarf überstieg.
Die Beklagte kann die für den Bewilligungszeitraum gewährte Ausbildungsförderung gleichwohl nicht vom Kläger zurückfordern. Der Kläger kann sich auf Vertrauensschutz berufen, weil er die Ausbildungsförderung verbraucht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Die Bewilligungsbescheide beruhen auch nicht auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, weil schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt worden sind und das nicht beachtet worden ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (zum Ausbildungsförderungsrecht zuletzt BVerwG, Urt. v. 30.06.2010 - 5 C 3/09 - NVWZ-RR 2010, 926, 927, m.w.N.).
Ein Verschweigen von relevanten Tatsachen ist immer dann als grob fahrlässig anzusehen, wenn die Behörde ausdrücklich nach diesen Tatsachen fragt, entweder im Antragsformular oder durch Hinweise in Merkblättern oder dergleichen. Dabei ist von der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit des Betroffenen auszugehen. Hier findet sich im Antrag von Februar 2008 keine Angabe zu dem Darlehen; auch enthält der Verwaltungsvorgang nicht den Darlehensvertrag. Allerdings sprechen einige Indizien dafür, dass die Einlassung des Klägers zutrifft, er habe den Darlehensvertrag mit weiteren Unterlagen kurz nach Antragstellung bei der (D) nachgereicht. Zum einen spricht für die Richtigkeit der Einlassung, dass der Kläger die Zinserträge aus dem Darlehen angegeben hat und auch in dem nachfolgenden Antrag beim Studentenwerk (C) auf Förderung seines Studiums sowohl die Zinserträge als auch - in Spalte 112 - den Darlehensbetrag angegeben hat. Dies zeigt, dass der Kläger sich über die Eintragungen Gedanken gemacht hat und das Darlehen jedenfalls nicht vorsätzlich verschwiegen hat. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Streichung der Eintragung in Spalte 112 mit einem anderen Kugelschreiberstift und damit offenbar zeitlich später als die anderen Eintragungen vorgenommen wurde. Dem steht gegenüber, dass sich der Vertrag in den Verwaltungsvorgängen nicht findet und die Art der Streichung nicht den üblichen Gepflogenheiten der (D)entspricht. Die Beklagte hat hierzu vorgetragen, es sei dort üblich, eine Eintragung einfach durchzustreichen und sie mit dem Namenskürzel des Sachbearbeiters zu versehen. Dies ist hier aber beides nicht der Fall.
Ob sich der Sachverhalt durch Befragen des damaligen Sachbearbeiters weiter aufklären ließe, ist aufgrund des Zeitablaufs fraglich, aber letztlich nicht erheblich. Ebenso kann dahinstehen, bei welcher Partei für den Fall der Nichtbeweisbarkeit der Vorlage des Darlehensvertrages die materielle Beweislast hierfür läge. Denn der Antrag des Klägers ist nach objektiven Maßstäben offensichtlich unvollständig und hätte weiterer Angaben bedurft, um ihn ordnungsgemäß zu bearbeiten. Offensichtlich Unrichtigkeit oder Unvollständigkeiten, die die Behörde hätte erkennen können und die für sie Anlass zu einer weiteren Klärung des Sachverhalts auf Grundlage des Amtsermittlungsgrundsatzes hätten sein müssen, schließen die Anwendung von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nach Überzeugung des Gerichts im Einzelfall aus (zu dem strukturell vergleichbaren § 48 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VWVfG: Kopp/Ramsauer, VWVfG, 10. Aufl. 2008, § 48 Rn. 118). Ein solcher Einzelfall liegt hier vor. Denn der Kläger hat in Spalte 79 des Antrags vom Februar 2008 Angaben zu den Zinsauskünften gemacht hat. Geht man davon aus, dass der (D) der Darlehensvertrag nicht vorlag, dann ist der Antrag offensichtlich unvollständig; denn das Kapital, aus dem die Erträge stammen sollten, war nicht ersichtlich. Jedenfalls konnte es aufgrund seiner Höhe ganz offensichtlich nicht aus den sonstigen, vom Kläger angegebenen und unstreitig nachgewiesenen Vermögensgegenständen erwirtschaftet werden. Hinzu kommt die noch lesbare, aber durchgestrichene Eintragung in Spalte 112 des Antrags. Die dortige Eintragung "17.9.12" korrespondiert mit dem angegebenen Zinsertrag insoweit, als ein Zinsertrag bei einer durchschnittlichen Verzinsung von 3,5 %, die zum damaligen Zeitpunkt zu erwirtschaften war, ein Kapital von etwa 18.000 EUR erfordert. Bei einer ordnungsgemäßen Antragsbearbeitung hätte die (D) auf eine Vervollständigung des Antrags hinwirken und den Kläger zur Ergänzung der Angaben um die Quelle für die Kapitalerträge auffordern müssen. Das ergibt sich aus dem nach § 68 Nr. 1 SGB I auch im Ausbildungsförderungsrecht anwendbaren § 16 Abs. 3 SGB I, nach dem die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden. Dies hat die (D) unterlassen. Die Bewilligungsbescheide beruhen damit nicht auf der unvollständigen Angabe des Klägers hinsichtlich der Forderung gegen seinen Vater aus dem Darlehensvertrag vom September 2007 i.S.d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X.
Der Klage war nach alledem stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens ergibt sich aus § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.