Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.11.1996, Az.: I 346/96
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.11.1996
- Aktenzeichen
- I 346/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 26865
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:1119.I346.96.0A
Fundstelle
- NWB 1997, 1635
In dem Rechtsstreit
wegen Vermögensteuer auf den 01.01.1993
hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 19. November 1996, an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht .
Richter am Finanzgericht .
Richter am Finanzgericht .
ehrenamtlicher Richter . Geschäftsführer
ehrenamtliche Richterin . Redakteurin
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten.
Tatbestand:
Im Streit ist die Festsetzung von Vermögensteuer mit Bescheid auf den 01.01.1993, obwohl nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BStBl II 1995, 655, § 10 Nr. 1 Vermögensteuergesetz (VStG), in der auf den 01.01.1993 gültigen Fassung, nach dem die Vermögensteuer für natürliche Personen 0,5 v.H. des steuerpflichtigen Vermögens beträgt, mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.
Nach der von der Klägerin (Kl'in) abgegebenen Vermögensteuererklärung auf den 1. Januar 1993 besteht das vermögen der Kl'in aus Kapitalforderungen, inländischen Zahlungsmitteln und Guthaben und Aktien. Das Finanzamt (FR) hat die Vermögensteuer nach dem Vermögensteuergesetz in der Fassung vom 14. November 1990 mit Bescheid auf den 01.01.1993 vom 20.07.1994 für 1993 und für 1994 auf jeweils 395 DM jährlich festgesetzt. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage, zu deren Begründung die Kl'in im wesentlichen ausführt:
Es sei für sie aus rechtsstaatlichen Gründen nicht hinnehmbar, daß das Bundesverfassungsgericht die Interessen eines in der Steuerpolitik unseriös geführten Staates über die Einzelinteressen an einer gerechten Besteuerung des Bürgers stelle. § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) sehe grundsätzlich vor, daß alle noch nicht rechtskräftigen Verwaltungsakte zu korrigieren seien, wenn sie auf einer für nichtig erklärten Norm beruhten. Das Argument, daß eine zuverlässige Finanz- und Haushaltsplanung die Fortgeltung des verfassungswidrigen Gesetzes für eine Übergangszeit erfordere, könne nicht als Dauerbegründung dazu dienen, daß der Bürger eine verfassungswidrige Steuer begleichen müsse. Der Gesetzgeber habe kein Interesse an einer gerechten Besteuerung gezeigt. Die Verfassungswidrigkeit herrsche seit Jahrzehnten vor. Dies habe der Gesetzgeber bewußt in Kauf genommen. Es sei dann äußerst bedenklich, wenn das Bundesverfassungsgericht einen derart nachlässigen Gesetzgeber derart rücksichtsvoll behandele und damit die Rechtsinteressen und den Rechtsschutz des Bürgers ausschalte. Eine verläßliche Haushalts- und Finanzlage des Staates sei wohl ein gewichtiges Argument. Es könne aber dann nicht gelten, wenn der Gesetzgeber in grob fahrlässiger weise bewußt verfassungswidrige Gesetze in Kauf nehme. Mit dem angefochtenen Bescheid habe das FR auch Vorauszahlungen festgesetzt, die über das Kalenderjahr 1996 hinausgehen würden. Da aber nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1995 das Vermögensteuergesetz in der jetzigen Fassung auf 01.01.1997 nicht mehr angewandt werden dürfe, benötige die Kl'in die Chance des vorläufigen Rechtsschutzes, den sie nur erreichen könne, wenn der Vermögensteuerbescheid angefochten werde. Das Gericht sei, -; auch nach § 31 BVerfGG -; gehalten, eine verfassungswidrige Norm rückwirkend als aufgehoben anzusehen. Deshalb habe der Senat zu prüfen, ob wegen § 79 Abs. 2 BVerfGG ein Vorlagebeschluß gem. Art. 100 Grundgesetz zulässig sei. Komme ein Vorlagebeschluß nicht in Betracht, so bedeute dies, daß dem Grunde nach jeder Steuerbürger schutzlos den Widrigkeiten des deutschen Rechtsstaates ausgesetzt sei. Es bestehe dann die tatsächliche Möglichkeit, daß der Gesetzgeber verfassungswidrige Tatbestände bewußt Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte in Kauf nehmen könne. Unter diesen Voraussetzungen sei auch zu prüfen, ob eine Möglichkeit bestehe, den Europäischen Gerichtshof anzurufen und überprüfen zu Lassen, ob eine derartige Rechtsschutzsituation mit den Konventionen zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Einklang stehe.
Die Kl'in beantragt,
den Bescheid auf den 01.01.1993 über Vermögensteuer vom 20. Juli 1994 und den Einspruchsbescheid vom 4. Juli 1996 aufzuheben und die Vermögensteuer ab 1993 auf 0 DM herabzusetzen,
hilfsweise,
einen Vorlagebeschluß nach Art. 100 Grundgesetz an das Bundesverfassungsgericht oder alternativ an den Europäischen Gerichtshof zu erlassen,
weiterhin hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Der Beklagte (Bekl.) beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bekl. trägt vor: Das FR habe mit der Veranlagung zur Vermögensteuer auf den 01.01.1993 nicht gegen das zur Zeit geltende Vermögensteuerrecht verstoßen. Das FR sei an die geltenden Gesetze gebunden und habe entsprechend der Anweisung der Oberfinanzdirektion Hannover gehandelt. Rufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 bestehe keine Veranlassung mehr, Rechtsbehelfe gegen Vermögensteuerbescheide ruhen zu Lassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei das bisher geltende Recht bis zum 31. Dezember 1996 anzuwenden.
Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Vermögensteuerakten des FR Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet.
Das beklagte FR hat die Vermögensteuer nach dem am Stichtag geltenden VStG zutreffend festgesetzt. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar mit dem Beschluß vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 festgestellt, daß § 10 Nr. 1 VStG in der auf den Stichtag 01.01.1993 geltenden Fassung insofern mit dem Grundgesetz unvereinbar ist, als diese Vorschrift das zu Gegenwartswerten erfaßte vermögen mit demselben Steuersatz wie den Grundbesitz belastet, obwohl dessen Bewertung entgegen dem gesetzlichen Konzept gegenwartsnaher Bewertung seit 1964/74 nicht mehr der Wertentwicklung angepaßt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in dem zitierten Beschluß, Seite 665 unter Ziffer 3, ausgeführt, daß die Erfordernisse einer verläßlichen Finanz- und Haushaltsplanung die Anwendung des bisherigen Rechts für die Vergangenheit und für eine Übergangszeit noch rechtfertigen und daß deshalb das bisher geltende Recht bis zum 31. Dezember 1996 weiterhin anzuwenden ist. Hieran ist der Senat nach § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden.
Soweit die Kl'in rügt, daß über den 31. Dezember 1996 hinaus Vorauszahlungen festgesetzt sind, weist der Senat darauf hin, daß die Festsetzung von Vorauszahlungen ein gesonderter Verwaltungsakt ist, der gesondert hätte angefochten werden müssen. Dies ist nicht geschehen. Es bleibt der Kl'in, sich bei der Hauptveranlagung auf den 01.01.1995 gegen die Festsetzung von Vermögensteuer über den 31.12.1996 hinaus zu wenden.
Da das Bundesverfassungsgericht die streitige Rechtsfrage bereits entschieden hat, kommt ein erneuter Vorlagebeschluß nach Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz nicht in Betracht. Das Gericht vermag auch nicht zu erkennen, daß der Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 mit den Konventionen zum Schutz der Menschenrecht und Grundfreiheit nicht im Einklang steht. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof scheidet daher aus.
Da die Entscheidung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht und damit die Grundsatzfrage geklärt ist, hat das Gericht die Revision nicht zugelassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung.