Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.02.2011, Az.: 5 A 2522/09

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
09.02.2011
Aktenzeichen
5 A 2522/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45102
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen die Rücknahme der Häftlingshilfebescheinigung und der darauf beruhenden Gewährung von Eingliederungshilfeleistungen.

Der Kläger wurde C. in Niedersachsen geboren. Er nahm im August 1988 Kontakt zu der Fluchthelferorganisation D. auf. Am 03.09.1988 wurde er zusammen mit seiner damaligen Verlobten E. am Grenzübergang Drewitz / Dreilinden von DDR-Grenzsoldaten verhaftet, als er 3 Personen aus der DDR im Kofferraum seines Mercedes auszuschleusen versuchte.

Das Stadtgericht F. verurteilte den Kläger am 06.12.1988 wegen staatsfeindlichen Menschenhandels gemäß § 105 StGB/DDR zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten. Der Strafausspruch wurde durch das Urteil des Obersten Gerichts der DDR vom 14.02.1989 auf 8 Jahre Freiheitsstrafe erhöht. Der Kläger blieb in Untersuchungshaft in Hohenschönhausen bis April 1989 und wurde dann zur Verbüßung der Strafhaft verlegt. Laut Entlassungsschein der Haftanstalt G. wurde er am 22.12.1989 - nach seinen Angaben erst am 23.12.1989 - aus der Haft heraus nach Westberlin entlassen.

Das Landgericht F. hob mit Beschluss vom 01.11.1991 - 550 Rh 3 Js 815/91 (1318/90) - die Urteile vom 06.12.1988 und vom 14.02.1989 auf, rehabilitierte den Kläger und stellte fest, dass ihm für die durch den Freiheitsentzug erlittenen Nachteile Entschädigung zustehe.

Bereits zuvor im Mai 1991 hatte der Kläger beim Beklagten die Anerkennung als politischer Häftling sowie die Gewährung von Eingliederungshilfen beantragt. Zu Nr. 72 des Antragsvordrucks, worin es heißt: "Folgende Personen können bezeugen, dass ich weder im Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet, noch durch mein Verfahren gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen habe", machte er die folgenden Angaben: "Die Ständige Vertretung in der DDR." Des Weiteren erläuterte er die Gründe für seine Festnahme. Antragsgemäß wurde dem Kläger vom Beklagten mit Bescheid vom 16.10.1990 die Bescheinigung gemäß § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz (HHG) für den Gewahrsamszeitraum vom 03.09.1988 bis zum 22.12.1989 erteilt und Eingliederungshilfen in Höhe von insgesamt 1.280,00 DM gewährt.

In der Folgezeit beantragte und erhielt der Kläger mehrmals weitere Zuwendungen, u. a. mit Bescheid des Beklagten vom 18.03.2008 eine besondere Zuwendung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) in Höhe von 250,00 EUR monatlich, rückwirkend ab dem 01.09.2007. Im Zusammenhang mit diesem Antrag erging die Routineanfrage gegenüber der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR - BStU - nach der Zusammenarbeit des Klägers mit den Staatssicherheitsorganen der früheren DDR. Dazu teilte die BStU mit Datum vom 10.10.2008 und unter Übersendung umfangreicher Nachweise mit, es sei ersichtlich, dass der Kläger sich während seiner Untersuchungshaft unter dem Decknamen H. zur Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit - MfS - verpflichtet habe. Der Werbungsvorschlag vom 31.10.1988 sowie die handschriftliche Verpflichtung des Klägers vom 02.11.1988 liege vor, ferner 30 handschriftliche Berichte bis zum 06.04.1989 zu persönlichen Ansichten und Meinungen einzelner Mithäftlinge. Er habe 100,00 Mark für seine gute Zusammenarbeit mit dem MfS erhalten. Die Zusammenarbeit wurde mit dem Abbruchsgrund: Verlegung des Klägers in den Strafvollzug, beendet.

Der Beklagte gab dem Kläger mit den Schreiben vom 11.11.2009 und vom 30.11.2009 Gelegenheit, sich zu den Angaben der BStU und der beabsichtigten Rücknahme der Häftlingshilfebescheinigung sowie der Rückforderung der Eingliederungshilfeleistungen zu äußern. Dagegen protestierte er und gab an, dass er sich gegenüber dem Beklagten nicht rechtfertigen müsse. Das habe er beim Bundesnachrichtendienst in I. gemacht.

Mit Bescheid vom 28.05.2009 nahm der Beklagte den Bescheid vom 16.10.1990 zurück im Hinblick auf die gemäß § 10 Abs. 4 HHG ausgestellte Bescheinigung und die darin für den Gewahrsamszeitraum gewährten Eingliederungshilfeleistungen nach § 9a und 9b HHG in Höhe von 1.280,00 DM (654,45 EUR). Diese habe der Kläger zurückzuzahlen. Zur Begründung heißt es, der Kläger sei kein politischer Häftling im Sinne des Häftlingshilfegesetzes. Er habe die Bescheinigung, die Grundlage für die Leistungen nach dem HHG und dem StrRehaG sei, durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig gewesen seien im Sinne des § 48 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Er habe gemäß § 2 Abs. 1 HHG in dem Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet und gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Damit habe er einen Ausschließungsgrund erfüllt. Aus den Unterlagen der BStU ergebe sich, dass er für die Stasi gearbeitet habe. Die Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 HHG sei rechtswidrig ausgestellt worden. Auf Vertrauensschutz könne der Begünstigte sich nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch in wesentlicher Hinsicht unrichtige oder unvollständige Angaben erwirkt habe. Unter diesen Umständen werde der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen. Diese Voraussetzung lägen beim Kläger vor, denn er habe seine Tätigkeit für das MfS verschwiegen und damit die Erteilung der Bescheinigung und der darauf beruhenden Leistungsbescheide erwirkt. Im Rahmen des Ermessens sei das Interesse des Klägers an der Anerkennung als politischer Häftling mit den damit verbundenen Vorteilen gegen das öffentliche Interesse abzuwägen. Die Prüfung führe zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse überwiege, nur denjenigen Vergünstigungen zu gewähren, die dem im Gewahrsamsgebiet herrschenden System nicht erheblich Vorschub geleistet bzw. nicht gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen hätten und damit die Voraussetzungen des HHG zweifelsfrei erfüllten.

Der Kläger hat dagegen am 25.06.2009 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, der Bescheid sei rechtswidrig. Zwar habe er Informationen aus seiner Haftzelle an den Staatssicherheitsdienst weitergereicht. Dies sei jedoch nur erfolgt, weil er unter Druck gesetzt worden sei, solche Informationen zu erteilen. Nur unter dieser Voraussetzung sei es ihm gestattet worden, seine damalige Verlobte zu sehen, die in demselben Untersuchungsgefängnis wie er eingesperrt gewesen sei. Ihm sei mitgeteilt worden, dass sie an Gebärmutterhalskrebs erkrankt sei. Er sei damit erpresst worden, dass sie nur dann operiert werde, wenn er ausführliche Berichte über seine Mithäftlinge fertige. Freiwilligkeit i. S. d. § 2 Abs. 1 HHG habe nicht vorgelegen. Er habe mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, die in einem 3-monatigen Rhythmus in die Haftanstalt kommenden Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland auf seine Konfliktlage aufmerksam zu machen. Er habe ihnen kleine Zettel gegeben, die er sich zwischen die Finger geklemmt habe. Hierauf habe er mit Streichhölzern und Urin Kurznachrichten geschrieben, in denen er um Hilfe gebeten und mitgeteilt habe, dass er gezwungen werde, Berichte für die Staatssicherheit zu schreiben. Er sei mitunter bis zu 36 Stunden lang am Stück verhört worden. Er habe keine für die Staatssicherheit ("Stasi") relevanten Informationen weitergeleitet, sondern ausschließlich über die Gespräche in der Haftzelle berichtet. Diese seien vom Staatssicherheitsdienst ohnehin abgehört worden. Es mangele daher an der objektiven Erheblichkeit der Informationen. Im Hinblick auf die kurze Zeitdauer fehle es an der Nachhaltigkeit der Unterstützung des MfS. Auch habe er keine beachtliche Gefahrenlage für andere Personen geschaffen und damit nicht gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 28.05.2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid. Er verweist darauf, dass der Kläger bei der Beantragung der besonderen Zuwendung nach § 17a StrRehaG im Jahr 2008 die Frage: "Waren Sie als hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter oder auf vergleichbare Weise für die Staatssicherheit in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone / DDR … tätig?", mit "nein" beantwortet habe. Er habe ausweislich der Mitteilung der BStU vom 10.10.2008 während der Untersuchungshaft in 30 Fällen detaillierte Berichte zu Gefangenen abgeliefert und als Gegenleistung 100,00 Mark erhalten. Das zeige die Freiwilligkeit seiner Tätigkeit. Die Berichte seien geeignet gewesen, den Widerstand gegen das politische System der ehemaligen DDR zu unterdrücken. Auf die hiervon betroffenen Häftlinge habe das MfS unmittelbar Zugriff gehabt. Es dürften auch politische Gefangene unter den Bespitzelten gewesen sein, denen der Kläger gezielt Informationen entlockt habe. Ein inoffizieller Mitarbeiter habe keinen Einfluss darauf gehabt, ob und in welcher Weise die dem MfS zugetragenen Informationen anderer Mitarbeiter später zusammengeführt werden konnten. Der Grundsatz der Menschlichkeit sei bereits dadurch verletzt, dass er freiwillig durch das Eindringen in die Privatsphäre Anderer und Missbrauchs des persönlichen Vertrauens Informationen über Mitbürger gesammelt habe. Er - der Beklagte - habe sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt, indem er in die Abwägung eingestellt habe, dass derjenige, der möglicherweise deshalb für die Staatssicherheit tätig geworden sei, um zumindest auch Vergünstigungen zu erhalten, nicht zweifelsfrei die Anforderungen des HHG erfülle. In diesem Falle überwiege das öffentliche Interesse an der Rücknahme des rechtswidrigen Bescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten - Beiakten A - D - verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und auch begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 28.05.2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er ist daher aufzuheben.

Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden, nach § 48 Abs. 1 Satz 2 ein begünstigender Verwaltungsakt aber nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, nicht zurückgenommen werden, wenn der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich nach Satz 3 nicht berufen, wer (Satz 3 Nr. 2) den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren bzw. wer (Satz 3 Nr. 3) die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Unter dieser Voraussetzung wird ein Verwaltungsakt, der eine Geldleistung betrifft oder hierfür Voraussetzung ist, in der Regel für die Vergangenheit zurückgenommen, § 48 Abs. 2 Satz 4 VwVfG.

Der Beklagte war nicht berechtigt, die Häftlingshilfebescheinigung vom 16.10.1990 mit Bescheid vom 28.05.2009 zurückzunehmen. Er hat sich zur Begründung darauf berufen, dass die Bescheinigung rechtswidrig ausgestellt worden sei, weil der Ausschlusstatbestand des § 2 Abs. 1 HHG gegeben sei. Hiernach werden Leistungen nach dem Häftlingshilfegesetz nicht gewährt an Personen, die (Nr. 1) dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet haben bzw. (Nr. 2) gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben.

Der Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG liegt nicht vor. Diesen erfüllt derjenige, der „freiwillig ein Amt oder einen sonstigen Tätigkeitsbereich übernommen hat, deren wahrzunehmenden Funktionen dazu bestimmt und geeignet waren, in nicht unerheblicher Weise den Herrschaftsanspruch der früheren SED und das von ihr getragene System zu festigen, auszudehnen oder den Widerstand gegen dieses System zu unterdrücken, sofern er die ihm übertragenen Aufgaben wahrgenommen, ihm gegebene Weisungen befolgt und damit dem System und seinen Zielen in der Tat nachhaltig gedient hat (BVerwG, B. v. 12.02.1991, DÖV 1991, 508 [BVerwG 12.02.1991 - BVerwG 9 B 244.90]). Hierunter kann die hauptamtliche Tätigkeit für die SED als Leiter der Sicherheitsabteilung einer Stadtbezirksleitung fallen (BVerwG, a.a.O.) oder eine jahrelange Spitzeltätigkeit für das MfS, wenn Zeitdauer, zu überwachender Personenkreis, Art der Berichte und ihre Intensität (dort 50 – 60 Personen) dies rechtfertigen. Die über den Kläger vorliegenden Erkenntnisse geben nur wieder, dass er von November 1988 bis April 1989 für das MfS Berichte über seine Mitgefangenen gefertigt hat. Er war eindeutig nicht in den Staatsapparat eingebunden. Diese wenige Monate dauernde Tätigkeit lässt die Schlussfolgerung, dass er dadurch dem System und seinen Zielen „nachhaltig“ gedient und damit erheblich Vorschub geleistet hat, nicht zu.

Im Rücknahmebescheid vom 28.05.2009 bezieht sich der Beklagte aber auch auf das Vorliegen der Ausschlussregelung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG, d. h. dem Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit. Gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstößt, wer freiwillig und gezielt, insbesondere auch durch Eindringen in die Privatsphäre anderer und Missbrauch des persönlichen Vertrauens, Informationen über Mitbürger gesammelt und an den auch in der DDR für seine repressive und menschenverachtende Tätigkeit bekannten Staatssicherheitsdienst weitergegeben hat. Notwendig sind erhebliche, gegen die Gemeinschaftsordnung verstoßende Handlungen. Es genügt, dass sich der Einzelne als Denunziant oder Spitzel freiwillig betätigte, um hieraus eigene Vorteile zu erlangen. Eine Spitzeltätigkeit für die Stasi unter Inkaufnahme einer Drittschädigung begründet im Regelfall einen Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit (BVerwG, U. v. 19.01.2006 - 3 C 11/05 -, Buchholz 428.7 § 16 StrRehaG Nr. 2 und - juris -; U. v. 08.03.2002 - BVerwGE 116, 100 und - juris -).

Der Umstand, dass der Kläger in 30 handschriftlichen Berichten unter dem Decknamen "Weber" dem MfS schriftlich über seine Mithäftlinge berichtet hatte, stellt zwar ein Indiz dafür dar, dass er durch sein Verhalten gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen hatte. Da diese Berichte, soweit sie vorliegen, auch mögliche zukünftige Fluchthilfevorhaben der Mitgefangenen zum Gegenstand haben, sind sie nicht auch nicht von vornherein als belanglos und damit als nicht dem Ausschlusstatbestand unterfallend zu betrachten. Dass diese Berichte nicht zu einer Gefahrenlage für seine Mithäftlinge und eine darin erwähnte "DDR-Bürgerin" geführt haben dürften, ist wohl auch bzw. in erster Linie der Maueröffnung im November 1989 zu verdanken, ein Umstand, welcher dem Kläger nicht zugute kommen kann. Auf der anderen Seite ist aber zugunsten des Klägers zu berücksichtigen und dass er nach der Verlegung vom Untersuchungsgefängnis in die Strafhaft nicht mehr als IM tätig war, d. h. der Zeitraum seiner Mitarbeit nur den Zeitraum von 5 Monaten umfasste.

Vor allem spricht gegen das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit, dass er diese Berichte unter dem Druck der DDR-Untersuchungshaft gefertigt hat, seine Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) mithin nicht freiwillig erfolgte. Der Kläger hat dazu in der Klagebegründung angegeben, ihm sei angedroht worden sei, seine an Krebs erkrankte Verlobte, die in demselben Untersuchungsgefängnis inhaftiert war, würde im Falle der Weigerung zur Mitarbeit nicht operiert. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung ausführlich und zur Überzeugung des Gerichts dargelegt, dass diese Angaben den Tatsachen entsprechen. Er sei in Einzelhaft genommen worden und er sei damit erpresst worden, dass der bei seiner Verlobten festgestellte Gebärmutterhalskrebs anderenfalls nicht operiert werde, um ihn zur Zusammenarbeit zu bewegen. Deshalb und auch um seine Verlobte sehen zu können, habe er seine Ablehnung zur Zusammenarbeit mit der Stasi aufgegeben Dieser Umstand, der sich deckt mit der Äußerung seines Führungsoffiziers (Werbungsvorschlag vom 31.10.1988, BStU 000005), dass er wiederholt Schuldgefühle im Hinblick auf seine Verlobte geäußert habe, verdeutlicht die Unfreiwilligkeit der Zusammenarbeit, denn in dem Werbungsvorschlag heißt es, dass diese Schuldgefühle ausgenutzt werden sollten, um ihn zur Kooperation mit dem MfS zu bewegen. Der Kläger hat damit dargetan, dass er sich nicht freiwillig, sondern "unter dem Druck der Haft" zu der Mitarbeit bereiterklärt hatte. Es ist nachvollziehbar, dass gerade für ihn, der seine Verlobte trotz ihrer bis dahin zu Ausschleusungsversuchen geäußerten ablehnenden Haltung zu der Mithilfe bei dem konkreten Fluchthilfeversuch am 03.09.1988 bewegt hatte, der Druck unerträglich war. Ein zurechenbares, vorwerfbares Verhalten kann nicht bejaht werden. In subjektiver Hinsicht liegen damit die Voraussetzungen für den Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit nicht vor (BVerwG, U. v. 19.01.2006 - a. a. O., Rdnr. 25).

Im Übrigen bejaht der Beklagte in dem angefochtenen Bescheid aber auch zu Unrecht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG, denn der Kläger hatte den aus des Sicht des Beklagten rechtswidrigen Häftlingshilfebescheid nicht durch Angaben erwirkt, die in wesentlicher Beziehung unrichtig waren. Der Kläger hatte zu Punkt 72 im HHG-Antragsvordruck, welcher lautet: "Folgende Personen können bezeugen, dass ich weder im Gewahrsamsgebiet dem dort herrschenden politischen System erheblich Vorschub geleistet, noch durch mein Verfahren gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen habe", ausgefüllt: "Die Ständige Vertretung in der DDR." Damit hat er aus seiner subjektiven Sicht bereits keine unrichtigen Angaben gemacht. Denn er sah seine Berichte über Mitgefangene offensichtlich nicht als Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit an. Nach seiner Tätigkeit für das MfS war er nicht gefragt worden. Vielmehr war von ihm als juristischem Laien eine Subsumtion unter einen abstrakten Rechtssatz mit mehreren unbestimmten Rechtsbegriffen verlangt worden und insoweit hat er - inzident - geantwortet, er habe nicht gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit verstoßen, was die Ständige Vertretung der BRD bestätigen könne. Es ist gerichtsbekannt, dass in anderen vergleichbaren Anträgen danach gefragt wird, ob der Betreffende in irgendeiner Weise mit Organen der Staatssicherheit in Verbindung gekommen sei. Im Gegensatz dazu war in dem hier streitigen Antragsformular keine Stelle vorhanden, in der der Kläger auf seine Tätigkeit als IM hätte hinweisen können. Diesen Mangel in dem Antragsformular muss der Beklagte gegen sich gelten lassen (BVerwG, U. v. 25.10.1978 - VIII C 55.75 -, Buchholz 454.4, § 26 II. WoBauG Nr. 1, juris). Er kann sich nicht darauf berufen, der Kläger habe Angaben verschwiegen, die zu der Ablehnung seines Antrages auf Erteilung einer Häftlingshilfebescheinigung geführt hätten (so auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, Komm., 10. A., § 48, Rdnr. 11). Diese Rechtsauffassung neigt offenbar auch das VG Berlin (U. v. 03.09.2008 - 9 A 2.08 -, juris) im Hinblick auf die Regelung zu § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG zu. Ebenso wie hier hat das VG Würzburg (U. v. 15.07.2002 - W 8 K 02.122 - juris, Nr. 33) in einem Vergleichsfall ausgeführt, dass das bloße Unterlassen von ungefragten Angaben unrichtigen oder unvollständigen Angaben nicht gleichsteht. Die Behörden müssten einen Mangel des Antragsformulars, das bestimmte Angaben nicht vorsieht, gegen sich gelten lassen und könnten nicht etwa den Beteiligten fehlende Angaben vorwerfen.

Dass der Kläger in einem späteren Antrag, der zu dem Bewilligungsbescheid vom 18.03.2008 über die monatliche Zuwendung nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz geführt hat, die ausdrückliche Frage nach der Mitarbeit beim Staatssicherheitsdienst (zu Unrecht) verneint hatte, gereicht ihm nicht zum Nachteil, weil hier maßgeblich nur seine Angaben vor dem Erlass des Bescheides vom 16.10.1990 und nicht seine 18 Jahre später gemachten Angaben waren. Die Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 16.10.1990 lagen nicht vor mit der Folge, dass der Rücknahmebescheid vom 25.08.2009 der Aufhebung unterliegt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden in HHG-Verfahren nicht erhoben (Bay VGH, B. v. 30.11.1981 - 8 C 81 A. 1790). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.