Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 14.02.2011, Az.: 4 B 568/11

Nutzungsuntersagung eines Freizeitzentrums für regelmäßige Discoveranstaltungen, Partyveranstaltungen und Konzertveranstaltungen wegen Fehlens einer Baugenhemigung und der Nähe zu einem Wohnbaugebiet

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
14.02.2011
Aktenzeichen
4 B 568/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 12690
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2011:0214.4B568.11.0A

Verfahrensgegenstand

Streitgegenstand: Nutzungsuntersagung
- Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO -

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 4. Kammer -
am 14. Februar 2011
durch
die Einzelrichterin
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 60.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragstellerin wendet sich gegen eine für sofort vollziehbar erklärte Nutzungsuntersagung der Antragsgegnerin.

2

Aufgrund von Nachbarbeschwerden stellte die Antragsgegnerin fest, dass die Antragstellerin im ehemaligen D. auf dem Grundstück E. in F. ein Veranstaltungszentrum u. a. für Discoveranstaltungen (z. B. Ü30 Disco-Night), Abifeten, Live-Acts und Partys (z. b. Der totale Suff/Abgefuckt, donnerstags Afterwork) betreibt, an denen ausweislich der entsprechenden Internetseiten bis zu 1.600 Personen teilnehmen. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. G., der hier nachrichtlich Fläche für Bahnanlagen angibt. Die dem Bahnhofsgebäude gegenüberliegende Bebauung auf der anderen Seite der H. liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. I., der hier ein allgemeines Wohngebiet und einen Kinderspielplatz festsetzt.

3

Für den ehemaligen D. wurde unter dem 30.06.04 die Nutzung durch ein Restaurant mit Cocktailbar und einer kleinen, in die Bestuhlung integrierten Tanzfläche genehmigt. Ausdrücklich nicht Gegenstand der Genehmigung sind Discothekenveranstaltungen und Live-Konzerte mit erheblicher Lautstärke.

4

Nach vorheriger Anhörung forderte die Antragsgegnerin die Antragstellerin mit Verfügung vom 19.01.11 auf, die Nutzung des ehemaligen J. als Veranstaltungszentrum und/oder Versammlungsstätte für. u. a. Discoveranstaltungen mit/ohne Livemusik, Abifeten, -bälle. Live-Acts, Schüler- und Studentenpartys, Partys allgemein unverzüglich und auf Dauer einzustellen. Sie ordnete die sofortige Vollziehung an und drohte für den Weigerungsfall ein Zwangsgeld an. Zur Begründung gab sie im Wesentlichen an, die Antragstellerin betreibe das Veranstaltungszentrum ohne die erforderliche Baugenehmigung. Zudem sei nicht geklärt, ob das denkmalgeschützte Gebäude für diese Art der Nutzung hinreichend standsicher sei, und ob im Brandfall, ausreichend Rettungswege zur Verfügung stünden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei erforderlich, weil es nicht hingenommen werden könne, dass sich der eigenmächtig geschaffene rechtswidrige Zustand für die Dauer eines Genehmigungsverfahrens verfestige. Außerdem seien Gefahren für Leib und Leben der Besucher des Veranstaltungszentrums nicht ausgeschlossen.

5

Hiergegen erhob die Antragstellerin unter dem 26.01.11 Widerspruch.

6

Am 31.01.11 hat die Antragstellerin um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung trägt sie vor, aufgrund der von der Antragstellerin erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnisse vom 06.10.09 und 29.01.10 sei sie berechtigt, in den immerhin 331 m2 großen Schankräumen eine Tanzbar zu betreiben. Unter dem Begriff "Tanzbar" verstehe man auch Discoveranstaltungen und bei der Größe der Fläche seien auch größere Besucherzahlen selbstverständlich. Zudem sei die Verfügung überzogen, da nun noch nicht einmal ein Stehgeiger beim Restaurantbetrieb spielen dürfe.

7

Die Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Nutzungsuntersagung der Antragsgegnerin vom 19.01.11 wieder herzustellen.

8

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

9

Sie betont, dass mit dem Betrieb eines Veranstaltungszentrums eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung vorliege und bereits die formelle Illegalität der Nutzung ihre Verfügung rechtfertige.

10

Die Kammer hat das Verfahren nach § 6 Abs. 1 VwGO der Berichterstatterin zur Entscheidung als Einzelrichterin übertragen.

11

Neben der Gerichtsakte waren die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Gegenstand der Entscheidungsfindung. Auf ihren Inhalt wird ergänzend Bezug genommen.

12

II.

Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ist zulässig, aber nicht begründet.

13

In formeller Hinsicht ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung vom 19.01.11 nicht zu beanstanden. Die Antragsgegnerin hat insbesondere das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Nutzungsuntersagung ausreichend begründet und damit der Formvorschrift des § 80 Abs. 3 VwGO entsprochen. Sie hat neben dem allgemeinen Interesse ah der Beseitigung des angenommenen formell baurechtswidrigen Zustands insbesondere auf die Gefahren für Leib und Leben der Besucher hingewiesen, die aus den ungeklärten Brandschutz- und Statikerfordernissen erwachsen können, und dies mit dem aus ihrer Sicht geringeren Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Fortführung der bislang nicht genehmigten Nutzung abgewogen. Mit diesen Erwägungen ist sie ihrer formellen Verpflichtung zur einzelfallbezogenen Begründung der Sofortvollzugsanordnung hinreichend nachgekommen.

14

Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung in Fällen wiederherstellen, in denen - wie hier - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Behörde nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO entfällt. Das Ergebnis des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist abhängig von einer vorzunehmenden Abwägung des privaten Interesses, das der Antragsteller an der Fortsetzung der Nutzung hat, mit dem öffentlichen Interesse an der Untersagung einer möglicherweise rechtswidrigen Nutzung. Hierbei kommt den voraussichtlichen Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens maßgebliche Bedeutung zu. Nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung lässt sich absehen, dass die streitige Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist. An der Aufrechterhaltung einer offensichtlich rechtswidrigen Nutzung besteht kein schützenswertes Interesse, so dass das öffentliche Interesse überwiegt.

15

Die Nutzungsuntersagungsverfügung ist in der Sache offensichtlich rechtmäßig. Nach § 89 Abs. 1 Satz 1 NBauO kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn bauliche Anlagen dem öffentlichen Baurecht widersprechen, nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind; sie kann namentlich die Benutzung von baulichen Anlagen untersagen (Satz 2 Nr. 5).

16

Die Nutzung des ehemaligen J. als Veranstaltungszentrums widerspricht dem öffentlichen Baurecht allein schon wegen des Fehlens der hierfür erforderlichen Baugenehmigung. Die Antragstellerin bedarf für die hier streitige Nutzung einer Baugenehmigung. Nach §§ 68, 69 Abs. 4 Nr. 1 NBauO ist für die Änderung der Nutzung einer baulichen Anlage eine Baugenehmigung erforderlich, wenn das öffentliche Baurecht an die bauliche Anlage in der neuen Nutzung andere oder weiter gehende Anforderungen stellt. Das ist hier der Fall.

17

Zwischen den Beteiligten ist nicht ernstlich streitig, dass die nunmehr aufgenommene Nutzung als Veranstaltungszentrum von der unter dem 30.06.04 erteilten Baugenehmigung nicht mehr umfasst wird, sondern deren Bandbreite verlässt. Sowohl das Bauordnungs- als auch das Bauplanungsrecht stellen an die Änderung der Nutzung der bislang schwerpunktmäßig als Restaurant für max. 160 Personen genehmigten Räumlichkeiten für ein Veranstaltungszentrum für regelmäßige Disco-, Party- und Konzertveranstaltungen mit über 1.000 Besuchern andere Anforderungen und zwar nicht nur - worauf die Antragsgegnerin zurecht hinweist - im Bereich des Brandschutzes. Außerdem ist der Nachweis erforderlich, ob die im Gebäude befindlichen Emporen, die für 12 Speisetische für zwei bzw. vier Personen ausgelegt sind, einer Nutzung als Tanzfläche für hundert Menschen statisch gewachsen sind. Ebenfalls ungeklärt ist die Frage nach den erforderlichen zusätzlichen Stellplätzen. Es liegt zudem auf der Hand, dass die neue Nutzung verstärkte Lärmemission insbesondere durch den in den Nachtstunden stattfindenden Zu- und Abgangsverkehr nach sich zieht. Die Prüfung, ob diese zusätzliche Lärmbelastungen mit dem gegenüberliegenden Wohngebiet überhaupt kompatibel sind oder welche Auflagen erforderlich sind, muss einem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten bleiben.

18

Die gegen die Nutzungsuntersagung vorgebrachten Einwände der nach § 61 NBauO verantwortlichen Antragstellerin greifen nicht durch.

19

Nach ständiger Rechtsprechung des OVG Lüneburg, der sich das Gericht anschließt, darf die Bauaufsichtsbehörde regelmäßig ein Nutzungsverbot schon allein wegen eines Verstoßes gegen das formelle Baurecht, also wegen des Fehlens der erforderlichen Baugenehmigung, erlassen (vgl. nur OVG Lüneburg, Bes. v. 08.05.87, NVwZ 1989, 170f [OVG Niedersachsen 08.05.1987 - 6 B 10/87]). Denn das Baugenehmigungsverfahren dient der Überprüfung in bauordnungsrechtlicher und bauplanungsrechtlicher Hinsicht und damit dem Schutz der Benutzer sowie der Umgebung. Auf die präventive Kontrolle von Baumaßnahmen kann grundsätzlich nicht verzichtet werden um Gefahren für die Allgemeinheit durch - möglicherweise - materiell unzulässige Baumaßnahmen zu verhindern. Für die hier streitige Nutzungsänderung, die die Frage der Genehmigungsfähigkeit aufwirft, hat nichts anderes zu gelten. Das Vorgehen der Antragstellerin, nämlich die genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung vorzunehmen, ohne einen Bauantrag zu stellen und die Genehmigung abzuwarten und dadurch vollendete Tatsachen zu schaffen, würde im Ergebnis dazu führen, dass die Baugenehmigungsbehörde im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes darlegen und glaubhaft machen müsste, dass ein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nicht besteht. Damit aber würde die präventive Kontrolle im Baugenehmigungsverfahren unterlaufen. Das Genehmigungsverfahren kann auch nicht in das gerichtliche Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO verlagert werden. Hierfür ist es schon wegen seines Charakters als Eilverfahren ungeeignet. Es ist nicht seine Aufgabe, das Baugenehmigungsverfahren gleichsam vorwegzunehmen und die Einzelprüfungen in dieses Verfahren zu verlagern.

20

An der strikten Durchführung des formellen Baugenehmigungsverfahrens besteht ein gewichtiges öffentliches Interesse, das soweit reicht, dass bis zum Abschluss des Genehmigungsverfahrens selbst mit materiell rechtmäßigen Baumaßnahmen nicht begonnen werden darf (vgl. § 78 Abs. 1 NBauO). Es erscheint nicht angängig, dem gesetzestreuen Bürger das Opfer der mit dem Genehmigungsverfahren zwangsweise verbundenen Verzögerung des Beginns mit der Baumaßnahme aufzuerlegen, demjenigen hingegen, der die Vorschriften über das Genehmigungsverfahren missachtet, von den entsprechenden Beschränkungen zu entbinden (OVG Lüneburg, Bes. v, 29.03.65, BRS 16 Nr. 130). Gesonderter Ermessenserwägungen bedarf es daher grundsätzlich nicht.

21

Gleichwohl mag es seltene Ausnahmefälle geben, in denen eine Durchbrechung des Grundsatzes, dass allein die formelle Baurechtswidrigkeit die Anordnung eines Nutzungsverbotes rechtfertigt, geboten ist. In Frage kommt u. a. gegebenenfalls der Fall, dass die materielle Legalität der Baumaßnahme ohne weiteres offensichtlich und außer Zweifel ist oder ein Vertrauensschutz besteht oder das Vorgehen ermessensfehlerhaft ist (OVG Lüneburg, a. a. O.).

22

Im vorliegenden Fall sind Gründe, die ein Abweichen von der Regel als geboten erscheinen lassen könnten, nicht ersichtlich:

23

Die Nutzung des K. als Veranstaltungszentrum ist wegen der zahlreichen oben genannten offenen Fragen nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Es spricht im Gegenteil einiges dafür, dass eine Genehmigung wegen der unmittelbaren Nähe zur Wohnbebauung schwierig und u. U. nur unter Auflagen möglich ist.

24

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ergibt sich Abweichendes auch nicht aus den 2009 bzw. 2010 erteilten gaststättenrechtlichen Genehmigungen zum Betrieb einer Tanzbar. Dehn die Gaststättenbehörde kann spezifisch baurechtliche Fragen, die sich im Rahmen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 GastG stellen, nicht mit Bindungswirkung für ein noch ausstehendes Baugenehmigungsverfahren entscheiden, die bindende Klärung derartiger Fragen muss vielmehr in dem darauf zugeschnittenen Baugenehmigungsverfahren durch die Bauaufsichtsbehörde erfolgen (so BVerwG, Urt. v. 17.10.89 -1 C 18/87 -, [...]). Die erforderliche Baugenehmigung wird durch die Erteilung von Gaststättenerlaubnissen jedenfalls nicht präjudiziell.

25

Die Nutzungsuntersagung ist auch nicht unverhältnismäßig. Sie ist vielmehr ein geeignetes Mittel zur Herstellung baurechtmäßiger Zustände. In der Person des Betroffenen begründete Umstände, die dem bauaufsichtlichen Einschreiten u. U. entgegen stehen könnten, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Ihre Befürchtung, nun könne nicht einmal ein Stehgeiger beim Speisebetrieb auftreten, teilt das Gericht nicht. Ein derartiger Auftritt wäre in jedem Fall von der Baugenehmigung vom 30.06.04 umfasst.

26

Die unter dem 19.01.11 verfügte Androhung eines Zwangsgeldes rechtfertigt sich aus § 89 Abs. 4 NBauO i. V. m, §§ 64 ff NGefAG. Da von der Antragstellerin lediglich ein Unterlassen gefordert ist, durfte das Zwangsmittel auch mit der kurzen Wochenfrist angedroht werden.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertbemessung ergibt sich auf der Grundlage des § 52 Abs. 2 GKG. Nach dem Streitwertkatalog der Bausenate beim OVG Lüneburg ist eine Nutzungsuntersagung mit dem Jahresmietwert zu bewerten, den das Gericht hierauf mindestens 120.000,00 EUR schätzt. Für das vorliegende Eilverfahren ist dieser Wert zu halbieren.