Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 21.11.1996, Az.: III 360/96
Befugnis der Deutschen Post zur Vornahme förmlicher Zustellungen; Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Ordnungsmäßigkeit der Ladungen durch Postzustellungsurkunden
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 21.11.1996
- Aktenzeichen
- III 360/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 16473
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1996:1121.III360.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 16 Abs. 1 PostG
- § 164 Abs. 2 AO
- § 53 Abs. 2 FGO
- § 110 Abs. 1 Satz 1 AO
Amtlicher Leitsatz
Förmliche Zustellungen durch Deutsche Post AG. Die Deutsche Post AG ist kraft der Beleihung durch § 16 Abs. 1 PostG ab 01.01.1995 befugt, förmliche Zustellungen nach dem VwZG vorzunehmen.
Der III. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 21. November 1996,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin Krankenschwester
ehrenamtlicher Richter Geschäftsführer
fürRecht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist im wesentlichen streitig, ob das beklagte Finanzamt (FA) hinsichtlich von den Klägern verspätet eingelegter Einsprüche gegen an sie ergangene Grunderwerbsteuerbescheide eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht abgelehnt hat.
Die Kläger erwarben durch Grundstückskaufvertrag vom 14. März 1991 je zur ideellen Hälfte ein in O. belegenes Grundstück zu einem Kaufpreis von 55.000 DM. Das FA setzte gegen die Kläger durch gemäß § 164 Abgabenordnung - AO - vorläufige Bescheide vom 11. Juni 1991 Grunderwerbsteuer von jeweils 550 DM fest. Durch gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderte Bescheide vom 14. September 1995 bezog das FA auch die Herstellungskosten eines von den Klägern auf dem von ihnen erworbenen Grundstück errichteten Gebäudes in Höhe eines gemäß § 162 AO geschätzten Betrags von 185.000 DM anteilig in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer ein und setzte gegen die Kläger nunmehr Grunderwerbsteuer von jeweils 2.400 DM fest. Zur Begründung der Schätzung der Herstellungskosten des Gebäudes war in den Bescheiden ausgeführt, daß die Kläger trotz mehrmaliger Aufforderung keine Unterlagen über die Baukosten eingereicht hätten. Die Grunderwerbsteuerbescheide vom 14. September 1995 wurden den Klägern mit Postzustellungsurkunde zugestellt und der Klägerin ausweislich der Postzustellungsurkunden am 14. September 1995übergeben. Am 21. Dezember 1995 haben die Kläger an Amtsstelle Einspruch gegen die Bescheide vom 14. September 1995 eingelegt und gleichzeitig unter Hinweis auf mehrere Krankheiten um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachgesucht. Zum Nachweis der Krankheiten wurden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Kläger für den Zeitraum vom 15. Mai 1995 bis 16. Juni 1995 sowie ferner vom 18. Oktober 1995 bis 27. Oktober 1995 vorgelegt.
Das FA verwarf die Einsprüche durch Bescheide vom 20. Februar 1996 als unzulässig. Es Lehnte eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung ab, daß die vom Kläger nachgewiesenen Krankheitstage außerhalb der Rechtsbehelfsfrist gelegen hätten und andere Wiedereinsetzungsgründe nicht ersichtlich seien.
Hiergegen richtet sich die Klage, zu deren Begründung die Kläger vortragen: Sie hätten bei dem FA die von ihm angeforderten Unterlagen vor Ergehen der Änderungsbescheide vom 14. September 1995 eingereicht. Im September 1995 hätten sie zur Niederschrift bei dem FA Einsprüche gegen die angegriffenen Bescheide eingelegt. Die Begründung der Einsprüche habe sich dann krankheitsbedingt verzögert.
Die Kläger beantragen sinngemäß,
die Einspruchsbescheide vom 20. Februar 1996 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hält daran fest, daß die Kläger die Einspruchsfrist versäumt hätten. Die Behauptung der Kläger, sie hätten bereits im September 1995 Einspruch eingelegt, treffe nicht zu. Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen nimmt der Senat auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die beim FA geführte Grunderwerbsteuerakte (Steuer-Nrn. ... und ...) Bezug.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1.
Der Senat konnte die mündliche Verhandlung vom 21. November 1996 durchführen und zur Sache entscheiden. Denn die Kläger waren trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen und gemäß § 91 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - in den Ladungen vom 24. Oktober 1996 darauf hingewiesen worden, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne. Die Kläger sind ordnungsgemäß gemäß § 53 Abs. 2 FGO durch Zustellung nach dem Verwaltungszustellungsgesetz - VwZG - durch die Post mit Zustellungsurkunden (§ 3 VwZG) geladen worden. Die Ladungen wurden den Klägern rechtzeitig (§ 91 Abs. 1 FGO) jeweils mit Postzustellungsurkunden am 30. Oktober 1996 durch Niederlegung bei der Post zugestellt. Diese Postzustellungsurkunden erbringen gemäß § 82 FGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für die von ihr bezeugten Tatsachen und auch den Beweis darüber, daß die Empfänger in der vorgeschriebenen weiseüber die Niederlegung benachrichtigt worden sind (vgl. BFH-Beschluß vom 7. Februar 1996 X R 79/95, BFH/NV 1996, 567; Gräber, Kommentar zur FGO, 3. Aufl. 1993, § 82 Rz. 40 m.w.N.).
Der Senat hat bezüglich der Ordnungsmäßigkeit der Ladungen durch Postzustellungsurkunden geprüft, ob den in der Literatur (Späth, DStR 1996, S. 1723 ff; Seltmann, AnwBl. 1996, 403 ff.) neuerdings angemeldeten Zweifeln an der Rechtswirksamkeit der seit dem 1. Januar 1995 seitens der Deutschen Post AG vorzunehmenden förmlichen Zustellungen nach dem VwZG zu folgen ist. Diese Frage verneint der Senat aus den folgenden Gründen:
Im Zusammenhang mit der Umwandlung der vormaligen Deutschen Bundespost POSTDIENST auf die Deutsche Post AG hat der Gesetzgeber durch die zum 1. Januar 1995 in Kraft getretene Neufassung des § 16 Postgesetz - PostG - gemäß Art. 6 Nr. 13 des Postneuordnungsgesetzes (- PTNeuOG, vgl. BGBl. I 1994, 2325/2368) ausdrücklich bestimmt, daß das Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost POSTDIENST - d.h. die Deutsche Post AG - mit dem Recht belieben wird, Schriftstücke nach den Regeln des Prozeß- und Verfahrensrechts förmlich zustellen zu können. Diese Vorschrift geht auf Beratungen im Ausschuß für Post und Telekommunikation zurück und wurde damit begründet, daß auch die Deutsche Post AG zukünftig die hoheitliche Aufgabe wahrnehmen solle, u.a. nach den verwaltungsrechtlichen Vorschriften amtliche Schriftstücke förmlich zustellen zu dürfen. Diese Tätigkeit sei für die Deutsche Post AG nur aufgrund einer Beleihung möglich (vgl. BT-Drucks. 12/8060 S. 199). Unter Berücksichtigung dieser Gesetzesregelung und ihrer Begründung im Gesetzgebungsverfahren ist die Deutsche Post AG kraft der in § 16 Abs. 1 PostG ausgesprochenen Beleihung ab 1.1.1995 befugt, als Verwaltungsträger gegenüber den Empfängern hoheitlich zu handeln. Die mit der förmlichen Zustellung betrauten Bediensteten der Deutschen Post AG sind Insoweit - unabhängig von der Ausgestaltung ihres Dienstverhältnisses - Amtsträger i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 2 a bzw. c StGB.
In folgerichtiger Weiterführung der der Deutschen Post AG durch § 16 Abs. 1 PostG übertragenen hoheitlichen Befugnisse hat der Gesetzgeber durch den ebenfalls durch Art. 6 Nr. 13 PTNeuOG geänderten und am 1. Januar 1995 in Kraft getretenen § 16 Abs. 2 PostG ausdrücklich angeordnet, daß die Deutsche Post AG gegenüber dem Auftraggeber oder Zustellungsempfängern nach den Grundsätzen des§ 839 BGB, Art. 34 GG haftet. Angesichts dieser Regelungen ist kein Zweifel an der Rechtmäßigkeit der der Deutschen Post AG übertragenen Befugnisse und der von deren Bediensteten mit Postzustellungsurkunde - wie hier - durchgeführten Zustellungen veranlaßt. Das gilt auch insoweit, als derartige Zustellungen durch Niederlassungen bzw. Filialen der Deutschen Post AG vermittelt werden. Denn diese sind nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 1 PostG eindeutig der Deutschen Post AG als beliehenem Rechtsträger zuzuordnen, zumal deren Niederlassungen und Filialen keine selbständigen Rechtsobjekte sind. Der Rechtswirksamkeit der von der Deutschen Post AG bewirkten Zustellungen mit Zustellungsurkunden kann auch nicht der in§ 182 ZPO verwendete Begriff der "Postanstalt" entgegengehalten werden, weil diese Bestimmung Lediglich die näheren Modalitäten eine Ersatzzustellung festlegt und in keinem Zusammenhang mit dem gesetzlichen Beleihungsakt durch § 16 Abs. 1 PostG steht. Schließlich ergeben sich - entgegen der in den vorzitierten Aufsätzen vertretenen Rechtsauffassung - auch im Hinblick auf die in§§ 36 und 39 BeurkG geregelten Formerfordernisse keine rechtlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der durch die Deutsche Post AG mit Postzustellungsurkunde bewirkten Zustellungen. Denn die von den Postbediensteten vorzunehmende Beurkundung über die Zustellung bestimmt sich nach § 195 Abs. 2 ZPO. Diese spezielle Regelung schließt unter Berücksichtigung des § 1 Abs. 2 bzw.§ 59 BeurkG eine Anwendung des BeurkG im Zusammenhang mit der Beurkundung der Postzustellungsurkunden aus (vgl. nur Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit Teil B BeurkG 12. Aufl. 1986,§ 1 BeurkG Rz. 48 m.w.N.).
2.
Das FA hat die Einsprüche der Kläger gegen die Grunderwerbsteuerbescheide vom 14. September 1995 zu Recht als unzulässig verworfen, weil die von den Klägern am 21. Dezember 1995 zur Niederschrift eingelegten Einsprüche mangels Einhaltung der Rechtsbehelfsfrist (§ 355 AO) verspätet waren. Die Bescheide vom 14. September 1995 sind den Klägern ausweislich der in den Steuerakten befindlichen Postzustellungsurkunden am 14. September 1995 zugestellt worden. Diese Postzustellungsurkunden erbringen gemäß § 418 Abs. 1 ZPO - wie vorstehend unter 1. dargelegt - den vollen Beweis der in ihnen bezeugten Tatsachen; einen Gegenbeweis haben die Kläger nicht erbracht.
Zwar haben die Kläger in ihrer Klageschrift behauptet, bereits im September 1995 zur Niederschrift Einspruch eingelegt zu haben. Für die Richtigkeit dieser Behauptung ergeben sich jedoch aus den beim FA geführten und dem Gericht vorgelegten Steuerakten keinerlei Anhaltspunkte. Das Gegenteil folgt auch aus der Einspruchsbegründung der Kläger in der Niederschrift vom 21. Dezember 1995, in der ausgeführt ist, daß die Kläger aufgrund mehrerer Krankheiten nicht dazu gekommen seien, innerhalb der Fristen Einspruch einzulegen, und deshalb Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragten.
Die von den Klägern beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das FA zutreffend abgelehnt, weil die Kläger nicht i.S.d. § 110 Abs. 1 Satz 1 AO ohne verschulden an der Einhaltung der Einspruchsfrist gehindert waren. Denn die hier von den Klägern allein geltend gemachte Fristversäumnis wegen Krankheit ist ein wiedereinsetzungsgrund nur dann, wenn dem Kranken wegen seines Zustandes nicht zugemutet werden kann, das Schriftstück selbst oder durch einen Dritten rechtzeitig einzureichen (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO,§ 110 AO Rz. 12 m.w.N.). Derartige Krankheitsgründe haben die Kläger nicht dargetan. Die vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen betreffen nicht den hier fraglichen Zeitraum vom 14. September 1995 bis 16. Oktober 1995, innerhalb dessen die Rechtsbehelfsfrist bezüglich der Grunderwerbsteuerbescheide vom 14. September 1995 Lief. Krankheitsgründe bezüglich der Klägerin sind im übrigen weder dargetan noch ersichtlich. Ob und ggf. welche unterlagen die Kläger dem FA im Zusammenhang mit der Bebauung des von ihnen erworbenen Grundstücks vorgelegt haben, ist für die hier allein zu treffende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der vom FA versagten Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ohne Bedeutung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist nicht zugelassen worden.